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Nicht weit von Owa Raha liegt die kleine Insel Owa Riki. Es ist die Insel, auf der die Urmutter Schildkröte ihre Jungen gebar und die den heranwachsenden Kindern zu klein erschien.
Owa Riki hatte sich während des großen Erdbebens samt dem vorgelagerten Riff in bedrohlicher Weise gesenkt, und heute sind bei jedem starken Nordwestwind die Dörfer der Eingeborenen aufs äußerste gefährdet. Aber auch ohne Sturm liegt eine sehr schwere Brandung an der Küste, die das Landen einer Dampfbarkasse, ja selbst das der kleinen, flinken Eingeborenenkanus verhindert. Auch mir gelang es erst nach dem dritten Versuch, vollkommen durchnäßt, doch mit unbeschädigter Ausrüstung, den Strand zu erreichen.
Diese Insel ist tatsächlich klein, doch vielleicht sind gerade deshalb die Sitten der Vorväter noch erhalten geblieben. Weder chinesische Händler noch Missionen hatten hier ihr Glück versucht. Da eine rege Kanuverbindung zwischen den beiden Inseln besteht und oft Häuptlinge und Priester Owa Raha besuchen, war Küper, der weiße Zauberer, hier wie dort gut bekannt. Daher wurde ich in seiner Begleitung freundlich aufgenommen.
Mitten im größten Dorf schlug ich mein Zelt auf. So ein seltsames Ding hatten die Eingeborenen noch nie gesehen, und voll Mißtrauen umstellten sie es, bis an die Zähne bewaffnet. Als ich ihnen aber verständlich machte, daß dies mein Haus sei und ihnen Feldbett und Moskitonetze vorführte, trat unverhohlene Bewunderung an Stelle des anfänglichen Befremdens.
Die Arbeit ging hier gut vonstatten, auch gute Bilder gelangen mir. Vor allem die Tänze möchte ich erwähnen. Den einen nenne ich den Tanz der Mädchen, weil diese damit die Männer bei der Heimkehr begrüßen.
Auf Owa Riki ist es üblich, daß die Männer von Zeit zu Zeit nach San Christoval fahren, um Lebensmittel einzutauschen. Denn die anbaufähige Erde der kleinen Insel reicht nicht zur Ernährung der Bewohner aus. Kehren sie dann ins Dorf zurück, herrscht große Freude. Die Mädchen schmücken sich und heißen die Männer mit einem Tanz willkommen, in dem sie ihre Freude über die Rückkehr zum Ausdruck bringen. Sie stellen sich in deutlicher, aber durchaus nicht undezenter Weise zur Schau, und die Burschen freuen sich lachend über ihr lockendes Spiel. Bald lichtet sich der Reigen der Tanzenden, und ein Mädchen nach dem andern verschwindet mit ihrem Liebsten.
Auch der Tanz der Fregattvögel und Haie wird bei der Rückkehr der Männer getanzt.
Die Fregattvögel sind große, schwalbenschwänzige Vögel in der Art der Raubmöwen, die jeden Südseewanderer durch ihr vollendetes Flugspiel entzücken. Ohne Flügelschlag schweben sie in schwindelnder Höhe dahin, und kaum haben sie mit ihren scharfen Augen eine Möwe erspäht, die einen erbeuteten Fisch im Schnabel hält, geht es in sausendem Flug auf sie zu. Die schmerzhaften Stöße werden nicht früher eingestellt, bis die Möwe ihre Beute dem Räuber überlassen hat und eilig das Weite sucht.
Tänze sind hierzulande Kostbarkeiten, die nicht nur erfunden, sondern bei ganz besonderen Anlässen verliehen oder verschenkt werden.
Es war daher ein Zeichen besonderen Wohlwollens, als die Ahnen den greisen Priester, der in Trance mit ihnen Zwiesprache hielt, diesen Tanz gelehrt und ihn beauftragt hatten, ihn an die Jugend weiterzugeben. Seit dieser Zeit tanzt die Jugend den Tanz der Fregattvögel und Haie. Ich sah ihn in Owa Riki vor einem seltsamen Hintergrund aus verwitterten Korallen und vom Wind zerzauster uralter Palmen.
An die sechzig prächtig geschmückte Burschen traten auf. Einer von ihnen hatte eine breite Maske aus Kokosblätterstreifen um die Stirn gebunden. Er hielt den Oberkörper nach vorn gebeugt und ahmte mit gekrümmten Ellenbogen die Rückenflosse eines Haies nach. Er zuckte mit dem ganzen Körper hin und her wie ein Fisch, der sich ins seichte Wasser verirrt hat. Die andern Burschen spielten die Fregattvögel und umkreisten die Beute. Sie wußten, daß sie ihnen nicht entgehen könne. Immer wilder wurden die Bewegungen der Vögel, immer enger schloß sich der Kreis.
Abseits standen vier Männer in einer Reihe und sangen eine monotone Melodie. Es war die Stimme der ewigen Brandung in strengem, sich stets wiederholendem Rhythmus, das Vorwärts- und Rückwärtsströmen der Wellen und das Brechen der zischend daherkommenden Wogen, die sie wiedergaben. Man konnte sich für den Tanz der Fregattvögel keine bessere Begleitung denken.
Der Hai versuchte mit aller Kraft zu entkommen, doch vergeblich. Die blutdürstigen Vögel umschlossen ihn nur noch enger, bis er endlich nach vielen ermattenden Versuchen inmitten der siegreich umherschwirrenden Räuber sterbend am Boden lag.
So gut hatten es die geschmeidigen Burschen verstanden, alle charakteristischen Bewegungen der Fregattvögel nachzuahmen, daß ich es kaum fassen konnte, nur Menschen vor mir zu haben. Doch es waren gläubige Menschen, die bis zur Selbstvergessenheit in den Tanz versunken waren, den ihnen der Priester geschenkt hatte.