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Berühmte Städte haben ihre weltbekannten Sehenswürdigkeiten, auf die sie stolz sind – Berlin hat seine Linden, Paris hat seine Boulevards und seinen Eiffelturm, Neuyork die Wolkenkratzer, Jauer seine Würschte, Hamburg seine Ascheimerparade – aber Manila hat seine Puffärmel.
»Puff in die Zähne dir, verfluchte Memme,« läßt Shakespeare den schuftigen Leutnant Pistol ausrufen. Das muß eine Vorahnung über Zeit und Raum hinweg und auf Manila gemünzt gewesen sein, denn man kann faktisch zur Memme werden, wenn man sich in der Hauptstadt der Philippinen von tausend ungeheuren, gigantischen, durchsichtigen, wogenden und wallenden bunten Puffärmeln umflattert sieht. Anderen mögen die alten Kathedralen aus der spanischen Zeit imponiert haben, wieder anderen die Neubauten der Amerikaner – mir sind die gewaltigen Puffärmel sämtlicher Damen, Frauen, Weiber, Fräulein, Mädchen und Dämchen, »in die Augen gefallen«, und zwar als ein so allgemeines und charakteristisches Kennzeichen, daß für mich Manila die Stadt der Puffärmel bleibt.
Welch ein seltsames Kapital der Kulturgeschichte ist die Damenmode, die unsere Schönen noch schöner macht, sie aber auch zuweilen ihrer Reize beraubt. In den noch von der sogenannten höheren Zivilisation unverseuchten Gegenden der Südsee ist das Ideal eines eleganten, fashionablen Damenkostüms der »Ridi« oder das »Lava-Lava« – ein kleines Matten- oder Stoffschürzchen, das von einer um den Leib gewundenen Schnur herabhängt – und weiter nichts. Unbefangen und graziös schreiten die Damen unter Palmen dahin, zeigen alles, was sie besitzen, und ihre halb ängstlichen, halb stolzen Blicke scheinen, in unsere Sprache übersetzt, zu sagen: »Alles da – es ist nicht wie bei armen Leuten!« Ein Perlenkettchen um den Hals, ein Armband aus Muschelschale, eine Blume im braun oder gelb gefärbten Haar vervollständigen den »Anzug«. Da, wo die Missionare bereits das hineingetragen haben, was sie fälschlich Sittlichkeit nennen, tragen die Schönen einen Sack – anders kann man das weite, von den Schultern bis zu den Füßen gleichmäßige Gewand nicht nennen. Die Religion jener guten Leute scheint eine ausgesprochene Feindin des guten Geschmacks zu sein. Blumenkränze im Haar, eine Blüte hinterm Ohr mildern die Oede des jede Körperlinie auslöschenden Sackes. Die Regellosigkeiten und die rasche Wandelbarkeit der Moden sind nur in den Ländern mit europäischer Kultur zu finden, überall sonst in der Welt bilden die Frauen auch in der Mode das absolut konservative Element. Wie eine geht, gehen alle. Abweichungen kommen nur in der Farbe und in der Kostbarkeit des Materials vor, nicht im Schnitt. Alle Chinesinnen tragen Jacke und Höschen von unveränderlich gleicher Form, alle Japanerinnen bekleiden sich mit Kimono und Obi – und die Philippinerinnen laufen ohne Ausnahme mit riesenhaft aufgebauschten und gestärkten Puffärmeln umher, die von weitem wie ausgespannte Flügel aussehen.
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Fragte man mich aufs Gewissen, so müßte ich zugeben, daß die Bedeutung der Philippinen mit besagten Puffärmeln nicht ganz erschöpft ist, und daß es außer ihnen noch allerlei zu sehen gibt, das der Betrachtung wert ist. Wer aus Ostasien nach Manila reist, etwa, um den berühmten Karneval mitzumachen, bekommt allerdings außer der Hauptstadt nicht viel zu sehen. Anders und besser ergeht es dem, der aus der deutschen Südsee oder aus Australien kommt, ihm tut sich der wundervolle Archipel auf, von dem man als Deutscher nur bedauern muß, daß er nicht in unsern Besitz übergegangen ist, als wir ihn hätten haben können. Er ist wahrscheinlich in jeder Hinsicht mehr wert als unser ganzes großes Südseereich. Nicht weniger als 3146 größere und kleinere, zumeist vulkanische Inseln bilden den Philippinen-Archipel, und auf ihnen wachsen in einem nicht ungesunden Tropenklima die Palme, die Banane, das Zuckerrohr, Reis, Bambus, Tabak, Kaffee – und was nicht? Der Boden ist reich an Naturschätzen, neuerdings ist in der Nähe Manilas Gold gefunden worden.
Die größten Inseln sind Luzon, auf der die Hauptstadt liegt, Mindanao, Samar. Dichtbewaldete Bergketten durchziehen die Eilande, die in grotesken Formen aus dem blauen, ewig sommerlichen Meere aufsteigen. Die gewaltigsten Ketten auf Luzon, die Kordilleren, Sierra Madre, Carabollos und Zambales, ragen 4000 bis 7000 Fuß auf, der höchste Punkt im ganzen Archipel ist der 9610 Fuß hohe Apo auf der Insel Mindanao; mehr als ein Dutzend Vulkane befinden sich noch in Tätigkeit. Erdbeben sind sehr häufig. Zu diesem Schrecken kommen die Taifune, die in der Regenzeit mit unwiderstehlicher Gewalt über die Inselflur dahinbrausen.
Unter den acht Millionen der Gesamtbevölkerung befinden sich nur 30 000 Weiße, zumeist Amerikaner, aber 100 000 Chinesen, über eine halbe Million Ureinwohner, Negritos genannt, die übrige Bevölkerung, also die Hauptmasse, die jetzt unter dem Namen Filipinos zusammengefaßt wird, sind stark mit fremdem Blut durchsetzte Malaien. Mischlinge von Spaniern und Malaien sind zu Tausenden vorhanden. Unter dem Namen Tagalen sind die christianisierten Filipinos auf Luzon bekannt. Damit ist das Völkergemisch auf den Philippinen lange nicht erschöpft. Viele Völkerschaften im Innern sind noch durchaus nicht bekannt, wie auf Mindanao, wo in den Bergen die Hundeesser zu Hause sind. Auf den Hundemarkt gelangen oft bis zu 10 000 Exemplare. Der Käufer läßt seinen Hund hungern, füttert ihn dann mit Reisbrei und schlachtet ihn sogleich ab. Auf diese Weise wird die frische Reisfüllung mitgebraten und bildet eine besondere Delikatesse. Guten Appetit! Viele ethnologische Rätsel sind auf den Philippinen noch zu lösen. Die Mangyans und Tagbannas zum Beispiel besitzen ein Silbenalphabet, dessen Ursprung auf das Sanskrit zurückgeführt wird.
Von all dem kann man natürlich, wenn man auf einem Dampfer durch den Archipel steuert, nichts sehen – entweder muß man sich in einen Forscher verwandeln und die einzelnen Eilande durchziehen oder man muß die Nase in einschlägige Werke der wissenschaftlichen Literatur stecken. Da man das aber auch zu Hause tun kann, ohne die Unkosten einer Weltreise, mache ich einen Strich und werde lieber über das plaudern, was ich gesehen habe.
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So seltsam die Eilande der Südsee mit ihrer wilden Bevölkerung sind, Manila bildet eine Steigerung der Eindrücke, denn diese Stadt ist sowohl durch ihr Aeußeres wie durch ihre Bevölkerung und ihr buntes Treiben einer der merkwürdigsten Plätze der Erde.
Draußen, auf der Reede, kann man sich noch in einem Südseehafen glauben oder richtiger vielleicht in einem Hafen Niederländisch-Indiens. Im Innern der Stadt erst gewinnt das Bild durch die Verschmelzung der Gepräge, die die verschiedenen Eroberer zurückgelassen haben, einen verwirrenden, märchenhaften Zug. Das weite Hafenbecken ist durch lange, halbkreisförmig gegeneinander strebende Molen abgeschlossen. Die Einfahrt ist eng. Den Hintergrund der Stadt, die mit weißen Türmen und großen amerikanischen Hotel- und Geschäftsbauten herüberblinkt, bilden sanft geschwungene Berge. Seltsame Lastschiffe umschwärmen den angekommenen Dampfer, sogenannte Cascos, eine Art langer bemalter Dschunken mit halbrunder Strohbedachung, die in Sektionen abgenommen werden kann. Ganze Hausstände leben dauernd in diesen Booten, Ehepaare samt Kindern, Hunden, Schweinen und Hühnern. Und da ist es auch schon, das Seltsame: selbst die braunen Schifferfrauen mit ihren nackten Beinen und Armen, das lange Ruder in sehniger Hand, sind alle miteinander in bunte, ganz durchsichtig dünne Blusen gekleidet, von deren Seiten gewaltige Puffen in den Wind hinausflattern.
Wie wird Dir aber erst, wenn Du in die alte und zugleich neue Stadt gelangst! Denn alt ist sie, da sie von den Spaniern im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts gegründet wurde, und neu, weil die Amerikaner aus den Ruinen der spanischen Mißwirtschaft seit 1898 neues Leben sprießen lassen. Den Pasigfluß fährt man aufwärts und gelangt in eine lebhafte, wimmelnde Handelsstadt, deren Bevölkerung braun und flachgesichtig ist. Von der Seite gesehen, scheint allen die Nase zu fehlen, sie sind also im Profil nach unseren Begriffen nichts weniger als schön, aber ihre Körperhaltung ist stolz, besonders die der Frauen, die schlanken Figuren mit dem eigenartig wiegenden Gang sind reizend, aber das Schönste sind die herrlichen dunklen Augen und die fast blauschwarzen Haare. Tagalinnen und Mestizinnen gehen einher wie leuchtende exotische Blumen – aber sie altern und welken ganz schnell. Ihre lockende Blüte ist nichts als ein Knalleffekt der Natur.
Man sagt, die Filipinos seien große Liebhaber der Musik, noch sicherer sind sie leidenschaftliche Verehrer der Farbe – denn die ganze Stadt wirkt wie ein einziges Farbengewirr und Geflirr. In alle Regenbogenfarben sind die schlanken Frauen und Mädchen gekleidet, alle bauschigen Blusen aus Gaze, durchsichtig wie Glas und weit vom Körper abstehend, mit bunten Blumen, Streifen und Arabesken besät. Nicht nur die weiten Aermelpuffen sind gesteift, um noch größer zu erscheinen, als sie sind, auch eine Art Zierkapuze, die hinten weit vom Halse absteht.
Um die Altstadt, Intramuros, die, wie der Name sagt, von einer Mauer umgeben ist, baut sich die Stadt der neuen Herrscher auf mit großen Rasenplätzen, ragenden Häusern, dem wundervollen Manila-Hotel, einem echten luftigen Tropenbau, und anderen, langweiligen Sachen. Aber in der inneren Stadt stehen die alten Kathedralen, in denen junge süße Heuchlerinnen zur Beichte gehen, da stehen noch trotzig die uralten zyklopischen Festungsmauern, die manchen Ansturm erlebt haben, und in den Straßen, die eng sind, spielt sich ein buntes Leben ab, dessen Art die Brücke nach Ostasien darstellt. Die Häuser bestehen aus einem Backsteinuntergrund mit aufgesetztem Holzfachwerk in spanischem Stil, mit Galerien und Vergitterungen. Alle Häuser sind weit offen und geben dem Blicke Raum. Ganze Stadtviertel scheinen ausschließlich von Chinesen bewohnt. Auch die Händler auf den Märkten sind Chinesen. Hier, auf dem Markt, erreicht das Farbengeflirr seinen Höhepunkt. Selbst die Marktweiber, die Zigarette im Munde (alle Frauen und Mädchen haben auf der Straße ihre Zigarette zwischen den Zähnen), sind in die buntesten Gewänder gekleidet und mit wehenden Flügeln versehen. Dazu die bunte Fülle der Fische aus dem südlichen Meer, die Früchte, deren Namen, wie Chico, Lansol und Santol, in Europa selbst unbekannt sind – und das regellose Durcheinanderbewegen aller Farben im Licht der Sonne – es ist wie ein Kaleidoskop.
Das auffälligste Fahrzeug der Straße ist der von schweren, langsamen hörnerbewehrten Wasserbüffeln gezogene Wagen. Durch die Hauptgeschäftsstraße, die Escolta, fahren zweiräderige Buggys, die landesübliche Droschke. Hier drängen sich vor den Kaufläden die schönen Filipinodamen, ihre Blicke umfassen verlangend die glitzernden Geschmeide der Juwelenläden, während sie selbst, Juwelen der Natur, von manchem Blick vorüberhastender Weißer getroffen werden.
Gleich einem Traum zog die Stadt mit den Puffärmeln und ihren pikanten Trägerinnen vorüber. Die Zeit war kurz. Den landesüblichen Genüssen: Konzerten, Theatern, Stiergefechten und Hahnenkämpfen, Philippinerinnen – konnte ich mich zu meinem Bedauern nicht gründlich genug widmen.