Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VIII.
Tyrann Mode.

Für eine, die so jung, war bleich die Wange, dünner, als sie sollte.

LOCKSLEY HALL. » Locksley Hall« ist ein Gedicht von Alfred Tennyson.


» Was ist das hier – eine Dorkas-Gesellschaft » Dorcas Society« bezeichnet im angelsächsischen Raum im 19. Jh. religiös motivierte Gesellschaften, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Armen mit Kleidung zu versorgen. Benannt sind sie nach der in der Apostelgeschichte 9,36ff. erwähnten Dorkas (in der altgriechischen Form; aramäisch: Tabitha).?« fragt Ruth einige Tage nach den Ereignissen des letzten Kapitels, als sie zu ihren Pensionsschwestern stößt, die sich auf dem westlichen Hof zum Nähen hingesetzt haben. »Ich hab' in meinem Zimmer einen Roman gelesen. Die Heldin ist ein entzückendes Wesen. Sie trägt ausgebleichte Musselinkleider und frischt sie mit einer Schleife auf – der typische Heldinnenstil eben – und widmet ihr ganzes Leben der Fürsorge einer schwindsüchtigen Freundin, die im letzten Kapitel stirbt, nachdem sie lange genug gelebt hat, um die Heldin für immer von ihrem Geliebten zu trennen.«

»Und deshalb schaust du so wild drein?« fragt Jean. »Barbara,« sagt sie in Parenthese, »Mrs. Erwin soll diese Haube zu Ende führen. Du hast sie so abgesteckt, dass jeder sie zusammennähen könnte.«

Barbara lächelt und schüttelt den Kopf, als die Witwe einen schwachen Versuch macht, Jeans Hinweis zu folgen.

»Seh' ich wild aus?« fragt Ruth und legt beide Hände an ihren etwas zerzausten Kopf; »dann liegt es daran, weil ich über das Buch weinen musste; und plötzlich fiel mir ein, dass ich komplett zur Närrin wurde, und entdeckte, dass das Haus totenstill war, abgesehen von Mandy, die im Nachbarzimmer ein Bett richtete und sang:

›Auf'm Dingbums-Berg, 's ist lange her,
Wohnt' 'n dingsbums Kerl, den mocht' ich sehr.‹ Aus » Springfield Mountain«, einem alten, in den USA seit 1836 schriftlich belegten Volkslied, in dem die betreffenden Zeilen lauten: » On Springfield Mountain there did dwell / A handsome youth I knew full well.«

Komisch, ich kann mich nie auf den Namen des Berges besinnen oder was für ein Kerl das war, der dort gewohnt hat; aber es liegt nicht an Mandy, denn sie singt das Lied sechs Stunden am Tag.«

Ruth setzt sich auf die Stufe neben Jean, die, wie sie selbst, unbeschäftigt ist.

»Sag 'mal: wozu soll das eigentlich gut sein, dass Bücher einen zum Weinen bringen? Ich meine, ein Mann oder eine Frau, die ein Buch veröffentlicht, hat eine große Verantwortung. Er oder sie hat kein Recht, Leute unglücklich zu machen, sogar wenn es nur vorübergehend ist. Je besser der Schriftsteller, um so größer seine Verantwortung.«

Ruth stößt ihren Kopf leicht gegen den Pfosten, an dem sie sitzt.

Jeans Augen sind auf Barbaras ernstes, rot gewordenes Gesicht gerichtet, während sie sich über die Frühstückshaube beugt; sie antwortet ihrer Freundin nicht.

»Oh, Mausie, schau 'mal bitte, ob ich mir einen Splitter in den Finger gezogen habe!« ruft Jean, kniet auf die Stufe nieder und legt eine hübsche Hand auf Barbaras Schoß, während sie mit der anderen die Handarbeit nimmt und sie Mrs. Erwin zuschiebt.

Die Witwe schaut missvergnügt von ihrer Beschäftigung des Spitzenfältelns auf, dann legt sie die Haube neben sich ab mit der offenkundigen Absicht, sie an die willige Assistentin zurück zu geben, wenn die schlanken Hände, die sich jetzt so eifrig um die von Jean kümmern, wieder frei sind. Sogar ihre unkritischen Augen sind betroffen von dem Gegensatz zwischen dem dünnen, blonden Gesicht und dem schönen Oval direkt daneben, dessen üppige Dunkelheit die Zartheit des anderen noch deutlicher hervortreten lässt.

»Ich kann nichts finden, Jean,« sagt Barbara, während sie eine rosenrote Fingerspitze stirnrunzelnd untersucht. »Seltsam, dass du einen Schmerz verspürt hast!«

»Und doch war es so, B.,« erwidert Jean bedächtig, schaut aber dabei ihrer Freundin ins Gesicht und nicht auf die heuchlerische Hand. »Egal; nun ist's wieder gut.«

Als Jean ihren Sitz verlässt, schiebt die wachsame Mrs. Erwin die Haube zurück zu Barbara; sie hat nämlich vor etlichen Tagen herausgefunden, dass das einfach gekleidete Mädchen ein echtes Talent für Schneiderei hat und es, wenn hübsche Stoffe vorliegen, in puncto Geschicklichkeit mit einer Französin aufnehmen kann.

»Nein; Barbara wird nicht mehr nähen. Sie wird mein Haar glätten,« sagt Jean und bemüht sich, leichthin zu sprechen, als sie den Nesselstoff wieder durch die Luft zurück fliegen lässt, wobei sie sich wünscht, dass das Material nicht so ätherisch wäre und es die aufdringliche Witwe vom Platz fegen könnte.

»Miss Ivory, ich werde auf jeden Fall Miss Waite bezahlen für alles, was sie für mich tut,« bemerkt diese Person auffahrend.

Jean dreht sich plötzlich um, aber ihr verletzter Blick schwindet, als die kleine Witwe tatsächlich angstvoll zittert vor den blitzenden Augen, die auf sie gerichtet sind; aber Jean hat sich unter Kontrolle. Es wäre schlecht für Barbara, sich aufzuregen.

»Sie vergessen, Mrs. Erwin, dass Miss Waite keine Schneiderin ist!« sagt sie sich umwendend.

»Oh, ja; lass mich ruhig die Haube zu Ende machen – es wird keine zehn Minuten dauern,« sagt Barbara, im Begriff sie zu nehmen.

» Ich werde es tun, Tante Inez,« sagt Nettie. »Ich hab' keine Eile mit dieser netten Arbeit, und ich glaub', ich kann's ganz gut.«

Beim Sprechen schaut das Mädchen geradewegs an ihrer Tante vorbei auf Jeans Hinterkopf und dessen leicht gewellte Tolle schwarzen Haars. Sie bekommt den erwarteten Lohn: Jean dreht sich um und gönnt ihr einen freundlich beifälligen Blick, der ihr Herz hüpfen lässt.

»Auf die Art kann man sie gefällig stimmen,« denkt sie, »über Miss Waite;« denn seltsamer Weise ist Nettie auf Miss Waite gar nicht eifersüchtig; und so nimmt sie sich der Arbeit mit glücklichem Lächeln an.

»Ich könnte es viel schlechter treffen, als eine Schneiderin zu werden,« sagt Barbara, die begreift, dass ihre Freundin um ihretwillen missvergnügt ist. »Es ist nett, etwas zu haben, auf das man zurück greifen kann, falls es mit dem Unterrichten nichts wird.«

»Nett!« Jean erschauert bei dem Gedanken, in wie kurzer Zeit dieser gebrechliche Körper sich bei jener – aus Barbaras Sicht – gefährlichen Beschäftigung erschöpfen würde!

»So wird es sein, Mausie! aber dauernd nehme ich deine ganze Zeit in Beschlag. Werde ich nicht meine Nachbarinnen dereinst überflügeln?« ruft sie und klatscht begeistert in die Hände. »Ruth, entschuldige, dass ich deine Frage wegen Büchern nicht beantwortet habe. Weißt du nicht, dass es Leuten Spaß macht, unglücklich gemacht zu werden und über herzzerreißende Geschichten zu weinen?«

»Ich auf jeden Fall,« versichert Mrs. Erwin mit wiederhergestelltem Gleichmut; »aber ich glaube, man braucht eine empfindsame Natur, um mit dem Schmerz anderer mitzufühlen und darüber zu weinen. Ich hätte nie vermutet, dass Sie so etwas tun, Miss Exeter.«

»Da bin ich aber froh,« versetzt Ruth. »Mir macht es jedenfalls kein Vergnügen, über Zweidrittel eines Buches aufgestachelt zu werden, um dann, wenn ich die letzten Kapitel erreiche, in eine solche Lage hinein versetzt zu werden, dass ich nicht 'mal mein Taschentuch wieder in die Tasche kriege, sondern wie betrunken kraftlos durch den Schluss torkele, und wenn ich das Buch fertig gelesen habe, mich schäme, mein eigenes Gesicht im Spiegel anzusehn.«

Ruth gähnt unterdrückt, lehnt sich dann zurück und schaut zum Himmel hinauf:

»Wer hat vorgeschlagen, nach Pineland zu gehen, Mädels? Wisst ihr's noch?« fragt sie.

»Oho, Ruth! Du warst es, stimmt's?« sagt Mabel lachend. »Warum machst du keine Frühstückshaube? Du hast keine Ahnung, wie beruhigend das ist?«

»Weil sie niemals richtig sitzen würde, wenn ich eine hätte. Ich kann keine Hauben tragen und werd's wohl nie können. Sie würde immer auf die Seite rutschen. Stellt euch vor, wie ich aussehen würde – ein Haufen Falten mit einem kompletten Satz Porzellanzähne und auf dem Kopf ein kecker Hut mit einer Hahnenfeder oder einem Fittich.«

»Meine Damen!« wird Miss Bounces Stimme aus dem Fenster zum Hof vernehmbar; »haben Sie schon 'mal Eintopf gegessen? Wirklich, ich bin am Ende mit meiner Weisheit, was ich Ihn'n als nächstes bieten soll!«

»Ich fürchte, Sie machen sich mit uns zu viele Umstände, Miss Bounce,« sagt Jean.

»Ach, nee; wenn ich nur Miss Waite dazu bringen könnt', was zu essen, wär' alles bestens.«

Barbara schaut hoch zu dem faltigen Gesicht – es ist in den letzten zwei Wochen entspannter geworden anstatt abgehärmter – und sie versichert sich, dass ihr Versuch für beide Seiten gut ausfällt:

»Ich glaube, sie müssen mich in letzter Zeit übersehen haben, Miss Bounce. Ich bin in den letzten paar Tagen nach meinen Ausritten sehr hungrig gewesen.«

»Ja? Na, Sie sind halt nich', was man ein'n Nimmersatt nennt, oder?« sagt Miss Hopeful mit grimmigem Lächeln.

»Wenn wir nur ein paar Gentlemen 'reinbringen könnten, was für eine herrliche fête champêtre könnten wir hier veranstalten!« bemerkt Mrs. Erwin seufzend, was den Eingeweihten ihre Sehnsucht nach ihrem ›seh' lieben Freund‹ zu verstehen gibt.

»Warum haben wir daran nicht früher gedacht?« ruft Ruth mit plötzlichem Interesse. »Wir sollten ein Picknick verantstalten.«

»Natürlich, das sollten wir,« meint Jean. »Gibt es einen Ort, den Sie für diesen Zweck empfehlen können, Miss Bounce?«

»Huh!« stößt diese halb lachend, halb knurrend und ganz und gar verächtlich aus. »Ich nehm' an, Sie könn'n ein paar Lebensmittel in ein'n Korb stecken, 'raus auf die Obstwiese gehn und sie genauso gut am Bach essen wie sonstwo – mit jeder Menge Spinnen und anderm langbeinigen Viehzeug wie überall sonst.«

»Oh, nein; nicht so nahe am Haus; das würde überhaupt nichts bringen,« sagt Jean lächelnd.

»Es gibt da einen Fluss, wo wir 'mal waren,« schlägt Ruth vor, und das Lächeln ihrer Freundin erlischt. »Wir gingen 'runter durch den Wald, Miss Bounce, und nahmen die Abkürzung zum Dorf.«

»Ach ja? Dann ha'm Se den Fluss ja gesehn. Man soll wunderbar angeln können in dem Fluss; aber ich nehm' 'mal an, dass Sie dazu keine Lust ha'm?«

»Oh, doch, ich denke, die hätten wir – oder, Jean?« und Ruths Augen beginnen schelmisch zu tänzeln. »Ich hab' zuletzt ziemlich Interesse am Angeln bekommen.«

»O wie Mr. Dart Spaß daran hätte, wenn er nur hier sein könnte,« seufzt Mrs. Erwin, »er ist so ein leidenschaftlicher Angler, nicht wahr, Nettie?«

»Jawohl, Ma'am,« antwortet diese mit beispielhafter Nettigkeit, während sie lila und schwarze Bänder um die Frühstückshaube windet.

Miss Bounce hat das Gefühl, dass sich dies auf ihre eingeschränkte Gastfreundschaft bezieht.

»Es gibt keinen Grund, warum Miss Netties Pa nicht …«

»Er ist nicht ihr Vater,« unterbricht die Witwe schnippisch.

»Nun, als Ihr Freund, wer immer er ist …«

»Mein seh' lieber Freund,« wirft die andere ein.

»Ach, dann soll er im Ort bleiben und angeln, bis er's leid is'!« fährt Miss Bounce fort. »Hey, Jabe! Jabe!« ruft sie, als der Junge den Weg kreuzt. Er hört es und kommt auf seine träge Art angeschlurft.

»Gab's je so'n trödl'jen Kerl wie dich?« lautet ihr Gruß. »Hat nich' Tante Allen gesagt, dass da ein Gentleman bei ihr wär', der angelt?«

»Er tut da nich' fischen,« sagt Jabe grinsend.

»Keine Unverschämtheit! Hält sich dort nicht ein Gentleman auf? Das is' es, was ich wissen will.«

»Dass er sich da aufhält, ka' m'r ei'ntlich nich' sag'n,« meint Jabe und schiebt den Hut, bis er auf einem Ohr hängt, um sich besser am Kopf kratzen zu können; »er is' mal weg, mal is' er da, gewissermaßen, sozusag'n.«

»Meine Güte, benimmt er sich nich' wie'n Eingebor'ner?« fragt Hopfeful verzweifelnd. »Ich hab' keine Ahnung, wozu ich ihn hier behalte. Sie sehn, Mis' Erwin, Tante Allen hat einen Gentleman aufgenommen, oder auch nich'.«

»Er hält sich nicht die ganze Zeit da auf, wiss'n Se,« erklärt Jabe; »an einem Tag is' er weg nach Boston, am nächsten zurück, dann wieder zurück nach Boston am nächsten Tag, dann bleibt 'r v'leicht zwei Tage, wenn 'r das nächste Mal kommt. Ich sag Ihn', er hat vorgestern 'ne wahnsinnsgroße Forelle gefangen, ich hab' se gestern morgen gesehn.«

Ruth zieht Jean leicht am Kleid, aber die ausbleibende Reaktion bekundet, dass ihre Freundin kein Interesse daran hat, dass das Glück des Anglers sich wendete, nachdem sie ihn verlassen hatten; für Ruth gibt es nämlich keinen Zweifel, dass der gut aussehende Unbekannte und Jabes Angler ein und dieselbe Person sind.

»Wo kann man gut picknicken, Jabe?« fragt sie.

»Ich kann Sie zu 'nem ers'klass'jen Platz am Ufer vom Flüsschen bring'n.«

»Wenn Miss Bounce einverstanden ist, dann machst du das morgen,« sagt Jean.

»Jean, das ist mein Picknick, und du wirst es mir nicht aus der Hand nehmen. Denn wenigstens ein einziges Mal werde ich alles selber ausführen,« sagt Ruth erhaben.

»Dann tun Sie's, Miss Ex'ter,« sagte Miss Bounce; »und ich schätze, Miss Avery wird Sie schon mach'n lass'n. Ein Picknick zu veranstalt'n ist so ziemlich das Letzte, worauf ich versessen bin. Ist der Platz weit weg, Jabe?«

»'n hübsches Stück.«

»Dann nimms' de am besten ein'n der Ackergäule zusamm'n mit Dolly und spannst se vor 'n Heuwag'n.«

»Oh, herrlich!« ruft Mabel.

»Der wahrscheinlich noch nie eine Federung gesehen hat,« mault Polly; aber keiner kümmert sich um ihr Nörgeln.

»Können wir Ihnen beim Mittagessen helfen?« fragt Jean die Gastgeberin.

»Oh, nein. Da könnten Se nix tun,« erwidert Hopeful. »Machen Se Ihre Pläne und sag'n Se Jabe, wann Se aufbrech'n woll'n. Sie könn'n den ganzen Tag über ihn verfügen,« fügt sie in einem Ton hinzu, der anzeigt, dass sie dies als eine nur geringe Zugabe veranschlagt.

»Ist Jabe heute beschäftigt, Miss Bounce?« fragt Jean, steht auf und geht zum Fenster, wo die Wirtin steht.

»Beschäftigt!« sagt sie mit einem geringschätzigen Schnauben; »bestimmt nicht.«

»Könnte er mich heute nachmittag nach Pineland Zentrum fahren?«

Wäre Mrs. Ivory anwesend und würde sehen, wie ihre Tochter diese Frage stellt, so sänke ihr vollständig der Mut beim Anblick jenes ominösen Leuchtens in Jeans Augen. Jean sieht, wenn man ihrer Stiefmutter glauben darf, nur dann so strahlend aus, wenn sie vorhat, ›einen Haufen Geld zum Fenster hinaus zu werfen‹.

»Würden Sie's nicht besser zu Pferd erledigen? Dann schaffen Sie's in der halben Zeit,« sagt Miss Bounce unverblümt.

»Ich weiß; aber der Ritt ist zu weit und zu warm für Miss Waite, und jemand muss sie begleiten; trotzdem: wenn es nicht ganz gelegen kommt oder es für Dolly zu ermüdend wäre …«

»Papperlapapp! Tut Dolly gut,« unterbricht Miss Hopeful. »Pass auf, Jabe,« ruft sie, als der Junge sich abwendet. »Um wieviel Uhr, Miss Avery«?

»Drei Uhr.«

Miss Bounce erhebt erneut ihre Stimme:

»Jabe, spann Dolly an den geschloss'nen Wagen, und sei um drei am Tor. Vergiss es bloß nich'!«

Jabe nickt und zieht ab.

»Sie würden bei lebend'jem Leib geröstet werden im dem offnen Wagen bei der heißen Sonne, und der Buggy is' hin; da mein' ich, Sie wer'n's am angenehmsten in dem geschloss'nen Wag'n ha'm.«

»Ich danke Ihnen, das ist sehr nett, und zweifellos wird Miss Exeter gern mit kommen.«

»Ich nehm' an, Sie woll'n was einkaufen?, hm,« fragt Miss Bounce, die mit einem zustimmenden Laut schließt, was sie oft am Ende einer Frage tut, weil sie anscheinend fürchtet, dass sie sonst zu neugierig klinge. »Würd's Ihn'n in dem Fall 'was ausmachen, für mich 'ne Besorgung zu erled'jen?«

»Das würde ich sehr gerne tun,« antwortet Jean herzlich.

»Sieht so aus, als wüsst' ich g'rad' selbst nich', was ich wollte,« fügt Miss Bounce mit einigem Erstaunen hinzu, »wenn Sie und Miss Ex'ter so nett wär'n und gäben mir' n Rat, wär' ich Ihn'n sehr verbunden.«

»Ja, klar! Ruth, komm bitte 'mal eine Minute her!«

Ruth gehorcht, und die jungen Damen folgen ihrer Gastgeberin in ihr Zimmer.

»Nehm'n Se bitte Platz,« hebt sie an. »Ich hab' nie geglaubt, ich hätte 'n besondern Kleidergeschmack, aber jedenfalls bemüh' ich mich, auf den Namen Bounce nix komm'n zu lass'n, bloß um an einem Hut zu sparen,« und dabei marschiert die alte Jungfer entschlossen zu ihrem Schrank, nimmt eine riesige Hutschachtel herunter, setzt sie auf dem Boden nieder und kniet sich neben ihr nieder.

Jean und Ruth knien sich ebenfalls neben die Schachtel, und Miss Bounce setzt eine Brille auf, um klarer die Verlegenheit zu überblicken, in welche die Mode sie gebracht hat.

Sie legt Hand an den Deckel der Schachtel, hält dann einen Augenblick ein und schaut über die Brillengläser auf ihre Begleiterinnen.

»Ich weiß nich', ob Se sich an meine braune Haube erinnern, ich bin nich' mehr viel 'raus gekomm'n, seit Sie hier sind,« sagt sie ängstlich.

»Ja, sicher; ich erinnere mich genau,« erwidert Ruth, und Jean ist zutiefst dankbar für den schlichten Gleichmut im Gesicht ihrer Freundin.

»Na ja, ich hab' sie jetzt zwei Jahre lang getragen, und Tante Allen, die is' immer irgendwie neumodisch mit ihr'n Ideen; oh Mandy, die weiß fast genauso viel über den neu'sten Schick und dergleichen wie einer aus Boston, aber ich hab' keine Lust, mir das von ihr anzuhör'n. Tante Allen sagt zu mir – es war an einem Montag, ich hab' g'rad' Wäsche gemacht, sie hätt' 's auch tun soll'n, das ist das Einz'je, was ich gegen Tante Allen hab': sie wäscht immer erst am Dienstag. Ich war also g'rad' am Waschen, da setzt sie sich zu mir, und da sagt sie: ›Hopeful, ich bin älter als du, und ich weiß besser als du, was zu dir passt. Du brauchst eine neue Hauwe!‹ Ich weiß nich', ob ich schon 'mal so zusamm'gezuckt bin, ich hab' fast vergessen, die Kleider zu bläuen. Ich wollt' ei'ntlich gar nix sag'n, damit se nich' denkt, se hätt' mich beleidigt, denn das hatte se kein bisschen; Tante Allen könnt' niemand'n beleidigen, deshalb hab' ich nur gesagt: ›Wie bitte?‹ Da sagt sie: ›Ja, deine Hauwe,‹ sie sagt immer ›Hauwe‹, ihre Aussprache is' nich' sehr sorgfältig, ›deine Hauwe macht mir schon seit Monaten Sorgen,‹ sagt sie. Da ging ich dazwischen, ich sag': ›Scheint mir, als hätten Deine Augen weiter nach oben gerichtet werden sollen, anstatt oben auf meinen Kopf.‹ Aber sie wich kein'n Millimeter vom Fleck. ›Das mag sein,‹ sagt sie, ›aber sag, was du willst, du denkst genauso darüber nach wie ich. Du sitzt g'rad' vor mir, und deine Hauwe kratzt allmählich an meiner Zuneigung, Hopeful Bounce.‹«

Als Miss Bounce an diesem Punkt angekommen ist, sinkt sie, so weit es geht, in ihre kniende Stellung zurück, und schaut von Jean zu Ruth und wieder zurück.

»Ach, worüber grinsen Sie? Ich sag' Ihnen, ich hab' mich ziemlich schlecht gefühlt, so ernst wie sie sprach. Sie ließ mir keine Zeit, 'was zu sagen, sondern machte weiter, und wurde dabei immer aufgeregter. ›Ich hab' es ertragen,‹ sagt sie, ›zwei oder dreimal mit anzusehen, wie der Winter in den Sommer dahinschmelzt und der Sommer zum Winter erstarrt, und jedesmal enttäuscht zu werden in der Hoffnung, dass du etwas anderes auf deinem Kopf zu tragen bekämst; aber gestern, als ich in Mr. Fosters Laden das Oberste zunterst kehrte, um herauszufinden, ob das Ding da oben auf dieser braunen Hauwe 'ne Straußenfeder is' oder 'n Stück Seetang, da fühlte ich mich schlecht, Hopeful, richtig schlecht!‹«

Jeans und Ruths lautes Gelächter verändert den ängstlich-traurigen Gesichtsausdruck der alten Jungfer in Neugier, während sie auf ihre jungen Gäste mitfühlend mit einem halben Lächeln auf ihren dünnen Lippen blickt.

»Ich hab' keine Ahnung, was daran komisch sein soll,« sagt sie, »aber es hat mir eine solche Last von Verantwortung aufgeladen, als sie mich dermaßen zur Rede stellte, dass mir nach allem andern als Lachen zumute war; es is' entsetzlich, sich 'ne neue Haube besorgen zu müssen.«

»Das hätte ich mir nicht vorstellen können,« versetzt Jean lachenden Auges.

»Nun, bei allem kommt's d'rauf an, dass man's gewohnt is', und ich bin's nich', versteh'n Sie. Also vor drei Jahren, ja, ich glaub', es waren drei,« wiederholt Miss Hopeful nachdenklich, »da hab' ich mir 'n Sommerhut besorgt und ihn nur einen Sommer lang getragen, weil er mir irgendwie nich' saß.«

Hierbei öffnet sie die riesige Schachtel und entnimmt ihr einen schwarze Strohhut, den sie zur Begutachtung mit einem so ängstlichen Blick in die Gesichter der Mädchen empor hält, dass dessen Scheußlichkeit kein Lächeln verursacht.

Ruth ergreift den Hut sogleich und berührt die Blumenblätter seiner großen gelben Rosen mit zarten Fingern, während ihre Lippen zucken. Und weil ihr gerade keine passende Bemerkung dazu einfällt, reicht sie ihn schweigend an Jean weiter.

»Ich hab' ihn mir gestern angeseh'n, und ich hab' besonders Acht auf Ihre Sachen gegeb'n, seit Sie da sind, und irgendwie sieht der Hut nich' richtig aus.«

Miss Bounce setzt sich in einen Sessel und stützt ihr Kinn mit der Hand.

»Er is' kein bisschen wie Ihrer, Miss Avery.«

Diese naive Beteuerung zwingt Ruth zum Fenster, um auf die grünen Grasflächen zu schauen und das hängemattenbehangene Kastanienwäldchen.

»Und ich wollt' Sie fragen, ob Sie ihn mir 'n bisschen zurechtmachen könnt'n, so dass es mich nich' zu teuer käm' ihn zu tragen und er trotzdem Tante Allen beschwichtigen würde. Es is' so schwer, so elegant wie sie zu sein.«

Jean erinnert sich dunkel an Tante Allen, fett, blond und weit jenseits der schattigen Seite von Fünzig, dabei äußerst eigen in ihrer Kleidung; aber sie lächelt nicht, sie balanciert die schwarze und gelbe Schrecklichkeit auf einer Hand und schaut ernst in Miss Bounces Gesicht.

»Wickeln Sie dies einfach für mich in Papier und ich werde mich darum kümmern; ich verspreche Ihnen, dass Sie mit der Aufbereitung zufrieden sein werden.«

»Zufrieden? Natürlich werd' ich das sein,« sagt Miss Hopeful und springt in lebhaftem Gehorsam auf; »obwohl ich fürchte, dass es zuviel Schwierigkeit'n mach'n wird. Vielleicht sollt' ich mitkomm'n und selbst mit Hand anleg'n?«

»Oh nein, bestimmt nicht,« antwortet Jean in verdächtigem Eifer, »ich würde mich wirklich freuen, es selbst zu tun.«

»Also gut, dann dank' ich Ihn'n noch 'mal,« sagt die andere erleichtert, als sie das Paket zuschnürt. »Aber greifen Sie bloß nicht in ihre eig'ne Tasche; ich kann's mir leist'n, anderthalb Dollar für das Zurechtmach'n anzuleg'n.«



 << zurück weiter >>