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Die dauernde Sonderehe in allen ihren Varianten ist eine Institution. Innerhalb der Tierwelt leben nur jene Tiere monogyn, deren Lebensdauer so kurz ist, daß sie nur Zeit für einen einzigen Liebesakt gewährt. Das Weibchen des in Freiheit lebenden Säugetieres flieht fast immer das Männchen, von dem es bereits gedeckt wurde; nur Not und Zwang lassen es eine zweite Deckung durch dasselbe Männchen dulden. Das Tier ist, wie die Natur, nur an der Gattung interessiert, nicht an der Varietät. Die Polygynie erhält nur den allgemeinen Typus der Gattung. Die Einehe aber formt Varietäten. Wandelt sich die Polygynie in Monogamie, dann nimmt die Unähnlichkeit der Individuen zu. Die Hündin, welche nur in Zwange der Not sich zweimal vom gleichen Männchen decken läßt, intendiert mit dem Wechsel des Männchens nicht, Individuen zu erzeugen, sondern eben durch ständigen Wechsel des Männchens einen typischen Hund, der alle Verschiedenheiten in sich vereinigt, welche die Hundefamilie aufweist. Die Hündin ist nicht an der Erhaltung der Hunderassen interessiert, sondern an der Erhaltung der Gattung Hund. Alle sexuelle Freiheit begünstigt die Erhaltung eines uniformen Typus. Die Monogynie hält diese Tendenz auf und begünstigt die Verschiedenheit. Die Monogynie des Menschen ist, so schwer er sich auch unter sie als physiologisch nicht gerechtfertigt beugte, die Hauptbedingung seiner Superiorität. Er wird die Monogynie als vorteilhaft in dem Moment hingenommen haben, als er seine Existenz als Gattung hinreichend gesichert erkannte. Mit der Seßhaftigkeit und dem numerischen Wachstum der primitiven Horde, deren Weiterungen zur Sippe, zur Notwendigkeit der Arbeitsteilung, wird das Interesse an der Varietät vorherrschend, und die sie fordernde Ehe der Älteren überläßt den geschlechtlichen Kommunismus der mannbar gewordenen Jugend. Auch das eheliche Leben schließt heimliche oder offene Polygynie nicht aus, aber diese löst nicht nur nicht die Ehe auf, sondern macht sie erträglicher und damit begehrenswerter. Die Sonderehe war eine Neuerung, oft als unerlaubt und naturwidrig empfunden, weil dem Hordeninteresse entgegen. Der Mythus verbindet ihre Einführung oft mit dem Namen eines bestimmten Gesetzgebers. Der Glaube an die Naturwidrigkeit der Ehe hat sich bis auf heute noch da und dort erhalten neben besonderen Bräuchen, die das zum Ausdruck bringen. Wie der Brauch sakraler Prostitution, wenn es gilt, Unglück und Gefahr vom Stamme fernzuhalten. So prostituierten sich einst bei drohender Gefahr die Frauen bei den Lokrern, so tun es heute noch die Frauen mancher australischer Stämme. Den kriegerischen Chewsuren im Kaukasus galt die Dauerehe zwischen Mann und Weib als etwas Schimpfliches. Und von den kriegerischen, also noch hordenmäßig empfindenden spartanischen Ehegatten wissen wir, daß sie sich nur des Nachts und heimlich zu ihren Eheweibern schlichen. Sie verabscheuten auch die Korrektur der Prostitution. Aber da und dort gehört die Braut die erste Nacht allen. Oder einer, der Priester, der Stammeshäuptling, vertritt in dieser Nacht alle andern jungen Männer. Vielleicht ist dies der Loskauf der Einzelehe.
Mit der Einzelehe tritt als deren Ergänzung die Prostitution auf, zunächst wohl in den sakralen Formen von Festen, in denen der Mensch vom Zwange der ehelichen Institution befreit wieder war, was er vorher gewesen: Mensch, das ist nicht-monogynes Wesen.
Die Unnatürlichkeit der Ehe gewann erst durch ihre kulturelle Einordnung so etwas wie eine kultische Bedeutung, zumal durch die kirchliche Sakramentierung, die sich als die einzige legale und sittliche Form der Gcschlechtsbeziehung auszeichnete, weil das über die ehefeindliche Kirche sieghafte Staatsinteresse es so wollte. Mit der Kult-Form der Ehe war eine Kult-Form der Prostitution unvereinbar. Man konnte sie nicht abschaffen, aber sie wurde geächtet. Die Polygynie des Menschen konnte man nicht ändern, aber man konnte sie als sündhaft verwerfen. Man fand sich mit der Prostitution ab, indem man sie duldete. Die Duldung der zeitweiligen Polygynie erkannte man als das sicherste Mittel, das Institut der Ehe und damit die soziale Stabilität zu erhalten. Mit der Auszeichnung der Ehe als größter Annäherung an ein kulturelles Ideal des Glückes adaptierte sich an dieses Ideal die Moral, welche nichts sonst ist als ein Führer zu einem Ideal: sie wechselt mit ihm.
Herodot berichtet, daß sich in Babylonien jedes Weib jedes Standes einmal in ihrem Leben beim Heiligtum der Istar-Madonna niederlassen und sich vom ersten besten Manne, der ihr ein Geldstück zuwarf, begatten lassen mußte. Strabo berichtet fünfhundert Jahre später den gleichen Brauch. Die Gesamtheit der Frauen löste vielleicht da und dort die Tempelmädchen ab, die Gottesbräute, wenn sie nicht unfruchtbar gemacht wurden. Ägypter, Babylonier, Assyrier, Phönizier hatten die Institution der sakralen Prostitution. Auch die Hetiter, die Inder kennen sie. Die Kedeschen der Juden waren Tempelhuren. Die Japaner wie die alten Mexikaner hatten das Institut, nicht die Chinesen. Vor dem 7. Jahrhundert den Griechen unbekannt, ist die sakrale Prostitution von da ab Brauch. Solon stellt die Hierodulen des von ihm gegründeten Tempels der Aphrodite Pandemos unter das Staatsgesetz. Die kultische Form, welche die asiatischen Völker der Prostitution gegeben hatten, konnte, nach Griechenland importiert, diese der homerischen Zeit noch unbekannte Form nicht rein behalten. Sie stieß hier auf andere Formen der Ehe und der staatlich-städtischen Bindung, wohl auch auf andere Formen der Wirtschaft. Vielleicht ist der Tempeldienst der geweihten Mädchen nur eine geregelte, unter äußerlichen religiösen Formen der Weihe vollzogene Art von Bordellierung – es gab ja überall daneben die profane Prostitution der Gassen- und Kneipenmädchen –, verbunden mit einem Unterricht in Tanzen, Musizieren, gutem Ton, Lesen und Schreiben, Dinge, welche der griechischen verheirateten Frau in der Regel unbekannt waren. Die Gattin hatte ja auch keinerlei erotische Funktion, und das Staatsinteresse an der auch von der Knabenliebe bedrohten Ehe verlangte größte Aufmerksamkeit den außerehelichen erotischen Gelegenheiten zu schenken. Zur heimlichen stillschweigenden Duldung und öffentlichen Schmähung der Prostituierten und der durch solche Haltung sich ergebenden Auszeichnung der Gattin fehlte die erst durch das Christentum gegebene Voraussetzung einer Trennung des Seelischen vom Leiblichen und der Begriff einer Liebe, der diese Polaritäten in sich wieder aussöhnend vereinigt. Auch die Knabenliebe war ja immer auch sinnliche Liebe, nie reine Schwärmerei. Das sinnliche Funktionieren war durch keinerlei Sentiments gebrochene naive Betätigung des Lebens. Vorteile oder Nachteile im nachirdischen Leben waren in keiner Weise mit einem diesseits sinnlich oder keusch geführten Leben verbunden. Es gab kein Ideal des geschlechtlichen Lebens, um dessentwillen Opfer zu bringen waren. Es gab also auch keine Geschlechtsmoral. Niemand konnte Anstoß daran nehmen, daß Perikles in zweiter Ehe eine ehemalige Hetäre zur Gattin nahm, die Aspasia. Ein brillanter Geist und ein schöner Leib legitimierten sie dazu. Daß sie den einen wie den andern als Hetäre ausgebildet hatte, war selbstverständlich. Die große Rolle, welche etwa vom sechsten vorchristlichen Jahrhundert ab die Hetäre im griechischen Privatleben gespielt hat, dürfte von der untergeordneten Stellung der verheirateten Frau wesentlich bedingt worden sein. Was und weshalb man heiratete, das entschied weder die leibliche Schönheit noch die besondere geistige Bildung der Erwählten, denn weder das eine noch das andere hatte in der Ehe irgendwelche Bedeutung. Zum Beweise, daß man auch ohne jede erotische Beziehung zur Frau mit ihr Kinder zeugen könne, dazu bedarf es übrigens nicht der Anrufung des Beispieles der Antike. Eine andere als solche Familienbedeutung kam der antiken Ehe nicht zu. Das Vergnügen in jeder Art übernahm in Arbeitsteilung die ihre Gunst verkaufende Frau, von der Dirne des Hafens und der Straße, für die man etliche dreißig Bezeichnungen hatte, bis zu der höchststehenden in Natur und Kunst, der man nur den einen auszeichnenden Namen der Freundin, der Hetäre gab. Wie in der nachfolgenden Zeit bis auf heute waren die Beziehungen des Mannes zu der Freundin keineswegs solche von der kurzen Dauer einer Nacht, meist dauerte die Beziehung zur Hetäre, die als eine gebildete Person ja mehr noch zu geben hatte als bloß ihre körperlichen Reize, länger, wenn auch meist nicht länger, als es die Mittel des Mannes erlaubten. Aber es kam, wie natürlich, nicht selten vor, daß sich in dieser Zeit eine Freundschaft ausbildete, die, von der sinnlichen Passion genährt, schon viele der gefühlsmäßigen Züge der moderneren Liebe zeigt. Athenaios wie Pausanias berichten von der Hetäre Leaina – ihr Kenname Löwin –, daß sie die Geliebte der Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton war, sich für diese ohne zu verraten foltern ließ und dafür später durch ein Denkmal gefeiert wurde. Von einer Freundin des Alkibiades, des Schreckens der braven Athener, berichtet Xenophon in den Memorabilien. Als Alkibiades nach der Einnahme Athens durch Lysander der Regierung der Dreißig nicht vertraute und sich nach Phrygien begab, nahm er seine beiden Freundinnen, Timandra und Theodata mit und lebte mit ihnen in einem Hause im Dorfe Melissa. Lysander erpreßte vom Satrapen Pharnabakes das Zugeständnis, den Alkibiades umzubringen. Der lag, in Frauenkleidern und von Timandra geschminkt und coiffiert, in den Armen der beiden, als Rauch ins Gemach drang. Die Soldaten des Satrapen hatten das Haus angezündet. Alkibiades schlug sich mit vor dem Gesicht gehaltenen Mantel und das Schwert in der Hand durch ins Freie, wo man ihn mit Pfeilen niederstreckte. Die beiden Freundinnen hoben den Leichnam auf, wuschen ihn, legten ihn in Linnen und bestatteten ihn. Nach Plutarch war es Timandra, die das letzte Liebeswerk besorgte. Bei Athenaios war es Theodata. So waren es beide. Und sie blieben beisammen. Der tote Freund und die Gefahr hatten sie vereint. Sie setzten dem Alkibiades ein Grabmal, worauf Strafen standen, die sie nicht scheuten. Athenaios sah noch das marmorne Standbild in dem phrygischen Bauernnest. Diese Theodata wird von Athenaios ihrer schönen Brüste wegen gerühmt. Geist besaß sie nach ihm wenig. Auch Xenophon spricht nur von ihrer leiblichen Schönheit und machte den Sokrates auf sie neugierig, so daß der sie bei einem Maler aufsuchte, dem sie gerade Modell stand. Ihre Mutter saß neben ihr, nett und anständig von der Tochter angezogen, und es gab auch Dienerinnen. Sokrates fragt sie, wovon sie ihren Lebensunterhalt bestreite, und das Kind antwortet mit großer Einfachheit: Wenn ich einen Freund finde, der nett sein will, davon lebe ich. Sokrates gab ihr nach seiner Gewohnheit, die ihm die Athener so verübelten, gute Lehren, wie sie es anstellen müsse, zu einem solchen Freunde zu kommen, denn die flögen nicht so herbei wie die Fliegen, man müsse Netze stellen, sich verweigern, um sich begehrt zu machen, und ihnen Hunger geben, damit sie nicht auslassen. Was denn für Netze und Hunger? fragte die Hetäre, die nicht verstand und glaubte, Sokrates wolle ihr helfen, Freunde zu finden. Sie bat ihn darum. Und Sokrates führte eine seiner dialektischen Foppereien auf, ohne daß das Mädchen es merkte.
Die Hetären haben ihre Dichter und Historiker, ihre Maler und Bildhauer, auch ihre Altäre und Tempel gehabt. Was die Literaten und Historiker betrifft, so werden nicht wenige darunter gewesen sein, die verärgert über zu hoch hängende Trauben gewesen waren. Die Aspasia war nicht für kleine Federfuchser zu haben. Auch Enttäuschte und Betrogene werden darunter sein. Vielleicht auch Ehemänner, denen das Ganze nicht paßte. Sicher aber auch amüsierte Zuschauer und Freunde. Manche verraten ihre Voreingenommenheit selber. So der komische Theaterstückschreiber Anaxilas. Dieser Anaxilas nennt die Sinope die Hydra, Gnathaina die Pest, Phryne Charybdis und Nannion Szylla. Alle seien sie alte Vetteln und sähen aus wie gerupfte, enthaarte Sirenen. Athenaios ist liebenswürdiger als dieser Anaxilos, dem großes Alter und kleines Einkommen Freuden versagten, wofür er sich auf seine Skribentenweise rächt. Der herumhorchende und alles lesende Athenaios erzählt die ihm oft nacherzählte Geschichte von der goldenen Kette. Ein junger Mann aus Kolophon begehrte die Milesierin Plangion und wollte für sie seine Geliebte Bacchis aus Samos verlassen. Aber Plangion sah, wie schön Bacchis war, und wollte von dem Kolophoner nichts wissen. Sie hatte Korpsgeist. Der Mann wollte aber nicht abstehen. Da forderte Plangion als Preis für ihre Gunst eine goldene Kette, die sehr berühmt war und der Bacchis gehörte. Der Mann glaubte, Bacchis würde ihn nicht an seiner Liebe sterben sehen wollen; er verlangte die Kette und bekam sie auch, denn Bacchis konnte ihn nicht leiden sehen. Als die Plangion gerührt erkannte, daß Bacchis nicht eifersüchtig, gab sie ihr die Kette zurück und nahm den Kolophoner in ihre Arme. Von da ab wurden die beiden Mädchen Freundinnen und hatten ihren Freund gemeinsam.
Vielleicht trat um diese Zeit schon etwas wie ein Verfall des Hetärentumes ein, was ihre große Popularität vermuten läßt. Sie werden Heldinnen vieler Komödien. Man spielte eine Korianno, eine Thais, eine Phanion, eine Opora. Pherekrates, Menander, Alexis und viele andere sind die Autoren. Später kam dann der Sykionier Machon, Theaterdirektor in Alexandrien, und verfaßte über die Hetären Versgeschichten. Seinem Schüler, dem Grammatiker Aristoteles aus Byzanz, gab er den Auftrag, eine Geschichte der Hetären abzufassen. Das verkaufte sich gut an der Theaterkasse. Dieser Grammatiker erzählte hundertundfünfunddreißig Hetärenleben. Das ist eine geringe Zahl. Aber Apollodoros, Ammonios, Antiphanes und Georgias nennen viel mehr Hetärennamen und sagen zudem, daß sie die meisten vergessen hätten. Aber Machon und sein Schüler hätten noch weit mehr vergessen, zum Beispiel die Paroinos, die so viel getrunken hätte. Ferner die Euphrosyne und Theokleia, die Nelke genannt, und Synoris, die Laterne, und die Große, und die Lampe, und das Schweigen, und das Wunderchen, und die Haarlocke. Von Antiphanes erfährt man, daß Nannion den Spitznamen Vorhang bekommen habe, weil sie wohl die schönsten ägyptischen Kleider, mit Goldkörnern überstickt, getragen habe und auch erlesenen Schmuck, aber entkleidet recht häßlich gewesen wäre. Diese Mädchen zeigen manchmal ein gutes Herz, immer ein flinkes Mundwerk. Entweder sind die Hetären von ihrer ehemaligen Höhe herabgestiegen, oder es ist, was von Geist und Bedeutung der Aspasia, der Lais, der Phryne im Umlauf war, mehr dem Umstande zuzuschreiben, daß sie die Freundinnen hervorragender Männer waren, wie Perikles, Aristip, Hypereides, Demosthenes. Epikrates erzählt in seiner Anti-Lais von der Lais als einem alten Weibe, das den Trunk liebte und vor Neid platzte. Auch die Phryne soll nach Timokles schon recht bei Jahren gewesen sein, als sie vor dem Richter stand und sich vom verzweifelnden Anwalt dekolletieren ließ. Aber ein Scholiast des Plutus und Athenaios erzählt hinwiederum, daß die Lais jung und schön war, als sie den tragischen Tod erlitt. Sie fand Gefallen an einem gewissen Eurylokos, der sie nach Thessalien mitnahm. Die thessalischen Weiber wurden eifersüchtig, denn sie verdrehte den Ehemännern den Kopf. In Scharen brachten diese an ihrer Tür das Weinopfer. Da stürzten sich an einem Festtage der Aphrodite, wo die Männer keinen Zutritt zum Heiligtum hatten, die Weiber über die Lais und erschlugen sie mit den hölzernen Kirchenstühlen. Das war dieselbe Lais, die in Korinth den Dienst der Hierodulen eingeführt haben soll. Die Deutung hat etwas für sich, daß die Einschaltung der Freudenmädchen in den Tempeldienst und die Verleihung einer göttlichen Weihe dazu geschah, um die Mädchen, und damit auch die Männer, vor den Ehefrauen zu schützen. Thessalien war weit von Korinth, und so weit reichte der Schutz nicht. Dem Demosthenes war der von einer andern, älteren Lais verlangte Preis von achttausend Goldmark zu teuer; er wolle, wie er sagte, die Reue nicht so teuer erkaufen. Diese Lais war sehr schön und sehr habsüchtig. Die jüngere, die erschlagen wurde, war nur schön.
Was den Witz der Hetären betrifft, so ist er natürlich aus ihrem beruflichen Leben genommen, und diese oft sehr unverblümten Aussprüche dürfen nicht auf Unbildung schließen lassen oder auf Mangel an vortrefflichen gesellschaftlichen Formen. Von all dem dürften die Hetären sehr viel besessen haben, und die ehelichen Frauen haben sich im Laufe der Zeit wohl an ihnen gebildet. Die Hetäre hat sicher nicht wenig dazu beigetragen, daß die eheliche Frau sich von der großen Enge ihres Daseins emanzipierte. Zumal man ja als Hetäre selbst Königin werden konnte, wie jene Thais, von Menander aufs Theater gebracht, aus den Händen Alexanders in die des ersten Ptolomaios von Ägypten kam, der sie heiratete und zur Königin machte.
Niko, die man Aix, die Ziege, nannte, weil sie einen Kaufmann namens Thallos, das ist Zweig, kahlgefressen hatte, war wegen der Schönheit ihres Rückens berühmt. Der junge Demophon, der Geliebte des Sophokles, bekam Lust, auf seine Weise sich an einer Frau zu erfreuen. Niko war einverstanden und sagte: Dann kannst du ja das, was du von mir bekommst, an Sophokles weitergeben.
Rom hatte wohl die sakrale Institution der Floralien und Venusfeste, bei denen nur Tempeldirnen wirkten, schon in früher Zeit. Aber die robusten Weltstädter, Kriegführer und Finanzleute brachten ihre Prostitution nicht zur Blüte der Hetären. Dafür fehlte ihnen sowohl die Zeit wie der Geschmack. Rom und Athen (oder Korinth, um die üppigere Stadt zu nennen) glichen in dieser Sache dem Gegensatz zwischen zwei modernen europäischen Großstädten, deren eine nur die Prostituierte kennt, braucht und verachtet, die andere ein freundliches gesellschaftliches Interesse jenen Frauen dieses Berufes nicht versagt, welche sich durch Geschmack, Geist und gute Manieren auszeichnen. Dort liebt man die spartanische Geste, hier die athenische.