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Die im Norden gelegene Insel Choiseul ist eine der größten der Salomongruppe. Sowohl in linguistischer und ethnologischer, als auch in anthropologischer Beziehung ist sie noch völlig unerforscht.
Als ich mich in Tulagi bei den Regierungsbeamten erkundigte, hieß es: »Choiseul kennen wir nicht. Vor fünfzehn Jahren wurde einmal eine kurze Strafexpedition dorthin unternommen, bei welcher Gelegenheit einige Dörfer verbrannten. Das ist alles, was wir Ihnen über diese Insel sagen können!«
Wenige Tage später traf ich zwei Händler, die, unabhängig voneinander, erklärten: »Die Insel Choiseul kennen wir genau, sind wir doch wiederholt an ihren Küsten entlang gefahren, um mit den Eingeborenen Handel zu treiben. Die Insel ist unerforscht, und die Eingeborenen stehen auf hoher Kulturstufe. Speziell die Inlandstämme sind von europäischer Zivilisation völlig unberührt geblieben. Ein Mann wie Sie findet dort gewiß ein reiches Arbeitsfeld.«
Ich konnte mir keine besseren Auskünfte wünschen. Mit aller Sorgfalt traf ich meine Vorbereitungen und fuhr in froher Erwartung dem Unbekannten entgegen.
Da die Insel auch geographisch noch nicht bearbeitet war, sind ihre Küsten nur punktiert in den Seekarten eingezeichnet. Mein Fahrzeug bahnte sich daher mit großer Vorsicht den Weg durch das der Insel vorgelagerte Riff. Als wir uns dem Strande näherten, wurden Häuser der Eingeborenen sichtbar, die merkwürdig europäisch aussahen.
Einige Eingeborene empfingen uns. Sie waren sorgfältig mit Khakistoffen bekleidet und sprachen mich in gewähltem Englisch an. Mir blieb vor Überraschung fast der Atem stehen. »Ja, wo bin ich denn?« brachte ich mühsam hervor. »Auf einer Missionsstation«, war die gleichmütige Antwort. »Wo gibt es denn Eingeborene, die noch nicht missioniert sind?« fragte ich gespannt. »Solche gibt es nicht auf Choiseul«, lautete die Antwort. »Aber wo leben denn die Buschstämme?« »Auf Choiseul gibt es keine Inlandstämme mehr«, hieß es wieder.
Obwohl ich vor mir ja greifbare Beweise sah, konnte und wollte ich diese niederschmetternde Nachricht nicht ohne weiteres hinnehmen. Ich mußte mich selbst überzeugen.
So ließ ich mich vorerst auf der Station nieder. Die Christen gehören einer Sekte an, die von Amerika ihren Ausgang nahm und heutzutage besonders stark in Australien, in Europa fast gar nicht, vertreten ist. Der Lehrer der Mission, ein netter, junger Eingeborener, gehörte einem anderen Stamme an als die ihm anvertrauten Schützlinge. Er besaß einen kleinen Atlas, der außer Australien auch Europa enthielt. Als ich ihm auf der Karte den Namen »meines Heimatdorfes« Wien zeigen konnte, glitt ein seliges Kinderlächeln über seine Lippen, und strahlend setzte er das Wunder seiner staunenden Umgebung auseinander. Er hatte auch viel von dem großen Kriege gehört und war überzeugt davon, daß wir Deutsche ein großer, grausamer Stamm seien, der Frauen und Kinder töte, und daß wir von den Australiern glücklicherweise besiegt worden waren. Hingegen wollte er mir absolut nicht glauben, daß es bei uns auch Christen gebe und daß diese gar an einen Gott glauben. Nein, das sei gewiß nicht richtig, denn er habe in der Schule von dem »weißen Lehrer« gelernt, daß wir nur eine Reihe von Teufeln anbeten. Bei so viel Kenntnissen blieb mir denn nichts anderes übrig, als mich zu bescheiden.
Da der schwarze Lehrer nicht imstande war, mir nähere Auskünfte zu geben, brach ich so bald als möglich in das Innere auf. Ich stieß auf hohe Berge, überquerte breite Flüsse und ausgedehnte Sümpfe, drang in dichtesten Urwald ein. Obwohl ich die Insel einige Male durchquerte, konnte ich nur feststellen, daß die Eingeborenen die Wahrheit gesprochen, die Weißen aber in verantwortungslosester Weise Falsches berichtet hatten. Es gibt heutzutage tatsächlich auf dieser großen Insel keine Eingeborenen, die nicht ihren Glauben und ihre Kultur aufgegeben haben. Ja, mehr als das, es gibt keine Buschleute mehr im Innern der Insel. Sie haben sich auf Geheiß der Weißen an der fieberschwangeren Küste angesiedelt und sterben rasch aus. Ich konnte einen Bevölkerungsschwund feststellen, wie er in solch verheerender Weise sonst wohl nirgends auf der Welt vorkommen mag. Die ganze große Insel ist heute von kaum mehr als viertausend Eingeborenen bewohnt, vor wenigen Jahrzehnten noch betrug die Bevölkerung ein Vielfaches dieser Zahl. Geradezu erschütternd war es, überall im Innern auf Reste der alten Dörfer zu stoßen, auf ausgedehnte verwachsene Gärten, die einst die ganze Insel netzartig durchzogen hatten.