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Zweiter Teil.
Das Christentum.
a. Einleitende Erwägungen.
Zur Einführung in die auf christlichem Boden erwachsenen Lebensanschauungen bedarf es einer kurzen Erörterung der Gesamtart des Christentums. Der Versuch, dieses in ein Ganzes zu fassen, mußte der älteren rationalen und spekulativen Denkart als unverfänglich, ja als selbstverständlich erscheinen; wie sie auch in der Religion vornehmlich eine Weltanschauung sah, so hielt sie es ganz wohl für möglich, einen großen geschichtlichen Zusammenhang in einen einfachen Begriff umzusetzen und ihn als Verkörperung einer Gedankenwelt zu verstehen. Die geschichtliche Denkart, welche im Lauf des neunzehnten Jahrhunderts die Oberhand gewann und sie bis jetzt behauptet, widerspricht entschieden einem solchen Unternehmen, sie befürchtet von ihm eine viel zu summarische Fassung, ein Unterdrücken der Mannigfaltigkeit zugunsten eines einzigen Hauptgedankens, vor allem aber eine Verwischung der unvergleichlichen Individualität durch allgemeine Begriffe und Formeln; demgegenüber ist sie vornehmlich darauf bedacht, diese Individualität mit ihrer unerschöpflichen Fülle zur Geltung zu bringen, sie sieht in der Religion nicht ein freischwebendes Gedankengebilde, sondern einen großen geschichtlichen Tatbestand, der aufs engste mit der Lage der Zeiten und der Beschaffenheit der Völker verwachsen ist, unter denen er entstand und zu denen er wirkte; daß eine Religion verschiedenartige, ja entgegengesetzte Elemente enthält, und daß sie zu sehr verschiedenen Höhenlagen des menschlichen Lebens spricht, das kann hier sogar als ein Vorteil gelten. Die Leistungen dieser geschichtlichen Denkweise liegen viel zu deutlich vor Augen, um einer Empfehlung zu bedürfen; sie hat dem geschichtlichen Befunde mehr Unbefangenheit und Offenheit entgegengebracht, sie hat sein Bild durch unermüdliche Arbeit weit reicher und farbiger, gesättigter und genauer gestaltet, sie läßt uns soviel mehr in den menschlichen Geschicken sehen, daß eine Rückkehr davon zur älteren intellektualistischen Denkart schlechterdings ausgeschlossen ist.
Aber ein so gutes Recht die geschichtliche Denkweise hat, einen Abschluß bildet sie nicht, vor allem nicht auf dem Gebiete der Religion. Eine Religion ist etwas anderes als ein politisch-nationales Gebilde, dessen Bedingtheit und dessen Mängel man bereitwillig zugeben kann, ohne an ihm irre zu werden; eine Religion, welche sich von den nationalen Schranken abgelöst hat, kann sich unmöglich mit geschichtlicher Tatsächlichkeit begnügen, sie will Wahrheit sein, ewige Wahrheit, Wahrheit für alle Menschen; als Wahrheit aber muß sie eine innere Einheit, einen durchgehenden Charakter besitzen und diesen als allen anderen Mitbewerbern überlegen verfechten; um ihn zu entdecken, gilt es von allem bloßen Dasein auf ein ursprüngliches Schaffen zurückzugehen und in ihm eine Notwendigkeit zu ergreifen; nur von hier aus lassen sich Wertmaßstäbe entwickeln, sowie höhere und niedere Stufen scheiden, während die ausschließlich historische Betrachtung in Gefahr ist, alle innere Bemessung aufzugeben und in einen zerstörenden Relativismus zu fallen.
Das allerdings bleibt bestehen, daß die geistige Einheit einer Religion nicht in einer logischen Formel liegen kann. Aber gibt es denn keine andere Art der Einheit als eine solche Formel, sollte sich nicht darüber hinaus nach einem einheitlichen Grundcharakter, nach einem eigentümlichen Lebenstypus streben lassen, und soll die Philosophie für immer von diesen Fragen ausgeschlossen sein, weil eine besondere, hinter uns liegende Art der Philosophie die Aufgabe zu knapp verstand? Dies freilich ist gewiß: das Suchen der Philosophie nach Einheit gegenüber aller Mannigfaltigkeit, nach beharrender Wahrheit gegenüber dem unsteten Fluß der menschlichen Dinge hat eine unerläßliche Voraussetzung, eine Voraussetzung, mit der es steht und fällt: das menschliche Streben nach Wahrheit muß ein selbständiges Leben hinter sich haben, und dies Leben muß sich durch unser Mühen und Kämpfen hindurch erschließen, nirgends mehr als auf der Höhe weltgeschichtlicher Arbeit, welche die Erfahrungen der ganzen Menschheit aufnimmt; wie jenes absolute Leben den Schranken der Zeit überlegen ist, so kann es ewige Wahrheit auch in den Bereich des Menschen bringen; es wird dann bei der Religion zu scheiden sein zwischen dem, was dem zeitüberlegenen durchgehenden Grundbestande angehört, und dem, was von ihr in einer besonderen Zeit zur Wirkung kam, was ihr unter den eigentümlichen Bedingungen dieser eine Anziehungskraft und eine Macht über die Seelen verlieh; nur wenn den geschichtlichen Vorgängen eine ewige Wahrheit, eine Eröffnung ursprünglichen Lebens zugrunde liegt und aller menschlichen Fassung und Trübung widersteht, läßt sich ein innerer Zusammenhang der Geschichte erstreben; nur eine übergeschichtliche Wahrheit läßt sich immer von neuem ergreifen, ohne daß die Gegenwart der Vergangenheit aufgeopfert wird, nur sie kann aller Zerstreuung und Spaltung einen gemeinsamen Grundstock entgegenhalten.
Einen solchen Grundstock zeigt das Christentum deutlich genug, namentlich beim Vergleich mit anderen Religionen. Das Christentum ist nicht Gesetzesreligion, sondern Erlösungsreligion; als solche beschränkt es sich nicht auf eine Belebung und Anspannung vorhandener Kräfte, sondern es fordert einen neuen Menschen und eine neue Welt. Weiter aber ist es Erlösungsreligion nicht metaphysisch-ontologischer, sondern ethischer Art, d. h. es findet seine Hauptaufgabe nicht darin, von einer Welt des Scheins zu einem wesenhaften Sein zu führen, sondern es stellt die Wirklichkeit unter den Gegensatz des Guten und Bösen und verlangt eine neue, in persönlichem Leben und ewiger Liebe gegründete Welt. Das gibt auch der Wesenseinigung von Göttlichem und Menschlichem, worauf jede tiefere Erlösungsreligion bestehen muß, einen eigentümlichen Charakter; schwerer wird die Verwicklung, gründlicher aber auch die Lösung; die Weltgeschichte gewinnt hier einen einzigartigen Wert, indem erst auf ihrem Boden und durch ihre Erfahrungen hindurch die Einigung von Göttlichem und Menschlichem verwirklicht wird. Inmitten aller Wirren der Zeit und aller menschlichen Unzulänglichkeit erfolgt hier der Aufbau eines Gottesreiches, erfolgt innerhalb der Zeit eine Überwindung der bloßen Zeit. Hier ergibt der Bruch mit der Welt keine matte Weltflucht, sondern mit voller Anerkennung schwerer Hemmung und Bosheit ist hier ein freudiger Glaube und ein kräftiges Wirken vereinbar. – Daß dieses Lebensganze durch die enge Verbindung mit der Persönlichkeit und den Geschicken Jesu eine eigentümliche Befestigung und seelische Erwärmung empfing, ja daß Eine Persönlichkeit der Mittelpunkt aller Gestaltung wurde und aller Weiterbewegung mit belebender Kraft gegenwärtig blieb, das entfaltet und vollendet erst das Wesen des Christentums.
Schon dieses wenige läßt einen eigentümlichen Grundstock erkennen, der das Christentum von allen anderen Religionen unterscheidet. Sehen wir nun, wie aus diesem Grundstock Bewegungen nach verschiedenen Richtungen entspringen.
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b. Die begründenden Tatsachen.
Der Ausgangspunkt des christlichen Lebens weicht gänzlich von dem des altgriechischen ab. Setzte dieses eine sichere Begründung des Menschen in dem wohlgeordneten Kosmos voraus und gewann es daraus für sein Handeln die Ziele, so findet das Christentum ihn in ärgster Bedrängnis, in tiefer Not und Hilfsbedürftigkeit. Irrung und Schuld hat ihn seinem eigensten Wesen entfremdet, aus eigener Kraft findet er nicht den Weg dahin zurück, so scheint er geistigem Untergang verfallen. Vor diesem aber hat ihn eine rettende Macht bewahrt, die notwendig als dem Bereich der Verwicklung entzogen und daher als weltüberlegen gedacht werden muß, die, als aus freier Gnade dem Menschen zur Hilfe kommend, eine Macht der Liebe sein muß. Da erst solche rettende Liebe dem Menschen die Möglichkeit einer geistigen Erhaltung gewährt, so ist ihr Wirken und zugleich ihr Bestehen der feste Punkt, der alles Leben trägt; dieses ist das Allernächste und Allergewisseste, das was den Menschen allererst seiner eigenen Existenz versichert, wie denn in Wahrheit christliche Denker großen Stiles, etwa ein Augustin, nicht wie die modernen Denker den Menschen, sondern Gott als Quell aller Gewißheit betrachteten und daher von ihm auch die Forschung ausgehen ließen. Aus solchem Zusammenhange erklärt sich das mittelalterliche Wort: Gott ist bekannter als die Kreatur, der Geist bekannter als der Körper ( deus notior creatura, mens corpore). Wenn so alles Leben und Sein am Wirken Gottes hängt, so bedarf es augenscheinlich keiner besonderen Beweise für das Dasein Gottes, da dieses vielmehr die Voraussetzung wie alles Guten so auch alles Wahren ist. Jene Beweise erscheinen hier als ebenso unzulänglich wie überflüssig. Zugleich leuchtet ein, daß das Verhältnis zu Gott allen anderen Lebensaufgaben unvergleichlich voransteht, daß alles Gelingen daran liegt, hier auf den rechten Weg zu kommen. Auch alle nähere Gestaltung des Verhältnisses zu Gott wird diesem begründenden Ausgang entsprechen.
Zunächst steht außer Zweifel, daß in diesem Verhältnis der Mensch völlig untergeordnet wird, daß sich hier keinerlei selbstisches Wesen behaupten darf. Aber solches Aufgehen in die Gemeinschaft, solches Aufhören aller Absonderung bedeutet nicht ein Erlöschen alles eigenen Seins in das absolute Wesen nach Art einer pantheistisch gestimmten Mystik. Die christliche Lebensführung setzt nicht das Einzelwesen zu bloßem Scheine herab, sondern sie beläßt ihm in aller Unterordnung einen eigen Wert, ja sie steigert diesen Wert unermeßlich. Denn aller Abstand zwischen dem vollkommenen Geist und dem irregegangenen Menschen hindert nicht ein inniges Verhältnis beider und eine Mitteilung der Fülle göttlichen Lebens. Aus solcher Mitteilung von Wesen zu Wesen entspringt eine neue Art des Lebens, ein Reich der Liebe und des Glaubens, eine Verwandlung des Daseins in reine Innerlichkeit, eine neue Welt geistiger Güter. Gegenüber dem vorgefundenen Stande bildet dies neue Leben eine Aufgabe schwerster Art; unendlich viel ist für seine Zwecke zu tun, zu bewegen und umzuwandeln; auch bedarf es ständiger Anstrengung, um die erreichte Höhe zu behaupten. Aber zugleich eröffnet solche Wesensgemeinschaft mit dem vollkommenen Geist eine Freude und Seligkeit, die alles sonst gepriesene Glück weit überragt; auch trägt dieses Leben in seiner inneren Überlegenheit über alle andere Erfahrung die Gewißheit, daß die Macht, woraus es stammt, die Welt beherrscht, ja den Ursprung aller Wirklichkeit bildet. Der Geist unendlicher Liebe und Güte, das Urbild freien Persönlichseins, ist zugleich der allmächtige Geist, der Schöpferwille. Als Werk einer allmächtigen Güte muß die Welt vollkommen sein, vollkommen nicht bloß im Sinne des Platonismus, daß unter gegebenen Bedingungen das Höchste erreicht, aus gegebenem Stoffe das Beste bereitet ist, sondern vollkommen im strengen Sinne der Verwirklichung aller Ziele. So darf auch der Mensch überzeugt sein, daß der Gewinn jenes inneren Lebens alles andere in sich schließt oder nach sich zieht, daß die allmächtige Liebe die ganze Welt zu einem Reiche Gottes gestaltet.
Je mehr sich aber so die Wirklichkeit von innen her verklärt und erhöht, desto härter, desto unerträglicher wird der Widerspruch der Erfahrung; mit der Grundtatsache des neuen Lebens verflicht sich aufs engste die Wahrnehmung, daß unsere Welt es aufs schwerste hemmt und bedroht. Schmerz und Not umfangen uns nicht nur von außen her, sie erstrecken sich auch in das Innere, und es erscheint das Böse nicht als eine bloße Beschränkung und Minderung des Guten, sondern als eine schroffe Gegenwirkung und völlige Verkehrung. Ein tiefer Spalt zerreißt die Welt und gefährdet den Sieg des Guten. Es ist aber der tiefste Grund alles Bösen die Zerreißung jener Gemeinschaft, der Sonderwille und die Auflehnung des Menschen; seine tiefste Wurzel hat das Übel hier nicht in einem dunklen Stoff und einer Sinnlichkeit, die herabzieht, sondern in eigner Entscheidung und Schuld, in menschlicher Selbstsucht und Überhebung, es wird damit gewaltig gesteigert. Die Frage, wie solche Entfremdung und Auflehnung möglich sei, und ob schließlich nicht auch das Böse dem göttlichen Weltplan diene, hat auf christlichem Boden viel Grübeln und Forschen hervorgerufen. Aber zugleich bestand viel Mißtrauen gegen ein Ausspinnen solcher Fragen, die Besorgnis, ein Erklären des Bösen möge seinen schweren Ernst und damit die Spannung des Kampfes mindern. So ward allerdings das Böse auf eine freie Tat zurückgeführt, nicht aber die Vereinbarkeit weltverwirrender Schuld mit dem Walten allmächtiger Güte erklärt. Das Rätsel des Ursprungs des Bösen ist auch vom Christentum nicht gelöst.
Es konnte aber das christliche Leben dies Rätsel um so eher auf sich beruhen lassen, weil es alle Kraft an die Überwindung des Bösen setzte, und weil es auf seiner Höhe sich dem Bereich des Kampfes entzogen fühlte. Solche Erhebung aber herbeizuführen, dazu ist die Welt viel zu sehr von Bösem durchsetzt und in ihrem Vermögen geschwächt; so kann unmöglich ein langsames Aufsteigen und eine allmähliche Sammlung der Kräfte das notwendige Ziel erreichen. Vielmehr vermag nur die Gottheit selbst das rechte Verhältnis zu Gott, woran alles liegt, wiederherzustellen; um das gründlich zu tun, muß sie selbst in die Welt des Kampfes eingehen und hier die Kraft des Bösen brechen. Es geschieht dies nach christlicher Überzeugung in der Weise, daß das Göttliche nicht mit einzelnen Kräften und Äußerungen, sondern mit der ganzen Fülle persönlichen Lebens jene Welt ergreift und durch die innigste Verbindung mit der menschlichen Natur die Menschheit der Macht des Bösen entwindet, sie durch die Versetzung eines innersten Kernes menschlichen Wesens in das göttliche Leben über alle Schuld und alles Leid hinaushebt. Solche Überwindung des Leides vollbringen kann aber das Göttliche nicht, ohne es in seiner vollen Schwere auf sich zu nehmen und seine volle Bitterkeit zu kosten; so wird die Idee eines göttlichen Leidens zum tiefsten Mysterium des Christentums und zum innigsten Band zwischen Seele und Gott. In der höchsten Krise scheint dabei das Göttliche selbst der Macht des Bösen zu unterliegen. Aber nur einen Augenblick währt die Verdunklung, der scheinbaren Erniedrigung folgt rasch die Erhöhung, das Göttliche erweist in vollem Siege seine Überlegenheit und führt das Gute zu voller Herrschaft. Zugleich erhellt, daß erst durch so schmerzliche Erfahrungen und ungeheure Erschütterungen hindurch die ganze Tiefe der göttlichen Liebe erschlossen wird. Freilich ist diese Verwandlung der Wirklichkeit zunächst nur innerer Art, sie scheint die sichtbare Welt kaum zu berühren. Das Böse verschwindet auch jetzt keineswegs, es beharrt und widersteht der neuen Ordnung der Dinge. Aber in seiner Wurzel ist es gebrochen, so daß es nunmehr den Aufbau eines Gottesreiches auch in unserer Welt nicht mehr zu hemmen vermag. Diesem Aufbau dient in sichtbarer Weise die neue, ausschließlich durch das Verhältnis zu Gott bestimmte Gemeinschaft der Kirche; inmitten einer gleichgültigen oder feindlichen Welt wahrt sie den Zusammenhang mit dem unsichtbaren Gottesreiche und verbindet die Menschen einander aufs engste durch Liebe, Glauben und Hoffnung. Aber auch bei solcher Befestigung des Guten in unserem Kreise bleibt das Leben ein unablässiger Kampf, nur die Aussicht in die Zukunft, nur die Hoffnung einer neuen Welt trägt darüber hinaus in ein Reich des Friedens und der Seligkeit.
So sehen wir die christliche Welt eine Stufenfolge großer Taten durchlaufen und zugleich einen immer reicheren Inhalt gewinnen. In hartem Ringen steigern sich Schritt für Schritt Wirkung und Gegenwirkung. Die weltschaffende Gottestat, der Abfall vom Guten, der Eintritt des Göttlichen in die geschichtliche Ordnung, der Widerstand und scheinbare Triumph des Bösen, die siegreiche Erhöhung des Guten und die Gründung eines Reiches Gottes auf Erden, das Vorhalten einer besseren Zukunft bis zum Endabschluß durch das Weltgericht: erst der enge Zusammenhang und die gegenseitige Verkettung aller dieser Ereignisse, sie entfalten voll die Eigentümlichkeit der christlichen Welt. Hier wachsen die Vorgänge nicht aus einer gegebenen Welt mit dem Zwang der Notwendigkeit hervor, sondern alle entscheidenden Wendungen erfolgen aus freier Tat; vor dem Naturprozeß steht hier die Tat, zum Hauptstück geistigen Lebens wird damit die Freiheit. Nun bedeutet die Wirklichkeit nicht mehr ein herrliches Kunstwerk, dessen Ebenmaß den schauenden Geist entzückt, sie verwandelt sich in ein Drama von schwerem Ernst und unergründlicher Tiefe; dies Drama versetzt auch den Menschen in gewaltigste Aufregung. Denn er soll jene Spannungen und Schicksale nicht wie ein Schauspiel von draußen betrachten und genießen, er soll sie aus tiefster Seele erleben, sie als sein eigenes Schicksal von neuem durchleben. Das nämlich ist dem christlichen Leben wesentlich, daß, was in dem Ganzen sicher entschieden ist, beim Einzelnen immer neu zur Aufgabe wird, daß alle Spannungen des Weltkampfs sich mit unverminderter Stärke in seinen Kreis erstrecken und zur Seele seines Lebens werden. Ja, nur solche individuelle Aneignung gibt jenen Welttatsachen für den Einzelnen eine volle Belebung und zwingende Überzeugungskraft. So wird hier Weltgeschichtliches und Seelisches, Makrokosmisches und Mikrokosmisches aufeinander angewiesen, beides trägt und treibt sich gegenseitig und erhält sich in steter Bewegung. Schon diese flüchtige Andeutung zeigt, daß das Christentum mit aller seiner Tatsächlichkeit nicht nur unendliche Bewegungen erzeugt, sondern bei sich selbst ein fortwährendes Problem, eine stets sich erneuernde Aufgabe bildet.
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c. Das christliche Leben.
α. Die Verinnerlichung und Erneuerung.
Die innere Wandlung des Lebens durch die neuen Zusammenhänge erhellt besonders im Vergleich mit der griechischen Lebensanschauung. Solange die Aufgabe vornehmlich dahin ging, den Menschen einer fertigen Welt zu verbinden und sein Leben aus ihr zu erfüllen, gebührte dem Erkennen die Leitung des Ganzen. Wo aber der Aufbau einer neuen Welt und eine Umwandlung des eigenen Wesens in Frage steht, da wird zur Hauptsache eine Wendung des Ganzen, eine wesenumfassende Tat. Diese Tat kann nicht eine Leistung in der vorhandenen Welt bedeuten, da dieser gegenüber ein neues Reich entstehen soll; auch genügt es nicht, innerhalb des gegebenen Seelenstandes den Schwerpunkt in eine andere Kraft, etwa das Fühlen oder Handeln, zu verlegen, sondern es gilt eine letzte Tiefe des eigenen Seins zu erreichen, durch Aufbietung und Zusammenfassung aller Kraft dem Leben in sich selbst eine Seele zu geben. Der Kampf um eine solche Seele setzt die bisherigen Betätigungen zu einer bloßen Außenseite herab und bewirkt eine Abstufung innerhalb des eigenen Bereiches; er eröffnet dem Geistesleben schwere Aufgaben bei sich selbst und verleiht ihm zugleich einen kräftigeren Gehalt, als auf griechischem Boden möglich war.
Aber es ist nicht das Allgemeine an den Begriffen, das die christliche Lebensführung beherrscht. Sie steht vielmehr unter dem Eindruck der besonderen Lage, daß der Mensch mit Gott zerfallen und zugleich sich selbst entfremdet ist; sein echtes Selbst, seine sittliche Existenz ist in dringender Gefahr, vor Tod und Teufel gilt es die unsterbliche Seele zu retten. Die Stärke der Widerstände gibt dem Leben den Charakter eines aufgeregten Kampfes, einer Entscheidung über Sein oder Nichtsein: hier ewige Seligkeit, dort ewiges Verderben! Die Frage der Wiederverbindung mit Gott erhält eine stürmische Gewalt, ja strenge Ausschließlichkeit; alle übrigen Aufgaben weichen davor zurück, sie können zum Gegenstand des Hasses werden, wenn sie die eine Aufgabe hemmen, an der alles Heil des Lebens hängt.
Diese leidenschaftliche Glut und hinreißende Gewalt des Hauptverlangens läßt alles bisherige Streben nach Glück als matt und schattenhaft erscheinen. Der menschliche Durchschnittsstand hat diese Bejahung des Lebens oft mit einem niederen Drange, einer engen Selbstbehauptung zusammenrinnen lassen. Aber das widerspricht dem tieferen Sinn der christlichen Art. Ihm ist wesentlich die Überzeugung, daß der Weg zur rechten Selbstbejahung durch eine harte Selbstverneinung führt, daß nicht ein natürliches Sein nur gesteigert, sondern durch die Gemeinschaft mit Gott ein neues, übernatürliches Sein geschaffen wird. Solcher Überzeugung ist die Religion nicht, wie der Höhe der alten Welt, nur eine freundliche Umsäumung des Daseins, sondern der Quell eines neuen Lebens, die Grundbedingung geistiger Selbsterhaltung. Einen Selbstwert und eine Unverlierbarkeit gibt dem Einzelnen hier nicht schon seine eigne Natur, er hat sie als Gabe und Gnade von der Gottheit zu empfangen gemäß dem Wort: »Was haben wir, das wir nicht empfangen hätten?«
Zugleich hebt jene Bindung an Gott das Streben über die Willkür des einzelnen Menschen hinaus. Die unsterbliche Seele, deren Heil auf dem Spiele steht, ist keine Privatangelegenheit, ihre Rettung kein Gut, auf das sich auch wohl verzichten ließe, sondern sie bedeutet einen allen anderen Dingen unvergleichlich überlegenen Schatz, ein anvertrautes heiliges Gut, das der Mensch unter keinen Umständen preisgeben darf. Die unsichtbaren Zusammenhänge einer ewigen Ordnung erstrecken hier ihr geheimnisvolles Wirken unmittelbar in das Leben jedes Einzelnen hinein und geben ihm einen tiefen Ernst. Aber sie erdrücken es nicht, da das göttliche Wirken eine Welt der Liebe und der Freiheit schafft und auch den Einzelnen daran teilnehmen läßt. Grenzenlose Macht und Güte macht auch das Unmögliche möglich. So vergeht alle Starrheit eines abgesonderten Daseins in den Lebensfluten der neuen Welt, unter Befreiung von der Enge eines eigenwilligen Ich gewinnt der Mensch ein weiteres und reineres Selbst. Aus der Teilnahme aber an dem unerschöpflichen Reichtum der neuen Welt quillt eine unermeßliche Freude und Seligkeit, die jenseit alles selbstischen Genusses und gemeinen Glückes liegt.
Mit solcher Läuterung erlangt das oft zurückgedrängte, nie unterdrückte Glücksverlangen des Menschen eine Veredlung und eine Rechtfertigung, er braucht nun nicht mehr zwischen starrer Selbstbehauptung und mattem Verzichte zu wählen. Die sonst oft bekämpften und eingeschüchterten Affekte Schmerz und Freude, Sorge und Hoffnung werden jetzt von der Kleinheit menschlicher Fassung befreit und dem geistigen Leben selbst eingepflanzt, zur inneren Erhöhung und Hinaushebung über allen Angriff. Das ist keine Schwächung, sondern eine Verstärkung des Lebens.
Auch in seiner geschichtlichen Wirkung hat das Christentum einer ermüdeten Menschheit einen frischen Lebensmut eingeflößt und einer greisenhaften Kultur eine Welt voll neuer Aufgaben entgegengehalten. Aufs anschaulichste zeigt dies eine Vergleichung der Denker des ausgehenden Altertums und der früheren Kirchenväter. Die Philosophen sind in der Vornehmheit der Form, der Durchbildung der Begriffe, ja der gesamten wissenschaftlichen Beweisführung jenen weit überlegen. Aber alle ihre Arbeit bedrückt wie ein Alp das Empfinden einer Leere und Nichtigkeit des gesamten menschlichen Daseins und hemmt die volle Einsetzung der Kraft, sowie ein freudiges Ergreifen hoher Ziele. Wir verstehen vollauf, daß der Sieg den anderen zufiel, die ein neues Leben und weite Aussichten boten und unter solcher Fahne die Menschheit zu sammeln vermochten. Grundverkehrt ist es, weil diese Religion eine Schwäche der Menschheit und ein Bewußtwerden dieser Schwäche voraussetzt, sie als ein Erzeugnis der Schwäche zu verstehen. Denn sie hat dieser keineswegs nachgegeben, sondern sie mit aller Kraft bekämpft und in der Tat überwunden.
β. Die engere Verbindung der Menschen.
Das neue Leben verwandelt durchgreifend die gegenseitigen Beziehungen der Menschen. Wo jene Verinnerlichung den Menschen sich selbst erschließt, ihn sich selbst näher bringt, da kann auch das gegenseitige Verständnis wachsen, der Mensch dem Menschen durchsichtig werden, der eine sich mehr in den anderen versetzen und sein Leben teilen. So eine sichere Gegenwehr gegen eine trostlose Vereinsamung. Zugleich macht der unverlierbare Wert, den das Leben mit Gott verleiht, den Menschen auch dem Mitmenschen wertvoll, von allen Mißständen des nächsten Befundes läßt sich hier auf ein in Gott gegründetes Wesen zurückgehen und ein Urbild des Menschen als wirksam behaupten, ohne den Menschen, wie er leibt und lebt, fälschlich zu idealisieren. Nur bei solchem Behaupten des Menschenwertes kann das Christentum die Liebe zum Grundgefühl machen und sie ein neues Leben hervorbringen lassen. Es scheidet sich hier deutlich von allen Systemen des bloßen Mitleids, deren weicher und müder Verzicht den Menschen zur Nichtigkeit niederdrückt und die Kraft seines Wollens lähmt.
Das Bewußtsein der Gleichheit der Schicksale wie der inneren Beschaffenheit trägt und befestigt das gemeinsame Leben. Mag das Leben den Individuen noch so verschiedene Stellungen und Berufe weisen, gemeinsam bleibt die Aufgabe der Bildung eines neuen Wesens, und sie überragt alle anderen Ziele; selbst die moralischen Unterschiede der Individuen verblassen und schwinden, sobald sich der Mensch nicht mehr gemäß griechischer Art an anderen Menschen, sondern an der göttlichen Vollkommenheit mißt.
Was so vom Gottesreich her zu größerer Festigkeit und Innigkeit menschlicher Verbindung wirkt, das verstärkt sich durch die Gemeinschaft der weltgeschichtlichen Erfahrungen. Die göttlichen Erschließungen, die das Leben beherrschen, ergehen nicht bloß an Einzelne, sondern an das Ganze, sie verlangen einen Stand des Ganzen, sie bedürfen zu ihrer Erhaltung im menschlichen Kreise der Kraft des Ganzen. So wird die Menschheit zu einer inneren Gemeinschaft des Lebens und zum Aufbau eines neuen Reiches verbunden; in solcher Gemeinschaft kann der Einzelne vom Ganzen empfangen und das Ganze fördern, das Leiden und Tun des einen allen zugute kommen. Ja alles Erlebnis der besonderen Stelle wird durch das Geschick des Ganzen hindurch erlebt und damit geläutert wie vertieft.
Freilich bringen solche Wandlungen auch schwere Probleme und Verwicklungen mit sich. Alles Wachstum der Gemeinschaft soll die Selbständigkeit des Einzelnen nicht unterdrücken, hat doch gerade das Christentum das Individuum unermeßlich erhöht und – namentlich in den ersten Jahrhunderten – alle Wendung zum Bessern auf seine Freiheit gestellt. Wie leicht aber die Gegensätze, welche die christliche Lebensführung im innersten Wollen umspannen möchte, sich entzweien und einander widerstreiten können, das zeigt die ganze Geschichte des Christentums mit ihren unablässigen Kämpfen zwischen Persönlichkeit und Gemeinschaft.
γ. Der Gewinn einer Geschichte.
Die antiken Lebensanschauungen gaben durchweg der Geschichte keinen hohen Wert. Die geschichtsphilosophischen Lehren von dem endlosen Abrollen gleichartiger Kreise und der ewigen Wiederkehr des Geschehens wurzelten in der Überzeugung, daß alle Bewegung im Grunde nichts Neues bringt und das Leben nicht wesentlich weiterführt. In guten Tagen erwuchs daraus kein Schmerz, weil die Gegenwart das Leben gänzlich erfüllte; in schlechten mußte eine Leere fühlbar und bald unerträglich werden. Wohl betrachten die tiefsten griechischen Denker das zeitliche Leben als ein Abbild ewiger Ordnung, nicht aber kennen sie ein Eingehen des Ewigen in die Zeit, eine Berührung von Zeit und Ewigkeit. Dies alles hat das Christentum durchaus verändert. Nach seiner Überzeugung eröffnet das Ewige seine ganze Tiefe inmitten der Zeit, es stellt damit unermeßliche Aufgaben und erzeugt gewaltigste Bewegungen. Denn nunmehr entbrennt in unserem Bereich ein Kampf um Rettung oder Verderben, hier soll eine große Wendung erfolgen, hier sich der Aufbau eines Reiches Gottes vollziehen. Erst solche Gegenwart des Ewigen in der Zeit erzeugt eine Weltgeschichte und gibt auch dem Seelenleben des Einzelnen an wahrhaftiger Geschichte teil, das sonst keine Geschichte kannte. Die Erhebung über ein vorhandenes Dasein, die damit in Fluß gerät, befreit die Individuen, Völker und auch das Ganze der Menschheit von der starren Bindung an ein gegebenes Maß, durch Erschütterung und Umbildung hindurch können sie neue Anfänge setzen und ursprüngliche Kräfte erzeugen, dabei aber sich selbst bekämpfen und überwinden. Eine tiefe Sehnsucht und ein starkes Hoffen wird hier dem menschlichen Leben für alle Zeiten eingepflanzt.
Aber wiederum erzeugen die folgenreichen Wandlungen Verwicklungen schwerster Art. Wie das Ewige in den Zeitlauf eintreten könne, ohne seine Ewigkeit abzulegen, wie das Göttliche am menschlichen Sein mit dessen Werden und Wandel ohne Einbuße teilhaben könne, das bleibt ungeklärt und rätselhaft. Durch die ganze Geschichte des Christentums geht hier ein schroffer Gegensatz und ein harter Streit einer positiven und einer universalen Denkart. Die einen stellen die Ewigkeit, die anderen die Geschichte voran. Hier die Neigung, sich in festen und greifbaren Tatsachen zu verankern und an ihre Aneignung alles Heil und alle Sicherheit zu knüpfen, dabei aber die Gefahr einer Bindung alles Lebens an einen einzigen Punkt der Vergangenheit, sowie einer Verengung der christlichen Gedankenwelt; dort das Streben, das Christentum in Wesen und Wirken als eine allumfassende und fortlaufende Tatsache zu verstehen, alle geschichtliche Leistung in unmittelbare Gegenwart zu verwandeln und zugleich mit dem Erkennen zu durchleuchten, dabei aber die Gefahr, das Geschichtliche zu verflüchtigen und das Ganze zu sehr in eine bloße Weltansicht zu verwandeln. Das ergibt die härtesten Konflikte, aber aller Kampf des Positivismus und des Rationalismus beläßt die Erringung einer Geschichte in der Welt wie bei der Seele, damit aber eine Erhöhung menschlichen Tuns, den Gewinn einer Aufgabe und einer Spannung für das Ganze des Lebens.
δ. Die neue Grundstimmung des Lebens.
Wie die christliche Gestaltung des Lebens Punkt für Punkt schroffe Gegensätze umspannt, so überwindet hier auch die Schätzung des Lebens herkömmliche Gegensätze und bildet damit eine unvergleichliche Grundstimmung aus. – Es widerspricht ganz und gar der christlichen Art, das Leid von vornherein abzuschwächen und dem Menschen als unerheblich einzureden; kaum ist ihr etwas so fremd und feindlich als das Unterfangen, die Welt, wie sie vorliegt, als ein Reich der Vernunft darzustellen, würde das doch die ganze Wendung zu einer neuen Welt, diesen Hauptgedanken des Christentums, überflüssig und hinfällig machen. In Wahrheit muß das Christentum mit seiner Vertiefung des Lebens, seiner Forderung absoluter Vollkommenheit, seiner Steigerung des Wertes des Menschen, auch jedes Einzelnen, seinem starken Verlangen nach Liebe und Glück die Empfindung für Dunkel und Leid unermeßlich steigern. So hat es die volle Anerkennung des Leides dem Menschen keineswegs verwehrt, vielmehr die Abstumpfung dagegen zu einer Verhärtung des Herzens gestempelt. Hier vornehmlich scheiden sich Stoa und Christentum. Gerade dieses, daß das Christentum gestattet, ja antreibt, alle Mißstände und Schmerzen des Daseins offen auszusprechen und das Leid im Gemüt voll ausklingen zu lassen, hat ihm, von Anfang an und immer von neuem, die Seele des Menschen gewonnen; das sonst unterdrückte Gefühl kam damit zu freier Entfaltung, das Leben gewann durchweg an Innerlichkeit und Wahrhaftigkeit.
Aber ebenso fern wie einem vergnüglichen Optimismus steht das Christentum einem matten Pessimismus. Die nächste Welt, deren Elend den Menschen niederdrückt, bedeutet ihm nicht den letzten Abschluß; eine felsenfeste Überzeugung führt über sie hinaus in ein allen Verwicklungen überlegenes Reich des in Gott gegründeten Lebens. Daß alle Wirklichkeit vom Geist der Vollkommenheit stammt, wird mit größerer Zuversicht verfochten als irgendwo sonst. Zugleich erfolgt eine innere Erhöhung des Leides. Gott selbst hat es auf sich genommen und dadurch geheiligt, aus starrem Widerspruch wird es jetzt ein unentbehrliches Mittel zur Erweckung, Läuterung, Umwandlung des Lebens, der Niedergang dient einem Aufstieg, die Vernichtung einer Erneuerung, der dunkle Weg des Todes wird zur Pforte ewigen Lebens. Wie die göttliche Liebe die tiefsten Abgründe nicht gescheut hat, so kann auch im menschlichen Kreise das Leid eine freudige Opferwilligkeit und tätige Liebe entzünden. Im Leide entsteht das innigste Verhältnis zu Gott, der selbst das Leid auf sich nahm, und die Gemeinschaft des Leides wird das stärkste Band der Gemüter. So stellt auch das Handeln sich anders zum Leide. Die Unvernunft des menschlichen Daseins wird nicht zurückgeschoben und ferngehalten, sondern es gilt sie aufzusuchen und mit eifriger Arbeit anzugreifen, an dem Leide Liebe zu erweisen und Liebe aus ihm zu erwecken. Der Kampf gegen das Leid, namentlich die innere Überwindung wird zur Hauptaufgabe des Strebens. In solcher Gesinnung kann das Christentum das verachtete Kreuz zu seinem Symbol erheben und das Denken und Sinnen unablässig mit dem Leide befassen, ohne ihm zu erliegen. Während die alte Kunst bei ihren Sarkophagen im Tode selbst das Leben durch seine nachdrückliche Darstellung festhielt und dadurch das Denken vom Tode zum Leben zurückrief, stellte die christliche Kunst mit ihren Heiligen- und Märtyrerbildern mitten in das quellende Leben, seine Arbeiten, seine Freuden den Tod hinein, nicht, um es dadurch niederzudrücken, sondern um es unsichtbaren Zusammenhängen einzufügen.
Diese Behandlung des Leides ist nicht selten in eine spielende Sentimentalität, in schwelgendes Genießen ausgeartet. Aber solche Wendung widerspricht ganz und gar dem tiefen Ernst des Ganzen; auch verschwinden Leid und Unvernunft mit der inneren Erhebung über sie keineswegs völlig, das Böse beharrt und bleibt ein dunkles Rätsel. Die eigene Bewegung des christlichen Lebens ist viel zu sehr von Sorgen, Kämpfen und Zweifeln durchwirkt, um behaglichem Genießen Raum zu gewähren. Die Erfahrung jener Sorgen und Kämpfe klingt nicht nur in die Seligkeit hinein, sondern das Erscheinen der neuen Güter steigert die Empfindung des Schmerzes; was an Gutem fehlt, wird nun erst recht eine Sache herber Entbehrung. Demnach verändert sich wohl der innere Anblick des Kampfes, nicht aber erlischt der Kampf; das christliche Leben hat seine Stärke nicht in der gänzlichen Vernichtung des Bösen, sondern in dem Vermögen, ihm eine überlegene Welt entgegenzusetzen. So wirken innerhalb Eines Lebens eine schmerzliche und eine freudige Stimmung gegeneinander, das Leid stört nicht die Freude, die Freude vernichtet nicht gänzlich das Leid. Daß aber jedwedes sich voll entwickelt und auslebt, das gibt dem Dasein eine innere Weite und eine fortlaufende Bewegung. Solche Erfahrung des Lebens drängt zum Ausdruck in der Kunst: nichts ist der christlichen Kunst, im besondern der Musik, eigentümlicher als die völlige Befreiung der Stimmung und das Schweben zwischen den schroffen Gegensätzen von tiefem Dunkel und hellem Licht, von Elend und Seligkeit. Denken wir nur an Bach!
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d. Die Verwicklungen und die Größe des Christentums.
So erscheinen im Christentum Gegensätze über Gegensätzen, seine Lebensführung trägt durchweg einen widerspruchsvollen Charakter, wie denn auch seine leitenden Persönlichkeiten gern Worte verwenden, die das Schwerste als leicht, das Fernste als nahe, das Wunder als selbstverständlich verkünden. Der Zusammenstoß dieser Gegensätze erzeugt eine unablässige Bewegung, das Ganze bleibt ein Suchen und Kämpfen, es bleibt vielfach unfertig und unausgeglichen; immer von neuem treibt das christliche Leben Probleme hervor, wird sich selbst zum Problem und muß seine eigene Höhe erst von neuem erklimmen. Punkt für Punkt drohen dabei Gefahren; die Geschichte stellt sich hier nicht als ein ruhiger Fortgang dar, sie wird ein Wechsel von Steigen und Fallen, von Verlieren und Wiederfinden.
Namentlich das ergibt viel Verwicklung, daß das Christentum innerhalb des menschlichen Bereiches eine übermenschliche Welt erbauen möchte, daß es damit über dieselbe Lage hinausstrebt, deren Mittel es nicht entbehren kann. Das verhindert zunächst eine angemessene Darstellung seines Gedankengehalts in Begriffen und Lehren, alle Darstellung bleibt hier ein Suchen und bewegt sich vornehmlich in Bildern. Wenn nun das Verlangen des Menschen nach Sinnfälligkeit und nach fertigem Abschluß über solche Schranke hinaustreibt, so droht eine starke Vergröberung, ein Zurücksinken zu der niederen Stufe, die es zu überwinden galt.
Nicht minder zieht bei den Triebkräften des Handelns die niedere Stufe die höhere unablässig zu sich zurück und unterwirft sie ihren Zwecken. Die Bejahung eines neuen Lebens sinkt oft zu niedriger Lebensgier, zu selbstischem Glücksverlangen; den bloßen Menschen bestärkt in seiner Art, was den Menschen durch ein gründliches Nein über sich selbst hinausheben sollte. Und wenn nun gar die Parteien kommen und die Mächte der Welt das Christentum an sich reißen und ihren Zwecken unterwerfen, wenn namentlich, was es an Innerlichkeit, Entsagung, Demut Gott gegenüber aufbringt, zur Empfehlung eines matten Sklavensinns gegen Menschen und menschliche Einrichtungen, eines willfährigens Ertragens alles Bösen verkehrt wird, dann verdüstert sich der Anblick immer mehr; können wir leugnen, daß die Geschichte des Christentums als Kirchengeschichte sich wenig erquicklich ausnimmt, und daß nur eine Versetzung in den Grundtrieb der Bewegung und den Stand der Seelen die bejahende Schätzung überwiegen läßt? »Alles, auch das Erhabenste, verkleinert sich unter den Händen der Menschen, wenn sie die Idee desselben zu ihrem Gebrauch verwenden«, so meinte Kant, so hat es das Christentum mit besonderer Stärke erfahren.
Zu diesen inneren Verwicklungen kommt die Bekämpfung von außen her, die mit den Fortschritten der Kultur unablässig wachsende Macht des Zweifels. Dem Christentum widerspricht schroff der unmittelbare Eindruck der Welt, und dieser Widerspruch steigert sich immer weiter. Um sich zu behaupten, muß es daher immer entschiedener eine Umwälzung der gesamten Weltansicht vollziehen, muß es immer bewußter der sichtbaren Welt eine unsichtbare entgegensetzen und in ihr die Seele aller Wirklichkeit finden. Dazu bedarf es einer Aufrufung des ganzen Wesens und eines Heldentums der Gesinnung. Ein heroischer Charakter fehlt auch dieser Lebensführung bei aller Innigkeit und Zartheit nicht. Aber ihr Heroismus ist grundverschieden vom antiken, er ist ein Heroismus der reinen Innerlichkeit und der schlichten Menschlichkeit, ein Heroismus, der auch im Kleinen und Einfachen waltet, den tapferer Glaube und freudige Aufopferung bekunden.
In den menschlichen und geschichtlichen Verhältnissen läßt das alles unsägliche Verwicklung erwarten, mehr als irgendwo sonst wird die Geschichte ein mühsames Suchen des eigenen Wesens, ein Kampf um die eigene Höhe. Aber doch kein bloßes Kämpfen, sondern auch ein Siegen und Weiterkommen; wir brauchen nur von den einzelnen Phasen auf das Ganze zu blicken und von der äußeren Erscheinung zu den bewegenden Kräften vorzudringen, um eine gewaltige unserer Wirklichkeit eingesenkte Lebensmacht zu erkennen und unseren Gesamtstand dadurch wesentlich verwandelt zu finden.
Das Christentum hat eine neue Welt eröffnet und durch ihre Gegenwart dem menschlichen Wesen eine unvergleichliche Größe und Würde, der Lebensarbeit einen durchdringenden Ernst und eine wahrhafte Geschichte gegeben. Das Elend der Weltlage einfach aufheben konnte es nicht, aber es hat über das Ganze jener Lage hinausgehoben und das Feindliche damit im Grunde gebrochen. Es hat das Leben eher schwerer als leichter gemacht, aber in tiefster Seele hat es allen Druck vom Menschen genommen, indem es hier sein Wesen auf Freiheit stellte und alle Fesseln des Schicksals wie einer starren Natur zerbrach. Es hat keinen endgültigen Abschluß, keine bequeme Ruhe gebracht, sondern es hat den Menschen in schwere Unruhe und harten Kampf gestürzt, es versetzt sein ganzes Dasein in unablässige Spannung. Aber es hat nicht nur durch diese Kämpfe und Spannungen dem Leben weit mehr Gehalt zugeführt und ihm eine tiefe Sehnsucht eingepflanzt, es hält stets ein Gebiet gegenwärtig, das der Kampf nicht erreicht, und das Frieden über das ganze Dasein verbreitet. Mit dem allen ruft es nicht nur die Individuen zu einer wesenerhöhenden Wandlung auf, es hat auch den Völkern und der Menschheit die Möglichkeit einer steten Erneuerung, man könnte sagen, eine ewige Jugend eröffnet. Von allen Irrungen der Weltarbeit konnte es sich immer wieder in ein Reich des Glaubens und des Gemütes als in seine wahre Heimat versetzen, um dort seine Kraft zu sammeln und von dort seine Gestalt zu erneuern. Alle Einwendungen der vordringenden Kultur, aller Widerspruch der wissenschaftlichen Arbeit berührten sein tiefstes Wesen nicht, weil es von Haus aus etwas anderes und höheres war als alle bloße Kultur, weil es namentlich nicht eine vorhandene Welt nur abzubilden oder zu verbessern, sondern eine neue Welt zu schaffen versprach. So ist das Christentum bei allen seinen Gefahren und Mißständen die bewegende Macht der Weltgeschichte, die geistige Heimat der Menschheit geworden und bleibt sie auch da, wo der Widerspruch gegen die kirchliche Fassung das Bewußtsein beherrscht.