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Miniaturen

Nichts ist der Kunst feindlicher als der Witz. Wenn nicht die Moral. Diderot, begrüßte die larmoyanten Schildereien des Malers Greuze enthusiastisch: Da habt ihr unsern Maler und den meinen, der erste unter uns, der sich darauf bedacht hat, der Kunst Sittlichkeit zu geben. Einem Maler dritten oder vierten Ranges schenkte der erste kritische Kopf der Zeit das Genie, weil hier weniger von der Kunst verstellt und behindert die Zeit von 1780 fand, worin sie sich gefiel, wenn es keine zu großen Opfer verlangte: die Tugend. Greuze malte sein einziges Modell, seine Frau, die als Buchhändlerstochter Mademoiselle Balbuti von der Rue Saint-Jacques so entzückend war und als Madame Greuze dem Maler eine Hölle bereitete.

Sie war ein kokettes Persönchen, und Greuze malte sie als Junges Mädchen, das seinen toten Vogel beweint. Sie war in der Hoffnung mit dem vierten Kinde, und der brave Vater malte sie als Vestalin. Er malte sie als die geliebte Mutter, und sie vergaß und verluderte ihre Kinder über den Liebhabern; als La Dame de la Charité, und Madame Greuze bestahl ihre Liebhaber; als Unschuld, zwei Tauben opfernd, und sie ging als Hure auf die Straße; als Liebestraum, und Frau Greuze hatte die Syphilis. Fragonard lebte als ein braver Familienvater und malte die Libertinage, Greuze malte nach dem Modell seiner Frau, die ein tolles Weibchen war, die Unschuld. So einfach pathologisch, wie eine vermeintlich wissenschaftliche Kritik glaubt, sind die Beziehungen zwischen Leben und Werk des Künstlers gar nicht.

Greuze liebte seine Frau, alles wissend, und ließ erst von ihr, da er alt war und die Kinder erwachsen und die Mutter ihre Galane von der Straße hereinbrachte. Greuze hat über seine Ehe Aufzeichnungen hinterlassen, in denen er ohne jeden Zynismus aufgeschrieben hat, was ihm mit seiner Frau widerfuhr. Er war ein hübscher Mensch und hatte nicht viel Denken. Rousseau war ihm so gleichgültig wie die Enzyklopädisten. Da seinem Freunde Diderot und dem empfindsamen Teil des Publikums seine Malerei gefiel, so blieb er dabei, aber selber hat sie ihn gar nicht moralisch affiziert. Seine Frau verbrauchte viel Geld und dirigierte das ganze Geschäft. Da er immer nur sie malte, ist's natürlich, daß die kleine dumme und nichts als sinnliche Person bald überzeugt war, daß sie eigentlich die Bilder mache. Die Liebhaber sagten es ihr auch. Und der große Diderot sogar, der kein Bild des Malers ohne Komplimente für Madame Greuze feierte und der nur bei der Vestalin schrieb: Das eine Vestalin? Greuze, mein Teuerster, Sie machen sich über uns lustig! Aber auch da sprach er von Madame, wie sonst etwa: Ja, ich habe sie sehr geliebt, als ich jung war und sie Fräulein Balbuti hieß. Diderot reizte mit seinen Kritiken des Salons nicht nur die Amateure des Bildes, sondern machte sie auch für das Modell interessiert. Greuzens Atelier im Louvre – zwischen den sehr soliden Menagen von Chardin und Fragonard – war bald ein Taubenschlag. Und die Herren riefen vor dem Modell wie Diderot vor den Bildern: Die schöne Hand! Der herrliche Arm! Was für ein Busen! Das entzückende Knie!, denn Madame zeigte gerne alles das und mehr hinter dem Paravent, vor dem der Gatte malend saß. Mit dem ersten Liebhaber hat Greuze seine Frau nicht überrascht, aber mit dem zweiten, einem seiner Schüler. Er schreibt in seinem Mémoire: Eines Tags kam ich gegen neun nach Hause. Ich traf Madame Greuze äußerst verlegen mit ihrer Toilette beschäftigt, meinen Schüler, er hatte etwa achtzehn Jahre, vor dem Kamin stehend, nicht wissend, wohin mit sich. Ich hielt es für richtig, diesen jungen Mann wegzuschicken, und tat es; da war nun die Verzweiflung im Haus. Madame immer mit einem Dolch in der Hand, um sich zu töten; aber sie tat's nicht; und ich war nicht zu erweichen. Das ist eine Feindin, mit der ich zu leben gezwungen bin. Der nächste war ein kleiner Gemüsehändler, den sie ihm als Schüler aufschwatzte. Er stahl ihr 15 000 Francs, was Greuzens ganze Ersparnisse waren, die sie verwaltete. Als sie bald darauf die Syphilis bekam, rettete sie M. Louis, der Chirurg, und Madame nahm ihr Leben wieder auf. Greuze überraschte sie – Madame schloß nie ab – in einer Situation, die ganz eindeutig war. So erlebte er, was in der Wohnung nebenan Fragonard malte, und Fragonard lebte, was Greuze malte. Die Tragikomödie heißt: Der Künstler.

Greuze packte, nachdem der Herr sich empfohlen hatte, seine Frau: Madame, Sie haben mich betrogen! Sie saß vor ihrem großen Spiegel und machte Toilette. Sie sah ihn im Spiegel an und sagte nur: Es ist wahr, aber es ist mir Wurst, es ist mir Wurst, es ist mir Wurst! Und ließ aus ihrem Korsett etwas die Brüste schlüpfen. Sie haben mit Ihren Bildern selber auf meine Reize aufmerksam gemacht, Sie haben mich sogar schwanger gemalt. Greuze seufzte nur: Ah, Madame! Madame! Madame verzichtete nun darauf, ihre Liebhaber zu wählen – sie überließ es dem Zufall. Und bestahl die Liebhaber. Paris war voll von Geschichten darüber. So daß es selbst Diderot, dem ältesten Freunde des Hauses zu dumm wurde und er an Greuze schrieb: Ihre Frau ist hübsch, man hat ihr das so oft gesagt, bevor sie Ihre Frau wurde, daß man es ihr weitersagt, seitdem sie Ihre Frau ist: Aber sehen Sie zu, daß man ohne Folgen auf ihrem und auf Ihrem Bett seinen Hut, seinen Degen, seinen Stock mit Goldkopf vergessen kann. Frau Vasse und viele andere künstlerische Ehehälften, die ich Ihnen nennen könnte, haben auch Betten, aber man findet immer wieder, was man vergessen hat. Greuze bekam für seine Vorhaltungen von seiner Frau das Nachtgeschirr an den Kopf geworfen und mochte sich an sein beliebtes Bild erinnern, eines seiner ersten, das er nach seiner Braut gemalt hatte: Der zerbrochene Krug.

Er verließ den belebten Louvre und zog in eine ruhige Gegend, seine Frau machte sie bald zu einer recht unruhigen. Wieder wechselte er das Logis, und seine Frau lief durch ganz Paris, um ihre Abenteuer zu finden. Da nun auch in dem treuen Greuze die Lust nach andern Frauen erwachte und Mann und Frau auf ihrer Jagd im Jardin-Royal einander begegneten, wurde die Wirtschaft noch schlimmer. Beide hatten voneinander getrennte Räume, und Madame holte sich die Burschen von der Straße herauf. Greuze stellte einmal einen, fragte ihn, was er wolle. Er antwortete mir ganz treuherzig: Ich will zu Frau Greuze. Ich sagte ihm: Meine Frau empfängt nur Herren, die ich ihr vorgestellt habe, und ich kenne Sie gar nicht. Er darauf: Das ist mir egal, ich komme halt jedesmal, wenn Frau Greuze mich verlangt. Und während der Maler mit dem sprach, verließ ein anderer das Gemach der Frau. Und als Greuze in ihr Zimmer trat, rief sie hinter dem Paravent hervor: Es ist mir Wurst, ich bin beschäftigt, und es war so. Weiter erzählte der Maler, wie er knapp dem Tode durch Vergiftung entgangen, denn die Kasserolen waren voll Grünspan. Da gab Greuze seiner Frau das Geld, das sie ihm immer abnahm, zum letztenmal. Für den Richter, der die Scheidung aussprach, schrieb er dieses Mémoire auf, das eigentümlicher als des Meisters Malerei ohne Pathos und ohne Zynismus mit einer fast trockenen Genauigkeit erzählt, wie sein Verfasser zugrunde ging.

Mit dieser Frau verließ ihn alles, und es kam dafür das bare Elend. Seine Bilder wollte kein Mensch mehr. Ein Kohlenhändler hatte irgendwo für sechs Francs einen Frauenkopf von Greuze erstanden und ihn an seine Ladentür als Schild Zur schönen Kohlenhändlerin genagelt. Die Mode war jetzt, 1792, David. Ein Maler und ein Narr, sagte man, wenn man Greuze zerlumpt die übelsten Quartiere aufsuchen sah, in silberweißem Haar ein kindischer Greis unter den Huren des Directoire, die ihm nun Modell waren, ohne daß er aber sein Genre, das noch immer Unschuld war, wechselte. Ein Jahr vor dem gleich ihm vergessenen, aber unsterblichen Fragonard starb Greuze, über achtzig Jahre alt, am 21. März 1805.

Marie-Antoinette mußte den sechzehnjährigen Pagen Grafen Tilly wegen einer Indezenz zurechtweisen. Er war immer der schöne Tilly und sehr früh schon der freche gewesen. Er lernte bei den Frauen, seine Schönheit und seine Frechheit zu brauchen in ihrem Dienst. Als Emigrant heiratete er in Berlin eine hübsche Amerikanerin, die er gleich darauf ihrer Familie wieder zurückstellte gegen eine Pension und Regelung seiner Schulden. Eine andere ging seinetwegen in die Spree. Trotzdem er kein Page mehr war, verführte er die hübsche Markgräfin von Anspach, ja sogar die fromme Frau von Krüdner. 1807 nach Frankreich zurückgekehrt, lebte er vom Spiel. In der Folge einer Spielaffäre hat er sich 1816 erschossen.

An einem Sommerabend des Jahres 1782 hatte Tilly das Abenteuer mit der schönen Unbekannten von Versailles. Auf dem Wege nach Hause begegnet er zwei Frauen, die sich, sowie sie ihn erblicken, trennen. Die eine fordert ihn auf, ihr zu folgen. Er lacht und will nicht. Aber ihre Stimme verlockt ihn; er zieht der Unbekannten den Handschuh ab: sie hat eine schöne gepflegte Hand. Und was wollen Sie von mir? fragt er. – Daß Sie mir folgen und ich Ihnen gefalle, wenn ich kann. – Das bin ich nicht wert, und dann ist's schwierig, man gefällt mir nicht mehr. – So jung schon blasiert? – Eben weil ich es nicht bin, will ich nicht mit Ihnen gehn. – Der Vorwand ist ein Scheingrund. – Sie sprechen nicht das Französisch der Gasse. – Wer sagt Ihnen, daß ich von der Gasse bin? Leben Sie im Schmutz, weil Ihre Schuhe schmutzig werden?

Tilly folgt. Im Gehen nimmt die Unbekannte seinen Arm. Er wehrt ab. Sie sind nicht höflich. Außerdem ist's leer auf der Gasse, Sie können sich nicht kompromittieren. – Es ist nicht das ... – Ich bin die Kosten einer Lüge nicht wert. – Nehmen Sie meinen Arm. – Jetzt brauche ich ihn nicht mehr.

Man ist bei der Unbekannten, die Tilly beim Namen nennt. Ich beschwöre Sie, sprechen Sie nie von diesem Abenteuer, wenn ich Ihnen bekannt bin. – Es geschieht in dem einfachen Zimmer das, wofür man sich hinbegeben hat. Tilly ist entzückt. Er weiß nicht, ob eine anständige Frau so vortrefflich die Rolle einer Dirne oder eine Dirne so gut die Rolle einer anständigen Frau spielen kann, und kommt zum Schluß, daß es sich um eine wohlerzogene Person handle, die ins Elend gekommen sei. Er will zahlen. Aber die Unbekannte nimmt das Geld nicht, gibt ihm aber einen guten Rat: Sie müssen immer darauf bedacht sein, eine erste Erregung zu unterdrücken, ob Überraschung, Freude oder Scham. Wer nicht Herr seines Äußern ist, besonders seines Gesichtsausdruckes, der verrät sich gerade dann immer, wenn er sehr viel Interesse daran hat, sich zu verstecken. Haben Sie heute abend nur das gelernt, so haben Sie Ihre Zeit nicht verloren.

Einige Tage später diniert Graf Tilly beim Kriegsminister Montbarey. Man stellte ihn einer Dame vor. Er erkennt seine Unbekannte aus der Rue de l'Orangerie. Ihre Stimme bestätigt ihm, daß er sich nicht irrte. Aber sie bleibt ganz ruhig, fremd, und Tilly beginnt zu zweifeln. Da neigt sie unmerklich den Kopf. Nach einer kleinen Weile erhebt sie sich, geht ins Nebenzimmer, sieht sich hier eine Pendüle an. Und dann legt sie, wie im Spiel, den Finger auf den Zeiger, dreht ihn, läßt ihn bei zehn halten. Sie wirft Tilly einen raschen Blick zu. Einige Minuten später hört er sie im Gespräch mit einer Dame etwas lauter die Worte sagen: Rue de l'Orangerie ... morgen.

Andern Tages wird er schon erwartet. Welcher Zufall führt Sie her? fragt sie ihn. Ich verstehe nicht ... Wir haben doch gestern zusammen diniert. – Sie mit mir? Wo? – Beim Fürsten von Montbarey. – Was erzählen Sie da für Geschichten!

Da Tilly seiner Sache sicher ist, beschäftigt er sich mit den andern Sachen. Die Unbekannte akkompagniert. Dann sagt sie ohne jeden Übergang: Ich war nicht zufrieden mit Ihnen bei Montbarey. Sie waren zu erstaunt. – Also waren Sie es doch! – Das sehen Sie ja. – Erlauben Sie mir eine Frage: Das erstemal, wo wir uns trafen, da konnten Sie nicht ahnen, daß ich die Straße kommen würde ... Haben Sie mich gesucht? – Ich suchte das Vergnügen. – Mit wem? – Mit dem ersten, der mir gefiele. – Tilly kann einen entsetzten Seufzer nicht unterdrücken, worauf ihm die Unbekannte sagt: Es ist sehr spaßig, daß ihr Männer wollt, alles sei euch erlaubt, nachdem ihr uns fast alles verboten habt. Wir haben nur das eine Mittel, zu unsern Rechten zu kommen, daß wir nämlich heimlich tun, was ihr stolz vor aller Öffentlichkeit tut. – Aber Sie verlieren sich! – O nein! Nur bei den Halb-Fehltritten verliert man sich, fast nie bei den extremen, denn sie glaubt man uns nicht.

Auf die Frage, ob sie keine Gewissensbisse spüre, kein Gewissen habe, sagt die Unbekannte: Ich verberge mich, wie ich es machte, wenn ich mich in meinem Zimmer mit Champagner betrinken wollte. Es ist weder das eine noch das andere ein Verbrechen, aber der Skandal ist immer ein großes Übel. Das Lächerliche und die Narrheit sind in dieser Welt auf dem Grunde der Tagesordnung – nur die Erscheinungsformen verdienen ernsthaft behandelt zu werden. Dann legte diese Frau ihre Hand dem Grafen auf die Augen und sagte: Leben Sie wohl. Vergessen Sie die größere Hälfte von alldem ... aber erinnern Sie sich immerhin ein bißchen an mich.


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