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Die Gegner der Gleichberechtigung der Frau mit dem Manne spielen als Haupttrumpf aus, die Frau habe kleineres Gehirn als der Mann, auch stehe sie in anderen Eigenschaften hinter dem Manne zurück, damit sei ihre dauernde Inferiorität (Unterbürtigkeit) bewiesen. Fest steht, daß Mann und Frau zwei Menschen verschiedenen Geschlechts sind, daß jedes dem Geschlechtszweck entsprechend besondere Organe hat, und daß auf Grund der Aufgaben, die jedes Geschlecht zur Erreichung des Naturzwecks erfüllen muß, eine Reihe Verschiedenheiten in ihren physiologischen und psychischen Zuständen vorhanden sind. Das sind Tatsachen, die niemand bestreiten kann und bestreiten wird, aber diese begründen keinen Unterschied in der sozialen oder politischen Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die Menschheit, die Gesellschaft besteht aus beiden Geschlechtern, beide sind für den Bestand und die Fortentwicklung derselben unentbehrlich. Auch der genialste Mann wurde von einer Mutter geboren, der er oft das Beste, was er besitzt, verdankt. Mit welchem Recht will man also der Frau die Gleichberechtigung mit dem Manne versagen?
Die wesentlichsten Verschiedenheiten, die sich in der körperlichen und geistigen Beschaffenheit von Mann und Weib nach Anschauung hervorragender Autoritäten ergeben, sind folgende: Bezüglich der Körpergröße finden wir zum Beispiel bei Havelock Ellis 170 Zentimeter als Durchschnittsgröße für den Mann, für das Weib 160 Zentimeter (bei Vierordt 172 und 160, in Norddeutschland nach Krause 173 und 163 Zentimeter). Der Unterschied beträgt also durchschnittlich 10 bis 12 Zentimeter. Das Verhältnis der Körpergrößen ist gleich 100:93. Als rundes Gewichtsmittel kann für Erwachsene 65 und 54 Kilogramm gelten. Das Überwiegen der relativen Rumpflänge beim weiblichen Geschlecht ist ein lange bekannter Unterschied; er wird aber, wie genaue, messende Untersuchung ergibt, zumeist beträchtlich überschätzt. Die Beine sind bei einer mittelgroßen Frau um bloß 15 Millimeter kürzer als bei einem gleichfalls mittelgroßen Manne, und Pfitzner bezweifelt, daß dieser Unterschied bei Betrachtung der Figur merklich werden könne. »Die Gliederung der Körperlänge in Stammlänge und Beinlänge wird ausschließlich durch die Statur beeinflußt und ist vom Geschlecht durchaus unabhängig.« Dagegen ist der weibliche Arm ausgesprochen kürzer als der männliche (100:91,5). Abgesehen von Größe und Breite der männlichen Hand ist beim Manne der Ringfinger in der Regel länger als der Zeigefinger, bei der Frau umgekehrt. Die männliche Hand wird hierdurch affenähnlicher, wie ja auch der längere Arm ein »pithekoides« (affenähnliches) Merkmal ist.
Was die Größe des Kopfes betrifft, so läßt sich ein Verhältnis der absoluten Werte für männliche und weibliche Kopfhöhe gleich 100:94 berechnen; die relativen Kopfhöhen verhalten sich aber wie 100: 100,8, was einen absolut kleineren, aber relativ etwas größeren Kopf für das Weib ergibt. Nach Pfitzner verhalten sich nun die absoluten Kopflängen wie 100: 96, 1. Die relative Kopflänge des Mannes aber verhält sich zu der des Weibes wie 100: 103; hier wird der relativ größere Kopf des Weibes etwas deutlicher ersichtlich. Die Knochen der Frau sind kleiner, dünner, zarter gebaut und an der Oberfläche glatter, denn die schwächere Muskulatur bedarf weniger rauher Flächen zum Ansatz. Diese geringere Entwicklung bei Muskulatur ist eine der hervorstechendsten Eigenschaften des Weibes; sie äußert sich in der geringeren Dicke der einzelnen Muskeln, überdies sind die Muskeln des Weibes weicher und wasserreicher. (Der Wassergehalt der Muskulatur beträgt nach v. Bibra beim Manne 72,5 Prozent, beim Weibe 74,4 Prozent.) Diesem Verhalten der Muskulatur steht ein umgekehrtes des Fettgewebes gegenüber. Es ist beim Weibe bedeutend reichlicher entwickelt als beim Manne. Der Brustkorb ist verhältnismäßig kürzer und gedrungener, andere Verschiedenheiten hängen direkt mit dem Geschlechtszweck zusammen. Die Angaben verschiedener Autoren über absolutes und relatives Gewicht der Eingeweide widersprechen sich oft sehr bedeutend. So verhält sich das Herzgewicht zum Körpergewicht beim Manne nach Vierordt wie 1:215, nach Cleudinning wie 1:158, beim Weibe nach denselben Autoren wie 1:206 bzw. 1:149. Im allgemeinen kann man wohl annehmen, daß die weiblichen Eingeweide, wenn auch meist absolut kleiner, so doch relativ, auf das Körpergewicht bezogen, schwerer sind. Das Herzgewicht des Mannes stellt sich auf 350, das der Frau auf 310 Gramm.
Für das Blut ergibt sich ein etwas größerer Wassergehalt (80,11 Prozent gegen 78,15), eine geringere Zahl von Blutzellen (Blutkörperchen) in der Raumeinheit (4,5 gegen 3 Millionen im Kubikmillimeter) und ein geringerer Gehalt an Blutfarbstoff (der Unterschied beträgt nach Ellis 8 Prozent). Bei dem Weibe bewirkt die geringere Größe des Herzens, das engere Gefäßsystem und wahrscheinlich auch der größere Wassergehalt des Blutes einen weniger intensiven Stoffverbrauch und eine geringere Ernährung. Auch der schwächere Kieferapparat mag hieraus verständlich werden. »So erklärt es sich, daß auch der zivilisierte Mann noch in manchem dem Tiere, besonders dem Affen nähersteht als das Weib, daß er ›pithekoide‹ Charaktere aufweist, zu denen außer der Entwicklung des Gesichtsskeletts auch die Länge der Gliedmaßen genannt werden kann.«
Was die Schädelunterschiede der Geschlechter betrifft, so muß gleich hervorgehoben werden, daß nach Bartels ein durchgreifendes, in jedem einzelnen Falle nachweisbares Merkmal für die Zugehörigkeit eines Schädels zu einem der beiden Geschlechter bisher nicht bekannt ist und wohl überhaupt nicht existiert. Absolut genommen ist der männliche Schädel in sämtlichen Dimensionen größer als beim Weibe. Dementsprechend ist auch der Schädelinnenraum und das Gewicht größer (Verhältnis 1.000:888). Die gesonderte Betrachtung von Hirn- und Gesichtsschädel fährt aber zu etwas anderen Ergebnissen. Der letztere ist beim Manne nicht nur absolut, sondern auch relativ größer. Dagegen sind die Dimensionen des Hirnschädels beim Weibe durchweg relativ größer. Auch aus den Zahlen für den Schädelinhalt ergibt sich ein relativ größerer Schädel für das Weib.
Als Mittelzahl für sämtliche normale Gehirne erwachsener Personen ergibt sich für den Mann (nach Grosser) ein Gewicht von 1.388 Gramm, für das Weib von 1.252 Gramm Es wiegt im Durchschnitt nach
. Die überwiegende Mehrzahl der Gewichte für das männliche Geschlecht (84 Prozent) liegt zwischen 1.250 und 1.550, für das weibliche (91 Prozent) zwischen 1.100 und 1.450 Gramm. Diese Gewichte sind aber nicht direkt vergleichbar, da das Weib kleiner ist als der Mann. Wir sind also auf Feststellung des relativen Hirngewichtes angewiesen. Beim Vergleich mit dem Körpergewicht entfallen beim Manne 21,6 Gramm, beim Weibe 23,6 Gramm Hirnsubstanz auf das Kilogramm Körpergewicht. Die Erklärung für dieses Überwiegen wird hauptsächlich in der Tatsache gesucht, daß die weibliche Statur kleiner ist »Geniale Männer sind in der Regel von kleiner Statur und massigem Gehirn, das sind auch die beiden Hauptmerkmale des Kindes, und ihr allgemeiner Gesichtsausdruck wie ihr Temperament erinnern an das Kind.« Havelock Ellis, Mann und Weib. S. 392. 1894. .
Männliches Gehirn
Weibliches Gehirn
Bischof (Bayern)
1.362
1.219
Boyd (Engländer)
1.325
1.183
Marchand (Hessen)
1.399
1.248
Retzius (Schweden)
1.388
1.252
Andere Resultate gibt der Vergleich von gleich großen Individuen verschiedenen Geschlechts. Nach Marchand ist das weibliche Hirngewicht für alle Größenklassen ausnahmslos geringer als das gleich großer Männer. Aber dies Verfahren ist ebensowenig korrekt wie der Vergleich mit der Körperlänge. Er setzt voraus als bewiesen, was noch zu beweisen ist: eine direkte Beziehung zwischen Körperlänge und Hirngewicht. Blakeman, Alice Lee und Karl Pearson haben auf Grund englischer Daten und Messungen festgestellt, daß im Hirngewicht kein merklicher relativer Unterschied zwischen Mann und Weib besteht, das heißt ein Mann mit gleicher Körpergröße, Lebensalter und Kopfmaßen wie das Durchschnittsweib würde von diesem keine Differenz im Hirngewicht zeigen J. Blakeman, Alice Lee und K. Pearson, A Study of the biometric constants of english Brainweights. Biometrika 1905. Vol. IV. .
Sogar Marchand hebt hervor, daß die Kleinheit des weiblichen Gehirnes vielleicht durch größere Feinheit seiner Nervenelemente bedingt ist. »Allerdings«, sagt Grosser, »ist dies noch nicht mikroskopisch nachgewiesen und würde auch nur schwer festzustellen sein. Doch muß im Wege der Analogie darauf hingewiesen werden, daß ja auch Augapfel und Ohrlabyrinth beim Weibe etwas kleiner sind als beim Manne, ohne daß deswegen diese Apparate in irgendeiner Hinsicht weniger fein und leistungsfähig wären. Ein weiterer, ja wohl der Hauptgrund für eine wirklich geringere Entwicklung des weiblichen Gehirns liegt in dem Umstand, daß die weibliche Muskulatur schwächer entwickelt ist« Privatdozent Dr. Otto Grosser, Der Körperbau des Weibes in »Mann und Weib«. Herausgegeben von Professor Dr. Koßmann in Berlin und Dr. S. Waliß in Wien. S. 40. Stuttgart 1907. .
Soweit die angegebenen Verschiedenheiten auf der Natur des Geschlechtsunterschieds beruhen, sind sie selbstverständlich nicht zu ändern. Wieweit diese Verschiedenheiten in der Blut- und Gehirnverfassung durch andere Lebensweise (Ernährung, geistige und physische Gymnastik, Beschäftigungsweise usw.) sich modifizieren lassen, entzieht sich zunächst jedem bestimmten Urteil. Daß die Frau der heutigen Zeit sich in stärkerer Differenzierung vom Manne befindet als die Frau der Urzeit oder Frauen rückständigerer Völker, scheint festzustehen und ist nach der sozialen Entwicklung, welche die letzten 1.000 bis 1.500 Jahre unter den Kulturvölkern für die Frau hervorriefen, nur zu erklärlich.
Nach Havelock Ellis betrug die Schädelkapazität des Weibes (die des Mannes mit 1.000 angenommen):
Neger | 984 |
Hottentotten | 951 |
Hindu | 944 |
Eskimo | 931 |
Holländer | 919 (909) |
Russen | 884 |
Deutsche | 838 bis 897 Nach fünf verschiedenen Autoren 838, 864, 878, 883, 897. Für Preußen (Kupfer) 918, für Bayern (Rause) 893. |
Chinesen | 870 |
Engländer | 860 bis 862 |
Pariserin (19. Jahr) | 858 |
Die widersprechenden Angaben bei den Deutschen zeigen, daß die Messungen an sehr verschiedenem Material – quantitativ und qualitativ – vorgenommen worden sind und daher nicht absolut zuverlässig sind. Eines aber geht sicher aus den Zahlen hervor. Neger-, Hottentotten-, Hindufrauen haben eine erheblich größere Schädelkapazität als Deutsche, Engländerinnen und Pariserinnen, und doch sind die letzteren sämtlich intelligenter.
Bei der Vergleichung des Hirngewichts bekannter verstorbener Männer stellen sich ähnliche Widersprüche und Seltsamkeiten heraus. Nach Professor Reclam wog das Gehirn des Naturforschers Cuvier 1.830 Gramm, das Byrons 1.807, das des berühmten Mathematikers Gauß 1.492, des Philologen Hermann 1.358, des Pariser Präfekten Hausmann 1.226 Gramm. Letzterer hatte ein Hirn, das unter dem Durchschnittsgewicht eines weiblichen Gehirns wog. Auch das Gehirn Gambettas wog erheblich unter allem Durchschnitt weiblicher Gehirne, es war nur 1.180 Gramm schwer. Auch Dante soll ein Gehirn gehabt haben, das unter dem Durchschnittsgewicht eines Männerhirnes lag. Angaben ähnlicher Art finden wir bei Havelock Ellis. Danach hatte ein gewöhnliches Individuum, dessen Hirn Bischoff wog, 2.222 Gramm, das Hirn des Dichters Turgeniew 2.012 Gramm, dagegen war das drittgrößte Hirn das eines Narren aus der Grafschaft Hants; das Hirn eines gewöhnlichen Arbeiters wog 1.925 Gramm, das ebenfalls Bischoff untersuchte. Die schwersten Frauenhirne wogen zwischen 1.742 und 1.580 Gramm, zwei von diesen rührten von geisteskranken Frauen her. Auf dem deutschen Anthropologenkongreß, der im August 1902 zu Dortmund stattfand, konstatierte Professor Waldeyer, daß eine Untersuchung des Schädels des im Jahre 1716 verstorbenen Philosophen Leibniz ergeben habe, daß dessen Inhalt nur 1.450 Kubikzentimeter beträgt, was einem Hirngewicht von 1.300 Gramm entspricht. Nach Hanseman, der die Gehirne von Mommsen, Bunsen und Adolf v. Menzel untersucht hatte, wog das Gehirn Mommsens 1.429,4 Gramm und war also nicht schwerer als das mittlere Gehirngewicht eines erwachsenen Mannes. Menzels Gehirn wog nur 1.298 Gramm und Bunsens noch weniger – 1.295 Gramm, also niedriger als das Durchschnittsgewicht und nicht bedeutend größer als das Gehirngewicht einer Frau. Das sind frappante Tatsachen, welche die alte Auffassung, daß die geistigen Fähigkeiten nach dem Schädelinhalt bemessen werden könnten, vollständig über den Haufen werfen.
Raymond Pearl kommt nach einer Untersuchung der englischen Daten zu folgendem Schlusse: »Es gibt keinen Beweis, daß zwischen den geistigen Fähigkeiten und dem Gehirngewicht engere Beziehungen vorhanden sind« Raymond Pearl, Variation or Correlation in brainweight. Biometrika. Vol. IV, June 1905, S. 83. .
Der englische Anthropologe W. Duckworth sagt: »Es gibt keinen bestimmten Beweis, daß bei den Menschen ein großes Hirngewicht von hohen geistigen Fähigkeiten begleitet ist. Weder das Hirngewicht, weder die Schädelkapazität noch der Kopfumfang, wo sie festgestellt werden konnten, sind als Gradmesser der geistigen Fähigkeiten von irgendwelchem Nutzen« W. Duckworth, Morphology and Anthropology. S. 421 bis 422. Cambridge 1904. .
Kohlbrügge, der in den letzten Jahren mit einer Reihe von Untersuchungen über Gehirne der Menschenrassen hervorgetreten ist, äußert: »Intelligenz und Gehirngewicht sind zwei ganz voneinander unabhängige Größen. Auch das oft hervorgehobene höhere Gehirngewicht berühmter Männer wird als nicht beweiskräftig zurückgewiesen, weil es wohl das mittlere allgemeine Gehirngewicht übertrifft, aber nicht das der oberen gesellschaftlichen Klasse, zu welcher doch alle diese Männer gehörten. Mit diesen Äußerungen soll aber nicht bestritten werden, daß das Gehirngewicht besonders durch übermäßigen Arbeitsreiz in der Jugend zunehmen kann, wodurch das größere Gehirn der höheren Gesellschaftsklasse oder der besseren Schüler (Schädelkapazität) sich erklären ließe, zumal wenn, wie bei bessersituierten Leuten Regel ist, Überernährung hinzutritt. Diese durch geistige Überanstrengung hervorgerufene Gewichtszunahme hat bekanntlich auch ihre Schattenseite: Gehirne von Irren sind häufig sehr schwer. Hauptsache ist, daß nicht nachgewiesen werden kann, daß Intelligenz (ganz etwas anderes als Arbeitsleistung) irgendwelche Beziehungen zum Gewicht hat. Auch für die äußere Formbildung gilt, daß bisher keine Beziehungen zwischen bestimmten Formen und höherer geistiger Ausbildung, Genialität oder Intelligenz nachgewiesen werden konnte« Kohlbrügge, Untersuchungen über Großhirnfurchen der Menschenrassen. Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie. 11. Band, 3. Heft, S. 598. Stuttgart 1908. .
Es steht also fest, daß so wenig wie die Körpergröße einen Schluß auf die Körperkraft zuläßt, ebensowenig gestattet das Gewicht der Gehirnmasse einen Schluß auf die geistigen Fähigkeiten. Die großen Säugetiere, Elefant, Walfisch, Delphin usw. besitzen größere und schwerere Gehirne. In bezug auf das relative Hirngewicht übertreffen sie die meisten Vögel und kleinen Säugetiere. Wir haben sehr kleine Tiere (Ameisen, Bienen), die an Intelligenz weit größere (zum Beispiel Schaf, Kuh) übertreffen, ebenso wie oft Menschen von großer Gestalt an Geistesfähigkeit weit hinter solchen von kleiner und unscheinbarer Gestalt zurückstehen. Es kommt mit größter Wahrscheinlichkeit weniger auf die Gehirnmasse an, als auf die Gehirnorganisation und auf die Übung und Anwendung der Gehirnkräfte.
»Es ist meiner Ansicht nach – sagt Professor L. Stieda – der feinere Bau der Hirnrinde die unzweifelhafte Ursache für die Verschiedenheit der psychischen Funktionen: die Nervenzellen, die Zwischensubstanz, die Anordnung der Blutgefäße, die Beschaffenheit, Form, Größe, Anzahl der Nervenzellen und nicht zu vergessen ihre Ernährung, der Stoffwechsel in ihnen« L. Stieda, Das Gehirn eines Sprachkundigen. Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie 1907. 11. Band, 1. Heft, S. 135. .
Das Gehirn muß, wenn es seine Fähigkeiten voll entwickeln soll, so gut wie jedes andere Organ fleißig geübt und entsprechend genährt werden; unterbleibt dieses oder wird die Ausbildung nach falscher Richtung unternommen, so tritt statt normaler Entwicklung nicht nur Hemmung, sondern geradezu Verkrüppelung ein. Die eine Richtung wird auf Kosten der anderen gefördert.
Es gibt mehrere Anthropologen, wie Manouvrier und andere, die sogar beweisen, daß das Weib in morphologischer Beziehung höher steht als der Mann. Das ist eine Übertreibung. »Wenn wir die beiden Geschlechter vergleichen – sagt Duckworth –, so stellt sich heraus, daß es keinen konstanten Unterschied gibt, der ein Geschlecht in morphologischer Beziehung höher erscheinen läßt als das andere« Durckworth, a.a.O., S. 422. .
Havelock Ellis will nur eine Beschränkung gelten lassen. Er glaubt, daß die Variationsbreite der Merkmale beim weiblichen Geschlecht geringer ausfällt als beim männlichen. Aber Karl Pearson hat in einer Gegenkritik ausführlich bewiesen, daß es nur ein pseudowissenschaftlicher Aberglaube ist K. Pearson, Variation in Man and Woman in Chaces of death. 1. Band, S. 376. London 1897. .
Niemand, der einigermaßen die Geschichte der Frauenentwicklung kennt, wird aber bestreiten, daß seit Jahrtausenden an der Frau stark gesündigt wurde und noch gesündigt wird. Wenn dagegen Professor Bischoff behauptet, die Frau habe so gut als der Mann ihr Gehirn und ihre Intelligenz ausbilden können, so zeigt diese Behauptung in bezug auf den erörterten Gegenstand ein unerlaubtes und unerhörtes Maß von Ignoranz. Die in dieser Schrift gegebene Darstellung über die Stellung der Frau im Laufe unserer Kulturentwicklung läßt es vollkommen erklärlich erscheinen, daß die Jahrtausende währende Herrschaftsstellung des Mannes wesentlich die großen Unterschiede in der geistigen und physischen Entwicklung verschuldete.
Unsere Naturforscher sollten anerkennen, daß die Gesetze ihrer Wissenschaft auch voll auf den Menschen anzuwenden sind. Vererbung und Anpassung gelten für den Menschen wie für jedes andere Naturwesen. Macht aber der Mensch keine Ausnahme in der Natur, so muß auch die Entwicklungslehre auf ihn angewandt werden, wodurch sonnenklar wird, was sonst trübe und dunkel bleibt und dann Gegenstand wissenschaftlicher Mystik oder mystischer Wissenschaft wird.
Entsprechend der verschiedenen Erziehung der Geschlechter – wenn diese Bezeichnung für einen großen Teil der Vergangenheit, namentlich für die Frau erlaubt und der Ausdruck Aufziehung nicht richtiger ist – hat sich auch die Gehirn bildung bei den Geschlechtern entwickelt. Die Physiologen sind einig darüber, daß die Hirnpartien, die den Verstand beeinflussen, in den vorderen Partien des Gehirns liegen, und diejenigen, die vorzugsweise das Gefühls- und Gemütsleben beeinflussen, im Mittelkopf zu suchen sind. Bei dem Manne ist der Vorderkopf, bei der Frau der Mittelkopf mehr entwickelt. Demgemäß hat sich der Schönheitsbegriff für Mann und Frau ausgebildet. Nach dem griechischen Schönheitsbegriff, der noch heute maßgebend ist, soll die Frau eine schmale, der Mann eine hohe und namentlich breite Stirne haben. Und dieser Schönheitsbegriff, der ein Ausdruck ihrer Erniedrigung ist, ist unseren Frauen so eingeprägt, daß sie eine höhere Stirne als eine Unschönheit betrachten, und die Natur durch die Kunst zu verbessern suchen, indem sie sich die Haare über die Stirne ziehen, damit sie niedriger erscheint.