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Die Zeit, da die Valois in Frankreich regierten, macht mit den Temps gaulois, deren Epopöe Rabelais schrieb, ein Ende. Der gute derbe Spaß aus der Zeit der bretonischen Königin Anna, den man sich beim unmäßigen Mahle auf die dicken Schenkel schlug, fand keinen Beifall mehr in dieser Gesellschaft, die ihr Raffinement wie ihre Künste aus Italien bezog, das ein Jahrhundert voraus war und dabei, aus der platonischen Ethik eine Etikette zu machen. Die französischen Damen am Hofe der Valois lernten an den eingeheirateten Medici und deren italienischem Gefolge ihre eigentümlichen Talente finden, die in der Schönheit des Leibes liegen und deren Spielung. Was kann diese neuerwachte Freude an der Schönheit besser ausdrücken als der stolze Einfall jener römischen Kurtisane Veronica Franco, die sich den nackten Fuß küssen ließ und sagte, die Schönheit ihrer Füße sei die Heiligkeit jener des Papstes wert? Nannte nicht ein würdiger Humanist sehr ernsthaft die Kurtisane Tullia d'Arragona eine Kirchenmutter? Und ein frommer Dichter sang Hymnen auf die Schönheit der Kurtisane Imperia, um die Rom einen Tag der Trauer feierte, als sie sechsundzwanzigjährig starb: Unsere Väter weinten, als das Imperium fiel. Wir, wir weinen um Imperia. Sie haben die Welt verloren. Wir, wir verloren unsere Herzen und uns selber.
Die Verachtung der sogenannten anständigen Welt wird nur die Schwachen und Talentlosen unter den Kurtisanen deformieren, die Starken wird sie in ihren Kräften steigern, daß sie alle erreichen und üben, was an Schönheiten diese anständige Welt für sich allein nur hervorbringen und halten zu können glaubt. Die Kurtisane von großem und das heißt genial weiblichem Talent wird hier noch mehr tun und wahrhaft eine soziale Rolle spielen: sie wird die Gesetze dieser Schönheit geben und selber Muster und Beispiel werden für die höchsten Leistungen des guten Geschmacks. Es sagen die Zeitgenossen, daß die römischen Kurtisanen der Renaissance sich durch nichts sonst von den anständigen Frauen unterschieden als durch die feineren Manieren.
Die Kurtisane, von der Renaissance wieder inthronisiert, war durch Natur und Talent das Ideal des neuen Schönheitskultes und stand als Beispiel vor den französischen Frauen, die sich bemühten, den Kultus der fremden Schönheit und die Begehrungen heftiger Sinne unter eines zu bringen, den Genuß der Liebe um seiner selbst willen zu suchen und doch darüber die große Parade nicht zu vergessen, die der Welt ein Schauspiel gibt und sich selber darin eine dankbare Rolle. Es kam ein Fieber über diese derben gallischen Frauen, als sie sahen, daß die Geschicke der einzelnen wie oft auch die der Staaten auf die Macht der weiblichen Leibesschönheit und Liebeskünste gestellt waren. Unsicher schwanken sie noch in den Mitteln zu dem Ziele zwischen dem Mord und den Anfängen der Intrige, denn diese Zeit der Bürgerkriege ließ eine ausgleichende und statuierende Gesellschaft sich nicht bilden. Der Hof und seine Interessen allein bestimmten, wie er es im monarchischen Neapel tat oder im Ferrara der Este. Es war eine politische Zeit, und eine geschäftskundige Frau aus dem Bankfache machte die Politik mit Frauen. Man kann von Katharina Medici, die für die letzten maniakalischen Valois regierte, sagen, daß sie die Liebe disziplinierte und nützlich machte zu Zielen, die ihr bisher nicht eigen waren. Sie schickte dem Gegner Antoine de Bourbon die Louise de la Beraudière ins Feldlager, um derentwillen der Schwerverwundete seines Verbandes nicht achtet und Liebe und Leben in ihrem Schoße verblutet. Gegen den Condé Louis de Bourbon läßt sie Isabeau de la Tour los, die es gleich mit ein paar vornehmen Hugenotten aufnahm, um den Auftrag gründlich auszuführen. Und so brauchte Katharina für ihre Pläne die Madame de Retz, die ohne viel Temperament viel versprach und wenig hielt, oder die Madame de Sauves, die nichts versprach, aber viel hielt und dennoch nie ihre Mission vergaß. Und so jede aus dem escadron volant der Mediceerin. Um die Liebe dieser Frauen ist immer Geruch von Blut und Pulver. Jeder Soldat wußte es, daß eine einflußreiche Geliebte bei Hofe wichtiger sei als zehn gewonnene Schlachten. Und da die Ereignisse oft schneller liefen als das Kalkül des rechnenden Paares, war jeder Teil klug genug, mehrere Eisen im Feuer zu haben. Jeder lebte in jedem Augenblick mit der höchsten Spannung seiner Energien, denn die Geschicke entschieden sich schnell, und Geduld und Warten war Verzichten und Verschwinden. Wenn du nicht ein bißchen Päderast, Vatermörder, Totschläger und Räuber bist, so giltst du nicht für einen Ehrenmann, sagt ein Moralist dieser lebhaften Zeit. Wo eine solche wilde Kühnheit die erste Tugend war, mußte der um sein Leben betrogen sein, der sie nicht besaß.
Um alles suchte man unter den Valois die Macht der Liebe, bei der alles stand, zu behaupten. Wirkungen, welche in der Jugend die Natur besorgt, brauchen später die Künste. Und diese Gesellschaft, der die Naivität der florentinischen Gesellschaft des 15. Jahrhunderts fehlte hatte rasch gelebt und war im Fieber früh alt geworden – sie brauchte die Künste und schuf davon ein Arsenal für die kommenden Geschlechter. In solchen erotisierten Zeiten macht die Mode tolle Sprünge, um die rasch wechselnden Launen immer aufs neue zu reizen und festzuhalten. Als man unter den letzten Valois so weit war, unabhängig von den Italienern und Spaniern, die früher den Ton angaben, nach dem eigenen Code d'amour et de la galanterie zu leben, fragte der bittere Alciat, dessen moralischer Mut – wie es immer ist – mit seiner Aussichtslosigkeit wuchs: Wozu und warum diese Martern? Vielleicht weil die Natur dieser Tiere gefälscht ist und weil sie auf nichts als die Liebe gerichtet sind. Und er sagte das von den Frauen, die den Ehrgeiz hatten, ganz wie femmes méchantes zu sein oder sich als Knaben anzogen, während die Mignons Ringe in die Ohren steckten, hohe Coiffuren trugen, sich dekolletierten und das Haar vom Leibe zupften wie die venezianischen Huren. Jede neue Erfindung der Mondänen fand im nächsten Augenblick eine Nachahmerin in der Gesellschaft, die sich allmählich aus der reichen Bürgerlichkeit gebildet hatte, was aber die Erfinderin gleich zu einer neuen Anstrengung veranlaßte. Diese Rasse des Übergangs, in der sich das Barbarische mit dem Zivilisierten mischte, schien erschöpft und einer Regeneration zu bedürfen, die jedem sein Teil an dem Neuen gab; denn es waren aus den wenigen viele geworden, der Hof war nicht mehr allein. Man verlangte ein gleiches Maß und Aufteilung des Schatzes, und so gab man, was man selber zu halten nicht mehr stark genug war, hin. Wie der Herbststurm die Samenballen der Ulme, so jagte der Barrikadensturm in Paris die fliegende Eskadron der Liebe über das Land hin, in die Klöster, die Schlösser und kleinen Städte der Provinz. Die Frauen aus dieser letzten erregten Zeit sterben jung, wie Blumen, die man ins Freie setzte, da sie doch nur im Treibhaus blühen können bei höchster Temperatur ihres Blutes.