August Bebel
Die Frau und der Sozialismus
August Bebel

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Anhang

In ihrem Buche »Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung« polemisiert Marianne Weber gegen meine Auffassung, daß auch bei den Griechen das Mutterrecht existierte. Wörtlich sagt sie (Seite 59):

»Denn gänzlich unmöglich ist, es mit den Anhängern der Theorie, daß Mutterrecht eine allen Völkern gemeinsame, ältere Entwicklungsstufe gewesen sei – zum Beispiel unter den populären Schriftstellern A. Bebel –, die Problematik in der Orestie des Äschylos als Beispiel der ›Verdrängung‹ einer älteren Mutterrechtsepoche und ihrer Sittlichkeit durch ein jüngeres Vaterrecht bei den Griechen heranzuziehen. Bebel glaubt nämlich – und mit ihm (nach Bachofen) viele –, daß die Rächung des von Apollon befohlenen und sanktionierten Muttermords durch die alten Naturgottheiten, die Eumeniden, ein Beweis dafür sei, daß einst in Griechenland das Blutsband zwischen Mutter und Sohn für verpflichtender gegolten habe, als das zwischen Vater und Sohn, und daß also das von den jüngeren Lichtgottheiten, vor allem von Apollo, geschützte Vaterrecht erst Produkt einer späteren Entwicklung sei. Dem ist entgegenzuhalten, daß gerade die Hunderte von Jahren ältere homerische Dichtung des von Äschylos benutzten Stoffes nicht das mindeste von einer Tragik des Konfliktes zwischen der unbedingten, vom Gott selbst auferlegten Pflicht des Sohnes, durch die Ermordung der Mutter den getöteten Vater zu rächen, weiß. Bei Homer liegt vielmehr aller Nachdruck darauf, daß Orestes die Blutrachepflicht an Ägisthos, der zusammen mit Klytämnestra Agamemnon erschlagen hat, erfüllt. Daß er dabei auch die Mutter tötet, ist Nebensache und birgt für ihn durchaus kein Problem in sich.«

Diesen Ausführungen gegenüber muß ich bei meiner Auffassung stehen bleiben. Zunächst konstatiere ich, daß ich das Mutterrecht bei den Griechen ausdrücklich vor das Heroenzeitalter verlege. (Siehe Seite 57 dieses Buches, deren Inhalt mit den früheren Auflagen übereinstimmt.) Das schließt aber nicht aus, sondern es ist vielmehr selbstverständlich, daß der Übergang vom alten in den neuen Zustand über Jahrhunderte sich erstreckte, denn die sozialen Entwicklungsphasen jener Zeit verliefen langsamer als heute bei uns. Und selbst in unserer hetzenden, jagenden Zeit bestehen die stärksten Gegensätze in der sozialen Entwicklung hart nebeneinander. Das heroische Zeitalter Griechenlands ist also der Beginn der vaterrechtlichen Periode. Daß aber auch noch im Heroenzeitalter unter den vor Troja kämpfenden Griechen Mutterrecht bestand, geht aus folgender Stelle der Ilias hervor, wo Lykaon, Priamos' Sohn, den Achilleus anfleht und um Erbarmung bittet:

»Töte mich nicht, denn ich bin kein leibhafter Bruder des Hektor,
Welcher den Freund dir erschlug, so sanftgesinnt und so tapfer!«

Homer ist der Verteidiger des neuen Rechtes. Wenn er also die Vorgänge seiner Zeit von diesem Standpunkt aus darstellt, entspricht das der gleichen Erscheinung in unserer Zeit. Wie viele Dichter und Geschichtsschreiber sind denn befähigt oder gewillt, Ereignisse anders darzustellen, als sie ihren Plänen und Interessen zusagen? Bei Homer konnte also Äschylos den Stoff für seine Darstellung der Orestie allerdings nicht finden, wohl aber bei – Hesiod. Letzterer soI1 nach den historischen Angaben etwa zwei Menschenalter jünger gewesen sein als Homer. Er stand also noch mitten in den Kämpfen und hörte die Erinnerungen, die aus der Umwandlung des Mutterrechtes in das Vaterrecht unter den verschiedenen Völkerschaften jener Zeit entstanden. Nach Bachofen Das Mutterrecht, S. 298. wurde sogar zu jener Zeit von einem Siege Hesiods über Homer bei den Leichenfeier des Amphidamas gesprochen. Fest steht, daß Hesiod im Gegensatz zu Homer ein Verteidiger der alten Ordnung war, und so hat Äschylos, indem er den Darstellungen Hesiods den Stoff für seine Tragödie entnahm, die historische Wahrheit geschildert, das heißt die Auffassungen, die hüben und drüben über die Stellung der Geschlechter tatsächlich vorhanden waren.

Erscheint es nach Homer als eine Nebensache, daß Orest auch die eigene Mutter tötete, so ist diese Auffassung eine unverständliche. Der Mord der Mutter konnte auch vom Standpunkt des Vaterrechtes keine Nebensache sein. Orest, indem er die Mutter tötete, strafte er in ihr die Anstifterin des Gatten- und Vatermordes und rächte die Ehre des beleidigten Ehemannes. Offenbar erschien es Homer nicht geraten, in jener gärenden Periode den Muttermord zu rechtfertigen. So wird er in seiner Darstellung eine »Nebensache«.

Die beiden Auffassungen, die Homersche und die Äschylos-Hesiodsche nebeneinander gestellt, kann für einen objektiven Kritiker gar kein Zweifel bestehen, daß allein die letztere der wirklichen Sachlage entsprach.

Hierbei möchte ich noch darauf hinweisen, daß in der Ilias und in der Odyssee die Frau und Mutter ganz verschieden bewertet wird. Wo in der Ilias von der Frau und Mutter die Rede ist oder man zu ihr spricht, sind Hochachtung und Liebe die Attribute. Anders in der Odyssee. Die Art, wie zum Beispiel Telemach mit seiner Mutter Penelope umgeht, ist einfach brutal. Und die Art, wie die Freier Telemach auffordern, die Mutter wegzuschicken und ihr zu befehlen, den zum Manne zu nehmen, den ihr der Vater wählt, stellt die schlimmste Mißachtung dar, die einer Frau und Mutter entgegengebracht werden kann.

Nach diesem Geiste zu schließen, scheint die Odyssee aus einem späteren Zeitalter zu stammen, in dem die Geringschätzung der Frau schon große Fortschritte gemacht hatte.


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