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Die Umwandlung aller Arbeitsmittel in Gemeineigentum schafft der Gesellschaft die neue Grundlage. Jetzt werden die Lebens- und Arbeitsbedingungen für beide Geschlechter in Industrie, Ackerbau, Verkehr, Erziehung, Ehe, im wissenschaftlichen, künstlerischen und geselligen Leben von Grund aus andere. Die menschliche Existenz erhält einen neuen Inhalt. Allmählich verliert auch die staatliche Organisation ihren Boden, und es verschwindet der Staat; er hebt sich gewissermaßen selbst auf.
Im ersten Abschnitt dieser Schrift wurde gezeigt, warum der Staat entstehen mußte. Er ist das Produkt einer gesellschaftlichen Entwicklung aus der primitiven, auf Kommunismus beruhenden Gesellschaft, die in dem Maße aufgelöst wird, wie sich das Privateigentum entwickelt. Mit dem Aufkommen des Privateigentums entstehen innerhalb der Gesellschaft die antagonistischen Interessen. Es entstehen Standes- und Klassengegensätze, die notwendig zu Klassenkämpfen zwischen den verschiedenen Interessengruppen führen und die neue Ordnung in ihrem Bestand bedrohen. Um aber die Gegner der neuen Ordnung niederhalten zu können und die bedrohten Eigentümer zu schützen, bedarf es einer Organisation, die diesen Angriffen wehrt und den Besitz für »rechtmäßig« erklärt und »heilig« spricht. Diese das Eigentum schützende und es aufrecht haltende Organisation und Gewalt wird der Staat. Durch Gesetze sichert er dem Eigentümer seinen Besitz und tritt dem Angreifer auf die gesetzlich festgelegte Ordnung als Richter und Rächer gegenüber. Ihrem innersten Wesen nach ist also das Interesse einer herrschenden Eigentümerklasse und das der Staatsgewalt stets konservativ. Die Staatsorganisation ändert sich erst, wenn es das Interesse des Eigentums erfordert. Ist so der Staat die notwendige Organisation einer auf Klassenherrschaft beruhenden Gesellschaftsordnung, so verliert er, sobald die Klassengegensätze durch Aufhebung des Privateigentums gefallen sind, seine Existenznotwendigkeit und Existenzmöglichkeit. Der Staat hört mit der Beseitigung des Herrschaftsverhältnisses allmählich ebenso auf, wie die Religion aufhört, wenn der Glaube an übernatürliche Wesen oder an vernunftbegabte, übersinnliche Kräfte nicht mehr vorhanden ist. Worte müssen einen Inhalt besitzen; verlieren sie diesen, dann hören sie auf, Begriffe zu bilden.
Hier wirft vielleicht ein kapitalistisch gesinnter Leser ein, alles gut und schön, aber mit welchem »Rechtsgrund« will die Gesellschaft diese grundstürzenden Umwandlungen rechtfertigen? Der Rechtsgrund ist derselbe, der immer vorhanden war, wenn es sich um ähnliche Veränderungen und Umgestaltungen handelte, das Gemeinwohl. Die Quelle des Rechts ist nicht der Staat, sondern die Gesellschaft, die Staatsgewalt ist nur der Kommis der Gesellschaft, der das Recht zu verwalten und auszumessen hat. Die herrschende Gesellschaft war bisher immer nur eine kleine Minderheit, diese aber handelte im Namen der ganzen Gesellschaft (des Volkes), indem sie sich als »die Gesellschaft« ausgab, wie Ludwig XIV. sich für den Staat. L'état c'est moi (Der Staat bin ich). Wenn unsere Zeitungen schreiben: Die Saison beginnt, die Gesellschaft eilt in die Stadt; oder: Die Saison ist zu Ende, die Gesellschaft eilt aufs Land, meinen sie damit nicht das Volk, sondern die obersten Zehntausend, welche »die Gesellschaft« bilden, wie sie den »Staat« bilden. Die Menge ist Plebs, vile multitude, Canaille, Volk. Dieser Sachlage entsprechend ist alles, was der Staat im Namen der Gesellschaft für das »Gemeinwohl« tut, in erster Linie den herrschenden Klassen nützlich und vorteilhaft gewesen. In ihrem Interesse werden die Gesetze gemacht. »Salus reipublica suprema lex esto« (Das Wohl des Gemeinwesens sei das höchste Gesetz) ist bekanntlich ein altrömischer Rechtsgrundsatz. Wer bildete aber das römische Gemeinwesen? Die unterjochten Völker, die Millionen Sklaven? Nein! die verhältnismäßig geringe Zahl römischer Bürger, in erster Linie der römische Adel, die sich von den Unterjochten ernähren ließen.
Als im Mittelalter Adel und Fürsten das Gemeingut raubten, taten sie es von »Rechts wegen« im »Interesse des Gemeinwohls«, und wie gründlich dabei mit dem Gemeineigentum und dem Eigentum der hilflosen Bauern verfahren wurde, das zeigt die Geschichte des Mittelalters bis in die Neuzeit auf jedem ihrer Blätter. Die Agrargeschichte der letzten tausend Jahre ist eine Geschichte ununterbrochenen Raubes am Gemein- und am Bauerneigentum, der seitens des Adels und der Kirche in allen Kulturstaaten Europas praktiziert wurde. Als dann die große Französische Revolution das Adels- und Kirchengut expropriierte, tat sie dies »im Namen des Gemeinwohls«, und der größte Teil der acht Millionen Grundeigentümer, welche die Stütze des bürgerlichen Frankreich bilden, verdankt dieser Expropriation seine Existenz. Im Namen des »Gemeinwohls« nahm Spanien mehrfach Kircheneigentum in Beschlag und Italien konfiszierte es gänzlich, beklatscht von den eifrigsten Verfechtern des »heiligen Eigentums«. Der englische Adel hat während Jahrhunderten das irische und englische Volk an seinem Eigentum bestohlen und beschenkte sich selbst »gesetzlich« von 1804 bis 1832 »im Interesse des Gemeinwohls« mit nicht weniger als 3.511.710 Acres Gemeindeland. Und als im großen nordamerikanischen Sklavenbefreiungskrieg Millionen Sklaven für frei erklärt wurden, die wohlerworbenes Eigentum ihrer Herren waren, ohne daß man diese entschädigte, geschah es »im Namen des Gemeinwohls«. Unsere ganze bürgerliche Entwicklung ist ein ununterbrochener Expropriations- und Konfiskationsprozeß, bei dem der Fabrikant den Handwerker, der Großgrundbesitzer den Bauern, der Großkaufmann den Händler und schließlich ein Kapitalist den anderen, das heißt der Größere den Kleineren expropriiert und aufsaugt. Hören wir unsere Bourgeoisie, so geschieht das alles zum Besten des »Gemeinwohls«, zum »Nutzen der Gesellschaft«.
Die Napoleoniden »retteten« am 18. Brumaire und 2. Dezember die »Gesellschaft« und die »Gesellschaft« beglückwünschte sie; wenn die Gesellschaft sich künftig selbst rettet, indem sie das Eigentum, das sie geschaffen, wieder in ihre Hände nimmt, begeht sie die geschichtlich denkwürdigste Tat, denn sie handelt nicht, um die einen zugunsten der anderen zu unterdrücken, sondern um allen die Gleichheit der Existenzbedingungen zu gewähren und jedem ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Es ist die sittlich großartigste Maßregel, welche die Gesellschaft jemals ausgeführt hat.
In welchen Formen sich dieser große gesellschaftliche Expropriationsprozeß vollziehen wird, und unter welchen Modalitäten, entzieht sich jeder Voraussage. Wer kann wissen, wie dann die Verhältnisse beschaffen sind.
In seinem vierten sozialen Brief an v. Kirchmann, betitelt »Das Kapital« Berlin 1884. , sagt Rodbertus S. 117: »Eine Ablösung alles Grundkapitaleigentums ist keine Schimäre, sondern nationalökonomisch sehr wohl denkbar. Auch wäre sie sicherlich die radikalste Hilfe für die Gesellschaft, die, wie man kurz sagen darf, an dem Wachsen der Rente – Grund- und Kapitalrente – leidet. Sie wäre daher die einzige Form der Aufhebung des Grund- und Kapitaleigentums, die auch nicht auf Augenblicke den Verkehr und den Fortschritt des nationalen Reichtums unterbräche.« Was sagen unsere Agrarier zu dieser Ansicht eines ihrer ehemaligen Parteigenossen?
Wie nach einer solchen Maßregel die Dinge sich wahrscheinlich gestalten werden, kann nicht in bindender Weise dargelegt werden. Kein Mensch vermag zu wissen, wie künftige Generationen ihre sozialen Organisationen im einzelnen gestalten und ihre Bedürfnisse am vollkommensten befriedigen können. In der Gesellschaft befindet sich, wie in der Natur, alles in beständigem Fluß, das eine kommt, das andere vergeht, Altes, Abgestorbenes wird durch Neues, Lebensfähigeres ersetzt. Erfindungen, Entdeckungen und Verbesserungen der zahlreichsten und verschiedensten Art, deren Tragweite und Bedeutung oft niemand voraussehen kann, werden gemacht, sie treten in Wirksamkeit und revolutionieren und umgestalten je nach ihrer Bedeutung die menschliche Lebensweise, die ganze Gesellschaft.
Es kann sich also bei den folgenden Erörterungen nur um Entwicklung allgemeiner Prinzipien handeln, deren Aufstellung sich nach den gemachten Auseinandersetzungen von selbst ergibt, und deren Durchführung sich bis zu einem gewissen Grade übersehen läßt. Die Gesellschaft war schon bisher kein Wesen, das sich von einzelnen leiten und lenken ließ, wenn es auch oft so den Anschein hatte – »man glaubt zu schieben und wird geschoben« –, sondern ein Organismus, der nach bestimmten immanenten Gesetzen sich entwickelt; künftig ist jede Lenkung und Leitung nach dem Willen einzelner erst recht ausgeschlossen. Die Gesellschaft ist alsdann eine Demokratie, die hinter das Geheimnis ihres Wesens gekommen ist, sie hat die Gesetze ihrer eigenen Entwicklung entdeckt und wendet diese jetzt zweckbewußt für ihre Weiterentwicklung an.