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Gent, Sonntag, 21. März 15
Liebe Frau Bürgermeisterin!
Vor ein paar Tagen kam Ihr ausgezeichnetes Paket an. Nach langer Irrfahrt – denn die Post hatte es sich sehr leicht gemacht und hatte das Paket erst an die Sammelstelle Hamburg gehen lassen. Wenn Sie später mal wieder so gütig sind, dann machen Sie doch bitte kleinere Pakete (Feldpostbriefe), die werden viel schneller befördert.
Als ich an dem Abend Ihre Sendung erhielt, habe ich mich gefreut wie ein Geburtstagskind, tatsächlich, es gibt nichts Schöneres, als wenn Güte so unerwartet und angenehm über den Nichtsahnenden herfällt. Es tut so wohl, zu wissen, daß gute Menschen an den Soldaten in der Fremde denken. Vielen herzlichen Dank.
Daß Sie dort meine Manuskripte in Verwahrung haben, freut mich sehr. Ich schrieb gestern noch meinem Freund Deppe, er solle meine übrigen Sachen, darunter Don-Juan-Teile, auch an Sie schicken. Ich möchte gern, daß alles an einer Stelle beisammen liegt.
Übrigens – der Don Juan – ich bin durchaus nicht böse, daß Sie ihn kritisieren, im Gegenteil. Die Augen, die Meinungen der andern Menschen erst sind der Spiegel, in dem ich meine Arbeit einigermaßen als Ding-an-sich betrachten kann. Ich war sehr überrascht, daß Sie schreiben, persönliches Erlebnis mache mir wahrscheinlich die Arbeit, die Ihnen ja nicht gefiel, wert – nicht die Spur! Wenn etwas darin ist, dann ist es fast ganz unbewußt hineingekommen. Ebenso meinte Kneip, es wären meine »widerspruchsvollen« Züge in der Don-Juan-Figur – ich war erstaunt; ich habe niemals daran gedacht, Selbstbiographisches hineinzutragen. Meine Absicht (wenn ich von einer solchen überhaupt sprechen kann) war: ein faustisch getriebenes Wesen der unbefriedigten Sehnsucht in unserer Zeit darzustellen und endlich zur Versöhnung zu führen. Ob mir das gelingt, kann ich natürlich nicht wissen, besonders nicht, weil der ganze Kram ja noch nicht fertig ist. Ich wollte, ich könnte weiter arbeiten, aber der Dienst, der kaum Zeit zum Briefschreiben läßt, macht das ganz unmöglich. Warten Sie mit Ihrem Urteil, bis alles da ist; erst das Ende bringt die Auflösung der Widersprüche in endliche Erfüllung.
Dann noch: wenn wirklich Persönliches im Don-Juan stark ausgeprägt wäre – die Person des Verfassers hat nichts mit dem Werke zu tun, es ist an sich wert oder unwert, unberührt vom Geschmack des Einzelnen. –
Lesen Sie nach Lust in den Manuskripten, ich würde mich freuen, wenn Sie bald wieder etwas darüber schrieben. Nun bin ich fast schon ein halbes Jahr auf den Feind dressiert – und habe noch immer nichts davon gesehen. Es kann jetzt aber jeden Augenblick losgehn.
Ich schäme mich nicht zu sagen, daß oft leise Sehnsucht nach Frieden auftaucht; nach dem gewöhnlichen Alltag in Sonne, nach ruhigen Straßen, nach einem Gärtchen, Laube und Kaffeetrinken und Lektüre darin – nach all den nichtssagenden kleinen Stimmungen und Dingen, die man erst jetzt zu würdigen weiß.
Aber vorläufig gibt es für uns nichts anderes als: durchhalten – vorwärts!
Es grüßt Sie und Ihren Gemahl recht herzlich
Gerrit Engelke
Beiliegendes neues Gedicht legen Sie bitte zu meinen Manuskripten, ebenfalls die paar Notizblätter.
Da ich in den nächsten Tagen wahrscheinlich am Don Juan weiter schreiben werde, bitte ich Sie, mir die 2 oder 3 Entwurfblätter der »Höllenszene« (Sie werden Sie schon herausfinden) schnell zu senden. Ich brauche sie.
Dankbar G. E.
Gent, 24.3.15