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Unsäglich freuten sich der Prinz und seine Gemahlin, als sie das glückliche Endschicksal Thalias vernahmen, da sie nimmer erwartet hatten, daß sie während eines solchen Sturmes einen so guten Hafen treffen würden, und nachdem sie Antonella befohlen hatten, ihre Erzählung auszupacken, begann sie folgendermaßen:
Drei Arten von Unwissenden gibt es in der Welt, von denen die einen immer mehr als die anderen es verdienten, in einen Ofen geworfen zu werden; die ersten sind nämlich, die nichts wissen, die zweiten, die nichts wissen wollen, die dritten, die so tun, als ob sie etwas wüßten. Der nun, von dem ich jetzt im Begriff bin zu reden, ist von der zweiten Art, da er sich nichts in den Kopf bringen lassen mag und die haßt, die ihn dennoch belehrt, ja sogar wie ein zweiter Nero sie töten will. Es war einmal ein König von Festschloß, der einen so eigensinnigen Sohn hatte, daß man ihn auf keine Weise dazu bringen konnte, das Abc zu lernen. Immer, wenn man zu ihm von Büchern und Unterricht sprach, gebärdete er sich wie wahnsinnig, so daß weder Schreien noch Prügel, noch Drohungen halfen und der arme Vater darüber vor Zorn schwoll wie eine Kröte, da er gar nicht mehr wußte, wie er es anfangen sollte, um den Geist dieses unseligen Sohnes einigermaßen auszubilden und das Reich nicht in den Händen eines Mameluken zu lassen, und zugleich sehr wohl einsah, daß Unwissenheit und Regierung eines Landes unmöglich Hand in Hand gehen können.
Zur selben Zeit lebte auch eine vornehme Dame namens Cenza, die eine Tochter besaß, die in ihrem dreizehnten Jahre sich bereits so reiche Kenntnisse erworben hatte, daß man ihr den Namen Sapia (das heißt die Gelehrte) gab. Als nun der König von den trefflichen Eigenschaften Sapias hörte, faßte er den Beschluß, seinen Sohn in das Haus ihrer Mutter zu geben, damit Sapia ihn unterrichte, indem er glaubte, daß der Umgang mit dieser und der Wetteifer ihm seinen Sinn ändern würden. Er brachte also seinen Sohn in das Haus Cenzas, woselbst Sapia anfing, ihn das Abc zu lehren; da sie aber sah, daß gute Worte in die Luft gesprochen waren und vernünftiges Zureden ihm zu einem Ohr hinein-, zum andern hinausging, juckte es sie gewaltig in der Hand, und sie gab ihm eine Ohrfeige, worüber Carluccio (so hieß nämlich der Prinz) sich dermaßen schämte, daß er das, was er früher nicht auf dem Wege der Güte und Liebkosungen tun wollte, jetzt aus Scham und Verdruß tat und in wenigen Monaten nicht bloß lesen lernte, sondern auch alle Regeln der Grammatik kannte. Hierüber empfand der König so große Freude, daß er sich wie im Himmel dünkte, und indem er Carluccio aus dem Hause Cenzas fortnahm, ließ er ihn jetzt auch höhere Studien machen, so daß der Prinz der gelehrteste Mann des ganzen Königreiches wurde. Der Backenstreich aber, den Sapia ihm gegeben, hatte einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, daß er ihn wachend vor Augen hatte und des Nachts davon träumte und endlich den Entschluß faßte, sich entweder zu rächen oder zu sterben. Inzwischen erreichte Sapia ein mannbares Alter, und der Prinz, der mit der Lunte am Schloß die Gelegenheit abwartete, sich zu rächen, sprach zum Vater: »Ich erkenne zwar an, mein Herr und Vater, daß ich Euch mein Leben verdanke und daher jede mögliche Verpflichtung gegen Euch auf mir ruht; gegen Sapia aber, die mir das geistige Leben verliehen hat, fühle ich mich ebenso verpflichtet, und da ich nicht weiß, wie ich diese Schuld auf genügende Weise abtragen soll, möchte ich sie mit Eurer Vergunst zur Frau nehmen, indem ich Euch versichere, daß ich Euch neuen Dank dafür schulden werde.« Als der König diesen Entschluß seines Sohnes vernahm, antwortete er ihm: »Mein lieber Sohn, obwohl Sapia nicht von dem Schrot und Korn ist, von dem deine Gemahlin eigentlich sein müßte, sinkt ihre Waagschale dennoch so tief, wenn sie ihre trefflichen Eigenschaften mit in die Waage nimmt, daß ich auf deine Bitte eingehen will und wir beide daher Anlaß zur Zufriedenheit haben.« Hierauf ließ er die Mutter Sapias herbeirufen, ließ die Ehepakten ausfertigen und ein großes Fest, wie es seinem Range ziemte, veranstalten. Der Prinz bat dann seinen Vater, ihm eine besondere Zimmerreihe als Wohnung für ihn und seine Gemahlin zu bewilligen, worauf der König, um ihn zufriedenzustellen, ihm einen sehr schönen, von dem seinigen getrennten Palast einrichten ließ, in den Carluccio seine Frau brachte. Er sperrte sie in ein Zimmer, gab ihr schlecht zu essen und noch schlechter zu trinken und wollte, was das schlimmste war, ihr die eheliche Schuld nicht abtragen, so daß die arme Sapia in die größte Verzweiflung der Welt geriet, da sie nicht wußte, was diese schlimme Behandlung, in einer Zeit, wo sie kaum das Haus betreten hatte, verursacht haben könnte. Nach einiger Zeit bekam Carluccio einmal Lust, seine Frau zu besuchen; er trat daher in ihr Zimmer und fragte sie, wie sie sich befinde. »Frage dich selbst«, versetzte Sapia, »du wirst allein imstande sein, dir zu antworten, wie ich mich befinden kann. Was habe ich dir aber getan, daß du mich behandelst wie einen Hund? Wozu hast du mich zur Frau verlangt, wenn du mich schlechter behandeln wolltest als eine Sklavin?« – »Weißt du denn nicht«, versetzte der Prinz, »daß, wer die Beleidigung tut, sie in den Sand schreibt, und wer sie empfängt, sie in Marmor gräbt? Erinnere dich nur, was du mir tatest, als du mich lesen lehrtest, und wisse, daß ich dich aus keinem anderen Grunde geheiratet habe, als um dir dein Leben zu verbittern und mich für die mir von dir angetane Beleidigung zu rächen.« – »Ich ernte also Böses dafür, daß ich Gutes gesät habe«, erwiderte Sapia; »doch ist ja das Sprichwort bekannt: ›Undank ist der Welt Lohn‹.«
Wenn nun aber der Prinz vorher schon voll Groll über die Ohrfeige war, so erfüllte ihn der Vorwurf seiner früheren Unwissenheit mit erneutem Zorn, und um so mehr, als er erwartet hatte, Sapia würde ihr Verbrechen bereuen, und er nun sah, daß sie ihm keck wie ein Hahn Schlag um Schlag wiedergab. Er kehrte ihr daher den Rücken und ging, indem er sie in einer noch viel traurigeren Lage als vorher zurückließ. Nach einigen Tagen kehrte er zwar zurück; da sie jedoch noch immer auf ihrem Kopf beharrte, ging er wieder fort, noch härter geworden als früher und entschlossen, sie für ihren Eigensinn zu züchtigen und sie im Lauf der Zeit schon mürbe zu machen.
Als aber bald nachher der alte König auf dem Totenbette eine Zession sämtlicher Güter des Lebens einging und sein Sohn Herr und Gebieter des ganzen Königreichs geworden war, wollte er höchstpersönlich Besitz von ihm nehmen, rüstete ein großes Gefolge von Kriegsleuten und Rittern aus, wie es sich für seine jetzige Würde gebührte, und begab sich mit ihnen auf den Weg. Die Mutter Sapias, die das leidenvolle Leben der Tochter in Erfahrung gebracht und, um ihren Drangsalen ein Ende zu machen, unter dem Palast des Fürsten einen unterirdischen Gang hatte graben lassen, auf welchem Wege sie die arme Sapia mit erquickenden Speisen versah, ließ einige Tage vor dem Auszug des neuen Königs viele Karossen und was sonst noch dazu gehört, auf das prächtigste herrichten, und nachdem sie auch ihre Tochter auf das reichste ausgeschmückt, sandte sie sie auf einem Nebenwege voraus, so daß sie einen Tag früher an dem Orte eintraf, wo ihr Gemahl haltmachen wollte. Dort kehrte sie in einem Hause ein, das sich gegenüber dem für ihn eingerichteten Palast befand, und stellte sich in vollem Schmuck ans Fenster, so daß der König, als er kam und diese Blume von Anmut und Schönheit erblickte, sich auf der Stelle in sie verliebte und nicht eher ruhte, als bis sie ihm zu willen war und schwanger wurde, worauf der König, nachdem er ihr eine Busennadel als Andenken seiner Liebe überreicht hatte, weiterzog, um die anderen Städte seines Reiches zu besuchen, Sapia jedoch an ihren früheren Wohnsitz zurückkehrte und nach neun Monaten einen schönen Knaben gebar.
Als aber der König wieder in der Hauptstadt seines Reiches eintraf, begab er sich wiederum zu Sapia, die er halbtot zu finden glaubte, indes frischer fand als je und noch hartnäckiger als früher in ihrer Behauptung, daß sie nur, um ihn, der früher ein Esel gewesen, klug zu machen, ihm die fünf Finger ins Gesicht gedrückt habe. Der König verließ sie voll Zorn, und da er eine neue Reise unternehmen mußte, tat Sapia auf den Rat ihrer Mutter wie das erstemal und empfing, da sie wiederum mit ihrem Manne Umgang pflog, von ihm eine prächtige Haarnadel von Edelsteinen. Auch dieses Mal wurde sie schwanger und gebar, nach Hause zurückgekehrt, zu gehöriger Zeit einen zweiten Sohn; so wie sie auch, nachdem sie das nämliche zum drittenmal wiederholt und so vom König eine schwere Kette von Gold und Edelsteinen erhalten hatte, im neunten Monate ein Töchterlein ans Licht der Welt brachte. Als nun der König wieder zurückkehrte, hatte die Mutter Sapias inzwischen das Gerücht verbreitet, daß ihre Tochter gestorben wäre, und sie begraben lassen, nachdem sie ihr vorher einen Schlaftrunk eingegeben, worauf sie sie heimlich wieder aus dem Grabe schaffte und in ihrem Hause verbarg. Voller Freude ging daher der König ein neues Ehebündnis mit einer vornehmen Dame ein und veranstaltete zu dessen Feier im königlichen Palaste ein herrliches Fest; während desselben erschien jedoch plötzlich Sapia mit ihren drei wunderschönen Kindern im Saal, warf sich dem Könige zu Füßen und flehte ihn an, daß er doch, wenn auch nur um der Gerechtigkeit willen, seinen Kindern, die sein Fleisch und Blut wären, nicht ihr Erbe entziehen möchte. Der König stand eine Zeitlang da wie ein Träumender, als er indes endlich erwog, daß die Klugheit Sapias bis zu den Sternen reichte und, da er es am wenigsten erwartete, sich drei Stützen seines Alters vorstellen sah, wurde sein Herz erweicht; er gab jene Dame mit einer reichen Aussteuer seinem Bruder zur Frau, nahm selbst wieder Sapia auf und zeigte der Welt die Wahrheit des Wortes:
Klugheit geht über alles.