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Ein Kriegsboot auf Jungfernfahrt

Es besteht kein Zweifel, wir Kulturmenschen haben Verbundenheit mit der Natur verloren. Wir führen zwar das Wort »Natur« unaufhörlich im Munde, wir lieben das, was wir uns darunter vorstellen, sehnen uns danach und bewundern es. Doch gerade dies ist ein Zeichen dafür, daß wir den Zusammenhang mit der Natur verloren haben. Sie ist uns ein Mittel zur Zerstreuung und Erholung geworden – nichts weiter. Was wissen wir von ihr? Von ihrer freigebigen Milde, von ihrer Grausamkeit und Härte? Wir lieben das Meer und glauben es zu kennen, wenn wir in sanften Brandungswellen badeten und es auf sicheren Schiffen durchkreuzten.

Die Eingeborenen aber haben kein Wort für Natur. Für sie gibt es nur Himmel und Erde, Wasser, Luft und Feuer, Tiere und Menschen. Inmitten dieser Dinge leben sie und kämpfen, um leben zu können.

Meine Inselmenschen, die Leute von Owa Raha und den vielen anderen Inseln, die kennen das Meer. Sie wissen, daß es stärker ist als der Mensch, gefährlich und unergründlich. Es gibt nur ein Mittel, das Meer zu überwinden, und das ist der Glaube. Was für uns eiserne Schiffsleiber und keuchende Maschinen sind, denen wir uns anvertrauen, sind für die Eingeborenen die Geister des Meeres, in deren Macht es steht, die Menschen zu vernichten oder zu schonen.

Wie könnten sie sich auch sonst mit ihren kleinen, schwachen Booten auf die gierigen Wogen des Ozeans wagen? Sie opfern den Meeresgeistern Betelnüsse und andere Früchte der Erde, um sie sanft und gnädig zu stimmen. Dann rudern sie los.

Aber auch die Boote selbst müssen den Geistern gefallen, müssen nach ihren Wünschen hergestellt werden, sollen sie seetüchtig sein. Der Bau eines guten Kriegsbootes ist ein großes, heiliges Ereignis, an dem alle Menschen des Dorfes Anteil nehmen. Zahllos sind die Feste und Opfer, welche Ahnen und Seegeister zur Unterstützung des Werkes veranlassen sollen.

Ein Jahr lang dauert der Bau. Es ist eine mühevolle Arbeit, mit den primitiven Arten, Planken aus den mächtigen Baumstämmen zu hauen. Span an Span wird von beiden Seiten aus einem Stamm gehackt, bis endlich ein dünnes Brett bereitliegt. Nachdem die Planken mit Korallengestein und Kokosnußfasern glattgeschliffen wurden, werden sie zusammengepaßt und provisorisch mit Rotangfasern aneinandergebunden. Dieser halbfertige Rumpf des Bootes wird nun an den Strand getragen und soll hier abgedichtet werden. Knaben und Männer haben inzwischen eine Menge »Buru«-Nüsse gesammelt, entschält, die Kerne an dem rauhen Korallengestein zerrieben und die Nüsse zu einem klebrigen Teig geknetet. Nur einige erfahrene Männer dürfen damit die Fugen des Bootes dichten. Sechs Monate dauert es, bis diese Masse wie Stein erhärtet ist, dann aber können die Stricke gelöst werden, und die Planken halten so fest aneinander, daß weder Schrauben noch Nieten es besser vermögen. Nun erst werden die aus natürlich gebogenem Holz geschnittenen Querrippen eingefügt, zwei feste Stangen an der Innenseite der Längswände angebunden und die Sitzbretter daran befestigt.

In ähnlicher Weise wie der Rumpf des Bootes wird auch der säbelförmige gekrümmte Bug und das Heck hergestellt. Die mächtigen Schnäbel werden über und über mit Schnitzereien verziert und bemalt, bis man sie, ebenfalls abgedichtet, an den Rumpf befestigt. Das ganze riesige Boot wird schließlich mit zweierlei Muschelschalen eingelegt, die in tatsächlich wunderbaren Ornamentenreihen glitzern.

Die Arbeit, die Opfer und Beschwörungen, die rituellen Feste nehmen groß und klein monatelang in Anspruch, und alle Sorgfalt und Geschicklichkeit, aller Kunstsinn der Eingeborenen werden darauf verwendet.

Während der ganzen Dauer der Herstellung und auch später muß ein Gebot strengstens befolgt werden: niemals darf eine Frau oder ein Mädchen das Boot berühren. Ein solches Unterfangen würde die Schutzgeister des Bootes in nicht wieder gutzumachender Weise beleidigen.

Steht nun das riesige Boot in voller Vollendung am Strande, so ist es noch nicht klar zur Jungfernfahrt. Es muß erst geweiht und ebenso wie die jungen Männer in den Stamm aufgenommen werden. Dies geschieht, indem seine Bemannung auf der allerersten Fahrt einen Menschen tötet. Es ist nicht nötig, daß das Blut des Opfers mit dem Boot in Berührung kommt, die Tatsache allein genügt.

Dann erst begibt sich das Boot auf seine erste Wanderfahrt, die sozusagen diplomatischen Zwecken dient. Viele befreundete Dörfer auf fernen Inseln werden besucht, und die Freundschaft mit mächtigen Häuptlingen wird erneuert. Während ich auf Owa Raha weilte, erlebte ich die Ankunft eines herrlichen Bootes, das sich eben auf seiner ersten Fahrt befand. Der feierliche Empfang ist eine alte Sitte, die sich nur mehr in einem kleinen Teil Melanesiens erhalten hat.

Eines Morgens erschien das fremde Kriegsboot am Horizont. Da die Eingeborenen im ersten Augenblick nicht wußten, ob es sich um einen Freundschaftsbesuch oder um einen Überfall handelte, bliesen sie in ihre Muschelhörner und alarmierten die ganze Insel. Von allen Seiten eilten die Krieger herbei und rüsteten sich für alle Fälle zum Kampf. Sie trugen die Waffen herbei und bemalten ihre dunklen Körper mit weißer Kriegsbemalung. Der Kriegshäuptling ergriff das Kommando, und auf seinen Befehl versteckten sich die Krieger hinter den Palmen am Strande.

Langsam kam das fremde Kanu heran. An den Paddeln saßen junge Krieger, am Bug Häuptling und Priester. Der Priester saß mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, das Gesicht den Ruderern zugewendet, um ihnen ins Antlitz schauen und Mut zusprechen zu können. Der Häuptling aber, mit dem Rücken gegen den Priester, sah nach dem Feinde aus, trug doch er die Verantwortung für das Gelingen der Fahrt.

Noch bevor das Kanu das Ufer erreichte, senkten die Ruderer ihre Paddeln, und der Mwane Apuna opferte eine Betelnuß. Da begann das Boot plötzlich zu schwanken, das Zeichen, daß am Lande kein Hinterhalt drohte und man eine Landung ruhig wagen konnte.

Doch nun trat Wasia, der Häuptling der am Strande versteckten Krieger, auf das Boot zu. Er hatte schon lange erkannt, daß es sich nicht um einen Überfall, sondern um einen Freundschaftsbesuch handelte und überreichte den Ankömmlingen vier Faden rotes Muschelgeld als Willkommengeschenk. Gleichzeitig stürmten die Krieger aus ihren Verstecken hervor, um durch einen Scheinangriff die Gäste einzuschüchtern. Sie hatten aber wenig Erfolg, denn durch die Übergabe des Muschelgeldes hatten die Krieger des fremden Kanus bereits die Erlaubnis erhalten, an Land zu gehen. Sie beachteten den Angriff gar nicht, sprangen über Bord und hoben jauchzend das schwere Plankenboot aus dem Wasser. Dann hielten sie es hoch, warfen es mehrmals in die Luft, um ihre Kräfte zu zeigen, und zogen es endlich an den Strand.

Nun schritt die Mannschaft, mit Häuptling und Priester an der Spitze, zum heiligen Kanuhaus des Dorfes. Sie setzten sich im Kreise auf die Erde, und der Priester der Gäste brachte den Ahnen der Dorfbewohner ein Muschelgeld als Opfer dar. Dann schritt er speerschwingend auf und ab und pries seine Gastgeber. »Weit übers Meer geht der Ruf der tapferen Mannen von Owa Raha. Nirgends auf unseren Inseln gibt es einen so mutigen und freigebigen Häuptling wie hier. Wir haben uns entschlossen, euch, Brüder, unsere Freundschaft zu bezeigen und haben uns daher aufgemacht, um euch zu besuchen.«

Der Häuptling von Owa Raha hörte geschmeichelt das Lob. Kaum hatte der Gast seine wohlgesetzte Rede beendet, trat er seinerseits vor und antwortete in geziemender Weise. Dann verteilten sich die Gäste. Viele hatten Klangenossen, andere Freunde auf der Insel, und alle unterhielten sich gut. Üppige Festmähler, Tänze und schöne Mädchen halfen den fremden Kriegern den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Viele Tage vergingen, bis das alte Freundschaftsbündnis auf diese Weise neu besiegelt worden war und sich das Kanu auf den Heimweg machte, begleitet von den Glückwünschen der Einwohner von Owa Raha.

Wenige Tage nach der Abfahrt der Gäste erhielten wir die Nachricht, daß das herrliche neue Kanu zerstört worden war. Dies hatte sich folgendermaßen zugetragen. Man lagerte auf der Rückfahrt am Strande der Insel San Christoval und band das heilige Boot im Schatten eines alten Baumes fest, um es vor der austrocknenden Wirkung der heißen Sonnenstrahlen zu schützen. Da brach rasch und unvermittelt, wie so oft in diesen Teilen der Südsee, ein schweres Unwetter herein. Der mächtige Baum stürzte um und zerschmetterte das kostbare Boot, das so viel Arbeit und Opfer gekostet hatte.

Sicher hatten sich die Gaste etwas zuschulden kommen lassen. Vielleicht auch war mit den Opfergaben zu sehr gespart worden, oder hatte sich gar eines der schönen Mädchen vergessen und war dem heiligen Boot zu nahe gekommen? Auch an meinem Zauberkasten könnten die Geister Anstoß genommen haben – jedenfalls stand eines fest, sie waren beleidigt worden und hatten die Menschen bestraft.


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