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In Port Moresby beschloß ich, nun den Osten Neuguineas zu besuchen, dessen Küste von melanesischen Volksstämmen bewohnt ist. Wenn man »melanesische Stämme« sagt, könnte man meinen, es handle sich hier um eine einheitliche Kultur. Doch der Name trügt. »Melas«, zu deutsch schwarz, nannte man ursprünglich nicht die Eingeborenen, sondern die dichtbewaldeten Inseln, die den ersten Seefahrern aus der Ferne schwarz erschienen waren. Heute versteht man darunter die Völkergruppen, die, von Westen und Nordwesten kommend, die Papua im Verlauf zahlloser erbitterter Kämpfe überall von den Küsten und kleinen Inseln verdrängten. Melanesier sind ausgezeichnete Seefahrer, große, sehr schöne Menschen; sie kamen in Booten daher, als die Landbrücke gegen Asien hin längst in den Fluten des Meeres versunken war.
Zwischen Port Moresby und Samarai, der großen Station an der Ostspitze von Neuguinea, sind die Motu ebenso wie die Bewohner der Insel Mailu besonders typische Vertreter dieser Völker, die sich zwar sprachlich und kulturell wesentlich voneinander unterscheiden, die aber alle eine ausgeprägte Kunst, besonders entwickelten Hausbau und ein hochstehendes Gewerbe besitzen.
Ich fuhr zuerst auf die Insel Mailu. Die Eingeborenen haben noch ihre alte Volkskultur erhalten, und ich fand ein reiches Arbeitsfeld.
Ich nahm die Grundrisse der eigenartigen Häuser auf, machte Blitzlichtaufnahmen im Innern, photographierte die Töpferei, zeichnete geschnitzte Pfosten und Hausrat ab und beschäftigte mich längere Zeit mit den wunderbaren Fahrzeugen, die der Wissenschaft unter dem Namen »Lakatoi« bekannt sind. Auch einen der berühmten Tänze der Eingeborenen erlebte ich hier, doch unterlasse ich eine eingehende Schilderung desselben, da ich annehme, daß meine Bilder die Schönheit des Tanzes und die Vitalität dieses glücklichen Volkes besser wiedergeben, als es meine Feder imstande wäre.
Glücklich schien mir diese Insel in der Tat. Wie strahlte sie am Abend in den grellen Farben des Sonnenuntergangs! Nur die bizarren holzgeschnitzten Vögel an der Außenfront der Häuser warfen tiefblaue Schatten, und die dunklen Gestalten der spielenden Kinder erschienen wie mit Gold übergossen. Dazu gesellte sich das leise, behagliche Geraune der Frauen, die bis spät in die Nacht an ihren Tongefäßen saßen, die sie ohne Töpferscheibe in angeborener Kunstfertigkeit formten. Inmitten dieses Friedens überkam mich ein so starkes Gefühl des Wohlbehagens und Genießens, wie ich es nur selten in meinem Leben empfunden hatte.
Ich mietete eines der nach uralten Erfahrungen erbauten Fahrzeuge, um damit die Küste entlang bis Port Moresby zu fahren und auf dem Wege dahin an beliebigen Stellen an Land zu gehen.
Ich verpackte meine kostbaren Apparate in Gummisäcken und band sie und mein ganzes Gepäck am Mast fest. Bald jagte uns ein schwerer Südost inmitten des schäumenden Meeres vor sich her. Wie eine riesige Hummerschere ragte das zweizackige Mattensegel zum Himmel empor. Die beiden mit Wellenbrechern versehenen Einbäume waren durch eine Plattform miteinander verbunden. Doch trotz seiner scheinbaren Gebrechlichkeit erreichte unser Fahrzeug bei Raumschot oder Achterkurs die Geschwindigkeit eines Dampfers und übertraf eine Reihe europäischer Motorsegler weit an Seetüchtigkeit. Ein schäumender Überbrecher nach dem anderen jagte über uns hinweg, und der Wind legte sich in die Segel, daß der stark belastete Mast, aus dem Stamme eines Urwaldriesen geschnitten, stöhnte und ächzte. Doch er hielt stand.
Mein Kapitän war ein echtes Kind der Insel Mailu. Seine prächtige ebenmäßig gebaute Erscheinung wirkte erfreulich, das stete Lächeln auf seinen Lippen war sorglos heiter. Er hatte den Gesichtsausdruck des zufriedenen Kindes, den man bei Eingeborenen, die wenig Umgang mit Weißen haben, so häufig antrifft. Außer ihm waren noch sieben Mann an Bord und ich mit meinen zwei Boys. Da riß auf einmal die Großschot, das Segel killte und drohte von den Böen in Fetzen gerissen zu werden. Doch die vier halbwüchsigen Burschen waren trotz ihrer Jugend erprobte Segler. Mit affenartiger Geschwindigkeit erkletterten sie den Großbaum des schwer schlingernden Schiffes und behoben in schwindelnder Höhe den Schaden.
Das Manövrieren war durchaus nicht leicht. Beim Wenden mußte stets das ganze Boot um 180 Grad gedreht werden, so daß das frühere Heck zum Bug wurde, und auch das schwere und mächtige Steuer mußte zu diesem Zweck nach der anderen Seite des Fahrzeuges gebracht werden. Wenn man sah, wie die Burschen mit Anspannung aller Kräfte das Steuer schleppten und dabei auf den schmalen Planken balancierten, konnte man kaum verstehen, daß keiner ins Wasser fiel. Das Steuern an und für sich erforderte enorme Kräfte und akrobatische Geschicklichkeit. Stand doch der Steuermann mit dem einen Bein auf dem Kanu, mit dem anderen auf dem schwankenden Steuer, während er dieses mit Hilfe eines Holzprügels auch mit den Armen festhalten mußte. So hieß es Tag und Nacht auf dem Steuer stehen. Als der Wind noch mehr auffrischte, stellten sich noch zwei Burschen darauf.
Auf einem der beiden Feuerplätze, die fürsorglich vorn und hinten auf der Plattform eingebaut waren, kochte ein Schiffer inzwischen in großen, runden Tontöpfen unser Mittagessen. Eine alte Matte hielt er schützend vor das glimmende Holzfeuer.
Doch der Wind wurde immer stärker, es mußte gerefft werden, keine leichte Sache bei so hohem Seegang. Es wurde abgetakelt, der untere Teil der Madelung gelöst und ein Teil des unteren Segels zusammengefaltet, um so die Segelfläche zu verkleinern. Doch noch immer stöhnten Mast und Takelage, die der Kapitän besorgt betrachtete. Dann gab er kurz Befehl, das Sturmsegel zu setzen. Wieder wurde abgetakelt, die Madelung gelöst und nur ein Zipfel des Mattensegels wieder hochgezogen. Der Großbaum trat überhaupt nicht in Verwendung.
Obwohl uns hierbei einige schwere Überbrecher völlig durchnäßten, arbeiteten alle ruhig und voll Eifer. Als die beiden Einbäume sich mit Wasser zu füllen begannen, sprangen zwei Burschen behend hinein und schöpften sie mit einem Gefäß aus gefalteter Baumrinde aus. Zwei andere setzten sich achtern auf den Bug und wehrten so mit ihren Körpern das Eindringen des Meerwassers ab.
Ich bin ein alter Segler, und mit den verschiedensten Fahrzeugen der Welt versuchte ich mein Glück, doch mit so naturgegebenen, einfachen Mitteln hatte ich noch niemals das Meer durchkreuzt. Nicht der geringste Gegenstand an Bord war europäisches Erzeugnis. Von den mächtigen Einbäumen bis zu dem aus vielen Palmblättermattenstreifen zusammengenähten Segel, von den Wanten aus biegsamem Rohr bis zu den Schoten aus Palmfasern war alles von den Eingeborenen selbst hergestellt.
Als ich dies Fahrzeug dem starken, böigen Winde, dem schweren Seegang trotzen sah, begann ich zu verstehen, wie einst die Vorfahren dieser seetüchtigen Burschen, diese Wikinger der Südsee, mit solchen Booten die Inseln des Stillen Ozeans besiedeln konnten.
Mit welcher Umsicht umschifften wir an den Küsten jedes Riff und verlangsamten an gefährlichen Stellen die Geschwindigkeit, indem der Kapitän das Segel killen ließ! Äußerste Vorsicht war geboten, denn ein Auffahren bei solcher Geschwindigkeit hätte unweigerlich die großen Kanus aus Holz zerschmettert. Zeitweise verengte sich die Passage durch die Riffe derart, daß ich sie erst wahrnahm, als wir schon mit tödlicher Sicherheit hindurchfuhren. Diese Menschen schienen jeden Stein des Meeresgrundes zu kennen, jeden Hauch, der das Wasser kräuselte, zu ihrem Vorteil zu nützen.
In einer ruhigeren Stunde fing ich mit Hilfe eines meiner Boys ein Gespräch mit dem Kapitän an. »Ja, die Mailuleute kennen allerdings das Meer und die Küsten sehr genau. Sind sie doch seit uralter Zeit gezwungen, Seehandel zu treiben. Die Insel Mailu ist trocken und steinig, und es ist nicht möglich, Gärten anzulegen. Das Festland aber ist weit. Vom Fischen allein und dem Ertrag der wenigen Kokospalmen können die fünfhundert Einwohner nicht leben.« Und womit treiben sie Handel, fragte ich den Alten. Mit allem und jedem, hieß es, vor allem aber mit Tontöpfen, die die Frauen auf Mailu so kunstvoll zu erzeugen verstehen. Doch geben die geizigen Festlandbewohner für einen Tontopf nur ein winziges Häufchen Yamsknollen her. Sie handeln auch mit selbstgemachten Armringen, mit Muscheln, Schweinen und Hunden und erhalten dafür Lebensmittel. Und wenn in der Nähe keine Geschäfte zu machen sind, dann müssen sie ihre Fahrten ausdehnen. Viele Monate sind die Männer oft unterwegs. Zur Zeit des Südostwindes geht die Fahrt nach Westen, zur Zeit des Nordwest nach Osten. So segeln diese kühnen Seefahrer auch heute noch um ganz Neuguinea herum.
Unsere Abfahrt von Mailu hatte sich um mehrere Stunden verzögert, da im letzten Augenblick noch einige Ausbesserungen am Schiff nötig waren. So kamen wir in die Nacht hinein. Es war der 27. Juni, wir hatten am 23. Vollmond gehabt, nun legte sich die Nacht tiefschwarz um uns. Doch auch in dieser Finsternis, ohne Lampen und Scheinwerfer, stellten die erprobten Seefahrer ihren Mann.
Blauschwarz rollte das Meer. Ich konnte von meinem Platz aus nicht einmal das Gesicht des Steuermanns unterscheiden. Der Wind hatte nur wenig abgeflaut, und die Schaumkämme der hochgehenden See leuchteten aus dem Dunkel hervor. Ich beugte mich über Bord und sah, wie die Einbäume das Wasser durchpflügten, und ihre Bahn erglänzte wie flüssiges Gold. Meerleuchten begleitete uns.
Das starke, doch gleichmäßige Schwanken des Bootes wiegte mich in einen wohligen Halbschlaf, doch entging mir nichts, was sich um mich abspielte. Leise wie ein Wiegenlied ertönte der melodische Gesang der Mannschaft, die sich auf diese Weise wach hielt. Uralte Schifferlieder klangen in die Nacht hinaus, während die schwarzen Augen sich bemühten, das Dunkel der Nacht zu durchdringen.
Diese Schiffer der Südsee haben noch nicht wie wir Zivilisierte den geheimnisvollen Orientierungssinn verloren, den die Mutter Natur ihren Kindern gegeben hat, der die Taube ihren Weg, die Biene ihren Stock finden läßt. Diese Menschen sind imstande, ohne Kompaß und Karte, ohne Leuchttürme und Seezeichen, selbst ohne die Küste zu sehen, ja ich möchte fast sagen, ohne Hilfe ihrer Augen, den Weg durch das drohende Riff zu finden.
Ganz selten gab der Kapitän Befehle in einer fremden, klangvollen Sprache. Fremd und klangvoll und voll Frieden war alles um mich, während wir durch das Wasser glitten. Konnte es sein, daß dieses blauschwarz schimmernde Meer eben jetzt von modernen Ozeanriesen, deren Maschinen dampfen und deren Passagiere sich im grellen Schein elektrischer Lichter vergnügen, durchkreuzt wurde? Die Wahrheit erschien mir als Hirngespinst, der Traum war Wirklichkeit. Mich dünkte, es gebe nur diese Einbäume mit dem Mattensegel, das mit Palmbast genäht ist und wie eine riesige Hummerschere gegen den Himmel ragt. Weit fort war mir die Gegenwart entschwunden.