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Die Geisha

Die japanische Braut bekommt kurz vor der Hochzeit von ihrem Bräutigam ein kleines Büchlein geschenkt, dessen Bilder und Text sie über das ihr bevorstehende verliebte Zusammensein mit ihrem Gatten informieren. Alles ist sehr deutlich beschrieben, gezeichnet und koloriert. Auf eine wie mir scheint delikate Weise ist diese Vorbereitung besorgt, die, wie man sagt, bei den europäischen Völkern den Müttern früher nicht geringe Pein und Verlegenheit schuf oder nach einer skeptischeren Meinung geschaffen haben soll. Der im Sexuellen völlig unnaive Europäer kennt und übt das Wegsehen, das Hinnehmen, das Ertragen, das Geschehenlassen, das » es«. Oder er findet sich, mit echter oder gespielter Entrüstung, in Unvermeidlichkeiten. So bei der Prostitution. Dafür, daß er sie dulden muß, rächt er sich mit Verachtung und möglichster Entrechtung der Prostituierten. Was sich auch darin ausdrückt, daß er den sich prostituierenden Mädchen klinische Anomalien wie Infantilismus und moral insanity zuschreibt, um so Abominables wie die Prostitution in ein lediglich plausibles, wissenschaftlich gefärbtes Weltbild zu bringen, das einer gewissen Aufklärung, welche von allzu großer persönlicher Verantwortung erlöst, Rechnung trägt.

Soziologen, immer das Ganze zu sehen und einzukalkulieren bedacht, machen die Bemerkung, daß die die Straße auf und ab patrouillierende Prostituierte der Schutzengel der diese Straße bewohnenden unschuldigen Mädchen sei. Ihre Abwesenheit bedeute schwere Bedrohung dieser Mädchen durch die faunischen Männer, denen sich die Prostituierte gewissermaßen als Kugelfang biete. Ist dem so, so erweist die europäische Gesellschaft diesen Retterinnen und Schützerinnen der Mädchenunschuld sichtbar nur geringen Dank für ihre sozialen Dienste damit, daß sie die Prostituierten unter die erhöhte besondere Fürsorge der Polizei stellt. Es ist eine Auszeichnung mit einem negativen Vorzeichen. Aber es wirken sich eben an diesem Extrem der Prostituierten alle Widersprüche und Verwirrungen aus, welche für das geschlechtliche Leben des christlich-europäischen Sünders charakteristisch sind, und nur für ihn, So sehr nur für ihn, daß, wo immer er sich zu paradiesischen Völkern bringt, als Missionar, Kaufmann oder so, diese Völker an ihm zugrunde gehen und aussterben, wie die Völkerschaften der Indianer und der Südsee.

Der Besitzer eines Teehauses kauft armen Eltern ihre kleine Tochter ab. Kein anderer Weg als der der Armut führt schöne Mädchen in die Yoshiwara, wo sie auf Grund eines meist langwährenden Vertrages aufgenommen wird, um diese Stadt der Liebe nur dann zu verlassen, wenn sich ein Mann findet, der das Mädchen heiraten will und den Teehausbesitzer entschädigt. Denn der Beruf einer japanischen Kurtisane ist nicht, wie der der europäischen, improvisiert. Er wird nicht bloß mit geneigtem Fleische bestritten. Die Geisha hat eine lange und schwierige Lernzeit durchzumachen. Sie muß zu singen verstehen, zu tanzen, Musik zu machen. Sie muß das höchst zeremonialisierte Wesen aller Feste und Zusammenkünfte genau kennen. Wie die Dichtwerke, wie die Kunst des Blumenbindens. Der bis ins Minutiöse ausgebildete Takt japanischen gesellschaftlichen Lebens, den äußerste Diskretion vor der Erstarrung bewahrt – die Geisha muß Meisterin darin sein, denn ihr Beruf schließt ja im Garten der Liebe die Gefahr des Verlustes weit mehr ein als bei einer andern Frau. In dieser Züchtung der Hetäre zu einem geselligen Geschöpf, das der Mann respektiert, drückt sich keinerlei schlechtes Gewissen aus, das gutzumachen sucht was die Brutalitäten der Instinkte schlecht gemacht haben. Auch keinerlei Nächstenliebe, welche das Los der eingesperrten Püppchen verbessern will. Es ist nichts als natürliche Haltung, die den Mann nicht nur nicht dort verachten läßt, wo ihm das zuteil wird, was man die Freuden der Liebe nennt, sondern sehr natürlicher Wunsch, diese Freuden der Liebe dadurch zu steigern, daß sie ihm von einem Wesen gespendet werden, das nicht, wie in Europa die Dirne, vom Mangel jeder Kultur gezeichnet ist, sondern ausgezeichnet durch den Besitz feinster Kultur.

(Wenn sich dies in den letzten Jahrzehnten, wo sich die Japaner amerikanisch modellieren müssen, um sich zu behaupten, dahin geändert hat, daß die Geisha mehr und deutlicher das wird, was überall sonst in christlichen Ländern die Prostituierte ist, wenn der moderne Japaner wie auch seinen sonstigen Vergangenheiten der Yoshiwara seine vorbildliche Aufmerksamkeit entzieht, sich ihrer zu schämen anfängt und sie am liebsten ganz beseitigt sähe, um neben Mr. John und Herrn Schulze in der Würdigkeit eines sittlichen Mannes zu bestehen, dessen Gehaben er nachmacht, um zu bestehen, so ist eben das außer dieser Klammer Stehende als Historie zu lesen.)

Es gibt Zustandsdokumente für das Leben der Geisha in den kleinen Liedern, die sie summt oder zu dem leise zirpenden Klang des Samisen singt in den Stunden, wo sie allein ist und sich sehnt: nach dem Hause der Eltern, nach dem Geliebten, der auf sich warten läßt, nach der Ehe. Diese Liedchen sind, so verlangt es die gute Sitte, außerordentlich verhalten, denn jeder starke Ausbruch eines Gefühles würde für Mangel an Takt und Geschmack gelten. Die suggestive Andeutung durch ein Wort muß genügen. Sie sind eigentlich nur Wort gewordner Seufzer, etwas lauter gewordnes Sinnen. Jeder Besucher ist eine Hoffnung. Daß sie sich erfülle und stärkere Liebe zur Freiheit führe, ist heimlicher Wunsch, der die Geisha veranlaßt, sich so begehrenswert als sie nur kann zu zeigen. Sie dient und wirbt. Keinerlei soziales Vorurteil gibt es, das dem Mädchen das: Vielleicht heiratet er mich verböte. Es kommt ganz auf das Mädchen und den Freund des Augenblickes an, daß die Liebe die Tür öffnet in die Freiheit, wenn sie auch nicht mehr bedeutet als allerbescheidenste eheliche Menage.

Könnte ich leben mit dir, eine Hütte in den Bergen verloren genügte mir! Demütig klaubte ich dürres Holz für dich im Walde, spänne mein Linnen, wüsche die Wäsche im Bach, nähte und flickte, alles das tat ich, mit Liebe. Es gibt viele hundert Liedchen der Geishas, aber in keinem wird eine Anspielung zu merken sein, die der Europäer als obszön bezeichnete. Das äußerste hierin drückt eine Kurtisane von Nagasaki so aus: Für dich, mein Freund, erschloß sich diese Nacht die erste Blüte des Pflaumenbaumes von der Insel Kiusu. Willst du ihre heimlichen Reize kennen, so komm zur dritten Stunde in der Nacht, den Mond besingend. Einige andere dieser Liedchen:

O Angst des Stelldicheins zur Nacht! Er kommt, mein Freund, sehr spät, ich seh ihn am Gartenzaun beim Tor, und zu ihm eil' ich, fern zu sein von bösen Zungen. In meine Hände weine ich, ganz naß von Tränen sind meine Ärmel. Wir plaudern, da ruft der Nachtwächter. Gerade jetzt rufst du, du schlimmer Wächter! Und wie eine Närrin schwatz' ich nun alles durcheinander, Worte ohne Sinn.

Die lange Nacht und Einsamkeit. Ein Baumblatt fällt und streicht an meine Holztür, Ich erwarte einen, es scheint der Mond, und die Grille zirpt. In alten Liebesbriefen blättre ich voll Liedchen, sing sie vor mich hin, für mich allein.

Ist es der Wind? Ist Er es? Mein Herz, in dieser schwarzen Nacht, es weiß nicht. Ich liebe ihn so sehr, daß ich aufspringe beim leisesten Geräusch. Mich zu beruhigen, will ich schlafen. Doch ich kann nicht. Die Liebe ist so.

Mich fröstelt im Frühmorgen. Ein Blatt löst sich vom Baum, fällt lautlos. Ach, Dinge, die man glaubte ...! Gleichgültigkeit? Will er mir übel? Ich hass' den Tag der aufzieht. Denn in dieser Frühe hat mich sein Blick durchschauen und zu Eis gemacht. O, blasser, kühler Morgenmond!

Was ist aus meinen Gedanken geworden, seit ich dich kenne? Ach, vor dir hatt' ich ja keine Gedanken!

Für ein furchtsames Wort, das ich wagte, gab er mir zehn. Die Freude! Kann ich die Freude vergessen? Er sagt, er liebt mich. Eine Lüge? Ich glaube es trotzdem in der Freude meines Herzens. Ah! Ich lebe!

An den Kirschbaum in Blust ist mit dem Zügel ein Pferd gebunden. Bewegt sich das Pferdchen, regnet es Schnee von Blüten. O Schnee von Blüten!

Auf samtenem Fuß trat Mittag in die Stadt. Kein Blatt bewegt sich. Am Glockenseil des Tempels schlummerte ein Schmetterling. Der Traum einer Frühlingsnacht vermannigfaltigt sich und schwingt sich weiter. Seines Leibes Duft schwebt in der Luft. Verschleiert ist der Himmel und mein Auge. Wir sind ein Paar! Blume und Schmetterling sind wir ein Paar!


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