Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XX.
Tag und Nacht im Schönian-Hafen.

In seinem viel zu wenig gelesenen herrlichen Werke »Urania« führt Camille Flammarion den staunenden Leser in die Tiefen des Weltalls hinaus und zeigt ihm, wie vermutlich das ganze Universum von intelligenten Wesen bevölkert ist. Aber sie gleichen nicht alle uns, den Geschöpfen der kleinen Erde, die nur ein verschwindendes Pünktchen im Kosmos ist. Auf einem Stern, der vorwiegend aus Phosphor besteht, sieht der Weltenwanderer die »Menschen« in der Nacht in bunten Farben leuchten wie unsere Glühwürmchen. Auf einer anderen schwebenden Insel im Himmelsraum sind die Pflanzen die denkenden, intelligenten Geschöpfe, während die Tierwelt, der auf Erden der Mensch angehört, in dumpfen Gedankendämmerungen dahinlebt. Und ebenso seltsam und grotesk wie die organische Welt auf jenen fernen Planeten ist die anorganische, die wir nur, weil sie einen Gegensatz zu uns selber bildet, fälschlich für tot halten.

Merkwürdige Landschaften tauchen auf, die sich mit nichts auf Erden vergleichen lassen. Eine blaue Sonne beleuchtet eine Welt aus Azur. Eine Doppelsonne, blau und gelb, läßt den Tag in bläulicher Dämmerung vorüberziehen und taucht die Nacht in strahlendes Gold. Der Erdboden ist von Kristall und die Geschöpfe eilen auf Glasschuhen über ihn hin wie wir zur Winterszeit über das Eis der Flüsse und Seen.

Es ist aber gar nicht nötig, in die Himmel emporzusteigen, denn schon hier auf unserem eigenen Stern kann das Auge des Anblicks der märchenhaftesten und unwahrscheinlichsten Landschaften teilhaftig werden. Eines Morgens, als die eilige Sonne des Aequators hinter dem Meere emporstieg, beleuchtete sie eine Inselflur, so sonderbar und merkwürdig, daß der Anblick sich mit nichts vergleichen läßt. Wie an einer unendlichen Reihe von Schlachtschiffen, die zur Parade aufgestellt sind, so fuhr das Schiff stundenlang in gemessener Entfernung an ihnen vorüber. In doppelter, dreifacher, ja fünffacher Reihe, so schien es, lagen die Inseln da, Hunderte und aber Hunderte, und so tief das bewaffnete Auge in diese Wunderlandschaft eindrang, es entdeckte immer neue Eilande; manche von meilenweitem Umfang, andere, die meisten, nur wie ungeheure, aus dem Meere aufragende Blumenvasen. Alle waren grün bewaldet, mäßig hoch und aufs seltsamste geformt. Unten brandete mit weißlichem Gischt die See. Sie hatte ringsherum an den kleinen Inseln den Uferrand weggefressen und ihn viele Meter hoch ausgehöhlt, so daß die Eilande großen Blumensträußen glichen, von einer geheimnisvollen Riesenfaust aus dem blauen Meere emporgehalten. Die Inseln waren gleichsam mit Stielen versehen. Und ringsherum die große schweigende Meereseinsamkeit. Keine Hütten schimmerten am Strand, kein Rauch stieg aus dem Dickicht – überall lebloses Schweigen. Eine Szenerie aus den Märchen der Tausendundeinen Nacht. Die Horizontlinien der größeren Inseln ergingen sich in phantastischen Formen. Eine mit scharf ausgezacktem Rücken glich einem ruhenden vorweltlichen Tier, einer Riesenechse. Aus anderen strebten Türme und Basteien empor, scheinbare Vulkankegel erhoben sich in der Ferne und wieder andere schienen gewaltige Pyramiden zu tragen. Aber an einer blieb der Blick länger haften, weil sie lieblich und geradezu in künstlerischer Schönheit mit drei gleichmäßig gerundeten Kuppeln herüberblinkte. Ein seltsamer, brennender Wunsch überkam den Schauenden, auf dieses weltenferne, unbewohnte, in einsamer Schönheit prangende Eiland seinen Fuß zu setzen und seinen geheimen Märchenzauber zu entschleiern.

Und ich ahnte nicht, daß das Geschick bereits beschlossen hatte, mich noch desselbigen Tages als einen der ersten weißen Menschen just auf jener abgeschiedenen Märcheninsel landen zu lassen.

*

Die südlichste aller dieser Inseln, die zum Palau-Archipel gehören, ist Angaur, ein langgestrecktes Koralleneiland, auf der für die nächsten dreißig Jahre Phosphat, ein chemisch verwandelter Guano, abgebaut wird. Die Landungsverhältnisse sind die denkbar schwierigsten. Schon ehe das Schiff sich der Insel nähert, kämpft es sich durch einen Meeresgürtel, in dem das Wasser von widerstreitenden Strömungen und Kabbelungen geradezu kocht und zischt, rings um die Insel selbst steht im heulenden Nordost-Monsun eine gewaltige Brandung. An einer Stelle bildet sie eine wunderbare, natürliche Fontäne, aus der das Master bei jedem Wogenanprall hundert Fuß hoch in die Luft emporgetrieben wird. In den korallinischen Fuß des Ufers hat die See einen Gang, eine Art Rohr, gewühlt, durch das sie nun die Gewässer mit gewaltiger Wucht hindurchtreibt. Ein Hafen ist nicht vorhanden. Große eiserne Bojen sind ausgelegt, aber auch diese sind angesichts der Stärke der Brandung ohne Nutzen, denn die Ladung kann nicht ohne Gefahr gelöscht werden.

Da beschließt der Kommandeur, nach Schönianhafen zurückzulaufen, ein kleinerer Dampfer aus Angaur wird nachfolgen, und in einem geschützten Bassin inmitten der Inselwelt von Palau soll dann das Geschäft des Löschens und Ladens vor sich gehen.

*

Wer Schönianhafen auf der Karte suchen sollte, sucht umsonst. Dieser Fleck, auf dem niemals ein menschliches Wesen sich ansiedeln kann, ist noch nicht in die Karten eingezeichnet. Von der Landungsnot auf Angaur getrieben, hat ein Bremenser Herr nach einem geschützten Port inmitten des Inselgewirres geforscht und einen entdeckt, der dann vermessen und abgelotet und nach dem Entdecker benannt wurde. Aber ungern bedienen sich die Kapitäne dieses Naturhafens, denn Einfahrt und Ausfahrt durch enge, von Korallenriffen umsäumte Kanäle sind höchst gefährlich. Schönianhafen wird etwa auf 135 Grad östl. Länge und 6 Grad nördl. Breite, also ganz in der Nähe des Gleichers, zu suchen sein. Seine unvergleichlich romantische Schönheit wird nicht von vielen Augen geschaut werden.

Noch einmal also dampfte ich an den seltsamen insularen Blumensträußen vorbei, die in diesem Leben noch einmal zu sehen, ich nicht zu hoffen gewagt hätte.

Da tauchte auch, tief im Innern, meine Trauminsel mit den drei Kuppeln wieder auf, und gerade ihr gegenüber wurde die märchenhafte Einfahrt in den versteckten Hafen bewerkstelligt. Der Entdecker von Schönianhafen und sein Pilot befanden sich an Bord zur Assistenz des Kapitäns. Man fuhr auf einer das Wasser gleichsam bedeckenden Landkarte und konnte auch nur nach den Strichen dieser Karte steuern. Durch das blaue Meerwasser zogen Flecke, Streifen und Figuren in dem intensivsten Grün, das die Sinne sich vorstellen können. Wo das Wasser in die Tiefe reichte, war es blau, über den, bis dicht unter den Meeresspiegel emporgewachsenen Korallenbänken aber grün. Durch die blauen Kanäle steuerte das Schiff langsam und vorsichtig im Zickzack dahin und auf beiden Seiten traten die Korallenfelsen immer wieder bis zum Greifen nahe heran. Endlich aber öffnete sich ein gewaltiges, freies Becken, in dessen Mitte der Anker niederrasselte.

*

Die Sprache versagt; zu merkwürdig ist der Eindruck dieser Märchenwelt, um ihn so wiedergeben zu können, daß auch in des Lesers Brust ein Echo erwacht. Dicht gedrängt lagen nun die Eilande um uns her. Unbetretbare, steil aus dem Meer emporgehobene Korallenfelsen, unter einer üppigen Flora von Bäumen, Gestrüpp und Blumen verborgen. Die Geographiebücher zählen der Palau-Gruppe sieben bewohnte und etwa 30 unbewohnte Inseln zu, aber sie rechnen alle die vielen Hunderte von Felseneilanden nicht mit. Der gesamte Flächeninhalt des ganzen Archipels ist minimal, nur 450 Quadratkilometer (Hamburg 414 Quadratkilometer). Die hauptsächlichsten Inseln dieser Gruppe sind Babeltaob, Sonsol, Medir, Bunaj und das schon erwähnte Angaur. Ein sonderbares Völkchen von Mikronesiern bewohnt sie. Geschickte Fischer und Pflanzer, Kanu- und Hausbauer, stehen sie unter einer Doppelregierung. Die Frauen werden von einer Königin regiert, die Männer von einem König, der den Titel Rupak führt. In alten und neuen Werken sind ihre Sitten und Gebräuche oft geschildert worden.

Die Gegend, die nun Schönianhafen getauft ist, umfaßt allein über 100 Inseln, die alle in ihrer Gesamtheit von einem einzigen, viele, viele Meilen langen und weit ins Meer hinausreichenden Korallenriff umschlossen sind. Im Innern streben Tausende anderer Riffe kreuz und quer, ziehen sich wie gebahnte Wege von einem Eiland zum andern, so daß man bei Ebbe trockenen Fußes durch die See waten kann. Und um alle die gigantischen Blumensträuße, die mit wehenden grünen Fahnen in der Runde stehen, schlingt sich die weite, schweigende Einsamkeit der äußersten Weltferne.

Als die Sonne noch hoch am Himmel stand, wurde ein Boot mit Eingeborenen bemannt, um meiner Dreikuppel-Insel, die von den Palau-Insulanern »Ailmalck« genannt wird, einen Besuch abzustatten.

Diese Leute, den West-Karolinern ethnologisch nahe verwandt, gehören wie diese zu den schönsten Stämmen der deutschen Südsee und zu den stattlichsten Menschen überhaupt. Sie sind groß und schlank gewachsen, der flache Leib ruht auf gewaltigen, muskelbepackten Schenkeln; Brust und Arme sind zum herrlichsten Ebenmaß entwickelt, und den schlanken Hals krönt ein länglicher Kopf mit schönen, feingeschnittenen und ausdrucksvollen Zügen. Sie gehen, bis auf die nachlässig umgenommene Lava-Lava, ganz nackt und verschmähen stolz das Behängen mit Kleidungsstücken. Dafür sind sie prachtvoll tätowiert, Hals, Brust und Rücken sind mit blauen und roten Mustern verziert, vom Oberschenkel abwärts bis zu den Knöcheln sind blaue Kreise mit Querstreifen einpunktiert – das Ganze wirkt in der Tat wie eine Bekleidung. Die Haut ist tief kupferbraun, das schwarze lange Haar auf dem Kopf zu einem Knoten verschlungen, durch den ein Kamm gesteckt ist. Manche Gesichter haben einen feinen weiblichen Zug. Stolz in ihrer nackten Schönheit, sind sie in Jap und Angaur an Bord gekommen und bewegen sich hier wie zu Hause. Hier ist die Heldengestalt des Völkergebieters Agamemnon, dort der edle Rufer im Streit, Menelaos, dort auch der gewaltige Ajas, des Telamons Sohn, und der breitschultrige kühne Odysseus. Schönere Modelle für die griechischen Heldengestalten könnte ein Bildhauer nicht finden.

Fünf von ihnen sitzen im Boot und handhaben als die geborenen Seeleute, die die Karoliner sind, geschickt die Ruder. Rings um das Boot schimmert bald blau, bald grün, je nach der Tiefe, das Wasser. Zuweilen ist das Wasser von so gesättigtem Grün, daß man überrascht ist, die Hand ungefärbt aus der Flut zurückziehen zu können. Kleiner und kleiner wird hinter uns das Schiff, es wird zum Punkt in dem großen Naturhafen, ehe nach mehr als einer Stunde angestrengten Ruderns die geheimnisvolle Insel mit den drei ragenden, bekuppelten Hügeln erreicht wird.

*

Kleines Koralleneiland im Stillen Ozean! Tausend Jahre träumst du schon im Brand der Tropensonne und tausend Jahre werden vielleicht abermals vorüberziehen, ehe deine Ruhe zum zweitenmal gestört wird.

Knirschend fuhr das Boot auf den silbrigen Strand. Drei weiße Männer und fünf dunkelbraune schritten über das kurze, flache Vorland auf das blumenbesäte Dickicht zu, aus dem der heiße Wind einen schweren, berauschenden Duft heraustrug und über die See verwehte.

Da krachte es im modrigen Gestrüpp des Bodens und eine geradezu riesenhafte Landkrabbe mit gewaltigen erhobenen Scheren tauchte auf, die – mit Menschen noch unbekannt – den Eindringlingen furchtlos, nein, angriffslustig, entgegenkam. Mir schien sie der verzauberte König der Märcheninsel zu sein, und ich fühlte eine Anwandlung, den Tropenhelm abzunehmen und das geheimnisvolle Wesen ehrerbietig zu begrüßen. Die Eingeborenen, mit den närrischen Regungen von Kulturmenschen unbekannt, sprangen auf das Ungeheuer zu, packten es geschickt von hinten und brachen ihm mit gewaltigem Ruck die Scheren ab.

Im Innern lag die Insel wirklich wie in einem stillen, tiefen Traum. Schillernde Eidechsen flohen nach allen Seiten raschelnd davon, große bunte Schmetterlinge neigten sich über grell gefärbten, brünstigen Blumenkelchen, fremdartige Vögel entflohen in die dichten Büsche, und unten auf dem Boden wimmelte es von stachelbewehrtem, lauerndem Getier. Alsbald stieg das Land übersteil hinan zu den drei Kuppeln, unmöglich zu erklimmen, denn überall hingen die Korallenfelsen weit in die Luft hinaus, unter sich den leeren Raum.

Nach der Seeseite, wo schon das Wasser sich dunkler färbt unter der absteigenden Sonne, zwischen den Baumstämmen, Ausblicke auf das Panorama der Kleininselwelt. Wilde Fikusarten wachsen am Strande, sogar Kokospalmen, in die unsere Schiffsmannschaft klettert und gleich ein paar Dutzend Nüsse bricht, die mit dumpfem Aufschlag ins Dickicht fallen.

Als die Stunde zum Einschiffen mahnt, wird am Ufer eine Riesenschildkröte überrascht, aber noch rechtzeitig kann sie sich ins Wasser retten. Eilig strebt das Boot dem fernen Dampfer zu, um ihn noch vor dem Fallen des Dunkels zu erreichen. Seeschwalben schießen durch die Luft; mit weit ausgebreiteten Flatterhäuten, ruhig und majestätisch wie große Raubvögel, schweben fliegende Füchse von einer Insel über das Meer zur andern.

*

Jetzt deckt die geheimnisvolle Inselflur mit ihrem Dunkel die geheimnisvolle Nacht. Ein tiefes Schwarz brütet ringsum, in dem das Schiff gleich einem Zauberschloß mit vielen lichten Fenstern steht. Am Himmel schwimmt die Mondsichel, aber »verkehrt herum«, denn in diesem Teil der Welt bedeutet das Z Abnehmen und das A Zunehmen. Schweigend und gespannt sitzt auf der untersten Stufe des Fallreeps der Ober-Maschinist, ein blondbärtiger Teutone, und taucht seine Angel in das farbige Wasser, über das nun auch der dunkle Mantel der Nacht gebreitet ist. Neugierig tauchen die Bewohner der Tiefe empor und nähern sich dem nie gesehenen herrlichen Lichtschein, da regt sichs vor ihnen, sie schnappen zu – und büßen ihre Neugier mit dem Tode. Immer wieder kämpft der starke Teutone mit fast ebenso starken, riesigen Seebewohnern, ehe sie auf dem Verdeck gelandet werden können – wundervolle Fische in bunten, strahlenden Farben, fast zwei Meter lang und mit furchtbaren Gebissen bewehrt.

In der Rauchkajüte sitzen die Gäste um den Kapitän und sprechen über den Krieg, der seinen Schatten bis in den weltfernen stillen Schönianhafen wirft. Wie mag es draußen in der Welt aussehen, von der man seit drei Wochen abgeschnitten ist?! Sind die Verbündeten in Konstantinopel eingezogen? Sollten etwa die Großmächte einander inzwischen beim Wickel gekriegt haben? Was geschieht mit dem Schiff, falls zwischen England und Deutschland ein Krieg ausgebrochen sein sollte? Dann bliebe nichts übrig, als nach dem amerikanischen Manila zu laufen und dort einstweilen vor Anker zu gehen …

Draußen regt sich in der weiten Meereseinsamkeit kein Laut. Still gehen die Sterne über den Himmel. Längst ist Mitternacht vorüber. Der Teutone sitzt noch immer unten auf dem Fallreep und taucht seine Angel in die schwarze Tiefe.

*

Als um sechs Uhr in der Frühe die Sonne über dem Rande des Horizonts erschien, machte der Dampfer sich rasch auf den Weg. Aber er kam nicht weit. Zu schnell stieg die Sonne zur Höhe und warf ihren blendenden Glanz auf das Wasser – – da war die Landkarte aus grünen und blauen Feldern nicht mehr zu erkennen. Noch einmal fiel der Anker. Man mußte warten, bis die Sonne nicht mehr den Vordergrund beleuchtete, da malte sich die Fahrrinne wieder auf dem Wasserspiegel ab, und nun dampfte das Schiff hinaus in die See. Noch einmal, zum letzten Male, zogen die Märcheninseln vorüber, noch einmal tauchte auch die Korallenfontäne von Angaur am Horizont auf, dann wandte sich der Dampfer nach Nordwesten und stampfte durch die von einem vorübergezogenen Taifun aufgewühlte, buchstäblich haushohe See und in einem brausenden Nordostmonsun, der das Schiff fast auf die Seite legte, den Philippinen entgegen, auf seinem Wege nach Ostasien.


 << zurück weiter >>