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Ein heißer Boden

Man könnte meinen, daß die üppige Vegetation auf Owa Raha den Eingeborenen ein paradiesisches Dasein ermöglicht. Dem ist nicht so. Die Bewohner dieser kleinen Insel haben mit dem mörderischen Klima einen harten Kampf zu bestehen. Nicht das allein. Immer wieder zerstören Naturkatastrophen das Werk des Menschen und scheuchen die Inselbewohner aus ihrem Frieden auf.

Schwere Regengüsse und Stürme toben hier in ungeahnter Wucht, und beständig werden diese kleinen verstreuten Inseln inmitten des Pazifischen Ozeans von Erdbeben erschüttert. Es ist noch nicht lange her, daß die Eingeborenen von Owa Raha ein schweres Beben überstanden haben. Es begann eines Nachts mit einem schwachen Erdstoß, der niemanden beunruhigte, da man hier an solche Dinge schon gewöhnt ist. Selbst als sich die Stöße wiederholten, ließen sich die Bewohner in ihrer Ruhe nicht stören. Erst als bei Tagesanbruch die Insel unter donnerartigem Getöse fünf Minuten lang hin und her gerissen wurde, stürzten sie voll Entsetzen aus ihren Hütten. Nun war bereits die ganze Hölle los. Die Kraft der Elemente schleuderte die Menschen wie Spielbälle zu Boden, die Häuser stürzten ein und begruben allen Hausrat unter sich. Sosehr die Menschen schrien, sie konnten sich einander nicht verständlich machen, das unheimliche unterirdische Getöse übertönte die menschliche Stimme, daß sie ungehört verhallte.

Plötzlich strömte alles Wasser ins Meer hinaus, Korallenriffe und Felsen, die vier Meter unter dem tiefsten Punkt der Tiefebbe lagen, traten zutage und ragten in die Luft wie nackte Knochen. Während dreier Minuten war das Wasser wie verschwunden, dann aber rollte es mit ungeheurer Wucht zurück, und brausende Wellen prallten zischend gegen die hohen Riffe und überfluteten das Land. Das Wasser blieb einige Minuten lang auf diesem höchsten Stand, dann zog es sich neuerdings zurück. So schwankte die riesige Woge mit einem Niveauunterschied von zehn Metern hin und her, wurde nur allmählich kleiner, und es brauchte eine geraume Weile, bis sich das tobende Element endlich beruhigt hatte.

Noch hatten sich die Menschen von ihrem Schrecken nicht erholt, als ganz plötzlich ein ungeheuer starker Erdstoß erfolgte, der die Insel zu zerschmettern schien. Während der nächsten halben Stunde erfolgten an die fünfunddreißig starke Stöße, die jedoch in ihrer Heftigkeit den ersten nicht erreichten. Endlich ging die Erschütterung der Erde in schwache Wellenbewegungen über, die alle zehn Minuten unaufhörlich Tag und Nacht hindurch anhielten. Schon begannen die Eingeborenen daran zu zweifeln, daß sich ihre Insel jemals wieder beruhigen werde, denn während einer ganzen Woche wurde der Boden nahezu jede halbe Stunde erschüttert. Dann erfolgte abermals ein starkes Beben, und zwar nicht, wie bisher, in horizontaler Richtung, sondern in vertikalen Schwingungen, die mit kurzen Zwischenräumen den ganzen Tag über anhielten. Dies war die Zeit, in der auf der benachbarten Insel San Christoval das schwerste Beben stattfand. Seit dieser Katastrophe hat sich Owa Raha nicht mehr völlig beruhigt.

Die bis zehn Meter hohe Flutwelle aber hatte das gesamte Vorland bis an die Hügelkette im Innern der Insel verwüstet. Vierzehn Dörfer wurden von der Erdoberfläche hinweggefegt, und zwar so gründlich, daß die Eingeborenen die Plätze nicht mehr feststellen konnten, wo sich ihre Hütten befunden hatten. Es kamen während der Katastrophe dreiundzwanzig Menschen ums Leben. Die verhältnismäßig geringe Anzahl der Todesopfer ist dem glücklichen Umstand zuzuschreiben, daß die Sturzwelle nach Tagesanbruch hereinbrach, und es so den Eingeborenen gelang, sich noch rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.


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