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Aus Hitze und Staub, zum ersten Male körperlich und seelisch ermüdet, kehrte ich eines Tages nach langer Pilgerfahrt durch das Wunderland Indien an die Küste zurück und fühlte nur noch eine einzige Sehnsucht in der Brust: das Meer. Verräterisch und ganz von ferne, wenn der heiße Staub allzu dicht, die große Einsamkeit allzu lastend wurden, waren auch schon Erinnerungsbilder aus dem Norden aufgetaucht. Jetzt lenzt es in der Heimat, sprach eine leise Stimme, kühl und warm zugleich wehen unter den gesünderen, nördlicheren Himmelsstrichen die Lüfte; wie schön wäre es jetzt da oben, wo bald die Kastanienkerzen in milder Frühlingsluft strahlen. Erst lockte die Fremde, jetzt aber die Heimat. Alles wird man ja satt, des Schlummers selbst und der Liebe, auch des süßen Gesanges und begeisterten Reigentanzes – auch des Reisens, doch das brauchte der heimverlangende Griechenfürst seinem Wirt Alkinoos nicht zu sagen, wurden ihm die Schiffe doch schon gerüstet. Auch für mich wird es Zeit, an die Heimkehr zu denken und den ewig wandelbaren Greis des Meeres um Rat anzugehen, denn trennend und verbindend liegen weite Meere zwischen mir und dem fernen Norden. »Sage mir, o Proteus, die Götter wissen ja alles, wie ich heimgelange über das fischwimmelnde Weltmeer.« In alter Zeit hätte der Meergreis mir sicher befohlen, erst eine Hekatombe zu opfern und allerlei Hokuspokus zu machen, heute würde er wahrscheinlich sagen: »Nimm einfach den nächsten Dampfer der Deutschen Ostafrika-Linie, o Sterblicher, dann gelangst du so gut wie sicher, nachdem du noch einen kleinen Abstecher nach Afrika gemacht hast, heim zum lieben Lande der Väter.«
Zunächst hielt mich das sonnenverbrannte, gewaltige Bombay noch fest, die Stadt der Parsen, deren seltsame, helmartige und glänzende Kopfbedeckungen den Straßen und Märkten ihren Charakter aufdrücken. Wie überall in den heißesten Erdgegenden, tritt das Leben der Weißen erst in die Erscheinung, wenn die Sonne sinkt. Während des Tages ist die Stadt in Glut gehüllt. Erst wenn das Dunkel heraufzieht, und auch dann nur für kurze Zeit, findet am Strand eine lebhafte Promenade statt. Europäische Herren und Damen sind vielfach schon im Evening Dreß, die dunklen Parsifrauen lieben es, sich in bunte Farben zu hüllen, ihre Gatten und Söhne sind europäisch gekleidet bis auf den Helmputz. Für den, der Bombay als Eingangstor zu einer indischen Reise benutzt, gibt es in dieser Weltstadt viel zu sehen. Erstaunlich imposante Staatsbauten haben die Engländer aufgerichtet, das Eingeborenenleben der Millionenstadt ist bunt und fesselnd, ganz in der Nähe der Stadt, auf dem Malabarhügel, stehen die weltberühmten »Türme des Schweigens«, die merkwürdige Begräbnisstätte des Parsenvolkes, das seine Toten den Geiern zum Fraß vorwirft. Bombay liegt auf einer Halbinsel, und wenn man irgendwo in der Stadt ein höheres Gebäude besteigt, sieht man auf beiden Seiten den blauen Indischen Ozean liegen. Der Reiz dieser exotischen Weltstadt ließ mich kalt. Lässig und krank brachte ich meine Tage auf einem Balkon des riesigen Taj-Mahal-Hotels zu und sehnte mich nur nach dem Meer, das im Sonnenglanz vor mir lag und über dessen Rücken das rettende Schiff schon heraneilte.
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Endlich war das Schiff, der Reichspostdampfer » König« der Deutschen Ostafrika-Linie, der den Dienst zwischen Bombay und den ostafrikanischen Küstenplätzen vermittelt, fahrtbereit. All das Herrliche, was ich in Indien gesehen und erlebt hatte, lag gewissermaßen unter einer Staubschicht in meinem Innern verborgen, erst der reine Hauch des Meeres sollte diesen Staub wieder verwehen. Es war eine unvergeßliche Stunde, als ich durch die unendlichen Docks dahinfuhr in dem Bewußtsein, bald nach den Strapazen und Aufregungen der Wanderschaft in die wundersame Ruhe des Schiffes und der Meereseinsamkeit eingehen zu sollen.
Ueber einem Dock wehte die deutsche Flagge. Hier lag der schlankgebaute »König«. An der Brücke, die ans Land führte, stand der Kapitän und empfing den Gast mit offener, kräftiger, norddeutscher Herzlichkeit. Alles auf diesem Schiff atmete Ruhe, Gemütlichkeit, Sauberkeit. Es war wie eine Rettung. »Wo ist meine Kabine?« »Suchen Sie sich eine Kabine aus, wir haben nur vier Passagiere, und davon gehören zwei zur farbigen Menschheit.« Einen dieser Gäste sah ich gleich darauf am Lande vor dem Schuppen stehen. Ein stämmiger, kleiner Araber mit schwarzem Vollbart und starkgebogener Nase, in europäischer Kleidung. Um den Hals trug er einen dicken Kranz von frischen Blumen. Eine Abschiedsgabe seiner arabischen Freunde und Verehrer in Bombay. Auch trug diesen Blumenkranz kein Unwürdiger, es war der Scheich Suleman bin Nasor, der frühere Wali oder Bürgermeister von Daressalam, der von einer Weltreise heimkehrte. In den kritischen Zeiten, die das Deutschostafrikanische Schutzgebiet durchzumachen hatte, stand Scheich Suleman treu zu den Deutschen, zu deren Gunsten er sein Ansehen und seinen Einfluß in die Wagschale warf, und im Dienst der Deutschen war er denn auch ein reicher Mann geworden. Wie alle Araber, liebte er es, zu paradieren – das Blumengewinde verschwand nicht von seinem Halse, bis der Dampfer das Dock verließ. Auf dem Verdeck ergingen sich die beiden anderen Passagiere, ein großgewachsener, aber magerer und etwas kränklich aussehender Europäer und eine elegant gekleidete, hübsche Araberin – seine Gattin. Als sie an mir vorüberschritten, hörte ich, wie sie sich Suaheli miteinander unterhielten, aber ganz unvermittelt begannen beide Deutsch zu sprechen, und es klang seltsam vertraut, als der Mann seine dunkle Gefährtin mit dem Kosewort »Mütterchen« anredete und das Mütterchen ihm in fließendem, nur ganz leicht fremdländisch gefärbtem Deutsch antwortete. Ein auffallendes, ungleiches Paar. Dieser Gast war der bekannte Deutsch-Ostafrikaner Kurt Toeppen, der als Publizist und auch auf anderen Gebieten sich einen Namen gemacht hat. Er gehört gewiß zu den kundigsten und »ältesten« Afrikanern, aber die Weißen können es ihm nicht vergessen, daß er einst, vor Jahren, zum Islam übergetreten ist und eine Araberin geheiratet hat. In den Kolonien ist das Rassenvorurteil bekanntlich stärker als in der Heimat und besitzt auch eine gewisse Berechtigung, aber man muß einzelne Fälle, die sich durch ihre innere Geschichte erklären, von allgemeinen Anschauungen lostrennen können. Diese Araberin aus dem alten vornehmen Blut der Sultane von Lamu und Maskat ist, nicht nur der Sprache nach, sondern auch in Gesinnung und Anschauung eine deutsche Frau geworden. Wollte man den Uebertritt zum Islam als ein unvergeßliches Verbrechen ansehen, so dürfte Emin Pascha, der deutsche Doktor Schnitzler, weder in der englischen noch in der deutschen Geschichte eine Rolle spielen.
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Die Hauptbedingung einer schnellen Seereise bleibt immer, daß der betreffende Kasten etwas Backbord-Schlagseite hat. Hängt er dagegen nach Steuerbord über, das ist schlimm, dann tritt auch unterwegs irgend eine Verzögerung ein. Das wird mir jeder richtiggehende Kapitän ohne weiteres bestätigen.
Und der Dampfer hatte die gewünschte Schlagseite, als er spät am Abend aus den Docks von Bombay hinausfuhr. Langsam verlosch am Horizont das Licht von Colaba Point. Die Venus stand ganz tief am Himmel und warf einen so hellen Schein auf das dunkle Meer, daß auf ihm ein heller Silberstreif funkelte. Ueber das Wasser strich ein Hauch, so mild und weich wie Mutterhände. Hoch oben funkelte in geradezu blendendem Glanz der Jupiter. Nicht weit von ihm entfernt versprühte der schöne Rigel sein Licht. Die zweimal drei Kerzen des gewaltigen Orion flammten wie Fackeln. Und aus dem Osten klomm das falsche Kreuz schräg am Horizont empor, ihm folgte bald das echte Kreuz des Südens, in dessen Nähe stets als ewiges Kennzeichen eine himmlische Lichtwolke schwimmt.
Bis auf die kurze Zeit des Monsuns herrscht auf dem Indischen Ozean immer schönes Wetter, das Wasser ist tiefblau, die Luft ist still und heiß, der unbewölkte, blaßblaue Himmel steht wie eine Glocke aus zartem, farbigem Glas über dem Meer; jeder Abend bringt einen Sonnenuntergang von unvergeßlicher Herrlichkeit, jede Nacht das Schauspiel des kristallklaren südlichen Himmels – in ungetrübter Schönheit verfließen Tage und Nächte. So innig und still wie die Natur, erscheint dem von langer Wanderfahrt Heimkehrenden auch das Leben an Bord. Das Schiff scheint im Ozean stillzustehen, nichts ist zu verspüren, als ein sanftes Wiegen, das selbst am Tage eine schlummerartige Stimmung hervorzaubert. Vorder- und Hinterdeck sind belebt durch ein buntes Volksgewimmel. Hunderte von Indiern mit ihren Frauen und Kindern machen die Ueberfahrt nach Afrika mit. Alle kampieren an Deck. Während der ersten beiden Tage war noch Bewegung in dem Völkergemisch, dann haben alle sich in Gruppen geteilt, feste Plätze belegt, aus Segeltuch und aufgeschichteten Koffern kleine Heimstätten für ihre sorgsam behüteten und buntverschleierten Frauen erbaut und verträumen ihre Tage in süßem Nichtstun. Abends tönen seltsame, fremdartige Gesänge empor, die vielleicht schon vor Jahrtausenden in Indien gesungen wurden. Nie wird der Frieden gestört. Nur der junge Arzt hat alle Hände voll zu tun, obgleich eigentlich niemand an Bord krank ist, aber die braunen Naturkinder kommen doch mit tausend geringfügigen Klagen zu dem »Doktor-Sahib« – – es kostet ja nichts.
Die kleine Gesellschaft der Reisenden erster Kajüte hat sich wie eine Familie eng um den Kapitän geschart, einen echten norddeutschen Schiffer von vertieftem Wesen und großer Menschenkenntnis. Wenn der »alte Afrikaner« Toeppen in den Abendstunden erzählt, sieht man im Geiste die ganze Entwicklung Ostafrikas an sich vorüberziehen. Die arabische Dame erzählt – von Berlin und Paris; wenn man die Augen schließt, glaubt man eine Weltdame deutscher Herkunft sprechen zu hören. Scheich Suleman spricht nur wenig Deutsch und die Unterhaltung bei Tisch bewegt sich deshalb häufig in Suaheli. Die Afrikaner fallen beinahe unter den Tisch, als ich mich einmal mit Hilfe meiner schwachen, aus Büchern zusammengelesenen Kenntnisse des Suaheli einmische und mit einem »Baß maneno« schließe, was in der gebrauchten Zusammenstellung etwa unserem deutschen »Halts Maul« gleichkam. Der Scheich war etwas überrascht über diese Zumutung. In der Stille und Gemütlichkeit dieser kleinen Ueberfahrt von Asien nach Afrika, die etwa fünfzehn Tage währt, verflüchtete sich der indische Staub und die Seele wurde wieder rein und frei.
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Eines Morgens zeichnete sich am südwestlichen Horizont eine hohe, geschwungene Linie ab, unter der bald schattige Streifen und Klüfte sichtbar wurden. Der erste Blick auf Afrika. Die Berge von Uganda waren aufgetaucht. Blau und hell strahlte über ihnen der Himmel. Von dem Dunkel, das so lange über dem schwarzen Erdteil gelagert hat, war nichts mehr zu bemerken. An der Küste ging es nun abwärts, der Aequator war längst überschritten, am Himmel sah man in der Nacht zur gleichen Zeit den Großen Bären des Norden und das leuchtende Kreuz des Südens; Kilindini-Mombassa zog vorüber, das sich uns später noch mehr enthüllen sollte, und endlich tauchte die langgestreckte Insel Sansibar auf, das Reiseziel unserer Araber. Als die Hauptstadt noch fern am Rand des Meeres lag, ging mit dem Scheich eine erstaunliche Metamorphose vor. In bürgerlichem Gewande stand er vom Mahle auf, aber eine Stunde später erschien er auf dem Verdeck in überreicher arabischer Kleidung. Ein braunes, goldgesticktes fließendes Gewand umhüllte seine Gestalt, im Gürtel steckte ein breiter, edelsteinbesetzter Dolch, und auf dem Haupte trug er einen bunten, silberdurchwirkten Turban. Als die pittoreske Hafenfront der Stadt Sansibar mit dem ragenden Sultanspalast, in dem jetzt die englische Regierung haust, sichtbar wurde, kam dem Schiff ein wahrer Schwarm von Booten entgegen, gefüllt mit reichgekleideten Arabern, Soldaten, Offizieren; in einem saß sogar eine ganze Musikkapelle, die einen Heidenspektakel vollführte. Dieser Empfang galt unserem Scheich Suleman, der lächelnd und stolz an der Reling stand und hinabgrüßte. Nachdem das Schiff Anker geworfen hatte, ziemlich weit draußen auf der Reede, erklommen die Gäste das Verdeck und es entwickelte sich eine tumultuarische Begrüßungsszene. Drüben am Land konnte man deutlich einen großen Volksauflauf beobachten, lauter Freunde, Bekannte und Neugierige, die den von der Weltreise heimkehrenden Scheich landen zu sehen wünschten. Ganz still und ohne Aufsehen war noch ein anderer ganz vornehmer Araber an Bord gekommen, der Seyyid Hamed bin Nasor, ein Angehöriger der sansibaritischen Fürstenfamilie, der seine Verwandte, die Frau Toeppen, begrüßte und heimholte.
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Am nächsten Tage war ich in der prinzlichen Familie, einem Hause, in dem noch unverfälschte, alte arabische Sitte herrschte, zu Gast. Sansibar ist die Insel der Gewürznelken. Schon wenn man im Ruderboot über den weiten Hafen der bunten Stadt sich nähert, glaubt man sich von einem würzigen Hauch, der aus dem Innern des Landes herüberweht, umfangen. Die bunte Wasserkante der Stadt wird überragt vom Turm des Palastes, der trotz seiner vielen Galerien einen ganz europäischen Eindruck macht. Das Boot läuft auf den Sand, kräftige Suahelineger nehmen den Reisenden auf ihre Schultern und tragen ihn an den Strand. So gut man sich aber auch nach der Karte orientiert haben mag, es ist kaum möglich, fünf Schritte allein zu gehen, denn am Strande treibt sich ein Führergesindel umher, das selbst mit Hilfe des Stockes nicht abzuwehren ist. Die Leute haben einen besonderen Trick. Sie folgen dem Ankömmling, der sich rasch davonmacht, und behaupten höflich, er habe einen falschen Weg eingeschlagen, der in eine Sackgasse führe. Der richtige Weg führe nach einer anderen Seite, den die Führer bezeichnen und dann zurückbleiben. Auf einmal sieht man sich in einem solchen Gewirr von Gäßchen und Mauern, daß man sich doch des Führers bedienen muß, der den Fremden nun kalt lächelnd denselben Weg leitet, den er zuerst einschlagen wollte und der natürlich der richtige war.
Ein uraltes, mächtiges Haus in der Nähe des Strandes. Ein schwarzer, beturbanter Diener nimmt die Karte in Empfang und führt den Gast eine Flucht von steinernen Treppen empor in ein Turmgemach, durch dessen Fenster der Blick auf das Meer fällt. In Afrika hat jeder gleich seinen Spitznamen weg, und ich höre denn auch sofort den meinigen. Die Sklaven geben einander die Meldung weiter: »Bana m' Kuba Gazeta«, zu deutsch »der Herr Zeitung«. In dem Raum stehen keine Möbel, nur an den vier Wänden läuft ein niedriger Diwan entlang. In einer Ecke steht ein y-förmiges kleines Holzgestell, in dem ein dickes, aufgeschlagenes Buch ruht, der Koran. Gleich darauf füllt sich das Zimmer, die Gattin des Herrn Toeppen, die als Dolmetscher fungiert, stellt zwei ältere, unverheiratete Damen vor, die Prinzessinnen Ascha und Scherifa. Ihre Tracht ist wie eine altertümliche Illustration aus einem Buche arabischer Märchen. Den Oberkörper umhüllt ein rotes Tuch, mehr ein zarter Schleier aus feinstem Gewebe, die Beine stecken in langen, zartblauen und grünen Hosen, die unten in Volants über den nackten braunen Fuß fallen. Die glänzend polierten Nägel an den Fußzehen sind mit Henna rot gefärbt, über den Nagel der großen Zehe geht nur ein zarter roter Strich. Ueber den Kopf ist ein eigenartiges Gestell, eine Art Holzrahmen, der mit schwarzem Leder überzogen ist, gestülpt. Das ist die von der Religion den Frauen vorgeschriebene Gesichtsmaske, aber die Prinzessinnen tragen sie nur gleichsam pro forma, denn man kann das ganze Gesicht sehen. Beide Damen haben schöne, sanfte Gesichter, sie sprechen nicht viel, sondern sehen den »Bana Gazeta« nur aus großen braunen Rehaugen zärtlich an. Das Haupthaar ist etwas spärlich, besonders in der Mitte am Scheitel; dies kommt von der Sitte, das Haar nach beiden Seiten allzu straff anzuziehen. Da der Fremdenbesuch vorher schon bekannt war, füllt sich der Raum schnell mit neugierigen Verwandten, meistens jungen Damen, die sich nach höflicher Begrüßung still auf den Diwan setzen. Der Hausherr, der unverheiratet ist, Seyyid Serhan, ist nicht anwesend; an seiner Stelle macht der Bruder, Seyyid Hamed, die Honneurs. Er läßt sein Töchterchen holen, den Stolz des Hauses, die kleine Prinzessin Aziza. Begleitet wird sie von einer Negermatrone, die sich still und scheu in eine Ecke setzt, das Gesicht verhüllt, aber aus den freigelassenen schwarzen Augen das neunjährige Kind unverwandt beobachtet. »Ist die Negerin wohl die Dienerin des Kindes?« frage ich. Erstaunt vernehme ich die Antwort. Es ist die Mutter der Prinzessin. Eine seiner Konkubinen hat dem Prinzen die Tochter geboren, ihre dunkle Hautfarbe verrät auch ihre Herkunft. Die kleine Aziza trägt ein rotseidenes, hemdartiges Kleid und auf dem Kopf eine bauschige bunte Mütze, die das ganze Haar verhüllt. Die Füße sämtlicher Damen sind nackt, aber beim Gehen bedienen sie sich merkwürdiger Holzsandalen, die unten in einen langen Stiel auslaufen. Sie gehen gleichsam auf Stelzen.
Als die Unterhaltung in Fluß gekommen ist, wird eisgekühlter Scherbet in Gläsern gereicht, später dicker, starker Kaffee, der aus einer goldenen Kanne in goldene Täßchen gegossen wird. Dazu gibt es Kuchen und Zigaretten. Da die Gesichtsmasken der Prinzessinnen durch einen Querbalken den Mund verschließen, müssen die Damen ihre Tassen seitwärts ansetzen. Es sieht sehr komisch aus, und wenn keine Männer in der Nähe sind, machen die Aermsten es sich natürlich bequemer. Arabischer Sitte gemäß überreicht man beim Aufbruch ein Gastgeschenk – diesmal ist es ein seidenes Gewand, in das die fürstlichen Jungfrauen, die da oben in ihren Turmgemächern ungenossen verblühen, mit eigenen Händen zarte Goldornamente gestickt haben.
In dem unscheinbaren Hause hat sich noch ein letzter, verlöschender Schimmer der einstigen arabischen Herrlichkeit auf Sansibar erhalten. Mit der jüngeren Generation, die in englische Schulen geht und in englische Dienste tritt, schwindet auch dieser letzte Schimmer dahin.
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Kurze Fahrt bringt den »König« von der vorgelagerten Insel Sansibar nach dem Festland. Voll Spannung fliegen die Gedanken schon voraus nach dieser letzten Etappe der Reise um den Erdball. Die Einfahrt in den Hafen unserer deutsch-ostafrikanischen Hauptstadt Daressalam ist wie ein Wunder. Der charakteristische Affenbrotbaum, der sich am Ufer zeigt, läßt keinen Zweifel darüber, daß der Erdteil Afrika erreicht ist; wenn man aber durch die schmale Einfahrtsrinne in das riesige Hafenbecken von Daressalam einläuft, sieht man mit erstaunten und entzückten Augen eine unverkennbar deutsche Stadt, umkränzt von Palmen und Kasuarinen, sich am Ufer ausbreiten. Zwei Kirchen mit ragenden Türmen grüßen herüber, Straßenzeilen in den vertrauten Baustilen der Heimat werden sichtbar – und doch glüht oben die heiße Tropensonne und die Ufer ringsumher sind bedeckt von der üppigsten, südlichen Vegetation.