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Da ich an Malariaanfällen zu leiden hatte und mir zum Überfluß noch eine Frambösie, eine der gefährlichsten und langwierigsten Tropenkrankheiten, zugezogen hatte, entschloß ich mich, so rasch wie möglich nach Australien zurückzukehren.
Nach einer wahnsinnigen Hetzjagd erreichte ich glücklich im letzten Augenblick noch den australischen Dampfer, der die einzige Verbindung zwischen Sydney und den Regierungsstationen der Salomoninseln bildet.
Er war komfortabel eingerichtet, und ich erholte mich langsam. An Bord befanden sich eine Menge Touristen, »Roundtrippeople«, wie die Schiffsoffiziere sie verächtlich nannten. Sie hatten eine der »dreiwöchigen Rundfahrten um die Salomoninseln« hinter sich, wie sie von der australischen Schiffahrtsgesellschaft veranstaltet werden, um den Passagieren »echte wilde Kannibalen« zu zeigen. Ich fragte die braven Leute, wie sie mit ihrer Fahrt zufrieden seien, denn es war mir genau bekannt, daß diese Touristen nichts anderes zu sehen bekamen als Plantagen, und so lautete die Antwort: »Oh, wir haben genug Kokosnüsse gesehen …!« Andere wieder schwärmten unentwegt von den herrlichen Farben der Südsee, den Sonnenuntergängen und anderem mehr. Doch »echte wilde Kannibalen« hatten sie zu ihrem Leidwesen nicht angetroffen.
Obwohl nun die Schiffahrtsgesellschaften das Publikum auffordern, die »gesunden« Salomonen zu besuchen, waren doch vier von ihnen ernstlich an Malaria erkrankt. Es wäre besser, wenn die Gesellschaften außer ihren irreführenden Prospekten Merkblätter für Chininprophylaxe auf den Dampfern verteilen würden, sie würden wesentlich weniger Menschen in Gefahr bringen!
Eines Abends landeten wir vor der Plantage Jandina. Sie gehört der Malaitakompagnie und ist angeblich die drittgrößte Kopraplantage der Welt. Doch an Bord interessierte sich niemand mehr für Plantagen! Nach dem Abendessen saßen wir auf Deck, während die Arbeiter der Kompagnie fieberhaft mit dem Verladen beschäftigt waren. Plötzlich ertönte gellendes Kriegsgeschrei, wie es mir von den Tänzen auf Owa Raha so gut bekannt war. Als ich mich umwandte, sah ich einige Eingeborene mit schweren Holzstücken wie mit Keulen aufeinander losschlagen. Einer stürzte verwundet zu Boden, andere tobten in dichtem Handgemenge. Von der Plantage eilten Eingeborene mit allerlei improvisierten Waffen herbei. Hatte die Schiffahrtsgesellschaft tatsächlich ein » cannibalsfighting« für das Roundtrippeople inszeniert? Anfangs hielt ich dies für möglich, doch da stürzte der Zahlmeister unseres Schiffes zwischen die Kämpfenden, um sie zu trennen. Im nächsten Augenblick sank er mit einer klaffenden Kopfwunde zu Boden. Dies konnte doch kaum im Programm enthalten sein.
Mit Aufbietung aller Machtmittel gelang es schließlich, dem Kampfe Einhalt zu gebieten, doch mehrere Verwundete blieben auf dem Platze zurück. Unter den Passagieren herrschte große Aufregung, die abenteuerlichsten Gerüchte gingen von Mund zu Mund. Es hieß, daß auf der Hinfahrt einige Burschen der Schiffsmannschaft die Arbeiter der Plantagen als faule Kerle verspottet hätten und diese sich nun durch den Überfall rächen wollten.
Gore, mein Bursche, wußte es besser. Seiner Meinung nach hatten wir die Fortsetzung einer uralten Blutfehde erlebt, die vor Jahren auf der Insel Malaita zwischen dem Tobayastamm, welchem auch Gore angehörte, und den Angehörigen des Koyostammes entstanden war. Da sich an Bord des Dampfers Tobayaleute befanden, die Arbeiter auf der Plantage zumeist zu den Koyo gehörten, hätte der Zwischenfall leicht zu einer Katastrophe führen können.
Als die Schreckensnacht vorüber war und unser Schiff wieder inmitten des weiten Ozeans schwamm, sprachen die Passagiere mit heller Begeisterung von dem Überfall. Sie waren überzeugt, nun doch noch »echte wilde Kannibalen« gesehen zu haben.
Allabendlich wurde im Salon Musik getrieben. Die Schiffahrtsgesellschaft hatte eine Klavierspielerin und eine Violinistin aufgenommen, um den Passagieren die Zeit zu vertreiben. Ein löbliches Beginnen. Daß die Violinspielerin aber greulich falsch spielte, tat nichts zur Sache, dafür hatte sie herrliches rotblondes Haar. Im Gegensatz zu ihr konnte die Klavierspielerin wenigstens … schwindeln; doch hatte sie schon die Fünfzig überschritten. Das Publikum bemerkte nichts, weder das Falschspiel, noch das Schwindeln; da das Klavier völlig verstimmt war, kam es auf solche Kleinigkeiten auch tatsächlich nicht mehr an. Damen und Herren saßen im Kreise um das Klavier herum und grölten einstimmig und falsch, versteht sich, die Schlager mit. Ich mußte unwillkürlich an eine Karikatur aus der guten alten Zeit der »Fliegenden Blätter« denken, die das »afrikanische Klavier« darstellte. Ein Neger sitzt vor einem Klavier, dessen Hämmer aber nicht auf die gespannten Saiten, sondern auf die Schwänze von allerlei Tieren fallen. Verschiedene Katzenarten sind besonders reich vertreten. Bei jedem Schlag auf die Tasten stößt das getroffene Tier einen Jammerschrei aus. Ein Europäer in der Ferne bekommt Zahnweh davon. So schien es auch mir zu ergehen, jedenfalls bekam ich Zahnschmerzen. Ich suchte den Zahnarzt auf, der, von Melbourne kommend, regelmäßig die Salomoninseln befuhr, um die dort ansässigen Europäer gegen gutes Gold mit schlechten Amalgamplomben zu versehen. Der junge Mann hatte eine merkwürdig graue Gesichtsfarbe. Als er mir mit einem Instrument, an dem noch die Speisereste meines Vorgängers klebten, in den Mund fuhr, spürte ich, wie seine Hände zitterten. Gleichzeitig fiel mein Blick auf eine frisch geleerte Ginflasche. Meine Zahnschmerzen waren wie weggeblasen, und unter den Klängen des »Kleinen Gardeoffiziers«, den die Musikkapelle inzwischen angestimmt hatte, verschwand ich in meiner Kabine.
Nach vierzehn Tagen liefen wir pünktlich in den großartigen Hafen von Sydney ein.
In Australien verbrachte ich nun eine angenehme Zeit. Ich lernte gastfreundliche Menschen kennen, heilte meine verschiedenen Krankheiten aus und genoß das herrliche Klima und die seltsame Landschaft in vollen Zügen. Ich durchstreifte die romantischen Tropfsteinhöhlen, die eigenartig geformten Gebirge der Blauen Berge, besuchte die imposanten Wasserfälle und rastete in den tropischen Urwäldern von Nord-Queensland. Ich kann wohl sagen, es gibt kein Land, das so viel Naturschönheiten und Abwechslung bietet wie Australien. Doch der »eilige Tourist« dürfte kaum andere Eindrücke empfangen als die grenzenloser Eintönigkeit.