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In die romantische, schon nur mehr als Theater denkbare Dekoration, wie keine andere für die überredendste schöne Lüge geschaffen, welche die Oper ist, stellte Wagner mit ungeheurem orchestralen Nachdruck die romaneske Realität jenes erotischen Konfliktes, der bis zur philosophischen Formulierung durch Schopenhauer das ganze neunzehnte Jahrhundert hindurch latent ist, vom Beginn des zwanzigsten ab schwindet und heute als historisch empfunden wird wie der ganze romantisch-romaneske Komplex, der sich aus den Antinomien Gefühl – Denken, Wissen – Glauben, Traum – Wirklichkeit, Sehnsucht – Erfüllung konstituiert und sich psychologisch in jener Wertverschiebung äußert, die sich und einer vorgestellten Welt den Wert schlechthin gibt und der gegebenen Welt den Unwert. Die Fixierung auf ein persönliches Glück der sich in nichts mehr einordnenden, nur seinen Gefühlen leben wollenden Person ist so stark, daß sie für dieses Glück selbst das Leben opfert und den Tod auf sich nimmt, wie Tristan und Isolde den Liebestod, also im supremsten Genuß seiner selbst. Die Hysterisierung des in der zuwartenden Passivität und zur Bereitschaft für den Unbekannten erzogenen Mädchens, weckte Perspektiven zu einer Brautschaft in der Welt, die aus dem der irdischen Tatsächlichkeit sich entringenden Mann etwas machten, das man wie den Fliegenden Holländer erlösen mußte oder der einen selber aus aller garstigen Not dieses täglichen Lebens erlösen würde und nahen müßte, von einem Schwan gezogen aus dem Lande der Märchen. So bestätigten es ja auch die süßen Gedichte, die man zu lesen bekam. So sang es Schumann. Und waren hier die Worte in der Frauenliebe und Leben zu eng bestimmend, so waren sie doch voll Innigkeit, und dann gab es, köstlicher noch, diese Lieder ohne Worte, denen man klavierspielend alles Unsagbare, aber so sehr Gefühlte unterlegen konnte.
Allzu brav und bürgerlich singen dem Tannhäuser die Genossen die Liebe, die er, herumgekommen in Oben und Unten der Welt, anders kennt. Er erträgt's nicht, denn Elisabeth, die er liebt, erregt sein Blut, und er greift anders in die Saiten, allen Anstand, alle Sitte vergessend. Er wacht erst auf, da er allein steht, denn der ganze Saal floh erschreckt vor einem, der eine Katze eine Katze nennt im unpassenden Augenblick, nämlich vor aller Welt und vor dem jungen Mädchen, das sich aus lauter Anstand nicht die Nase putzt. Aber sein Wort von der Venus ist ihr eingebrannt, und Elisabeth weist den Freier ab, der Gatte sein will an ihrer Seite, den braven Wolfram, der es den Sternen sagt voll leiser Melancholie eines ausgebrannten Kraters. Wer liebt, muß der Liebe sich selbst zum Opfer bringen, denn die gegebene Welt ist zu eng für sie. Alles tot, klagt Marke oder die Weisheit des alles verzeihenden, nichts verstehenden Alters.
Im Sterben sich zu sehnen, vor Sehnsucht nicht zu sterben – das sind ja gewiß nur Worte, wie sie in völliger Sinnlosigkeit sich dem Musiker als gerade recht einstellen, der für den Theaterzweck eben Worte zu einer Tonfolge sucht, die in ihm primär entstanden ist, wenn auch nicht schon aufgeschrieben zu sein braucht. Aber im Kreislauf dieses seltsamen Wortegefüges – ein Melos, das nicht zu Ende kommen kann und immer wieder anfängt – drückt sich so gut es eben geht der Wunsch aus, einem Affekt des Hangens und Bangens die Dauer zu geben, banal paradox gesagt, ein Wille, vom Sterben leben zu wollen. Nacht, Tod, Liebe: das Romantische solcher Erotik wächst durch völlige Ausschaltung aller ändern Lebenswerte bis auf den des Lebens selber ins Ungeheuerliche eines Chaotischen, das Rachen und Verschlungenes in einem ist. Dagegen sind die parallelen Erotismen bei den Frauen Ibsens, ganz abgesehen, daß sie sich nicht der musikalischen Steigerung ins Absolute der Tönewelt erfreuen, nur schwache Abbilder, denen auch die determinierenden Momente des modernen Lebens äußerlich, aber nur so, die Schwesterschaft mit den Wagnerschen Frauen absprechen möchten, welche Blutsverwandtschaft sie aber in dem erotischen Grundcharakter durchaus besitzen – dort sind sie heroisch drapiert, hier tragen sie etwas norwegisch-kleinbürgerlich kaschiert den Cul de Paris.
Elsa hat die Anstrengungen ihrer Mädchenträume und Mädchenwünsche zum äußersten gesteigert: das Los, unter dem sie zu leben gezwungen ist, schuf sie sich zur äußersten Last, zum ganz Unerträglichen um, damit der Befreier ins Heldenhafte wüchse. Wie es auch geschah. Unter schwersten Bedrohungen und Gefahren behauptete sie und bewahrte sie sich ein Jungmädchentum so über alle Maßen, daß ihr nur ein Held zu Dank sein konnte. Das war erreicht. Mit einer Spannung bis zum Zerreißen. Ein Erlöser zeichnete die Verfolgte aus und erhöhte die Niedrige. Aber es war all ihr Wille auf ein, wie sich nun herausstellte, zu kurz gelegtes Ziel gelegt: den Gatten. Elsa will, was sie hat, auf bürgerliche Flaschen ziehen. Der Helde soll Mann werden, Familie gründen, repräsentieren. Da ruft der Held seinen Schwan und verläßt, was ihn als Helden bedroht.
Als Ibsen über die vom Pomposo ihres Orchesters und dem geliehenen Faltenwurf aus Sage und Mythus überlebensgroß gewordenen Wagnerschen Gestalten den Kontur der gleichen Figuren im bürgerlichen Format zeichnete, da trat das Theater Wagners in eine falsche Klassizität, und niemand hätte es in den achtziger Jahren wagen dürfen, vom romantischen Erotismus dieser Gestalten zu sprechen, denn sie waren als die künstlerisch vollendetsten Inkarnationen des Liebesgefühles, das sich dem Übersinnlichen zu verbinden sucht – im Gegensatz zu einem realistischen Empirismus der Carmen Bizets –, in ein Walhalla nationalen Besitzes gestellt worden, in dem sie noch stehen. Gerhart Hauptmann, hat um 1912 eine Nacherzählung des Lohengrin gegeben. Alle Eigentümlichkeiten des romantischen Erotismus der Wagnerschen Gestalten sind in Hauptmanns Erzählung verschwunden oder selbstverständliche Bestandteile eines allen bürgerlichen Idealen entsprechenden Liebes- und Ehelebens. Das tragikomische Motiv: Lohengrin fehlt der Personalausweis. Das erotische Motiv, das Wagner figurierte, ist hier ins Banale einer braven Liebes- und Ehegeschichte aufgegangen, deren Ende eine düpierte Frau mit drei Kindern zurückläßt. Die Zeit steht mit ihrem Dichter völlig verständnislos der letzten Blüte der romantischen Erotik gegenüber. Und Walhall hat sich in den Biergarten verwandelt, in dem für Familien und Liebespaare das Funkorchester den Wonnemond, den Liebestod und den Trauermarsch spielt.