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An die Eltern

Hannover, 14. 2. 13

Liebe Mutter! Lieber Vater!

Statt eines langen Briefes dies »Paket« (nämlich Gedichte). Ich denke, in der nächsten Zeit zu dem Vorsitzenden (dem »Allgewaltigen«) der Kleist-Stiftung (einer Stiftung für »ringende Talente«) nach Hamburg zu fahren. Ich werde wieder schreiben, wenn ich Bestimmtes melden kann. (Ziemlich Hoffnung, etwas zu erreichen, habe ich.) Meine Gedichte (das heißt, nur solche, die ich als gültig werte) sind auf 105 angewachsen. (Meine heimliche Freude.) Der Dezember war bis jetzt mein bester Monat überhaupt: ich habe da 25 Gedichte geschrieben, also jeden Tag (mitunter auch Nacht eins) und nichts Schlechtes, wie es nicht verwunderlich wäre dazwischen, im Gegenteil: einige meiner besten überhaupt. Außerdem arbeite ich an zwei größeren Gedichtwerken (Epen), die sehr langsam (aber sicher) wachsen, denn sie machen viel Arbeit. Ich lebe ganz zurückgezogen, mein einziger Umgang: Aug. Deppe. Sonst nichts. So nur kann ich mich ganz in meine Arbeit senken. Mit meinem täglichen Leben (ich bin ja »Gott sei Dank« seit Jahren nicht verwöhnt) bin ich ganz zufrieden. Wohl manchmal, daß der »junge Mensch« sich in mir regt und leben will – aber das verschwindet immer schnell, wenn ich an meine Arbeit denke, wenn ich arbeite. Lest meine Gedichte langsam, immer nur Stück für Stück, aber öfter! Ich weiß wohl, daß die meisten ein wenig »schwergeladen« sind.

Nun zu der Arbeit, die nicht meine Arbeit ist: ich habe den ganzen Januar bei meinem Meister Arbeit gehabt. Habe etwas gespart, so daß ich wieder einige Zeit auskomme. Nur – mein Zeug ist aufgebraucht, und ich habe wenig Aussicht, Geld dafür zusammenzubekommen. Doch – ich hoffe auf Kleist-Stiftung-Geld – und dann habe ich ja auch (im anderen Falle) den Sommer vor mir, wo ich streichen kann. Für die nächste Zeit sind die Aussichten freilich unbestimmt, vielleicht schlecht: für Febr. rechne ich nicht mehr auf Arbeit, und am 1. März beginnen Streik und Aussperrung (der Tarif ist abgelaufen). Es kann 1 Woche dauern, kann 4 Wochen dauern – ganz unbestimmt. Wahrscheinlich aber (Hoffnungen sind vorhanden) wird alles im Guten erledigt.

Dann: Soldat brauche ich nicht zu werden! Vor kurzem mußte ich meinen Ersatz-Reserve-Paß holen! Ich kann jetzt nur noch (im schlimmen Falle) auf 10, 6 oder 4 Wochen eingezogen werden. Also: Hurrah! die Preußen sollen leben!

Vermittelt bitte an Grete Schwester Engelkes. und Gemahl meinen Dank für das Bild (das ich freilich noch nicht von Otto Stiefbruder, der in Hannover wohnte. geholt habe), sie würden sonst meine Ungezogenheit wittern. Dann, wenn Ihr mir einen Gefallen erweisen wollt: schickt mir bitte die Photographie (ich im Kittel) zurück. Meinem Bekannten Lemmel ist die Platte mißglückt – es ist daher nur die eine Photographie vorhanden – und die möchte ich gern wieder haben. Ich denke, Euch in nicht zu ferner Zeit (diesen Sommer) ein richtiges gutes Bild (mit Schnauzbart américain) zu schicken.

Etwa in 14 Tagen wird mich mein alter lieber Lehrer »Papa Hahn« besuchen. Ich werde ihm meine neuen Sachen vorlesen.

Vor allem: bitte die Erfüllung meiner obengenannten Wünsche nicht wieder vergessen!

Ich hoffe, daß Ihr zufrieden und gesund seid, wie ich es bin!

Einen herzlichen Gruß
Gerrit


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