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Obgleich die gekennzeichnete Entwicklung in der Stellung der Frau mit Händen zu greifen ist, jeder sie sehen muß, der offene Augen hat, hört man noch täglich das Geschwätz vom »Naturberuf« der Frau, der sie auf Häuslichkeit und Familie hinweise. Diese Redeweise wird am lautesten dort gehört, wo die Frau den Versuch macht, in den Kreis der höheren Berufsarten einzudringen, zum Beispiel in die höheren Lehr- und Verwaltungsfächer, den ärztlichen und juristischen Beruf, die Naturwissenschaften usw. Die lächerlichsten Einwendungen werden hervorgesucht und unter dem Scheine der Gelehrsamkeit verteidigt. Als gelehrt geltende Herren berufen sich hier, wie in vielen anderen Dingen, auf die Wissenschaft, um das Absurdeste und Widersinnigste zu verteidigen. Ihr Haupttrumpf ist, die Frau sei an geistiger Befähigung dem Manne inferior, sie könne auf geistigem Gebiet nichts Bemerkenswertes leisten.
Diese Einwände entsprechen so sehr dem Vorurteil der meisten Männer über Beruf und Fähigkeiten der Frau, daß, wer sie erhebt, auf ihren Beifall rechnen kann.
Neue Ideen werden, so lange allgemeine Bildung und Einsicht so tief noch stehen wie heute, stets harten Widerspruch finden, namentlich wenn es im Interesse der herrschenden Klassen liegt, Einsicht und Bildung möglichst auf ihre Schicht zu beschränken. Daher werden neue Ideen anfangs nur eine kleine Minderheit für sich gewinnen, und diese wird in der Regel verspottet, verlästert und auch verfolgt. Sind aber die neuen Ideen gute und vernünftige, sind sie als notwendige Konsequenz aus den bestehenden Zuständen erwachsen, so werden sie an Verbreitung gewinnen, die Minderheit wird schließlich Mehrheit. So erging es bisher allen neuen Ideen im Laufe der Geschichte, und die Idee, die wirkliche und volle Emanzipation der Frau herbeizuführen, wird den gleichen Erfolg haben.
Waren einst nicht auch die Bekenner des Christentums eine kleine Minderheit? Hatten nicht die Reformatoren, das moderne Bürgertum übermächtige Gegner? Trotzdem haben sie gesiegt. Oder wurde die Sozialdemokratie vernichtet, weil sie im Deutschen Reiche zwölf Jahre ausnahmegesetzlich geknebelt wurde? Nie war ihr Sieg gewisser, als da man glaubte, sie tot gemacht zu haben.
Die Berufung auf den Naturberuf der Frau, wonach sie Haushälterin und Kinderwärterin sein soll, ist ebenso sinnreich als die Berufung darauf, daß es ewig Könige geben müsse, weil, so lange es eine Geschichte gebe, es irgendwo solche gab. Wir wissen nicht, wo der erste König entstand, so wenig wie wir wissen, wo der erste Kapitalist sich zeigte, aber wir wissen und sehen, daß sich das Königtum im Laufe der Jahrtausende wesentlich verändert hat, und die Tendenz der Entwicklung ist, es mehr und mehr seiner Macht zu entkleiden, bis eine Zeit kommt, und sie ist nicht mehr fern, in der es überflüssig ist. Wie das Königtum, so ist jede staatliche und gesellschaftliche Institution beständigen Wandlungen und Umformungen und schließlich dem Untergang unterworfen. Wir sahen in den historischen Darlegungen dieser Schrift, daß die heute geltende Form der Ehe und die Stellung der Frau keineswegs »ewig« so war wie heute, daß vielmehr beide das Produkt eines geschichtlichen Entwicklungsganges sind, der keineswegs seinen Abschluß gefunden hat. Konnte es vor ca. 2350 Jahren Demosthenes als den einzigen Beruf der Frau hinstellen, »legitime Kinder zu gebären und treue Hüterin des Hauses zu sein«, so ist heute dieser Standpunkt überwunden. Wer wagte heute solches als »naturgemäß« zu verteidigen, ohne sich den Vorwurf der Geringschätzung der Frau zuzuziehen? Allerdings gibt es auch noch heute solche Käuze, die im stillen die Auffassung des alten Atheners teilen, aber keiner wagt öffentlich auszusprechen, was vor Jahrtausenden einer der bedeutendsten Männer Griechenlands frei und offen als selbstverständlich erklären durfte. Darin liegt der Fortschritt.
Hat nun die moderne Entwicklung Millionen Ehen untergraben, so hat sie auch andererseits wieder die Entwicklung der Ehe günstig beeinflußt. Vor wenigen Jahrzehnten galt es in jedem Bürger- und Bauernhause nicht nur als selbstverständlich, daß die Frau nähte, strickte und wusch, obgleich auch das schon vielfach aus der Mode gekommen ist, sie buk auch das Brot, spann, wob, bleichte, braute Bier, kochte Seife, zog Lichte. Außerhalb des Hauses ein Kleidungsstück anfertigen zu lassen, wurde als maßlose Verschwendung angesehen. Wasserleitung, Gasbeleuchtung, Gas- oder Petroleumkocher usw. – von der Elektrizität zu schweigen – nebst einer Unzahl anderer, heute in Haus und Küche vorhandenen Einrichtungen, waren unbekannte Dinge. Allerdings bestehen auch noch heute veraltete Zustände, aber sie sind Ausnahmen. Die Mehrzahl der Frauen unterläßt viele früher als selbstverständlich angesehene Verrichtungen, weil sie durch die Industrie besser, praktischer und billiger besorgt werden, als es die Hausfrau vermag, weshalb auch, wenigstens in den Städten, jede häusliche Einrichtung dazu fehlt. So hat in wenigen Jahrzehnten sich innerhalb unseres Familienlebens eine große Revolution vollzogen, der wir nur so wenig Beachtung schenken, weil wir sie für selbstverständlich halten. Veränderungen, die dem Menschen sozusagen unter den Augen hervorwachsen, beachtet er nicht, wenn sie nicht plötzlich vor ihn treten und die gewohnte Ordnung stören, aber gegen neue Meinungen, die ihn aus dem gewohnten Schlendrian zu reißen drohen, lehnt er sich auf.
Diese Revolution, die sich in unserem häuslichen Leben vollzog und immer weiter vorschreitet, hat die Stellung der Frau in der Familie auch nach anderer Richtung wesentlich verändert. Die Frau ist freier, unabhängiger geworden. Unsere Großmütter durften, waren sie ehrsame Meistersfrauen, nicht daran denken und dachten nicht daran, zum Beispiel Arbeiter und Lehrburschen fern vom Haushalt und vom Tische zu halten, dafür aber Theater, Konzerte und Vergnügungslokale, sogar an einem Wochentage, zu besuchen. Und welche von jenen guten, alten Frauen wagte daran zu denken, sich um öffentliche Angelegenheiten zu bekümmern, wie das bereits von vielen Frauen geschieht. Man gründet Vereine für die verschiedensten Zwecke, hält und gründet Zeitungen, beruft Kongresse. Als Arbeiterinnen treten sie in Gewerkschaften zusammen, sie kommen in die Versammlungen und Vereine der Männer, und besaßen bereits hier und da – wir reden jetzt von Deutschland – das Recht, zu Gewerbeschiedsgerichten wählen zu dürfen, ein Recht, das ihnen die rückständige Reichstagsmehrheit im Jahre des Heils Eintausendachthundertundneunzig wieder aberkannte.
Welcher Zopf wollte die geschilderten Veränderungen beseitigen, obgleich sich nicht bestreiten läßt, daß neben den Licht- auch Schattenseiten vorhanden sind, die mit unseren gärenden und faulenden Zuständen zusammenhängen – aber es überwiegen die Lichtseiten. Die Frauen selbst, so konservativ sie bis jetzt im ganzen sind, besitzen auch gar keine Neigung mehr, in die alten, engen, patriarchalischen Verhältnisse früherer Zeit zurückzukehren.
In den Vereinigten Staaten steht die Gesellschaft zwar auch auf bürgerlichem Boden, aber sie hat sich weder mit alten europäischen Vorurteilen, noch überlebten Einrichtungen herumzuschlagen, und ist daher weit geeigneter, neue Ideen und Einrichtungen anzunehmen, wenn sie Vorteil versprechen. Dort sieht man seit geraumer Zeit die Stellung der Frau anders an als bei uns. Dort ist man zum Beispiel in bessersituierten Kreisen schon längst auf den Gedanken gekommen, daß es nicht bloß mühselig und umständlich, und für den Geldbeutel nicht einmal vorteilhaft ist, wenn die Frau noch selber Brot bäckt und Bier braut, man hält es auch für überflüssig, daß sie in der eigenen Küche kocht. Die mit allen möglichen Maschinen und zweckmäßigen Hilfsmitteln eingerichtete Zentralküche der Speisegenossenschaft hat die Privatküche ersetzt; die Frauen der Genossenschaft versehen abwechselnd den Dienst und das Essen wird billiger und wohlschmeckender hergestellt, es bietet mehr Abwechslung und seine Herstellung verursacht bedeutend weniger Mühe. Unsere Offiziere, die keine Sozialisten und Kommunisten sind, machen es ähnlich; sie bilden in ihren Kasinos eine Wirtschaftsgenossenschaft, ernennen einen Verwalter, der den Einkauf der Lebensmittel im großen besorgt, der Speisezettel wird vereinbart und die Fertigstellung der Speisen in der Dampfküche der Kaserne bewerkstelligt. Sie leben weit billiger als im Hotel und haben ein mindestens ebenso gutes Essen. Wie bekannt, leben auch Tausende der reichsten Familien das ganze Jahr, oder Teile des Jahres hindurch, in Pensionen und Hotels, ohne daß sie die häusliche Küche vermissen; sie halten es für eine große Annehmlichkeit, von der Privatküche befreit zu sein. Die ablehnende Haltung, namentlich wohlhabender und reicher Frauen gegen die Beschäftigung in oder mit der Küche, spricht auch nicht dafür, daß diese Tätigkeit zum »Naturberuf« der Frau gehört, ja die Tatsache, daß fürstliche und vornehme Familien, wie die größeren Hotels, sämtlich Köche zur Herstellung der Speisen engagieren, könnte sogar dafür sprechen, daß Kochen eine männliche Beschäftigung ist. Das denen zur gefälligen Beachtung, die sich die Frau nicht ohne schwingenden Kochlöffel vorstellen können.
Nun liegt nichts näher, als mit der Zentralküche die Zentralwaschanstalt und entsprechende Trockenvorrichtungen – wie solche bereits in allen größeren Städten von reichen Privaten oder Spekulanten errichtet sind und sich vortrefflich bewähren – für den allgemeinen Gebrauch einzurichten; ferner mit der Zentralküche die Zentralfeuerung, neben der Kaltwasser- die Warmwasserleitung einzurichten, und eine Menge lästiger und zeitraubender Arbeiten sind beseitigt. Große Hotels, viele Privathäuser, Krankenhäuser, Schulen, Kasernen, öffentliche Gebäude aller Art usw. haben diese und ähnliche Einrichtungen – elektrisches Licht, Badeeinrichtungen usw. –, der Fehler ist, daß es nur öffentliche Anstalten und die wohlhabenden Klassen sind, die diese Vorteile genießen, die, allen zugängig gemacht, ein enormes Maß von Zeit, Mühe, Arbeitskraft und Material ersparen und die Lebenshaltung und das Wohlsein aller erheblich steigern würden. Im Sommer 1890 brachten die Zeitungen eine Beschreibung der Fortschritte, die in den Vereinigten Staaten betreffs der zentralen Beheizung und Luftversorgung im Werke waren. Darin hieß es unter anderem:
»Die in neuerer Zeit hauptsächlich in Nordamerika angestellten Versuche, die Beheizung ganzer Häuserviertel oder Stadtteile von einer Stelle aus zu bewirken, haben nicht unbeträchtliche Erfolge zu verzeichnen und sind in konstruktiver Beziehung so sorgfältig und zweckmäßig durchgeführt, daß in Anbetracht der günstigen Erfahrungen und der gebotenen finanziellen Vorteile eine weitere Verbreitung erwartet werden darf. Neuerdings ist man noch weiter bemüht, nicht allein die Beheizung, sondern auch die Versorgung mit frischer Luft, sei es in erwärmtem, sei es in abgekühltem Zustande, für einzelne räumlich nicht allzuweit ausgedehnte Stadtteile von Zentralstellen aus zu bewirken.«
Was damals projektiert wurde, ist heute vielfach und verbessert verwirklicht. Die spießbürgerliche Engherzigkeit und Beschränktheit zuckt gern bei uns die Achsel über solche und ähnliche Pläne, obgleich wir uns auch in Deutschland in jener technischen Revolution befinden, welche die Privatküche und andere bisher in der Häuslichkeit vorgenommenen Verrichtungen gerade so überflüssig erscheinen lassen, wie es der handwerksmäßige Betrieb durch die Maschine und die moderne Technik geworden ist. Zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts erklärte selbst ein Napoleon die Idee, ein Schiff durch Dampf in Bewegung zu setzen, für die Idee eines Verrückten; die Idee, eine Eisenbahn zu bauen, wurde von für klug geltenden Leuten als eine Albernheit erklärt, kein Mensch könne auf solch einem Fahrzeug am Leben bleiben, weil die Raschheit des Fahrens dem Passagier den Atem benehme, und so werden noch heute eine Menge neuer Ideen ähnlich behandelt. Wer unseren Frauen vor hundert Jahren den Vorschlag gemacht hätte, das Wasserholen durch eine Wasserleitung abzunehmen, wäre der Anklage ausgesetzt gewesen, er wolle Frauen und Dienstboten zur Faulheit verleiten.
Aber die große technische Revolution ist auf allen Gebieten in vollem Marsche, nichts hält sie mehr auf, und die bürgerliche Gesellschaft hat die geschichtliche Aufgabe, diese Revolution, wie sie dieselbe ins Leben rief, auch ihrem Höhepunkt entgegen zu treiben und auf allen Gebieten die Keime zu Umgestaltungen ans Licht zu fördern, die eine auf neuer Grundlage stehende Gesellschaft nur ins Große und Allgemeine zu entwickeln und zum Gemeingut aller zu machen hat.
Die Entwicklung unseres sozialen Lebens geht also nicht dahin, die Frau wieder ins Haus und an den Herd zu bannen, wie unsere Häuslichkeitsfanatiker wollen, und wonach sie, wie die Juden in der Wüste, nach den verlorenen Fleischtöpfen Ägyptens schreien, sondern sie fordert das Heraustreten der Frau aus dem engen Kreise der Häuslichkeit und ihre volle Teilnahme an dem öffentlichen Leben – zu dem man alsdann die Männer nicht mehr allein zählen wird – und an den Kulturaufgaben der Menschheit. Laveleye hat recht, wenn er schreibt Das Ureigentum. Kapitel 20, Hausgemeinschaft. Leipzig 1879. : »In dem Maße, in welchem das, was wir Zivilisation zu bezeichnen pflegen, zunimmt, schwächen sich die Gefühle der Pietät und die Bande der Familie ab und üben weniger Einfluß auf die Handlungen der Menschen aus. Diese Tatsache ist so allgemein, daß man in derselben ein soziales Entwicklungsgesetz erblicken kann.« Nicht allein ist die Stellung der Frau eine andere geworden, sondern auch die Stellung von Sohn und Tochter zur Familie, die allmählich eine Selbständigkeit erlangt haben, die früher unbekannt war, namentlich in den Vereinigten Staaten, in welchen die Erziehung zur Selbständigkeit und Unabhängigkeit des einzelnen in weit höherem Grade als bei uns stattfindet. Die Schattenseiten, die auch heute diese Form der Entwicklung besitzt, sind nicht notwendig mit ihr verbunden, sie liegen in den sozialen Zuständen unserer Zeit. ,
Die bürgerliche Gesellschaft ruft keine neue erfreuliche Erscheinung hervor, die nicht auch ihre dunkle Seite hat, sie ist in allen ihren Fortschritten, wie schon Fourier sehr scharfsinnig hervorhob, doppelseitig und zwieschlächtig.
Wie Laveleye erkennt auch Dr. Schäffle den veränderten Charakter der Familie unserer Zeit als Wirkung der sozialen Entwicklung an. Er sagt Bau und Leben des sozialen Körpers. 1. Band. Tübingen 1878. :
»Durch die Geschichte zieht sich allerdings die unter II. erörterte Tendenz, die Zurückbildung der Familie auf ihre spezifische Funktionen hindurch. Die Familie gibt eine provisorisch und stellvertretend gehandhabte Funktion um die andere ab, sie weicht, soweit sie bloß surrogativ in der Lücke sozialer Funktionen eingetreten war, den selbständigen Anstalten für Recht, Ordnung, Macht, Gottesdienst, Unterricht, Technik usw., sobald sich diese Anstalten ausbilden.«