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Die mittelalterliche Welt ist ganz allegorisch. Ein Gedanke geht in einem sichtbaren Bilde auf, und die Welt dieser Bilder wird zur Not von einem religiösen Symbolismus zusammengehalten, weil es ja nötig ist, die an sich verwerfliche Welt zu würdigen.
Für das weite Gebiet des Sündhaften bot das irdische Dasein Bildhaftes in unendlicher Fülle. In der Erweckung der Furcht vor Sünde, Tod, Gericht und Hölle fand man im Irdischen die stärksten Reizmittel. Die körperlichen und seelischen Qualen der Hölle zu schildern hatte man die brennendsten Farben. Der Abscheu vor dem Menschen, zumal dem weiblichen Menschen, wird wesentlicher Teil der christlichen Sittenlehre. Der Mensch, gemacht aus schmutzigstem Samen, empfangen im Kitzel des Fleisches, genährt mit Monatsblut, das so verächtlich und unrein sein soll, daß bei seiner Berührung die Früchte nicht gedeihen und die Pflanzungen verdorren ... und wenn Hunde davon fressen, so verfallen sie in Tollwut, schreibt der große Papst Innozenz III.
Solche Belehnung der natürlichen menschlichen Verrichtungen mit schwarzer Magie, solche sittliche Überbelastung und dämonische Auszeichnung dieser Verrichtungen mußte den mittelalterlichen Menschen in eine dem Irrsinn nahe Verwirrung stürzen. Es war ihm fast kein Raum gelassen, wo er unversucht und ungefährdet vom Teufel diesen Verrichtungen obliegen konnte. Bot ja nicht einmal die geheiligte Ehe Sicherheit! Man unternahm ja alles, sich von dem Entsetzlichen zu befreien, machte den Teufel zur komischen Figur, malte ihn kindlich buntfarbig, damit er das Angsterweckende verliere. Aber immer doch blieb er der Teufel. Die Theologie kommt ohne diesen Gegenspieler des guten Prinzips nicht aus, denn beide bedingen einander. Des Teufels Dasein in dieser verachteten Welt ist die Voraussetzung der Erlösung in die himmlische Welt des Gottes.
Nur über einen kleinen Teil der alten hochzeitlichen Bräuche und Sitten ist ja die Kirche Herr geworden, indem sie diesen Ausschnitt daraus sakramentierte als Eheschließung. Ober das Vorher und Nachher des Aktes vermag sie nichts: das blieb heidnisch, wie es zuvor war. Sie tut ihr Möglichstes mit Erregen von Schrecken, zaubert die Strafen der Hölle herauf. Zerrüttet die Nerven. Und die erste Frau, die aussagt, daß der Teufel sie beschlafen habe, weckt die Epidemie. Die Verzückung der Nonne, die den Besuch Christi empfängt, wächst auf dem gleichen von der Kirche durchackerten Boden auf wie die Verzauberung der Hexe, welche vom Teufel besucht wird. Wundmale des Leibes da und dort, Verlust der eignen Seele da und dort: da an den Herrn des himmlischen, dort an den Herrn des höllischen Reiches.
Gewiß hat das spätere Mittelalter, in dem die ersten Epidemien des Hexenglaubens ausbrechen, selbst innerhalb der Kirche seine Zweifler und seine Versuche einer rationalen Auffassung. Aber im allgemeinen war das Gottvertrauen so groß, daß man annahm, daß jeder des Verkehrs mit dem Teufel Beschuldigte auch wirklich schuldig sein müsse, da ja Gott nicht zulassen könne, daß ein Unschuldiger beschuldigt werde. Daß es Einbildung der Frauen wäre, vom Teufel beschlafen worden zu sein, wird zuweilen geäußert, aber damit ist der Teufel nicht aus dem Fall eliminiert, da er es ja sei, der diesen Irrtum der Frau erzeuge! Das vertritt noch der aufklärende Johannes Wier im XVI. Jahrhundert. Der Teufel könne keine Wunder verrichten, aber er kenne die geheimen Kräfte der Natur, und was er auswirke, sei natürlich. Der Satz des Augustinus, den die Autorität des Thomas von Aquino stützt, ist durchaus allgemeine und geltende Anschauung: Alles, was in dieser Welt sichtbar geschieht, können die Teufel verursachen. Das bedeutet für den Frommen permanente Unsicherheit.
Zumal in den Natürlichkeiten des sinnlich-geschlechtlichen Lebens wurde der Teufel als außerordentlicher Meister angesehen – es fiel ihm ja eigentlich dieses ganze Gebiet zu, das einer übersinnlich orientierten Christenheit in allen Teilen zuwider war und schlechtweg das Böse. Die Doktrin der Sprenger, Molitor, Nider, Bartholomäus de Spina geht davon aus, daß der Mensch, der sich von Gott entferne, seinen Begierden und Leidenschaften freie Bahn schaffe. Sie werden dadurch von solcher erotischer Besessenheit, daß den fleischlichen Akt selbst mit einem wilden Tiere zu vollziehen es sie gelüstet. Ja selbst mit Gott, wenn sie könnten, beichten diese Menschen. Sie weigern sich nicht dem Teufel, der, um recht in seine Netze zu locken, die verführerische Gestalt von Mann oder Weib annimmt. Er ist ein weiblicher Sukkubus für den Mann, ein männlicher Inkubus für das Weib. Er bleibt in actu fast immer unsichtbar, aber man hat ihn auch gesehen. Die Incubi ziehen junge Frauen und Mädchen den alten vor. Es ist deshalb gut, das Gesicht verschleiert und langes Haar nicht offen zu tragen, denn auch dieses liebt der Teufel. Die alten und häßlichen Weiber besitzt er auf eine Weise, daß er ihr Gesicht nicht sehen kann. Als ein Bock. Den jungen erscheint er oft in der Gestalt ihrer Geliebten. Aber er nimmt jede Gestalt an, welche die Visionen und Wunsch-Delirien der Besessenen fordern oder in welcher er ihnen als Albdruck in ihren Träumen erscheint.
Die gelehrte Ausarbeitung, welche die mittelalterliche Dämonologie bis zum Hexenhammer der Ketzerrichter und darüber hinaus erfuhr, gab den inneren Beweisen, wie sie sich aus Aussagen und Geständnissen der Betroffenen ergaben, auch die notwendigen äußeren Beweise in den anders für diese Zeit nicht erklärbaren Mißgeburten und Entartungen, die eben als kakodämonische Mißgeburten erkannt wurden, als die Kinder aus dem Umgang mit dem Teufel. Fähigkeiten, die er zu solchem Werke der Zeugung besitzen muß, aber als bloßes menschlich-tierisches Scheingebilde nicht besitzt, kann er unter Gottes Zulassung bekommen. Er kann, wie Thomas lehrt, den nötigen Samen von einem Menschen entnehmen und ihn übertragen. Er tut dies auf solche Weise, daß er erst weibliche Gestalt annimmt und sich als Sukkubus einem Manne hingibt. Hierauf wird er Inkubus und beschläft ein Weib, das von ihm den als Sukkubus empfangenen Samen aufnimmt und ein Kind zur Welt bringt, ein vom Teufel gezeichnetes Menschenkind. Als die theologischen Untersuchungen mit dem Nachlassen der Virulenz der Erscheinungen selber in den Verfall leerer Spekulation gerieten – schon der Hexenhammer zeigt diese Dekadenz –, bekommt der Teufel eigene Glieder und Substanzen der Zeugung, so bei Sinistrari von Ameno im XVII. Jahrhundert. Und es wird eine große Liste solcher vom Teufel gezeugter Kinder aufgestellt, in der man Alexander den Großen neben Merlin, Servius Tullius neben Luther begegnet: den zeugte der Teufel, als Weinhändler verkleidet, mit einer Tochter seines Gastgebers zu Wittenberg. Und begab sich wieder in die Hölle zurück, als er das Mädchen guter Hoffnung sah. Die oft grotesken Ungeheuerlichkeiten sexueller Phantasie in den Schriften der Ketzerrichter und Dämonologen haben das Urteil einer späteren aufklärerischen Zeit oft dahin irregeführt, daß man die Phänomene der erotischen Besessenheit mehr bei diesen als sadistisch verdächtigen Autoren feststellte als bei den Patienten, die man als unschuldige Opfer ansah. Gewiß werden viele der Ketzerrichter nicht weniger krank gewesen sein als die Hexen und Hexenmeister. Und ebenso gewiß werden sich unter den durch Exorzismus oder Feuertod Kurierten Gesunde befunden haben, die ein Zufall, nachbarlicher Haß, Rachsucht oder sonst ein solches Motiv dem Ketzerrichter auslieferte. Aber eine im Vorurteil des dunklen Mittelalters so befangene Zeitkritik wird das Wesentliche des Phänomens der erotischen Besessenheit zugunsten eines Unwesentlichen übersehen. Daß in dem 1751 ausgearbeiteten bayrischen Strafgesetzbuch fleischliche Vermischung mit dem Teufel mit dem Verbrennungstode bestraft wurde, war ein zeitlich nicht mehr bedingter Irrtum. Aber um 1400 entsprach die Therapie der Verbrennung der nach ihrer eigenen Aussage vom Teufel Besessenen allen in der Zeit gegebenen Komponenten, der kirchlichen Logik, der Anschauung über die Frau und das Sexuelle, der Medizin und dem Wunsch der Kranken. Es war ein Akt des Glaubens, nicht eines Aberglaubens.
Der Glaube an die Besessenheit durch den Teufel verschwand nicht durch die Tätigkeit der Aufklärer, denn diese sind nicht Ursache, sondern Wirkung eines schwindenden Glaubens. Was Glauben der ganzen Menschheit war, degenerierte in Aberglauben, als es nur mehr bestimmte Teile dieser Menschheit glaubten. Was einmal alle verband, wird zu einem Stricklein, das nur mehr bestimmte Volksteile bindet.
Was in den ungläubigen Jahrhunderten bis auf heute vom Teufelskult in den Sekten und Schwarzen Messen übrigblieb, hat zur mittelalterlichen Besessenheit fast nur eine literarische Beziehung. Die mittelalterliche Frau erlag dem Teufel fast immer gegen ihren Willen. Der mittelalterlichen Besessenen entspricht heute die Hysterikerin, die ihre Hysterie in eine organische Krankheit kleidet, nicht die Satanistin. Jener war die Einkleidungsform vom Zeitcharakter vorgeschrieben, der Satanistin wird sie von einem mehr oder weniger geschickten Schneider angemessen, wie von dem Häresiarchen Eugène Vintras, der die satanistische Sekte Karmel gründete, die 1893 mit dem Tode seines Nachfolgers, des Abbé B ..., verschwand. Vintras lehrte, daß sich die Erlösung durch Liebesakte vollziehe, die begangen werden 1. mit höheren Geistern und den Erwählten der Erde, um sich zu verhimmlichen, alle Tugenden zu erreichen und individuell in den Himmel aufzusteigen, und 2. mit Profanen und inferioren Geistern, Elementarwesen, Tieren zu dem Zwecke, diese sündigen, in Verfall geratenen armen Naturgeschöpfe zu verhimmlichen. Inkubus und Sukkubus fanden in dieser Sekte so wieder eine Erneuerung. Über den Vorgang dieser okkulten Vereinigungen ist man unterrichtet. Die Adeptin ist verpflichtet, die Umarmung sowohl der Lichtgeister zu erdulden als auch jener, die man Humanimalia nennt, stinkender Monstren, welche Zimmer und Bett beschmutzen und sich ihr beigesellen, um zur Vermenschlichung zu gelangen. Die Adeptin versichert, von diesen Monstren geschwängert worden zu sein. Die Geburt vollzieht sich ohne Schmerzen: aber nicht ein Kind kommt zur Welt, sondern stinkender Rauch. Der Satanismus lebt von einer dünnfließenden, vornehmlich literarischen Tradition und von der Zeit nicht oder höchstens negativ charakterologisch bestimmt. Er steht nicht in ihrem Rahmen, sondern außerhalb. Deshalb nennt man ihn pervers oder monströs. Man hat, da den Glaubensformen entfremdet und andern Glaubensformen ergeben, kein Teil an ihm. Die von der Zeit bestimmten Neurosen und Hysterien haben andere Formen, die in einem relativen Sinne als die normalen gelten. Wie dem Mittelalter die seinen.