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Als die Erzählung Antonellas zu Ende geführt und wegen ihrer Schönheit und Anmut und weil sie für ein ehrbares Mädchen von so gutem Beispiel sein könnte, lebhaft gelobt worden war, begann Ciulla, welche jetzt die Reihe traf, auf folgende Weise:
Wer von Geburt ein Prinz ist, darf sich nicht benehmen wie ein Straßenbube; der Vornehme darf dem Geringen kein böses Beispiel geben; denn von dem großen Esel lernt der kleine Stroh fressen. Daher ist es kein Wunder, wenn ihm sonst der Himmel Leiden scheffelweise zuschickt, wie dies einem Prinzen widerfuhr, der sogar nahe daran war, sein Leben zu verlieren.
Es war einmal ungefähr acht Meilen von Neapel in der Nähe der Sümpfe ein Wald von Feigen- und Pappelbäumen, auf welchen zwar die Sonne stets ihre Pfeile abschoß, den sie aber nie durchdringen konnte. In diesem Walde nun stand ein halbverfallenes Häuschen, bewohnt von einer alten Frau, welche ebenso arm an Zähnen als reich an Jahren und ebenso hoch durch ihren Buckel als in ihrer äußeren Lage heruntergekommen war. Sie hatte Hunderte von Runzeln im Gesicht, viel mehr aber hatte ihr Geldbeutel; denn wenngleich auf ihrem Kopfe viel Silber glänzte, hatte sie doch nicht den sechzigsten Teil eines Guldens, um sich damit etwas zugute zu tun, so daß sie in den Strohhütten der Nachbarschaft umherbettelte, um ihr Leben zu fristen. Indem man nun aber heutzutage einem verschmitzten Spion eher einen großen Beutel voll Gold zu geben pflegt als einem bedürftigen Armen einen Dreier, so mußte sie manchen Tag umherlaufen, ehe sie ein Gericht Bohnen zusammenbekam, und zwar zu einer Zeit, wo in jener Gegend ein solcher Überfluß herrschte, daß nur wenige Häuser die Größe ihrer Vorräte kannten. Da jedoch ein alter Kessel nicht für Beulen und Löcher, ein altes Pferd nicht für Fliegen, ein gefallener Baum nicht für Axthiebe und, wer den Schaden hat, nicht für Spott zu sorgen braucht, so geschah es auch, daß, als einmal die arme Frau, nachdem sie vorher ihre Bohnen ausgelesen und in einem Topf an das Fenster gestellt hatte, ausgegangen war, um im Walde ein paar Reiser zum Kochen zusammenzusuchen, in der Zeit ihrer Abwesenheit der Sohn des Königs, namens Nard'Aniello, welcher sich gerade auf der Jagd befand, bei dem Hause der Alten vorüberzog und, den Topf am Fenster stehend, große Lust bekam, sich einen Hauptspaß zu machen, indem er nämlich seinen Begleitern vorschlug, eine Belohnung für den zu bestimmen, welcher am richtigsten zielen und den Topf mit einem Stein gerade in die Mitte treffen würde, worauf sie auch wirklich anfingen, den unschuldigen Topf als Zielscheibe zu benützen, und nach drei oder vier Würfen der Prinz, der ihn am genauesten gefaßt hatte, den Preis davontrug. Die Alte kam jedoch gerade in der Zeit zurück, wo jene sich eben fortbegaben, und als sie dieses große Unglück wahrnahm, fing sie an, sich wie besessen zu gebärden und auszurufen: »Mag er seinen Arm jetzt preisen und sich rühmen, daß er den Topf gestoßen hat, dieser mutwillige Bock, dieser Hurensohn, dessen Gebeine nimmer zur Ruhe kommen mögen, dieser einfältige Bauer, der meine Bohnen zu so ungehöriger Zeit ausgesät hat. Wenn er nun aber auch mit meiner Not keinen Funken Mitleid gehabt hat, so hätte er doch wenigstens auf sich selbst Rücksicht nehmen, das Wappen seines Hauses nicht so schänden und das, was andere so hoch in Ehren halten, nicht selbst in den Kot zerren sollen! Lasset ihn aber nur immer hingehen; denn auf meinen Knien und aus innerster Seele flehe ich den Himmel an, daß er sich in die Tochter irgendeiner Hexe verlieben möge, die ihn auf jede mögliche Weise martere und peinige; daß die Schwiegermutter ihm dergestalt zusetze, daß er sich bei lebendigem Leibe als tot bejammere und daß er, von der Schönheit der Tochter und den Zaubereien der Mutter gefesselt, niemals entfliehen könne, sondern angebannt bleibe oder vielmehr berste, preisgegeben den Qualen jener häßlichen Harpyie, die ihm ihre Befehle mit dem Prügel in der Hand erteile und das Brot mit Widerwillen zuschneide, dergestalt, daß er mehr als hundertmal die Bohnen beseufze, die er mir jetzt auf die Erde gestreut hat.« Die Verwünschungen der alten Frau nun bekamen alsbald Flügel, mit denen sie stracks in den Himmel flogen, so daß trotz des Sprichwortes: »Die Flüche der Frau'n sind ohne Kraft, traun!« und jenes anderen: »Verwünschte Pferde gedeihen am besten!« sie dennoch den Prinzen in eine solche Tunke brachte, daß er dabei fast schon aus dem letzten Loche pfiff.
Es waren nämlich kaum zwei Stunden vergangen, so verirrte er sich im Walde von seinen Leuten und begegnete einem schönen Mägdlein, welche Schnecken suchte und scherzend zu ihnen sagte:
»Schnecke, Schnecke, schnüre,
zeig mir deine Viere,
wenn mir deine Vier nicht zeigst,
schmeiß ich dich in den Graben,
fressen dich die Raben.«
Als der Prinz diesen Schrank der größten Kostbarkeiten der Natur, diese Bank der reichsten Depositen des Himmels, dieses Arsenal der furchtbarsten Streitkräfte Amors vor sich erscheinen sah, so wußte er nicht, wie ihm geschah, und indem die Augenstrahlen jenes runden Kristallgesichts auf den Zunder seines Herzens fielen, entzündete er sich über und über dergestalt, daß er sich in einen Ziegelofen verwandelte, in welchem die Backsteine der Pläne zur Errichtung des Gebäudes seiner Hoffnungen gebrannt wurden. Aber auch Filadora (dies war nämlich der Name des Mägdleins) war nicht viel besser daran, da der Prinz, welcher ein sehr schöner Jüngling war, ihr sogleich das Herz durch und durch bohrte, so daß beide einander mit den Augen um Mitleid anflehten, und wenn auch ihre Zungen den Pips hatten, so glichen doch ihre Blicke den Trompetern eines Rathausturmes, indem sie das Geheimnis der Seele laut verkündeten. Nachdem sie sich nun eine Zeitlang wie mit der Bräune im Halse angesehen hatten, ohne auch nur ein sterbliches Wörtchen äußern zu können, so drehte er endlich den Hahn der Stimme auf und sprach also: »Auf welcher Wiese ist diese Blume der Schönheit entsprossen? Von welchem Himmel ist dieses Rosenwasser der Anmut herabgeregnet? Aus welchem Schacht ist dieser Schatz der Holdseligkeit ans Licht gekommen? O ihr glücklichen Wälder, ihr beneidenswerten Haine, die ihr von dieser Herrlichkeit bewohnt, von dieser Illumination der Liebesfeste erleuchtet werdet! O ihr Haine und Wälder, in denen keine Ruten zu Staubbesen, keine Querbalken zu Galgen, keine Deckel zu Nachtstühlen, sondern nur Türen zu dem Tempel der Schönheit, Balken zu der Wohnung der Grazien und Schäfte zu Liebespfeilen geschnitten werden.« – »Genug, edler Herr«, versetzte Filadora, »machet mich nicht erröten; denn Eure Tugenden, nicht meine Eigenschaften, verdienen diese lobreiche Inschrift, die ihr mir jetzt gewidmet habet; und ich bin ein Frauenzimmer, welches sich selbst mißt, und will nicht, daß ein anderer an mir einen Maßstab anlege. So wie ich aber bin, schön oder häßlich, schwarz oder weiß, mager oder fett, plump oder gewandt, mürrisch wie eine Hexe oder freundlich wie eine Fee, niedlich wie ein Püppchen oder scheußlich wie ein Drache, so bin ich ganz zu deinem Befehl, da deine schöne männliche Gestalt mir das Herz durchbohrt und deine fürstliche Miene mich von einer Seite zur andern durchdrungen hat, so daß ich mich dir von diesem Augenblicke an auf immerdar als Sklavin gefesselt übergebe.« Dies waren nun aber keine Worte, sondern Trompetenstöße, welche alle den Prinzen zur Tafel der Liebesfreuden einluden oder vielmehr ihn mit einem Tutti zu Roß riefen, um sich in den Liebeskampf zu stürzen, und obwohl er sich nur einen Finger des Entgegenkommens gegeben sah, nahm er doch gleich die ganze Hand und küßte den elfenbeinernen Angelhaken, der ihm sein Herz weggefangen hatte, so daß Filadora bei dieser Zeremonie des Prinzen ein Gesicht bekam, wie eine Klatschrose oder vielmehr wie das Farbenbrett eines Malers, indem man darauf eine Mischung von der Mennige der Scham, dem Bleiweiß der Furcht, dem Grünspan der Hoffnung und dem Zinnober des Verlangens erblickte. Eben aber wollte Nard'Aniello noch weitersprechen, als ihm seine Rede unterbrochen wurde, da nun einmal in diesem Leben kein Wein des Genusses ohne Hefen des Verdrusses, keine fette Brühe der Lust ohne Abschaum des Ärgers zu sein pflegt; denn während er gerade mitten im Besten war, erschien plötzlich die Mutter Filadoras, eine so häßliche Hexe, daß die Natur sie zum Modell aller Gebrechen geschaffen zu haben schien. Ihre Haare glichen einem Besen von Mäusedorn, der nicht etwa dazu taugte, die Häuser von Ruß und Spinnweben zu reinigen, sondern vielmehr die, welche ihn sahen, mit Angst und Schrecken zu stäupen; ihre Stirn war ein Genueser Schleifstein, an dem sie den Dolch der Furcht schärfte, mit dem sie die Herzen durchbohrte; die Augen glichen Kometen, die Beben der Beine, Eiseskälte des Herzens, Grauen des Geistes, Entsetzen der Seele, Durchbohrung des Leibes vorherkündeten; durch ihr Angesicht verbreitete sie Zittern, durch ihren Blick Angst, durch ihre Bewegungen Schrecken, durch ihre Worte Bestürzung. Ihr Maul war mit Hauern besetzt, wie das eines wilden Schweines, groß wie ein Schlund, aufgesperrt wie der eines vom Schlage Gerührten, geifernd wie der eines Maultieres; mit einem Wort, von Kopf bis Fuß sah man eine Quintessenz von Häßlichkeit und ein ganzes Hospital von Gebrechen, so daß der Prinz sicherlich irgendein Amulett ins Wams genäht haben mußte, daß er bei diesem Anblick nicht die Besinnung verlor. Diese Hexe nun packte ihn beim Genick und rief: »Heda, hier ist nichts für dich, du Erzschelm, du Spitzbube, du Dieb!« – »Selbst Schelmin, selbst Diebin«, erwiderte der Prinz, »pack dich, alte Hexe!« und wollte schon den Degen ziehen, der eine echte Damaszenerklinge war, aber er blieb erstarrt stehen wie ein Schaf, das den Wolf gesehen und sich weder rühren noch blöken kann, so daß er wie ein Esel an der Halfter von der Alten in ihr Haus geführt wurde, woselbst sie, kaum angelangt, zu ihm sprach: »Arbeite mir nur ja wie ein Hund, sonst stirbst du wie ein Schwein; und als erste Verrichtung grabe mir dieses Stück Land hier neben diesem Hause um und besäe es mir dann; sieh aber zu, daß du fertig wirst; denn wenn ich heute abend wiederkomme und die Arbeit nicht ganz getan finde, fresse ich dich auf«; hierauf sagte sie noch zur Tochter, daß sie auf die Wirtschaft achten solle, und ging dann zu einer Hexenversammlung in den Wald.
Sobald nun Nard'Aniello sich in solch einer traurigen Lage sah, fing er an, sein Gesicht in Tränenströmen zu baden und sein Schicksal zu verwünschen, das ihn in so großes Unglück gestürzt hatte. Andererseits tröstete ihn Filadora und sagte zu ihm, er solle guten Muts sein; denn sie wolle selbst ihr Leben daransetzen, um ihm zu helfen; er solle sich über sein Geschick nicht beklagen, welches ihn an einen Ort gebracht, wo er so sehr geliebt würde, und er müsse ihre Liebe eben nicht sehr erwidern, da er sich über dieses Ereignis so sehr verzweifelt zeige, worauf der Prinz erwiderte: »Nicht darüber gräme ich mich, daß ich von dem Pferde auf den Esel gestiegen bin, den königlichen Palast mit diesem Hundeloch, die prächtigen Bankette mit einem Stück Brot, die Schar von Dienern mit Fronarbeit und das Zepter mit einem Grabscheit vertauscht habe, noch daß ich, der ich Heere in Schrecken gesetzt, mich jetzt von einer so häßlichen Vogelscheuche erschreckt sehe; denn all mein Unglück würde ich für ein großes Glück halten, wenn du nur bei mir bist und ich in deinem Anblick schwelgen kann; sondern, was mir das Herz durchbohrt, ist, daß ich graben und mir in die Hände spucken muß, und was noch schlimmer ist, ich soll arbeiten, was ein Gespann Ochsen in einem Tage nicht würde bestreiten können; wenn ich aber heute abend mein Pensum nicht hinter mir habe, frißt deine Mutter mich auf, wobei es mich nicht so sehr schmerzen wird, meinen elenden Leib zu verlassen, als mich von deiner Schönheit zu trennen.«
Indem er so sprach, entströmten ihm Seufzer schockweise und Tränen tonnenweise, jedoch Filadora trocknete ihm das Gesicht und sagte: »Glaube nicht, mein teures Leben, daß du ein anderes Erdreich als den Garten der Liebe zu bearbeiten hast; fürchte nicht, daß meine Mutter dir auch nur ein Haar an deinem Haupte krümme, sondern verlaß dich nur auf Filadora und sei ganz ohne Sorgen, denn wisse, daß ich Zauberkräfte besitze und Wasser gerinnen machen sowie die Sonne verfinstern kann; darum genug, und höre auf zu klagen, vielmehr sei fröhlich und guter Dinge, denn heute abend wird das Stück Land umgegraben und besät sein, ohne daß jemand eine Hand rühre.« Als Nard'Aniello dieses vernahm, erwiderte er: »Und wenn du, o Schönheit der Welt, wie du sagst, zaubern kannst, warum machen wir uns denn nicht eilig davon? Denn ich will dich in dem Hause meines Vaters wie eine Königin halten«, worauf Filadora versetzte: »Ein gewisser Einfluß der Gestirne hindert für jetzt die Ausführung dieses Rates; jedoch wird er bald vorübergehen und unser Glück zur Hand sein.« Mit diesen und noch tausend andern Liebesgesprächen verging der Tag, und als die Hexe zurückkam, rief sie die Tochter von der Straße aus und sprach: »Filadora, laß mir doch deine Haare herab!« Denn da das Haus keine Treppe hatte, so stieg sie immer an den Flechten der Tochter empor. Sobald Filadora die Stimme der Mutter hörte, machte sie sich das Haar auf und ließ es hinab, indem sie so für ein goldenes Herz eine goldene Treppe baute, auf welcher die Alte sogleich hinaufstieg und in den Garten eilte; als sie ihn jedoch bestellt fand, geriet sie ganz außer sich vor Verwunderung, indem es ihr unmöglich schien, daß ein so zarter Jüngling diese Handarbeit verrichtet haben sollte. Kaum war aber am andern Morgen die Sonne aus dem Hause getreten, um wegen des in den Flüssen Indiens geholten Schnupfens etwas Bewegung zu machen, so ging auch die Hexe wieder fort und gab Nard'Aniello auf, bis zum Abend sechs Stöße Holz, die sich in einem Keller befanden, viermal durchgespalten fertigzuhauen, sonst wolle sie ihn kleinhacken wie Speck und ihn dann zum Abendbrot als Karbonade zu sich nehmen. Fast wäre der Prinz bei Publizierung dieses Dekrets vor Schreck gestorben, so daß Filadora, ihn so totenbleich sehend, ausrief: »Freund, was bist du doch für ein Hasenfuß! Ei du mein Gott, ich glaube gar, du wirst noch vor Angst in die Hosen machen!« – »Und scheint dir das eine Kleinigkeit«, versetzte Nard'Aniello, »von jetzt bis auf den Abend sechs Stöße Holz viermal durchgespalten fertigzuhauen? Wehe mir, eher werde ich mitten durchgespalten werden, um den Schlund dieser unseligen Hexe zu füllen!« – »Fürchte nichts«, entgegnete Filadora, »denn ohne daß du dir die geringste Mühe gibst, wirst du das Holz zur gehörigen Zeit gehörig gespalten finden; inzwischen aber sei nur frohauf und spalte mir nicht meine Seele mit deinen Klagen.« Als nun die Sonne den Laden ihrer Strahlen schloß und der Dunkelheit kein Licht mehr verkaufte, so kehrte auch schon die Alte wieder, ließ sich die gewöhnliche Leiter herabreichen, stieg hinauf, und indem sie das Holz fertiggehauen vorfand, faßte sie den Verdacht, daß vielleicht ihre Tochter ihr dieses Schachmatt böte. Sie sagte daher am dritten Tage, um den dritten Versuch zu machen, zu dem Prinzen, daß er ihr eine Zisterne von tausend Tonnen Wasser reinigen solle, weil sie dieselbe frisch füllen wollte; am Abend aber müßte er fertig sein, sonst würde sie ihn in Ragout oder Fleischklöße verwandeln. Hierauf ging die Alte fort, und Nard'Aniello fing von neuem an zu jammern, bis Filadora, welche sah, daß die Not wuchs und die Alte so unverständig war, den armen Burschen mit so großen Leiden und Bürden zu beschweren, endlich zu ihm sprach: »Sei nur ruhig; wenn erst die Zeit vorüber ist, welche meiner Kunst hemmend in den Weg tritt, wollen wir, ehe noch die Sonne sagt: ›Ich drücke mich!‹ zu diesem Hause: ›Ich empfehle mich!‹ sagen. Soviel ist gewiß, meine Mutter soll heute abend das Nest leer finden, ich aber will dann mit dir gehen und dein Geschick lebend oder tot teilen.« Wie der Prinz diese Worte vernahm, brachen seine Gefühle hervor, und um so leichter, als er vor Angst fast schon geborsten war, und Filadora umarmend, rief er aus: »Du, meine Geliebteste, bist der Leitstern meines von Stürmen gepeinigten Schiffchens, du bist die Stütze meiner Hoffnungen!«
Sobald nun der Abend nahte, grub Filadora in dem Garten, unter welchem sich ein unterirdischer Gang befand, ein Loch in die Erde, und hierauf machten sich beide in der Richtung nach Neapel auf den Weg. Als sie aber bei der Grotte von Pozzuolo anlangten, sagte Nard'Aniello zu Filadora: »Es geht nicht gut an, meine Teure, daß ich dich so zu Fuß und in dieser Tracht in den Palast bringe; erwarte mich daher in diesem Wirtshause; denn ich kehre recht bald mit Pferden, Wagen, Dienern, Kleidern und dergleichen anderem Kram wieder.« Filadora blieb also zurück, er selbst aber setzte seinen Weg nach Neapel fort.
Inzwischen kam die Alte wieder nach Hause, und da Filadora auf ihren gewöhnlichen Ruf nicht antwortete, so faßte sie Verdacht, eilte in den Wald und machte sich dort eine lange Stange, an welcher sie dann wie eine Katze zum Fenster hinauf und ins Haus kletterte. Nachdem sie nun dieses von innen und außen und oben und unten überall durchsucht und niemand gefunden hatte, bemerkte sie endlich das Loch, und sobald sie wahrnahm, daß dieses im Freien mündete, ließ sie sich vor Wut auch kein Haar auf dem Kopfe, wobei sie sowohl die Tochter als den Prinzen verwünschte und den Himmel anflehte, daß bei dem ersten Kuß, den der Geliebte ihrer Tochter empfinge, er sie gänzlich vergessen möchte.
Wir wollen jedoch die Alte ihre gottlosen Paternoster sagen lassen und zu dem Prinzen zurückkehren, welcher in dem königlichen Palast, woselbst man ihn für tot gehalten hatte, anlangend, das ganze Haus in Aufruhr setzte, indem ihm alle Bewohner desselben entgegeneilten und ausriefen: »Ei willkommen, willkommen, tausendmal willkommen! Da ist er ja frisch und gesund! Wie freuen wir uns, ihn wieder bei uns zu sehen!« und noch tausend andere Worte der Liebe mehr. Die Mutter aber kam ihm bis auf die halbe Treppe entgegengeeilt, umarmte ihn auf das freundlichste und rief aus: »Mein teurer Sohn, mein Juwel, mein Augapfel, wo bist du denn gewesen? Warum hast du denn so lange gezögert und uns indessen vor Angst vergehen lassen?« Der Prinz wußte nicht, was er antworten sollte, da er ihr die gehabten Leiden nicht mitteilen wollte; kaum aber hatte die Mutter ihn mit den Vergessenheit bringenden Lippen geküßt, so entschwand auch in demselben Augenblick durch die Verwünschung der Hexe alles, was ihm widerfahren war, seinem Gedächtnis. Als daher die Königin fortfuhr und sagte, daß sie ihn verheiratet zu sehen wünsche, damit er nicht ferner daran dächte, auf die Jagd zu gehen und sein Leben in den Wäldern zuzubringen, versetzte er ohne Zögern: »Wohlan, so sei es! Ich bin bereit, alles zu tun, was meine Frau Mutter wünscht!«, so daß diese voll Freude ausrief: »Gott segne dich, mein lieber Sohn!« Es wurde also festgesetzt, daß binnen vier Tagen ihm seine Braut, eine vornehme Dame aus der Gegend von Flandern, welche unlängst nach Neapel gekommen war, zugeführt werden sollte, während welcher Zeit große Feste und Bankette vorbereitet wurden.
Inzwischen empfand Filadora über die so lange Abwesenheit des Prinzen die größte Unruhe, und da auch sie von den Festen, von denen sich das Gerücht überallhin verbreitete, Wind bekam, so nahm sie eines Abends dem Hausknecht, welcher schon zu Bette gegangen war, die Kleider von seinem Lager, zog sich dieselben an und statt derselben ihre eigenen zurücklassend, machte sie sich auf den Weg nach der Stadt und dem königlichen Palast, woselbst die Köche, welche während der Zeit der Festlichkeiten Hilfe bedurften, sie als Küchenjungen in Dienst nahmen. Als nun der Morgen des festgesetzten Tages erschienen war und die Sonne auf der Bank des Himmels den ihr von der Natur ausgefertigten, mit Licht besiegelten Gewerbeschein zum Verkauf von Geheimmitteln für die Stärkung der Augen vorgewiesen hatte, langte auch die Braut unter Pauken- und Trompetenschall in dem Palast an, worauf alsobald das Festmahl angerichtet wurde und die Gäste sich zur Tafel setzten. Indem aber der Seneschall unter andern Speisen, welche zahllos herbeiströmten, auch eine große englische Pastete anschnitt, welche Filadora eigenhändig gern acht hatte, flog mit einem Male eine so schöne Taube aus derselben hervor, daß die Gäste zuzulangen vergaßen und voll Staunen das wunderniedliche Tier anschauten, welches den Bräutigam mit klagender Stimme also anredete: »Hast du denn Katzengehirn gegessen, o Prinz, daß du die Liebe zu Filadora so rasch vergessen hast? Sind dir die Dienste, die sie dir erzeigt, so schnell aus dem Gedächtnis entschwunden, Undankbarer? Vergiltst du so die Wohltaten, die du von ihr empfangen, Gefühlloser? Hat sie dich nicht aus den Krallen der Hexe befreit, dir dein Leben gerettet und sich selbst dir übergeben? Ist dies nun die Vergeltung, die du der Unglücklichen für die herzinnige Liebe, die sie für dich an den Tag gelegt, erweisest? Ja, sage nur immer, sie möge ihrer Wege gehen; sage nur immer, sie solle sich ihre Gedanken vergehen lassen! Wehe dem Weibe, die den Worten der Männer traut! Denn trotz ihrer Versprechungen beweisen sie nur Grausamkeit, Dienste vergelten sie durch Undankbarkeit und Wohltaten durch Vergessenheit. So hoffte auch die Unglückliche, als dein Weib mit dir unter einem Dache zu leben, jetzt aber sagst du: ›Ein Häuschen weiter‹; sie glaubte schon das Spiel gewonnen zu haben und sieht sich jetzt ohne Stich; sie dachte schon deine Hand zu besitzen und muß nun statt dessen mit einer langen Nase abziehen! Aber geh nur immer hin, vergiß deine Verpflichtungen, leugne deine Schuld, doch mögen die Verwünschungen, welche die Unglückliche aus tiefster Seele über dich ausgestoßen hat, dich in vollstem Maße treffen! Du wirst es dann innewerden, was es bedeute, ein Lämmchen zu hintergehen, ein Mädchen zu betrügen, eine arme Unschuldige zu berücken, indem du ihr einen solchen Gaunerstreich spielst und ihr Andenken in den Schornstein des Gedächtnisses schreibst, während sie das deinige in das Fleisch ihres Herzens eingegraben hat, sie in den Staub trittst, während sie dich auf Händen trägt, und ihr deine Hinterseite zuwendest, während sie dir wie eine Magd dient! Wenn aber der Himmel nicht vom Star befallen ist, wenn die Götter sich nicht das Spundloch ihrer Ohren zugestopft haben, so müssen sie das Unrecht, das du getan, wohl sehen, und dann wird, wann du es am wenigsten vermutest, die Drohung und der Schlag, der Blitz und der Donner, das Fieber und der Durchfall zu gleicher Zeit kommen! Doch genug, laß es dir nur immer schmecken, schwelge nur immer zu, lebe dir einen guten Tag, mache dich nur mit deiner Braut lustig; denn die arme Filadora, am Hungertuch nagend, wird dir das Feld freilassen, damit du mit deiner jungen Frau in Hülle und Fülle und in Wonne und Freuden prassen kannst!« – Nachdem die Taube diese Worte gesprochen, flog sie zum Fenster so schnell hinaus, daß sie wie der Wind verschwunden war. Der Prinz aber blieb, als er diese Taubenpredigt vernahm, wie versteinert sitzen, bis er sich endlich erkundigte, woher die Pastete gekommen wäre, und von dem Seneschall erfuhr, daß ein Küchenjunge, den man in der dringenden Not angenommen, sie bereitet hätte. Alsobald mußte dieser vor dem Prinzen erscheinen, und kaum war Filadora vor denselben getreten, so warf sie sich ihm zu Füßen und rief unter einem Strom von Tränen nur die Worte aus: »Was habe ich verbrochen?« Der Prinz, welcher durch die Gewalt der Schönheit Filadoras und durch die Kraft der Verwünschung, die auf ihm ruhte, sich der Verpflichtung wieder erinnerte, die er angesichts seiner Geliebten vor dem Tribunal Amors eingegangen war, hob sie sogleich vom Boden auf, ließ sie neben sich niedersetzen und teilte dann seiner Mutter ausführlich mit, wie große Dankbarkeit er Filadora schuldete und was sie für ihn getan und was er ihr versprochen und wie sie alles Mitleid verdiente, so daß die Mutter, welche kein anderes Gut auf Erden hatte als ihren Sohn, zu ihm sprach: »Tu, was dir gutdünkt, wenn nur die Ehre dieser Jungfrau, die ich dir zur Gemahlin auserwählt, nicht darunter leidet und sie ihre Zustimmung nicht versagt.« – »Seid unbesorgt«, sagte hierauf diese, »denn die Wahrheit zu sagen, wäre ich nur sehr ungern hier geblieben; da diese Sache mir aber so ganz wie gerufen kommt, so will ich mit Verlaub nach meinem lieben Flandern zurückkehren und dort die Großväter der Becher wieder aufsuchen, aus denen man in Neapel zu trinken pflegt, woselbst ich eine gehörige Lampe anzuzünden gedachte und darüber die Lampe meines Lebens fast verlöschen sah.« Voll der größten Freude bot ihr nun der Prinz ein Schiff und Begleitung an, ließ dann unverzüglich Filadora wie eine Prinzessin ankleiden und nach aufgehobener Tafel die Musikanten kommen, worauf der Tanz begann und ununterbrochen bis zum Abend fortdauerte. Als jedoch die Erde wegen des Leichenbegängnisses der Sonne sich ganz in Trauer gehüllt hatte und die Kerzen angezündet waren, hörte man plötzlich ein lautes Klingen, so daß der Prinz zur Mutter sagte: »Das wird wohl irgendeine hübsche Maskerade zur Ehre des Festes sein; meiner Treu, die neapolitanischen Kavaliere wissen sich zu benehmen und sehen, wenn es not tut, das Geld nicht an!« Während nun alle in dieser Meinung erwarteten, was da kommen sollte, erschien mit einem Male mitten im Saal eine scheußliche Fratze, die keine drei Schuh hoch, aber dicker als ein Faß war und, vor den Prinzen hintretend, zu ihm sprach: »Wisse, Nard'Aniello, daß deine losen Streiche und dein schlechtes Benehmen über dich alle die Leiden gebracht haben, die du bisher erduldet. Ich aber bin der Geist jener alten Frau, welcher du den Topf zerbrachst und die deswegen vor Hunger gestorben ist, daher verfluchte ich dich, daß du einer Hexe in die Klauen fallen möchtest, und meine Verwünschungen wurden erhört; durch die Macht dieser schönen Fee jedoch entkamst du aus jener Not und Gefahr, wogegen die Hexe über dich eine neue Verwünschung ausstieß, daß du bei dem ersten Kuß, den du empfingest, Filadora vergessen solltest; so daß sie auch wirklich deinem Gedächtnis entschwand, als deine Mutter dich küßte. Jetzt aber verwünsche ich dich von neuem, daß du immerdar die Bohnen, die du auf die Erde gesät hast, vor Augen haben mögest, indem dir aus ihnen, wie aus denen des Johannisbrotes, Bockshörner emporwachsen!« So sprechend, verschwand die Gestalt wie Quecksilber, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen; die Fee aber, die den Prinzen bei diesen Worten erblassen sah, sprach ihm Mut ein, indem sie zu ihm sagte: »Fürchte nichts, mein lieber Mann, das ist eitles Gerede, da ist nichts dahinter, und verlasse dich nur auf mich!« Nachdem sie dies gesagt und das Fest beendet war, ging sie mit ihrem Bräutigam zu Bett, und um dem über die neu versprochene Treue ausgestellten Dokument eine größere Kraft zu verleihen, stellte er ihr noch eines aus, wobei die früheren Drangsale die jetzigen Freuden erhöhten, so daß sie an dem Prüfstein der Erfahrung erkannten, wie wahr das Wort sei:
Vergangene Leiden
würzen gegenwärtige Freuden.