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Wieder schwimmt mein Schifflein in der blauen Südsee und unbarmherzig brennt die Tropensonne vom wolkenlosen Himmel, diesmal ist es der auf langer Reise – 24 Tage – befindliche Reichspostdampfer »Prinz Waldemar«, eines jener Schiffe der Bremer Austral-Japan-Linie, die den Verkehr zwischen Sydney, Brisbane und Japan vermitteln. Und ein Hauch des fernsten Ostens umgibt auch schon das Schiff und seine Eigenart. Die Mannschaft besteht aus gelbhäutigen und barfüßigen Malaien, die Bedienung aus schlitzäugigen Chinesenjünglingen. Unablässig ertönt hier auch schon der gewaltige Schlachtruf des Ostens, bald laut, bald leise, grob und fein, eilig und lässig. » Boy!« erschallt es in allen Tonarten – und wie aus dem Boden gewachsen steht der Chinesenboy auch schon da. » Me wantschee big fellow bottle Sodawater!« – » Yes, Master!« Wie die Geisterbedienung des Gouverneurs von Maldonado in Gullivers Reisen, so mutet auch diese Bedienung an. Die Boys sind weiß gekleidet, bewegen sich auf weichen lautlosen Sohlen, walten flink und gewandt ihrer Aemter bei Tisch, im Rauchsalon, in der Kabine.
Deutsch aber ist das prächtige Offizierkorps – und das kann man merken! Der Erste Offizier, ein gutherziger, immer heiterer und zu Scherzen aufgelegter Polterer, spricht als langjähriger Ostasienfahrer mit der Mannschaft Malaiisch. In scheinbarer Aufregung, die seine zweite Natur ist, läuft er hin und her und eine bunte Kette von Worten kollert aus seinem Munde. » Avia kawatt brani – lapass! Minsch, wat büst du for'n Schapskopp – lapass! lapass! Junge, Junge, fier weg den Draht, du Döskopp! Tarak gai sabla kannan – Kwot skali! O, wat is de Bengel dumm! Kun apa tiela jaga, du Hammel? Lapass, lapass – ihr Dämelacks! – – – Na endlich!« Aber derselbe Mann studiert im stillen Sanktum seiner Kabine in den Mußestunden Kant, Nietzsche, David Strauß und sinnt religions-philosophischen Fragen nach. Und nun erst der Kapitän! Ein edles Gemisch von Würde, wie es sich für die autoritative Stellung des Kommandeurs ziemt, und von Heiterkeit. Ein vorzüglicher Plauderer, weiß er die Pflichten, die der verantwortungsreiche Dienst in diesen gefährlichen Gewässern ihm auferlegt, gut mit denen des Hausherrn zu verbinden. Seine Kenntnis von Welt und Menschen scheint ohne Grenzen zu sein. Wenn er erscheint, geht gleichsam die Sonne auf, eine Aureole von Gemütlichkeit umgibt ihn und gibt für das ganze schwimmende Reich den Ton an. Hinter ihm schreiten seine steten Begleiter: Fox, der auf alle Farbigen scharfe Terrier, und Raule, der Dachshund. Wenn dieser besagte Raule um eine Ecke läuft, dauert es ebenso lange, als ob drei andere Hunde hintereinander dasselbe Experiment machen – so lang ist der Köter. Der dritte der Verantwortlichen ist der Ober-Maschinist, ein breitschultriger Teutone mit gewaltigem Schnauzbart, mehr schweigsam als gesprächig und ein großer Angler vor dem Herrn. In allen tropischen Gewässern fischt er mit Wonne herum, so oft sich nur die Gelegenheit bietet.
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Das große deutsche Kolonialreich in der fernen Südsee erstreckt sich über eine Meeresfläche von 45 Längen- und 30 Breitengraden. Zu diesem räumlich – die Meeresflächen mit eingerechnet – riesigen Inselreich gehören das gewaltige Kaiser-Wilhelm-Land auf Neu-Guinea, der Bismarck-Archipel mit Neu-Pommern, Neu-Mecklenburg und Neu-Lauenburg, sowie die Inselgruppen der Palau, Mariannen, Karolinen, Marshall und Salomonen, die letzten zum Teil. Die Inseln selbst, die wieder in Untergruppen mit eigenen Namen zerfallen, zählen nach vielen Tausenden.
So umfassend diese Inselwelt aber auch ist und so weit ihre Bewohner auch durch das Meer und einen noch unentwickelten, wochenlang stockenden Verkehr voneinander getrennt sind, aus der Perspektive dieses Südseedampfers macht das ganze ungeheure Gebiet den Eindruck einer deutschen Kleinstadt. Alle Weißen kennen einander – und besser als über seine eigenen, scheint jeder noch über die Angelegenheiten des anderen unterrichtet zu sein, es gibt einen »Südsee-Klatsch«, der aufs Haar demjenigen unserer Kleinstädte gleicht – lange, lange, ehe noch der erste Streifen deutschen Landes aus den Fluten emportaucht, bin ich schon eingeweiht in Personalfragen, häusliche Angelegenheiten, Charaktereigenschaften, Aussichten, Fehlschläge, Erfolge, Anekdoten, Urteile – – nicht etwa, daß die Südseeleute übereinander zu Gericht säßen, weit entfernt, es ist nur eine Art Chronik, ein Austausch von Neuigkeiten mit Rückschau und Vorschau.
Wenn die Tropennacht hereinbrach und die Gesellschaft vom gediegenen deutschen Mahl sich erhob, fand man einander im Rauchsalon wieder zusammen. » Boy!« » Yes, Master!« » Makee come big fellow Bier!« » Yes, Master!« – » Boy!« » Yes, Master!« » Me wantschee Brandy!« – » Boy!« » Yes, Master!« » Makee typhoon!« – – Der Boy »macht Taifun«, d. h. er läßt den elektrischen Fächer anlaufen.
Draußen brütet eine satte Wärme, unten leuchtet das Meer und oben die Sterne im dunklen Himmelsdom. Im Rauchsalon wechseln Erzählungen und kernige Männersprüche, gepfefferte Witze und Südsee-Anekdoten anmutig miteinander ab.
» Boy!« » Yes, Master!« » Makee come good cigar!« – – »Gutes Kraut! Hm! Alles nett hier an Bord! Ja, richtig, meine Herren, jetzt fällt die Geschichte mir wieder ein. Also ein junger Beamter kommt heraus, frischgebacken zum Kolonialdienst, der Sinn durch Kenntnisse noch unverdorben. Er brennt darauf, mit den Eingeborenen in Verbindung zu treten, um sich die Sporen zu verdienen. Endlich naht der große Tag: er soll ins Hinterland, um mit einem big chief, einem Oberhäuptling, ein Palawer abzuhalten. Eifrig wendet er sich an seinen hohen Chef, um vor allem über die Etikettenfrage unterrichtet zu werden. »Wie ist es, Exzellenz, redet man den Häuptling mit Majestät oder nur mit Hoheit an?« »Das können Sie halten, wie Sie wollen,« sagt der Chef schmunzelnd, » ich rede ihn gewöhnlich mit dem Titel » altes Rübenschwein« an!«
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Nichts Wilderes kann die Phantasie sich ausmalen und nichts Imposanteres als die zerrissenen, zerklüfteten Küsten der gewaltigen vulkanischen Inseln im deutschen Teile der Südsee. Dunkel und drohend steigen wolkenumkränzte Kegel am Horizont auf, zyklopische Berge drohen finster vom Lande herüber, wild und grotesk wie die Menschen selbst, die in den undurchdringlichen Dickichten dieser Inselwelt hausen. Drüben, in der Westhälfte des Stillen Ozeans, auf Hawai, Samoa, Tahiti, Fidschi, Tonga, kommt der Weltreisende zu spät, schon hat die Zivilisation um sich gegriffen und Eingeborene im Naturzustand sind kaum noch anzutreffen; hier aber, in diesem Teile der Welt, kommt der Tourist gleichsam noch zu früh, nicht einmal die Küstenlinien der neuen Länder sind ganz vermessen, die Riffe und Untiefen der Korallensee noch nicht alle aufgefunden und in die Seekarten eingezeichnet, die Küsten noch nicht mit Leuchtfeuern ausgestattet und das Innere der Inseln noch nicht erforscht. Unter der glühenden Sonne des Aequators wächst nahezu alles, was die nahrungsprossende Erde gebiert, durchaus unbekannt ist noch, was das Innere des Kaiser-Wilhelm-Landes auf Neu-Guinea etwa an Naturschätzen bergen mag – Gold, Metalle, Kohlen, Erdöle, Hölzer sollen vorhanden sein –, ein mörderisches Klima, das selbst die zähen Chinesen umbringt, und eine wilde Bevölkerung, noch mordgieriger als die Natur, setzen der Erschließung dieser Länder durch die Weißen noch einen unüberwindlichen Damm entgegen. Das Totschlagen und auch das Auffressen weißer Eindringlinge ist noch an der Tagesordnung; jeder Beamte, Kaufmann und Händler, jeder Paradiesvogeljäger in den Bergen ist in diesen Kolonien noch ein Pionier, der in mehr als einer Hinsicht sein Leben auf der Hand trägt. Niemals wird der Weiße unter diesen Himmelsstrichen körperliche Arbeit verrichten können, gibt es doch im Bismarck-Archipel und in Neu-Guinea schlechterdings Keinen, der nicht trotz permanenter Chininschluckerei am Malariafieber litte. Der kleine Landmann, der Handwerker werden als Auswanderer für die Südseekolonien nie in Frage kommen. Augenblicklich und noch für unabsehbare Zeit halten wir unsere Kriegsschiffe, unser Militär und unsere Beamtenschaft in der Südsee für die wenigen, an den Fingern herzuzählenden Gesellschaften, die mit Hilfe eines angeworbenen einheimischen Arbeitermaterials für einen beschränkten Kreis von Kapitalisten die erreichbaren Güter des Landes, hauptsächlich Kopra und Phosphate, exportieren. Die nebenbei geleistete Zivilisationsarbeit soll nicht unterschätzt werden, es winken den Wenigen aber auch reiche Profite.
Ob jemals mehr aus der Südsee-Kolonie zu erwarten ist, darüber gehen die Urteile in der schon ziemlich umfangreichen Südsee-Literatur auseinander; auf alle Fälle wird es der Kulturarbeit noch mancher Jahrzehnte bedürfen, des Zurückdrängens der Malaria durch systematischen Vernichtungskampf gegen die Anopheles-Mücke, der Zivilisierung der wilden Eingeborenen und Heranziehung einer verläßlichen Arbeiterschaft, wenn die Reichtümer im Innern – falls sie überhaupt vorhanden sind! – erschlossen werden sollen.
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Schon steigen fern unter einem düster drohenden Gewitterhimmel die Berge Neu-Pommerns aus dem Meere auf. Ganz schwach zur Rechten ein Nebelstreif, die Südspitze Neu-Mecklenburgs. Zwischen diesen beiden gigantischen Inseln, von denen Neu-Pommern allein 25 000 Quadratkilometer Flächeninhalt besitzt, muß das Schiff in einem verhältnismäßig engen Kanal seinen Weg nach der Gazelle-Halbinsel und Blanche-Bucht suchen, in deren Tiefe der neue Sitz der kaiserlichen Regierung, Rabaul, sich angesiedelt hat. Was werden wir alles zu sehen bekommen! Hier erst beginnt die Fremde, wiewohl die deutsche Flagge über allen diesen Gebieten weht. Das vulkanische Innere selbst der Hauptinsel des Bismarck-Archipels, Neu-Pommern, ist noch wenig bekannt, selbst die Küstenstriche sind noch nicht ringsherum vermessen. Für die Schiffahrt sieht es noch sehr schlecht aus, keine Feuer zeigen die Einfahrten in bewohnte Buchten an – abgesehen von einer einzigen, eben wegen ihrer Einsamkeit berühmten Leuchtboje im inneren Hafen von Rabaul –; der Kapitän, der zur Nachtzeit einläuft, muß sich gewissermaßen in die verschlungenen Buchten »hinein fühlen« oder bis zum Tagesanbruch treiben, falls die üblichen Korallenbänke den Küsten vorgelagert sind.
Die »wilden Deutschen« oder die »deutschen Wilden« in unseren Gebieten gehören den dunklen Melanesiern und den helleren Mikronesiern an. Bis auf die Karolinen, Palau, Mariannen, Marshall, wo Mikronesier heimisch sind, bestehen alle unsere wilden Mitbürger aus schwarzen Melanesiern; viel mehr können heute auch die größten Rassenforscher noch nicht sagen, denn es herrscht von Dorf zu Dorf eine so ganz unglaubliche Zersplitterung und Mischung, daß von einer einheitlichen Charakteristik nirgends die Rede ist. Auch die Dialekte sind so verschieden, daß die Leute diesseits eines Hügelrückens die auf der anderen Seite nicht mehr verstehen. Auf dem Fehlen jeden politischen Zusammenhanges unter den Eingeborenen, ja, auf der steten Feindschaft der Stämme untereinander beruht denn eigentlich auch die Macht des kleinen Häufleins Weißer, das vielen Tausenden eingeborener Krieger furchtlos gegenübersteht.
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Etwa so, wie Wagners Gespensterschiff aus der Kulisse auf die Bühne hinausschwenkt, groß, dunkel und geheimnisvoll, so stürmt auch unser Schiff durch Nacht, Donner und Blitz in die von Vulkanen umschlossene Blanche-Bucht. Noch flog das Schiff im Angesicht der Küsten über den weiten Rücken des Meeres, da zog ein düsteres Gewölk auf, unter dem die Flut dunkelte. »Gedrängt vom Himmel entsank Nacht«, singt der ewige Barde Homer. Ein tropisches Gewitter brach los in all seiner Schönheit und Unheimlichkeit. Wie tausend Kanonenschläge prasselt der Donner, die Blitze ergießen weiße Lichtströme und scheinen das dunkle Himmelsgewölbe jedesmal mitten durchzureißen. Prasselnd stürzt eine Regenflut aus der Höhe. Dem Kapitän auf hoher Kommandobrücke ist das Gewitter gewiß ganz willkommen, denn fast ununterbrochen liegen die schon ganz nahen Küsten auf beiden Seiten im strahlenden Licht der Blitze.
Es ist schon spät in der Nacht, als von fern die berühmte einsame Leuchtboje von Rabaul herüberblinkt. Unter der Musik krachender Donnerschläge und der würdevollen Illumination blendender tropischer Blitze gewinnt der »Prinz Waldemar« den schützenden Hafen. »Fall Ankerrrrr!« dröhnt es von der Kommandobrücke, und rasselnd strebt der Anker in die Tiefe. Dann heult die Dampfpfeife ein paar Mal in die Nacht hinaus. »Wir sind angekommen,« heißt das. Und alles wird still. Mit der Strömung schwenkt das Schiff langsam herum. Drüben, in Rabaul, das die Nacht umhüllt, leuchten ein paar Lichter. Geheimnisvoll ragen ringsum die Berge. Gute Nacht! Morgen soll sich uns das wilde Deutschland entschleiern.