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Die Geschichte von den zwei Kuchen war in der Tat für alle ein gefüllter Kuchen, den sie sich herrlich schmecken ließen, so daß sie sich noch die Finger danach lecken. Als sich aber Paola anschickte, die ihrige zu erzählen, wurde der Befehl des Prinzen zum Medusenhaupt, das allen die Sprache raubte, so daß sie also zu erzählen anfing:
Wer Gutes tut, erfährt Gutes; Dienstfertigkeit ist der Haken der Freundschaft und das Band der Liebe, und wer nicht sät, erntet nicht, wie Ciullo auch in einem Voressen von Beispiel gezeigt hat, ich aber will euch einen Nachtisch vorsetzen, wenn ihr euch erinnern wollt, daß es heißt: »Über Tisch sprich wenig.« Leiht mir daher eine kurze Zeit ein geneigtes Ohr; dann werde ich auch zum Himmel flehen, daß er euch die Ohren wachsen lasse und ihr mit ihnen immer erfreuliche und angenehme Dinge hören möget.
Es war einmal in der Gegend von Arzano eine wackere Frau, die jedes Jahr einen Sohn zutage förderte, so daß deren Zahl bereits bis auf sieben gestiegen war und sie der Syrinxpfeife des Gottes Pan glichen, von deren sieben Röhren eine immer kleiner ist als die andere. Nachdem sie nun die Kinderschuhe ausgetreten hatten, sprachen sie zu ihrer Mutter Janetella, als sie sich wieder einmal in guter Hoffnung befand: »Gib wohl acht, liebe Mutter, was wir dir sagen; wenn du nach so vielen Söhnen jetzt nicht endlich einmal eine Tochter zur Welt bringst, so sind wir entschlossen, uns aufzumachen und wie verloren und verlassen in die weite Welt zu gehen.« Sobald die Mutter diese unselige Rede vernahm, so bat sie den Himmel, ihre Söhne doch von diesem Entschluß abzubringen und sie vor dem Verlust solcher sieben Juwelen, wie ihre Kinder waren, zu schützen. Als nun die Mutter der Stunde ihrer Entbindung nahe war, sprachen ihre Söhne zu ihr: »Wir, liebe Mutter, werden uns inzwischen auf jene Halde oder Anhöhe, die hier geradeüber liegt, begeben, und wenn du einen Knaben gebierst, so stelle ein Tintenfaß nebst Feder ans Fenster, wenn aber ein Mädchen, so stelle einen Löffel und einen Rocken hin; denn wenn wir das letztere Zeichen sehen, so kehren wir zurück und verbringen den Rest des Lebens unter deinen Flügeln, im umgekehrten Falle aber magst du uns nur immer vergessen; denn dann ist unseres Bleibens nicht länger.« Kaum hatten aber die Söhne das Haus verlassen, so fügte es der Himmel, daß Janetella ein hübsches Töchterlein gebar, so daß sie alsbald zu der Wehmutter sagte, daß sie den Söhnen das verabredete Zeichen geben sollte; diese jedoch war so verblüfft und verdutzt, daß sie das Tintenfaß und die Feder ans Fenster stellte. Beim Anblick dieses Zeichens nahmen die Brüder die Beine über den Buckel und gingen so lange, bis sie nach einem dreijährigen Umherziehen in einen Wald kamen, wo die Bäume zur Musik eines Flusses, der sich der Steine als Instrumente bediente, einen Blütenreigen aufführten. In diesem Walde aber befand sich die Behausung eines wilden Mannes, dem seine Frau im Schlafe die Augen ausgestochen hatte und der daher ein solcher Feind der Weiber geworden war, daß er alle auffraß, die er bekommen konnte. Als nun die sieben Jünglinge ermattet von der Reise und fast tot vor Hunger an dem Hause des wilden Mannes anlangten, baten sie ihn, daß er ihnen doch aus Barmherzigkeit einen Bissen Brot geben möchte, worauf jener versetzte, daß er ihnen allen Lebensunterhalt geben würde, wenn sie Ihm dienen wollten, und zwar würden sie nichts weiter zu tun haben, als daß ihn jeder der Reihe nach einen Tag lang wie ein Hund bewachen sollte. Dieses Anerbieten kam den Jünglingen wie gerufen, sie nahmen es daher sogleich an und traten in den Dienst des wilden Mannes, der sich ihre Namen merkte und bald Giangrazio rief, bald Cecchitiello, bald Pascale, bald Nuccio, bald Pone, bald Pezzillo und bald Carcavecchia; denn so hießen die Brüder, denen er eine Stube in seinem Hause anwies und ihnen so viel gab, daß sie davon leben konnten.
Inzwischen war die Schwester herangewachsen, und als sie vernahm, daß ihre sieben Brüder durch ein Versehen ihrer Mutter in die weite Welt gegangen waren und nie wieder etwas von sich hatten hören lassen, setzte sie es sich in den Kopf, sie aufzusuchen, und so sehr lag sie der Mutter in den Ohren, bis diese, betäubt von den immerwährenden Bitten, ihr eine Pilgertracht gab und sie ziehen ließ. Die Tochter nun ging, ohne sich irgendwo aufzuhalten, immer weiter, wobei sie alle Augenblicke fragte, wer sieben Brüder gesehen hätte, und so lange wanderte sie umher, bis sie endlich in einem Wirtshause erfuhr, wo sie sich befanden. Sobald sie sich nun den Weg nach jenem Walde hatte sagen lassen, zog sie wieder fort und langte eines Morgens, als die Sonne mit dem Federmesser der Strahlen die von der Nacht auf das Papier des Himmels gemachten Kleckse auskratzte, an dem Hause des wilden Mannes an, wo ihre Brüder sie mit vieler Freude erkannten und jenes Schreibzeug verwünschten, das für sie verräterischerweise so viele Leiden aufgeschrieben hatte. Nachdem sie aber ihrer Schwester tausendfache Liebkosungen erwiesen, rieten sie ihr, sich ganz stille in ihrer Stube zu halten, damit der wilde Mann sie nicht sehe, und außerdem, daß sie von allem, was sie äße, der Katze, die sich in der Stube befand, ein Stück abgeben sollte, denn sonst würde sie ihr irgend etwas Böses antun. Cianna (dies war der Name der Schwester) schrieb diese Ratschläge in das Buch ihres Herzens und teilte immer redlich mit der Katze, indem sie alles ganz genau durchschnitt und mit den Worten: »Dies für mich und das für dich!« der Katze ihren gewissenhaft abgemessenen Anteil übergab. Es trug sich jedoch eines Tages zu, daß, als die Brüder im Dienst des wilden Mannes auf die Jagd gegangen waren, sie der Schwester ein Säckchen mit Erbsen zum Kochen übergaben und diese beim Auslesen derselben unglücklicherweise darunter einen Haselnußkern fand, der der Stein des Anstoßes für ihre Ruhe wurde; denn, da sie den Kern aufaß, ohne der Katze die Hälfte davon zu geben, sprang diese voll Verdruß darüber auf den Herd und pißte so lange auf das Feuer, bis es ausging. Indem nun Cianna dies sah und nicht wußte, was sie anfangen sollte, verließ sie gegen den Rat ihrer Brüder die Stube, trat in das Zimmer des wilden Mannes und bat ihn um etwas Feuer, worauf dieser, eine Weiberstimme hörend, alsbald sagte: »Guten Tag, Nachbarin, wartet ein wenig, ihr habt gefunden, was ihr sucht.« Und so sprechend, ergriff er einen Schleifstein, bestrich ihn mit Öl und fing an, seine Hauer zu wetzen. Cianna aber, welche sah, wie übel sie angekommen war, ergriff einen Brand, lief in ihre Stube zurück und verriegelte hinter sich die Tür, indem sie außerdem Querstangen, Stühle, Bettstellen, Kasten, Steine und was nur irgend noch sonst sich in ihrer Stube befand, vorschob. Sobald der wilde Mann sich die Zähne gewetzt hatte, lief er nach der Stube der Brüder, und da er sie verschlossen fand, so fing er an, mit den Füßen dagegenzustoßen, um sie einzurennen. Inzwischen kamen die Brüder nach Hause, und indem sie dieses Getümmel vernahmen und hörten, daß der wilde Mann sie Verräter nannte, weil sie ihre Stube zum Aufenthaltsort seiner Feindinnen gemacht, begann Giangrazio, der älteste und verständigste von allen, als er sah, wie schlecht die Sachen standen, also zu sprechen: »Wir wissen nichts von all dem, was hier vorgeht, und es ist leicht möglich, daß das verwünschte Frauenzimmer, während wir uns auf der Jagd befanden, in unsere Stube gekommen ist. Da sie sich aber inwendig verschanzt hat, so komm mit uns; denn wir wollen dich so führen, daß du sie erwischen wirst, ohne daß sie sich verteidigen kann.« Hierauf führten sie ihn an einen tiefen, tiefen Graben, gaben ihm dann einen Stoß und stürzten ihn hinunter; alsdann ergriffen sie eine Schaufel, die sie auf der Erde fanden, und bedeckten ihn ganz mit Erde. Nachdem sie nun ihre Schwester hatten die Tür öffnen heißen, wuschen sie ihr tüchtig den Kopf dafür, daß sie wider ihren Rat gehandelt und sich einer solchen Gefahr ausgesetzt hatte; in Zukunft aber solle sie vorsichtiger sein und sich wohl hüten, in der Nähe des Ortes, wo der wilde Mann begraben läge, Gras abzupflücken; denn sonst würden sie sich in sieben Tauben verwandeln. »Behüt' der Himmel,
daß ich euch dies antun sollte«, erwiderte Cianna, worauf sie sich in Besitz des Hauses und aller Sachen des wilden Mannes setzten und anfingen, lustig zu leben, indem sie abwarten wollten, bis der Winter vorüberginge, um sich dann, wenn die Sonne der Erde als Freudengeschenk bei der Besitznahme des Hauses »zum Stier« ein grünes, mit Blumen gesticktes Gewand verleiht, das heißt, wenn die Sonne ins Zeichen des Stieres tritt, auf den Weg zu machen und in ihre Heimat zurückzukehren.
Es geschah nun aber eines Tages, als die Brüder in den Wald gegangen waren, um Holz zu holen und sich damit gegen die Kälte zu schützen, die von Tag zu Tag zunahm, daß ein armer Wanderer bei dem Hause anlangte, der einer Meerkatze, die auf einer Pinie saß, eine neckende Gebärde gemacht und dafür von ihr eine Frucht jenes Baumes an den Kopf geworfen bekam, die ihm eine so gewaltige Beule machte, daß der arme Schelm schrie, als stecke er am Spieß. Bei diesem Lärm trat Cianna aus dem Hause, und voll Mitleid mit ihm riß sie rasch von einem Rosmarinstrauch, der aus dem Grabe des wilden Mannes emporgewachsen war, ein paar Blätter ab, aus denen sie ihm mit gekautem Brot und Salz ein Pflaster machte, worauf sie ihm ein Frühstück gab und ihn dann entließ. Während Sie nun, die Brüder erwartend, den Tisch deckte, erschienen plötzlich sieben Tauben, die zu ihr sagten: »Wievielmal besser wäre es doch gewesen, man hätte dir die Hände abgehauen, du Urheberin unseres ganzen Unglücks, als daß du den verwünschten Rosmarin abpflücktest und uns in so großes Leid stürztest. Hast du denn Katzengehirn gegessen, Schwester, daß dir unser Rat so ganz und gar aus dem Gedächtnis entschwunden ist? – Jetzt sind wir nun in Tauben verwandelt und den Klauen der Weihen, Sperber und Habichte ausgesetzt; jetzt sind wir Genossen der Bleßhühner, Schnepfen, Stieglitze, Baumhacker, Häher, Käuze, Elstern, Dohlen, Krähen, Stare, Auerhühner, Kiebitze, Strandläufer, Wasserhühner, Birkhühner, Amseln, Drosseln, Finken, Zaunkönige, Spechte, Hänflinge, Zeisige, Grasmücken, Kreuzschnäbel, Fliegenschnäpper, Haubenlerchen, Regenpfeifer, Taucher, Bachstelzen, Rotkehlchen, Gimpel, Spatzen, Kuppenenten, Krammetsvögel, Holztauben und Dompfaffen. Das war einmal ein kluger Streich; jetzt können wir immerhin in unsere Heimat zurückkehren, um uns dann mit Netzen und Leimruten fangen zu lassen! Um einem Pilger den Kopf zu kurieren, hast du sieben Brüdern den Hals gebrochen; denn für uns ist keine Rettung, wenn du nicht die Mutter der Zeit auffindest und dir von ihr sagen läßt, was für uns zu tun sei.« Cianna stand da wie versteinert und bat endlich ihre Brüder wegen ihres Versehens um Verzeihung, indem sie versprach, solange in der Welt umherzuziehen, bis sie die Behausung jener Alten auffände; zugleich legte sie ihren Brüdern ans Herz, sich, solange sie abwesend wäre, immer in dem Hause aufzuhalten, damit ihnen nicht ein Unglück widerführe. Hierauf machte sie sich auf den Weg und wanderte überall umher, ohne je zu ermüden; denn obgleich sie zu Fuß ging, so diente ihr doch das Verlangen, ihren Brüdern zu helfen, als Gaul, mit dem sie die Stunde drei Meilen machte. Endlich kam sie an eine Küste, wo das Meer wie ein Schulmeister die Klippen mit seiner Wellenrute peitschte, weil sie auf die Fragen nicht antworten wollten, die es an sie richtete, und sah dort einen großen Walfisch, der zu ihr sprach: »Was suchst du, mein schönes Kind?« Worauf Cianna versetzte: »Ich suche das Haus der Mutter der Zeit.« – »Weißt du, was du tun sollst?« erwiderte der Walfisch. »Gehe immer an diesem Ufer entlang, und an dem ersten Fluß, den du antriffst, gehe dann immer wieder stromaufwärts, dann wirst du jemand finden, der dir den übrigen Weg zeigen wird. Tu mir aber den Gefallen und bitte die Alte, wenn du sie gefunden hast, in meinem Namen, daß sie mir ein Mittel angeben möchte, wie ich sicher einherschwimmen kann, ohne sooft an Felsen zu stoßen und auf den Sand zu geraten.« – »Laß mich nur machen«, versetzte Cianna, und sich bei dem Walfisch herzlich für den Weg bedankend, den er ihr gezeigt, fing sie an, immer an dem Ufer entlangzuziehen, bis sie nach einer langen Reise endlich bei dem Fluß angelangt, der wie ein Fiskalkommissar große Summen Silbergeld in die Bank des Meeres ablieferte, worauf sie an ihm immer stromaufwärts ging und endlich auf einer schönen Au anlangte, die in ihrem mit Blumen gestirnten Mantel dem Himmel gleich zu sein glaubte. Dort traf sie eine Maus, die zu ihr sagte: »Wohin so allein, schönes Kind?« worauf Cianna erwiderte: »Ich suche die Mutter der Zeit.« – »Da hast du noch sehr weit zu gehen«, versetzte die Maus, »doch verliere nur den Mut nicht; alles hat einmal ein Ende; geh nur immer auf jene Berge los, die als die Beherrscher dieser Ebene sich den Titel ›Hoheit‹ geben lassen; dort wirst du wieder Auskunft erhalten über das, was du zu wissen wünschst. Wenn du aber bei dem Hause, das du aufsuchst, anlangst, so tu mir den Gefallen und bitte die gute Alte, dir zu sagen, wie wir Mäuse es anfangen sollen, um uns von der Tyrannei der Katzen zu befreien; du erzeigst mir dadurch einen großen Dienst, und ich werde dir immer dafür dankbar sein.« Cianna versprach, ihr diesen Gefallen zu erweisen und machte sich auf den Weg nach jenen Bergen, welche zwar sehr nahe schienen, aber gar nicht zu erreichen waren. Endlich jedoch langte sie bei ihnen an und setzte sich müde auf einen Stein nieder, wo sie ein Heer von Ameisen erblickte, die eine große Menge Getreideproviant fortschafften und von denen eine sich an Cianna wandte und sie fragte: »Wer bist du und wohin gehst du?« Worauf Cianna, die gegen jedermann höflich war, erwiderte: »Ich bin ein unglückliches Mädchen und muß notwendigerweise das Haus der Mutter der Zeit aufsuchen.« – »Geh nur immer weiter«, versetzte die Ameise, »denn da, wo diese Berge sich in eine große Ebene verflachen, wirst du weitere Auskunft erhalten. Tu uns aber den Gefallen und suche von der Alten zu erfahren, wie wir Ameisen es anfangen sollen, um etwas länger zu leben als jetzt; denn es scheint mir eine große Ungereimtheit in dem irdischen Treiben, so viele Vorräte von Lebensmitteln für ein so kurzes Leben aufzuhäufen, das, wie das Licht eines Gauklers, mitten im Besten verlischt.« – »Sei ganz ruhig«, versetzte Cianna, »ich werde dir schon deine Freundlichkeit vergelten.« Und über die Berge hinwegziehend, gelangte sie auf eine schöne Flur, auf der sie bald nachher eine große Zirneiche antraf, die ein Denkmal hohen Altertums war und deren Frucht dem armen Mädchen, das sich mit wenigem begnügte, wie Konfekt schmeckte, überhaupt aber ein Bissen ist, den die Urwelt diesem leidenvollen Zeitalter als Andenken an die verlorene Glückseligkeit darreicht. Der Baum nun bildete sich einen Mund aus seiner Rinde und eine Zunge aus dem Mark und sprach zu Cianna: »Wohin so traurig, mein Kind? Komm unter meinen Schatten und ruhe dich aus.« Cianna aber dankte ihm schönstens und lehnte seine freundliche Einladung ab, da sie Eile hätte und die Mutter der Zeit aufsuchen müsse. Als der Baum dies vernommen, begann er wieder: »Du bist nicht mehr sehr weit von deinem Ziel, denn du wirst keinen Tag mehr gewandert sein, so wirst du auf einem Berge ein Haus erblicken und darin die du suchst antreffen. Wenn du aber ebenso freundlich wie schön bist, so bemühe dich, zu erfahren, wie ich es anfangen soll, um meine verlorene Ehre wiederzuerlangen, da ich früher sogar Speise der Vornehmen war, jetzt aber nur Mast für Schweine liefere.«
– »Überlasse mir diese Sorge«, versetzte Cianna, »denn ich werde mich bemühen, dir gefällig zu sein.« Hierauf zog sie weiter und ging immerzu, ohne sich je Ruhe zu gönnen, bis sie am Fuß eines naseweisen Berges anlangte, der mit seiner Spitze den Wolken gerade ins Gesicht fuhr. Dort begegnete sie einem alten Mann, der, vom Weg ermüdet, sich in einen Heuschober gelegt hatte und, sobald er Cianna erblickte, sie sogleich als die erkannte, die ihn von der Beule geheilt hatte. Als er nun vernahm, was sie suchte, sagte er zu ihr, daß er der Zeit den Pachtzins für das Stück Erde, das er bisher bebaut, überbringe und daß die Zeit eine Tyrannin wäre, die sich aller Dinge auf der ganzen Welt bemächtigt habe und von allen, besonders aber von den Leuten seines Alters, Tribut verlange; weil er aber von Cianna einst einen so freundlichen Dienst erhalten, so wolle er ihr ihn jetzt durch einen guten Rat über die Ankunft auf diesem Berge hundertfach vergelten; es täte ihm zwar leid, sie nicht selbst hinauf begleiten zu können, da sein Alter, wie er sagte, eher dazu bestimmt sei, hinunter- als hinaufzusteigen und ihn daher zwänge, am Fuße jenes Berges zu bleiben, um mit den Buchhaltern der Zeit, nämlich den Leiden, Mühseligkeiten und Krankheiten des Lebens seine Rechnung abzumachen und die Schuld der Natur zu bezahlen; jedoch erteilte er ihr folgenden Rat und sprach: »Jetzt merke wohl auf, mein hübsches Kind, und verliere kein Wort von dem, was ich dir jetzt sage. Du wirst nämlich auf dem Gipfel dieses Berges ein ungeheuer großes Haus finden, dessen Erbauung sich niemand erinnert; die Mauern sind verfallen, der Grund morsch, die Türen geborsten, das Hausgerät veraltet und mit einem Worte alles in Verfall geraten; auf einer Seite wirst du zerbrochene Säulen, auf der anderen zertrümmerte Statuen und nichts anderes in gutem Zustande sehen als über einer Tür ein in Felder geteiltes Wappen mit einer Schlange, die sich in den Schwanz beißt, einem Hirsch, einem Raben und einem Phönix. Sobald du eingetreten bist, wirst du ferner auf der Erde Feilen, Sägen, Sicheln, Hippen und viele hundert Kessel voll Asche erblicken und Namen darauf, wie auf Kruken in einer Apotheke, die besagen: Korinth, Sagunt, Karthago, Troja und tausend andere Namen von Städten, die in die Brüche gegangen sind und deren Asche die Zeit als Trophäen ihrer Taten aufbewahrt. Wenn du nun an dieses Gebäude kommst, so verstecke dich abseits so lange, bis du die Zeit hinausgehen siehst, dann tritt ohne Zögern in das Haus, wo du eine hochbejahrte Alte finden wirst, deren Kinn die Erde berührt und deren Buckel bis in den Himmel reicht, während die Haare wie der Schwanz eines Schimmels ihr die Fersen bedecken; ihr Angesicht aber, dessen Falten durch das Stärkemehl der Zeit gesteift sind, gleicht einer gerippten Halskrause. Diese Alte nun sitzt auf einer Uhr, die auf einer Mauer steht, und da ihre Brauen so lang sind, daß sie ihr die Augen bedecken, so wird sie dich nicht sehen können. Sobald du aber eingetreten bist, nimm rasch die Gewichte von der Uhr ab und bitte dann die Alte mit lauter Stimme, daß sie das erfüllen möge, was du von ihr verlangst; worauf sie alsbald ihren Sohn herbeirufen wird, damit er komme und dich auffresse; da aber der Uhr, auf der sie sitzt, die Gewichte fehlen werden, so wird ihr Sohn nicht gehen können und sie daher gezwungen sein, dir das zu bewilligen, was du forderst. Traue jedoch keinem Eide, den sie leistet, wenn sie nicht bei den Flügeln ihres Sohnes schwört; dann kannst du ihr Glauben schenken und tun, was sie dir sagt; denn dann wirst du deine Wünsche erfüllt sehen.« Nachdem er dies gesprochen, sank der Arme hin und löste sich auf wie ein toter Körper, der aus einer Katakombe an das Tageslicht gebracht wird. Cianna sammelte hierauf die Asche, mischte ein Nößel Tränen hinein, grub dann ein Grab und beerdigte die Überreste des Hingeschiedenen, indem sie ein Gebet um Ruhe und Frieden für seine Seele verrichtete; alsdann stieg sie den Berg hinauf, wobei sie ganz den Atem verlor, und wartete, bis die Zeit herauskam, die ein Greis mit gewaltig langem Barte war, bekleidet mit einem ganz alten Mantel, auf den sich über und über Zettelchen mit den Namen von mancherlei Leuten genäht befanden; auch hatte er große Flügel und flog so rasch, daß Cianna ihn bald aus dem Gesicht verlor. Sie trat nun ins Haus zu seiner Mutter und mußte über den Anblick der alten Schachtel lächeln; dann aber faßte sie plötzlich die Gewichte und sagte zur Alten, was sie verlange, worauf diese einen lauten Schrei ausstieß und den Sohn herbeirief, Cianna jedoch zu ihr sprach: »Wenn du auch mit dem Kopf gegen die Mauer rennst, so bekommst du dennoch gewiß nicht deinen Sohn zu sehen, solange ich die Gewichte festhalte.« Als so die Alte sah, daß nichts zu machen war, fing sie an, Cianna zu schmeicheln und zu sagen; »Laß die Gewichte los, mein Töchterchen, und hindere meinen Sohn nicht in seinem Lauf, was bis jetzt noch kein Sterblicher auf Erden getan hat; laß los, so wahr dir Gott helfe; denn ich schwöre dir bei dem Scheidewasser meines Sohnes, mit dem er alles zernagt, dir nichts zuleide zu tun.« – »Du verlierst deine Worte«, versetzte Cianna; »du mußt mir stärkere Versicherungen geben, wenn du willst, daß ich die Gewichte loslasse.« – »Ich schwöre es bei den Zähnen, die alle irdischen Dinge zernagen«, erwiderte jene, »daß ich dir alles sagen werde, was du wünschest.« – »Das ist alles nichts«, entgegnete Cianna, »denn ich weiß, daß du mich hintergehen willst.« – »Nun denn«, antwortete die Alte, »so schwöre ich es dir bei den Flügeln, die überallhin fliegen, daß ich dir mehr Gutes erweisen werde, als du dir vorstellst.« Worauf Cianna die Gewichte losließ und der Alten die nach Schimmel riechende und nach Moder stinkende Hand küßte, so daß die Alte sich über die Höflichkeit Ciannas freute und zu ihr sprach: »Verstecke dich hinter jene Tür, denn wenn mein Sohn kommt, werde ich mir von ihm sagen lassen, was du willst; sobald er aber wieder fortgeht, denn er bleibt nie ruhig an einer Stelle stehen, verlasse schnell das Haus und mache ja kein Geräusch; denn er ist solch ein Vielfraß, daß er seine eigenen Kinder nicht verschont, und wenn er gar nichts hat, so ißt er sich selbst auf und kommt dann wieder aufs neue zum Vorschein.« Kaum hatte Cianna getan, wie die Alte sie geheißen, so kam auch schon jener schnell, hoch und leicht angeflogen, benagte alles, was sich ihm darbot, selbst den Schimmel auf den Wänden, und wollte eben wieder fortfliegen, als die Alte ihn nach allem fragte, was sie von Cianna gehört, und ihn bei der Milch, mit der sie ihn gesäugt, beschwor, genau auf alles zu antworten, was sie von ihm zu wissen wünschte, worauf der Sohn ihr nach langem Bitten antwortete: Dem Baum kann man antworten, daß er bei den Menschen nie geachtet sein wird, solange er Schätze unter seinen Wurzeln begraben hält, den Mäusen, daß sie nie vor der Katze sicher sein werden, wenn sie ihr nicht eine Schelle ans Bein binden, um sie zu hören, wann sie kommt; den Ameisen, daß sie hundert Jahre lang leben werden, sobald sie das Fliegen aufgeben können, denn wie die Ameisen dem Tode nahe sind, bekommen sie Flügel; dem Walfisch, daß er guten Mutes sein und sich den Delphin zum Freunde halten soll, da er, wenn der ihm als Führer diente, nie stranden würde; und den Tauben, daß, wenn sie sich auf die Säule des Reichtums setzen, sie ihre frühere Gestalt wiederbekommen werden.« Nach diesen Worten begann die Zeit wieder ihren gewöhnlichen Lauf, und Cianna, von der Alten Abschied nehmend, stieg von dem Berge in die Ebene hinunter.
Inzwischen waren die sieben Tauben ihrer Schwester immer nachgefolgt und endlich am Fuße des Berges angelangt, woselbst sie, von dem langen Fluge ermüdet, sich alle auf die Hörner eines toten Ochsen niedersetzten, und kaum hatten ihre Füße diese berührt, als sie auch ihre frühere Jünglingsgestalt wiedererlangten. Noch voll Staunen hierüber vernahmen sie von ihrer Schwester die Antwort der Zeit und sahen nun, daß das Horn, als Sinnbild der Fülle, die von der Zeit angedeutete Säule des Reichtums sei, worauf sie und die Schwester in größter Freude denselben Weg zurücknahmen, den Cianna auf der Hinreise gemacht hatte. Indem sie nun wieder zu dem Eichenbaum kamen und ihm erzählten, was die Zeit in betreff seiner gesagt, so bat der Baum sie, den unter ihm befindlichen Schatz auszugraben, da dieser Anlaß wäre, daß seine Eicheln nicht mehr so geachtet würden wie früher. Die Brüder gruben daher mit einem Spaten, den sie in einem Garten fanden, so lange, bis sie einen großen Haufen Goldstücke fanden, welche sie unter sich und die Schwester in acht Teile verteilten, um sie bequem fortschaffen zu können. Als sie sich jedoch nach einiger Zeit ermüdet von der Reise und der Last des Goldes neben einem Zaune schlafen gelegt hatten, wurden sie von etlichen Räubern, die dort vorüberkamen und die armen Schelme mit den Köpfen auf den Tüchern voll Geld liegen sahen, mit Händen und Füßen an Bäume gebunden, worauf jene ihnen die Spieße abnahmen und sich davonmachten, die Gefesselten aber nicht nur über den eben so schnell gewonnenen wie zerronnenen Schatz, sondern auch wegen ihres Lebens zu jammern begannen, da sie, aller Hoffnung auf Hilfe beraubt, in Gefahr waren, entweder bald vor Hunger zu sterben oder den Hunger irgendeines wilden Tieres zu stillen. Während sie aber so ihr trauriges Schicksal beweinten, erschien die Maus, die nach Anhörung des Bescheides der Zeit als Lohn für den empfangenen Dienst die Stricke, mit denen sie jene angebunden sah, zernagte und sie in Freiheit setzte. Als sie nun ein Stück weitergegangen waren, begegneten sie auch der Ameise, und nachdem diese den Rat der Zeit vernommen, fragte sie Cianna, was sie denn hätte, daß sie so bleich und niedergeschlagen aussehe; Cianna erzählte ihr daher, was ihr widerfahren war, und den Streich, den ihr die Spitzbuben gespielt, worauf die Ameise versetzte: »Seid nur ganz ruhig; denn ich bin gesonnen, mich für den erhaltenen Dienst dankbar zu erweisen. Wisset nämlich, daß, während ich eine Last Getreide unter die Erde trug, ich den Ort bemerkte, wo jene Bluthunde die geraubten Sachen verbargen; denn sie haben unter einem verfallenen Gebäude einige Höhlen angelegt, in die sie ihren Raub hinschleppen; da sie nun eben jetzt auf eine neue Unternehmung ausgezogen sind, so will ich euch den Ort zeigen und euch hinführen, damit ihr das Eurige wiedererlangen könnet.« Nach diesen Worten machte sie sich auf den Weg zu einigen eingestürzten Häusern und zeigte den Brüdern den Eingang zur Höhle, aus der Giangrazio, der als der mutigste von allen hinuntergestiegen war und darin das ganze, ihnen geraubte Gold gefunden hatte, es bald wieder herausbrachte, worauf sie weiter zum Meeresufer zogen und da den Walfisch antrafen, dem sie den von der Zeit, dem Vater aller Ratschläge, gegebenen Rat mitteilten. Während sie nun so von ihrer Reise und von allen ihren Abenteuern sprachen, sahen sie plötzlich das Diebsgesindel, das ihrer Spur gefolgt war, bis an die Zähne bewaffnet in der Ferne erscheinen, so daß sie bei ihrem Anblick ausriefen: »Wehe uns, dieses Mal sind wir gänzlich und rettungslos verloren; denn dort kommen die Schelme bewaffnet und werden uns das Fell über die Ohren ziehen!« – »Seid ganz ohne Furcht« versetzte der Walfisch, »denn ich kann und will euch aus eurer Not erretten, um euch die Liebe zu vergelten, die ihr mir erwiesen habet. Steigt also auf meinen Rücken und seid überzeugt, daß ich euch an einen sichern Ort bringen werde.« Da die Geschwister sich den Feind im Nacken und das Messer an der Kehle sahen, bestiegen sie den Walfisch, der sich sogleich von den Klippen entfernte und endlich auf der Höhe von Neapel anlangte; da aber die Geschwister dort wegen der Untiefen nicht zu landen wagten, fragte sie der Walfisch: »Wo wollet ihr nun, daß ich euch absetze? An der Küste von Amalfi?« Worauf Giangrazio versetzte: »Sieh zu, lieber Fisch, ob sich das vermeiden ließe; da ich an keinem dieser Orte gern ans Land gehen möchte, denn es heißt: ›Zu Vico sprich: »Marsch, packe dich!« Sag zu Castellamare: »Zu allen Teufeln fahre!« Den Schelmen zu Sorrent man nimmer Gutes gönnt; die Schurken dort zu Masse ich ganz von Herzen hasse.‹« Um ihnen nun zu willfahren, machte der Walfisch kehrt und steuerte auf den »Salzfelsen« los, auf den er sie absetzte und von wo sie sich durch das erste Fischerboot, das vorüberkam, ans Land bringen ließen, worauf sie frisch und gesund und reich zur Freude ihrer Eltern in ihre Heimat zurückkehrten und hier durch die Liebe, welche Cianna ihnen bewiesen, ein glückliches Leben führten, das die Wahrheit des alten Wortes bezeugte:
Man tue Gutes, wenn man kann,
und denke dann nicht weiter dran.