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[Vorworte]

Aus dem Vorwort zur zweiten Auflage.

Bei aller Veränderung im einzelnen hat unser Werk in der zweiten Auflage den Plan der ersten durchaus festgehalten. Es möchte durch eine geschichtliche Vorführung der Lebensanschauungen der großen Denker zunächst dafür wirken, daß die Helden des Gedankens nicht bloß wie leblose und gleichförmige Schatten an uns vorüberziehen, sondern daß ihre Gestalten Fleisch und Blut gewinnen und zugleich einen eigentümlichen Charakter zeigen; so allein kann die Kraft und Leidenschaft, welche ihre Schöpfungen durchströmt, auch unserer eigenen Arbeit zufließen. Insofern darf das Werk sich als ein Supplement zu allen Darstellungen der Geschichte der Philosophie geben, ohne sie irgend ersetzen zu wollen.

Zugleich aber hofft es der Philosophie selbst einen Dienst zu leisten, indem es eine Art Einleitung in ihre Hauptprobleme bietet. Die Lebensanschauung eines großen Denkers läßt sich nicht entwickeln, ohne daß diese Probleme deutlich zur Sprache kommen, sie müssen sich hier, in dem Zusammenhange mit dem Ganzen der lebendigen Persönlichkeit und ihrem starken Verlangen nach Glück, besonders durchsichtig und eindringlich darstellen.

Endlich kämpft das Werk für einen engeren Zusammenhang der Philosophie mit dem allgemeinen Leben. Die gegenwärtige Spaltung, die Gleichgültigkeit weiterer Kreise gegen die Philosophie und die Abschließung der Philosophie zu einer gelehrten Fachwissenschaft, ist ein großer Schaden für beide Teile; es gehört zur Gesundung unseres geistigen Lebens, daß man sich wieder mehr um einander kümmere. Ist aber nicht die Lebensanschauung ein Punkt, wo die philosophische Arbeit dem reinmenschlichen Interesse besonders nahe kommt? Sollte es nicht alle Gebildeten treiben, bei einer Frage, die so sehr unser eigenes Glück angeht, eine Fühlung mit den Meistern des Gedankens zu gewinnen?

 

Jena, im Herbst 1896.
Rudolf Eucken.

 

Vorwort zur zwölften Auflage.

Die Lebensanschauungen der großen Denker haben durch die Reihe der Auflagen hindurch manche Veränderung erfahren, unablässig war ich bemüht, an dem Buche zu feilen und es auch sachlich weiterzuführen. Durch alle Veränderung hindurch ist aber sein Grundgedanke festgehalten. Ein Überblick und eine Würdigung der geschichtlichen Bewegung des Lebensproblems läßt sich in verschiedener Weise unternehmen; so auch in der Art, daß man sich in einen geschlossenen Gedankenkreis stellt, an ihm alle Leistung mißt, von ihm aus ihre ganze Fülle in ein Für oder Wider zerlegt. Das hat den Vorteil einer schärferen Beleuchtung und einer direkteren Verwertung, es kann den Leser stärker erregen und mehr zur Parteinahme zwingen. Aber es hat auch die Gefahr einer Verengung, die Gefahr fremde Maße an die Dinge zu legen, ferner Licht und Schatten ungerecht zu verteilen. Demgegenüber behält ein gutes Recht eine Behandlung, welche vornehmlich danach strebt, die Gedankenwelten in ihrem eigenen Wollen und Wirken zu erfassen und sie möglichst ungetrübt vorzuführen, an den Leistungen möglichst das Förderliche zu sehen und zugleich die Bewegung mehr als ein gemeinsames Werk der Menschheit zu verstehen. Nur so lassen sich die verschiedenen Aufgaben, die den menschlichen Geist beschäftigen und immerfort beschäftigen müssen, gleichmäßig würdigen und miteinander verbinden, nur so läßt sich der Gesamtertrag des menschlichen Strebens ohne Parteisinn überschauen. Eine solche vornehmlich auf innere Erweiterung und Befestigung gerichtete Behandlung scheint besonders notwendig in einer Zeit, die so sehr wie die Gegenwart in Sekten und Parteien zerfällt und so sehr innerer Sammlung bedarf; an ihrem Teile mag solche Behandlung zur Stärkung des Bewußtseins gemeinsamer Geschicke und Ziele wirken. Auch die Stürme des Weltkrieges durften ein solches Streben nicht beirren.

Auch die zwölfte Auflage bringt verschiedene Veränderungen. Der Klarheit und Flüssigkeit der Darstellung ward weitere Sorge zugewandt, im besonderen habe ich manche Fremdwörter ausgemerzt. So wenig ich alle Fremdwörter missen möchte, nach meiner Überzeugung erhalten sich davon noch immer viele völlig entbehrliche in unserer Sprache zur Gefährdung der Schönheit des Ausdrucks wie der Klarheit des Denkens.

In der Sache ist die Wirkung des langen Weltkriegs und der dadurch erwachsenen Lage der Menschheit mehr zur Geltung gelangt, der schweren Erschütterung herkömmlicher Ziele und Werte sowie dem tiefen Ernst der Gegenwart und nächsten Zukunft kann sich eine Untersuchung unmöglich entziehen, welche ein Gesamtbild menschlichen Strebens nach Wahrheit und Glück geben möchte. Es bewirkte das namentlich bei der Neuzeit eine Umgestaltung der zusammenfassenden Betrachtungen, auch in die Schlußabschnitte wurde mehr eigne Energie und Forderung hineingelegt.

Beim Stoff trieb eine unverkennbare Wendung des Menschheitslebens zu einer genaueren Behandlung der staatlichen und gesellschaftlichen Fragen; von den Einzeldarstellungen wurde namentlich die Luthers erweitert und vertieft, das namentlich unter dem durch die Feier des vergangenen Jahres erweckten Eindruck, daß Luther, trotz aller Tüchtigkeit der ihm gewidmeten Forschung, im Ganzen seines Strebens und Wesens dem deutschen Volke heute noch viel zu wenig bekannt ist. Diesen Punkt zur Sprache zu bringen mußte sich ein Werk für verpflichtet halten, das bei allem Streben zum Ganzen der Menschheit an erster Stelle für Deutsche geschrieben ist und deutsche Art fördern möchte.

So hofft denn unser Werk in der neuen Gestalt sich die alten Freunde zu erhalten und zu ihnen neue zu gewinnen.

Jena, im Mai 1918.
Rudolf Eucken.


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