Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Als Cecca ihre Erzählung, die allen ganz ausnehmend gefiel, beendet hatte und Meneca, die wie auf der Folter war, um die ihrige abzuladen, wahrnahm, daß die Zuhörer sämtlich die Ohren spitzten, begann sie wie folgt:
Es ist den Menschen immer schwerer gewesen, das Erworbene zu bewahren, als Neues zu erwerben, da beim einen das Glück mithilft, das oft der Ungerechtigkeit beisteht, zum andern aber Verstand nötig ist; daher sieht man zwar oft Menschen, denen es an Klugheit fehlt, zur Größe emporsteigen, aus Mangel an Einsicht stürzen sie aber auch wieder herunter, wie ihr, wenn ihr nicht auf den Kopf gefallen seid, aus folgender Geschichte ersehen könnt.
Es war einmal ein Kaufmann, der eine einzige Tochter hatte und gar sehr wünschte, sie verheiratet zu sehen; sooft er aber diese Saite anschlug, fand er seine Tochter hundert Meilen weit von dem gewünschten Ton entfernt, da dieses törichte Ding ledig bleiben wollte, ihr Wildgehege auf das eifersüchtigste bewachte und in ihrem Tribunal immer Vakanzen, in ihrer Schule immer Ferien, in ihrem Gerichtshof immer Feiertage zu haben wünschte; so daß der Vater im höchsten Grade niedergeschlagen und der Verzweiflung nahe war. Als er nun einmal zu einer Messe reisen mußte, fragte er seine Tochter, die Betta hieß, was er ihr mitbringen solle, worauf sie erwiderte: »Wenn du mich liebhast, Väterchen, so bringe mir einen halben Zentner Palermozucker, einen halben süße Mandeln, vier bis sechs Flaschen wohlriechendes Wasser, etwas Moschus und Ambra, ferner etwa vierzig Stück Perlen, zwei Saphire, einige Granaten und Rubine, etwas Goldgespinst, besonders aber einen Backtrog und Kratzmesser von Silber.« Der Vater wunderte sich zwar über diese etwas unbescheidene Forderung, wollte aber seiner Tochter nicht widersprechen, er reiste daher zur Messe ab und brachte ihr bei seiner Rückkehr ganz genau alles, was sie gewünscht. Als Betta diese Dinge sämtlich erhalten hatte, schloß sie sich in ihrem Zimmer ein und begann, aus Mandeln und Zucker vermischt mit Rosenwasser und Wohlgerüchen, einen großen Teig zu kneten; worauf sie ihm die Gestalt eines wunderschönen Jünglings verlieh, ihm von Gold gesponnene Haare, Augen von Saphiren, Zähne von Perlen und Lippen von Rubinen machte, ihm außerdem soviel Reiz und Anmut verlieh, daß ihm nur noch die Sprache fehlte. Als sie mit dem Bild fertig war, fing sie, wohl wissend, daß auf Bitten eines Königs von Zypern auch einst eine Statue lebendig geworden, die Liebesgöttin so zu bitten an, daß die Bildsäule die Augen zu öffnen und nach fortgesetztem Bitten Bettas auch zu atmen anfing, endlich nach dem Atem sogar Worte vernehmen ließ und zuletzt, als das Band aller Glieder gelöst war, auch zu gehen anfing, Betta umarmte und küßte alsbald den Jüngling mit einer viel größeren Freude, als hätte sie ein Königreich gewonnen, und führte ihn hierauf an der Hand vor ihren Vater, zu dem sie sprach: »Ihr habt immer gesagt, Herr und Vater, daß Ihr herzlich wünscht, mich verheiratet zu sehen, daher habe ich jetzt, um Euch zu willfahren, nach dem Wunsche meines Herzens gewählt.« Als der Vater aus dem Gemach seiner Tochter diesen schönen Jüngling, den er nicht hatte hineingehen sehen, heraustreten sah, geriet er in größtes Erstaunen, war jedoch beim Anblick seiner Schönheit, die sich hätte für Geld sehen lassen können, mit der Wahl seiner Tochter zufrieden und veranstaltete zur Feier ihrer Hochzeit ein großes Fest. Unter anderen Gästen, die sich dabei einfanden, erschien auch unbekannterweise eine große Königin, die beim Anblick Pintosmaltos (denn so hatte Betta ihn genannt, was zu deutsch der »Emaillierte« heißt) sich bis über die Ohren in ihn verliebte, und da Pintosmalto, der vor kaum drei Stunden erst die Augen für die Bosheit der Welt geöffnet hatte, noch gar sehr unerfahren war, so führte ihn die Königin, die er so wie alle übrigen Damen, die seine Hochzeit mit ihrer Gegenwart beehrt hatten, der Anweisung seiner Braut gemäß bis an die Treppe begleitete, an der Hand nach und nach bis zu ihrer sechsspännigen Kutsche, die im Hofe hielt, zog ihn dann hinein und hieß hierauf den Kutscher mit aller Schnelligkeit in ihre Residenz zurückfahren, woselbst sie sich mit dem einfältigen Pintosmalto, der gar nicht wußte, wie ihm geschah, auf das eiligste verheiratete.
Betta aber, die ihn eine Zeitlang erwartet hatte und ihn nicht wiederkommen sah, schickte endlich in den Hof hinunter, ob er vielleicht mit jemand spräche, stieg auf den Söller, ob er dort etwa frische Luft schöpfe, und ging nach dem heimlichen Gemach, ob er da vielleicht den Bedürfnissen des Lebens den ersten Tribut darbrächte; indem sie ihn aber nirgends fand, vermutete sie alsbald, daß er ihr wegen seiner Schönheit geraubt worden sei, und erließ daher eine öffentliche Bekanntmachung, die aber ohne allen Erfolg blieb, so daß sie den Entschluß faßte, als Bettlerin verkleidet, ihn überall in der ganzen Welt zu suchen. – Nachdem sie sich nun auf diese Weise auf den Weg gemacht, kam sie endlich in das Haus einer alten Frau, die sie sehr freundlich empfing, und sobald sie das Unglück Bettas vernommen und außerdem bemerkt hatte, daß sie schwanger sei, drei Kindersprüche lehrte; der erste war: »Tricke, warlacke, das Haus regnet«; der zweite war: »Enije, denije, dicken dacken, Beine knacken«; der dritte war: »Ringel, Ringel, Rosenkranz, stell ein Töpfchen Wasser zu«; wobei sie ihr zu wissen tat, daß sie diese Sprüche, wenn sie sich einmal in großer Not befände, hersagen solle; denn sie würden ihr von großem Nutzen sein. Obgleich sich nun Betta über dieses lumpige Geschenk sehr wunderte, dachte sie dennoch in ihrem Sinne: »Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul; vom Nehmen wird man nicht arm; ist ein Ding auch noch so klein, so kann es doch von Nutzen sein; wer weiß, was für geheime Kraft in diesen Worten liegt.« Daher dankte sie der Alten bestens und machte sich wieder auf den Weg. Nachdem sie nun lange umhergezogen und in einer schönen Stadt, namens Rundberg, angekommen war, begab sie sich geradewegs zum königlichen Palast, wo sie um Himmels willen um ein Obdach flehte, wenn auch nur in einem Stalle, da sie ihrer Entbindung nahe sei, so daß die Kammerfrauen der Königin, als sie dies wahrnahmen, der armen Betta ein Gemach nahe bei der Treppe anwiesen. Hier sah sie nun eines Tages Pintosmalto vorübergehen und empfand darüber so große Freude, daß sie nahe daran war, vom Baum des Lebens herabzurutschen. Als sie sich aber jetzt in so großer Bedrängnis sah, wollte sie den ersten der ihr von der alten Frau gelehrten Sprüche versuchen und sprach daher: »Tricke warlacke, das Haus regnet.« Da mit einem Male erschien ein schönes Wägelein von Gold, ganz mit Edelsteinen besät, das von selbst im Gemach herumrollte, daß es ein wahres Wunder war. Als die Frauen der Königin dies sahen, sagten sie es der Königin, die, ohne Zeit zu verlieren, sich nach dem Zimmer Bettas begab und beim Anblick des herrlichen Wagens sie fragte, ob sie ihn verkaufen wolle; denn sie wolle ihr geben, was sie nur irgend verlangen würde; worauf Betta erwiderte, daß sie, obgleich nur eine Bettlerin, dennoch die Befriedigung ihrer Wünsche allem Gold der Welt vorzöge; wenn daher die Königin den Wagen zu besitzen verlange, so solle sie Betta eine Nacht bei ihrem Gemahl schlafen lassen. Die Königin war ganz verwundert über die Narrheit dieses armen Frauenzimmers, die so zerlumpt einherging und um eines Gelüstes willen einen so großen Reichtum weggeben wollte, jedoch war sie nicht gesonnen, sich diesen guten Bissen entgehen zu lassen, sondern Pintosmalto einen Schlaftrunk einzugeben und so zwar das Verlangen der armen Betta zu erfüllen, aber sie doch schlecht zu bezahlen.
Als nun die Nacht erschien und die Wachtparade der Sterne am Himmel und der Leuchtwürmer auf der Erde abgehalten werden sollte, gab die Königin ihrem Gemahl den Schlaftrunk ein und hieß ihn, sich zu Betta legen; denn der gute Mann tat alles, was man ihm sagte. Kaum aber war er im Bette, so fing er an, wie ein Murmeltier zu schlafen, so daß die arme Betta, die in dieser Nacht alle erduldeten Leiden wieder gutzumachen gedachte und nun sah, daß sie kein Gehör finden konnte, in bittere Klagen ausbrach, indem sie ihm alles vorwarf, was sie für ihn getan hatte, und nicht eher den Mund schloß noch der Schlafende die Augen öffnete, als bis die Sonne mit dem Scheidewasser erschien, um die Finsternis vom Licht zu trennen, zu welcher Zeit die Königin herunterkam und Pintosmalto an der Hand fortführte, indem sie zu Betta sagte: »Dein Wunsch ist nun erfüllt.« – »Wenn doch alle deine Wünsche zeit deines Lebens so erfüllt würden«, sprach Betta mit leiser Stimme, »denn ich habe eine so schlimme Nacht verbracht, daß ich sie sobald nicht vergessen werde.« Die Ärmste konnte jedoch ihrer Sehnsucht nicht widerstehen und wollte den zweiten Spruch versuchen. Sie sagte daher: »Enije, denije, dicken dacken, Beine knacken«, und sah alsbald einen goldenen Käfig erscheinen mit einem wunderschönen Vogel, der aus Gold und Edelsteinen gemacht war und wie eine Nachtigall sang. Kaum hatten wieder die Kammerfrauen diese schönen Dinge wahrgenommen und davon der Königin erzählt, so wollte diese sogleich den Vogel sehen, und indem sie dieselbe Frage wie bei dem Wagen tat und Betta ihr ebenso wie das erstemal antwortete, versprach die Königin, die merkte, welch ein dummes Ding sie vor sich habe, Betta wiederum bei ihrem Gemahl schlafen zu lassen, und nahm dafür den Käfig nebst Vogel in Empfang. Als nun die Nacht erschien, gab sie, wie einen Tag vorher, Pintosmalto einen Schlaftrunk ein und schickte ihn zu Betta ins Zimmer, woselbst ein sehr schönes Lager zurechtgemacht war. Da er aber auch dieses Mal schlief wie tot, brach auch Betta wieder in dieselben Klagen aus, so daß es einen Stein hätte zum Mitleid bewegen können, und indem sie nun so in einem fort jammerte und weinte und sich zerkratzte, brachte sie eine zweite Nacht voll Qualen zu, worauf bei Tagesanbruch die Königin ihren Gemahl abholte und die arme Betta in Schmerz und Weh versenkt zurückließ, während sie sich vor Wut über den ihr gespielten Streich die Hände zerbiß.
Als aber Pintosmalto des Morgens den Palast verließ, um sich in einem Garten außerhalb der Stadt einige frische Feigen zu pflücken, näherte sich ihm ein Schuhflicker, dessen Stube an die Bettas stieß und der kein Wort von allen Klagen, die sie ausgestoßen, verloren hatte, und berichtete ihm ausführlich, wie er die arme Bettlerin habe jammern, weinen und schreien hören. Sobald Pintosmalto, der schon anfing verständiger zu werden, die Worte des Schuhflickers vernahm, mutmaßte er, wie es sich mit dieser Sache verhalten mochte, und nahm sich vor, wenn es sich noch einmal treffen sollte, daß er bei der Bettlerin schliefe, das, was die Königin ihm vorher gäbe, nicht zu trinken. Als nun Betta den dritten Versuch machen wollte und den dritten Spruch: »Ringel, Ringel, Rosenkranz, stell ein Töpfchen Wasser zu« hersagte, lagen mit einem Male eine Anzahl Stoffe aus Seide und Gold und gestickte Binden nebst einer goldenen Schale vor ihr, so daß die Königin selbst keine herrlicheren Kostbarkeiten hätte zusammenbringen können. Als die Kammerfrauen dies sahen, berichteten sie es wieder ihrer Gebieterin, die sich bemühte, die Stoffe ebenso wie die anderen Dinge an sich zu bringen, und da sie von Betta die nämliche Antwort erhielt, daß, wenn sie sie haben wolle, sie ihren Mann bei ihr schlafen lassen solle, so sprach sie bei sich: »Was verliere ich dabei, diese Bäuerin ihren Willen zu tun, wenn ich dadurch in den Besitz dieser schönen Sachen komme?« Sie nahm daher die ihr von Betta angebotenen Kostbarkeiten in Empfang, und als die Nacht, die Richtigkeit der Schuldforderung des Schlafes und der Ruhe anerkennend, sich zu deren Bezahlung einstellte, gab sie Pintosmalto wiederum den Schlaftrunk, den dieser aber im Munde behielt und in einem Zimmer, in das er unter dem Verwände, pissen zu wollen, getreten war, ausspie, worauf er mit Betta schlafen ging. Diese begann nun wieder ihre gewöhnliche Rede, indem sie ihm erzählte, wie sie ihn mit eigenen Händen aus Zucker und Mandeln geknetet, ihm Haare aus gesponnenem Golde und Augen und Mund aus Perlen und Edelsteinen gemacht habe, wie er ferner das ihm von den Göttern verliehene Leben nur ihren Bitten verdanke, wie er ihr dann geraubt worden, sie selbst aber, obwohl hochschwanger, ihn überall unter so großen Mühseligkeiten aufgesucht habe, daß der Himmel jede Christenseele vor ähnlichen Drangsalen bewahren möge; ferner, wie sie schon zwei Nächte bei ihm geschlafen und dafür zwei unschätzbare Kostbarkeiten hingegeben, gleichwohl aber auch nicht ein einziges Wort von ihm vernommen habe, so daß dies die letzte Nacht ihrer Hoffnungen und der letzte Termin ihres Lebens wäre. Pintosmalto, der dieses Mal nicht schlief, sondern alles ganz genau hörte, erwachte gleichwohl wie aus einem tiefen Schlaf, indem er sich alles früher Vorgefallenen erinnerte, worauf er Betta vor Freude umarmte, alsdann, da eben die Nacht mit ihrer schwarzen Larve erschienen war, um den Tanz der Sterne anzuführen, ganz leise aufstand, sich in das Zimmer der Königin, die im tiefsten Schlafe lag, hineinschlich und alle Dinge, die sie Betta abgeluchst, sowie alle Juwelen und Goldfüchse, die sie im Schreibtisch hatte, fortnahm, um sich wegen der ihnen angetanen Unbill zu entschädigen. Er kehrte hierauf zu seiner Frau zurück, verließ mit ihr unverzüglich den Palast und eilte mit ihr, ohne irgendwo anzuhalten, über die Grenze; dann erst ruhten sie in einer bequemen Herberge so lange aus, bis Betta einen schönen Knaben zur Welt gebracht. Sobald aber ihre Wochen vorüber waren, begaben sie sich wieder auf den Weg zu Bettas Vater, den sie frisch und gesund fanden und der durch die Freude, seine Tochter wiederzusehen, sich wieder ganz verjüngte, während die Königin, als sie weder ihren Mann noch die Bettlerin, noch ihre Kostbarkeiten fand, sich vor Wut über und über zerkratzte und die Haare ausraufte und sich oft des Sprichwortes erinnerte:
Wie du mir, so ich dir!