Autoren

∞

Werke

∞

Neu

∞

Information

∞

Shop

∞

Lesetips

∞

Textquelle

∞

An Frau R.

Rumbeke bei Roulers, 7. 4. 15

Sehr werte und verehrte Frau R.!

Morgen nacht marschieren wir unsere 17 km zum Schützengraben, um die andern abzulösen. Leider haben wir Regenwetter.

Ich hatte mir doch etwas viel vorgenommen, der Dienst machte es mir unmöglich, mehr fertig zu schreiben, als das, was Sie aus diesen Tagen erhalten haben.

Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich einer kleinen Mühe unterziehen würden: Zählen Sie doch bitte die Don-Juan-Blätter durch. (Ich nehme an, daß Sie die übrigen von Deppe erhalten haben.) Die ersten Teile sind numeriert von Seite i bis etwa 20 oder 25. Die folgenden Seiten sind mit Buchstaben bezeichnet; von A-Q, wenn ich nicht irre. Dann folgt der 6. Teil, wieder mit Zahlen von 1 an numeriert. Mit diesem Brief erhalten Sie Blatt 5.

Ich bin froh, daß ich zum Ende des Don-Juan hin arbeite; es liegt alles schon lange bis in Einzelheiten im Gedächtnis fest – nur Zeit! Zeit zum Aufschreiben! Wir kommen 2 Tage in den Graben, dann 10 Minuten davon entfernt in Reserve für 4 Tage, und dann nochmal 2 Tage Graben. Endlich kommen wir dann wieder nach Rumbeke 8 Tage in Ruhe. Wenn die bösen Granaten nicht zu toll brummein, werde ich im Unterstand und in der Reserve ruhig weiter arbeiten.

Sie wundern sich vielleicht etwas, daß ich überhaupt so weiter schreibe – aber dies ganze kriegerische Leben fließt eben so langsam Stück für Stück ins Bewußtsein, daß man nichts als besonders neu oder fremd empfindet. Außerdem bin ich »dekadenter Großstadt-Jüngling«, wie Kneip scherzhaft meinte, nicht leicht durch Überraschungen zu überrumpeln.

Es gibt hier Stunden für mich, auf den Dorfstraßen im Abend oder des Mittags im Sonnenschein auf meinem Schreibplatz, dem stillen Kirchhof, die im Frieden der Heimat wohl ebenso schön, doch niemals so sehnsüchtig empfunden und wertvoll sein können. –

Seien Sie recht gegrüßt von Ihrem dankbaren

G. E.