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10. Sept.
Am 6. April waren es vierhundert Jahre, daß Raffael geboren wurde. Der Tag ist, so viel ich weiß, nur in Berlin festlich begangen worden. Dort erinnerte man sich der Feier, zu der sich vor hundert Jahren die Berliner Freunde Raffaels versammelt hatten und die, wie Zelter an Goethe darüber schrieb, »nach unserer Art ganz artig ausfiel«. Die Sixtinische Madonne, die mit dem Fisch und die heilige Cäcilia umgaben Raffaels Katafalk, zur Seite standen ihm seine »vier Lieblingsmusen: Poesie, Malerei, Architektur und Musik, Statuen von Gips, sechs Fuß hoch und von Tieck in der Tat schön drapiert. Zwischen je zwei Musen ein brennender Kandelaber, über die Figuren hinaus ragend, was sich gut komponierte. Ueber dem Katafalk das Brustbild Raffaels, gut von Weitsch kopiert. Alle Zwischenräume waren mit farbigen Tüchern gut behangen, sowie der ganze Vorplatz von vierzig Fuß Tiefe«. Mit welcher ruhigen Kraft ist doch in diesen paar Sätzen des redlichen Maurers heute noch die ganze Szene so lebendig, daß wir sie nicht bloß mit Augen zu sehen, sondern fast auch ihr stilles, ein bißchen kühles Licht unmittelbar zu spüren glauben! »In diesem Vorplatz war ein Singchor von hundert ausgewählten Personen, Frauen, weiß, und Männer hinter ihnen, schwarz gekleidet, im Halbkreis aufgestellt. Gesungen ward: 1. ein Requiem von mir, 2. das Leben Raffaels, abgelesen vom Professor Tölken, 3. Crucifixus von Antonio Lotti, eines großen Stils wegen merkwürdig, 4. las ich etwas zum Verständnis dieses alten Stückes in Verbindung mit 5. Gloria in excelsis Deo von Josef Haydn, um den Unterschied der Zeitalter in Absicht des Stils bemerkbar zu machen«. Was er gelesen, legt er dem Brief an Goethe bei. Darin steht über Lotti: »So wie in Raffaels vor uns aufgestellter Cäcilie das beschauende Auge zum Ohre, so wird in dieser Musik das Ohr durch innere Vorstellung zum geistigen Auge, vor dem sich das ewige Kreuz wunderwürdig nach und nach aufrichtet, woran die Sünde und Schmach aller Welt abgebüßt worden«. Diese Worte klingen wie direkt für Goethe bestimmt, der ja, selbst ein »Ton- und Gehörloser, obgleich Guthörender«, sich von der Farbenlehre aus einen Weg zur Musik zu bahnen hoffte. Er war denn auch »gar höchlich erfreut« über den Brief und schloß »Eurem Raffaelischen Fest« den Wunsch an: »Laßt es immer Sitte werden, daß man die Heroen aller Art feiert, welche über die Atmosphäre des Neides und des Widerstrebens erhoben sind«. Heuer fand das Berliner Raffael-Fest im Museum statt, in den Saal der Raffael-Teppiche wurden seine fünf Tafelbilder aus der Galerie gehängt, für Zelter trat Professor Thiel ein, mit dem Madrigalchor des Instituts für Kirchenmusik, der Altitalienisches und Niederländisches sang, erst sprach Haenisch, dann hob Professor Oskar Fischel an, dessen Festrede, nun im Septemberheft der »Preußischen Jahrbücher« mitgeteilt, auf einen elegischen Grundton gestimmt, der gelegentlich eine Wendung zum Polemischen nimmt, gegen »den kleinen Klerus von Künstlern und Sachverständigen, der heute nur so überschätzt werden kann, weil Kunst und Volk auf verschiedenen Planeten zu leben scheinen«, versucht, uns Raffael, von dem für die Menschen dieser Zeit eigentlich nur der Name noch übrig ist, zu retten, indem er ihn, vom Schicksal zum »dichterischen Maler« bestimmt, aus dem großen, wenn auch unkräftigen Streben des Vaters und aus der umbrischen Landschaft »das Gefühl für den Reiz des Raumes und den Sinn für den Klang von Versen gewinnen« und so den »Einklang von Farbe und Linien« finden, ja dann in Rom, »den Großen der Welt, der Kirche, der Wissenschaft, den Theologen, Humanisten, Cortegiani am päpstlichen Hof in Augenhöhe gegenüber«, gar einer »uns unerreichbaren Einheit von Sinnenglück und Seelenfrieden« mächtig werden läßt. Der Unterton eines edlen Zorns, immer wieder aus der Rede hervorbrechend, ist oratorisch wunderschön. Wir, denen versagt bleibt, an Raffael »die Größe seines heroischen Stils« zu bemerken, wir scheinen dem Redner blind. Es mag sein, daß, wer van Gogh erlebt hat, wirklich geblendet bleibt. Was uns aber doch Grünewalds oder Berninis oder Grecos nicht unfähig macht . . . Dasselbe Heft der Jahrbücher enthält einen höchst merkwürdigen Aufsatz Dr. Günter Teßmanns über, »Weltanschauung und Charakter des Negers«. Wir unterschätzen die geistigen Fähigkeiten des Negers; der Verfasser hat sich »durch ein langjähriges Studium der unzivilisierten und zivilisierten Neger davon überzeugt, daß die Grundlagen seiner Erkenntnis und des geistigen Könnens genau dieselben sind wie bei uns«. Negerkinder entwickeln sich schneller und lernen besser als weiße. In der heutigen Weltanschauung der in Kamerun, dem französischen und dem belgischen Kongo hausenden, vielfach mit Semiten oder Malayen gekreuzten Neger ist die Kultur der afrikanischen Urrasse, der Pygmäen, an eine Wiederauferstehung vom Tode glaubender Monotheisten von großer Reinheit und Strenge der Sitten, mit Einwirkungen einer jüngeren Kultur, der der Bantus, vermischt, die vor jener den Begriff der Seele voraus haben, das Böse kennen und an eine Hölle glauben. Indem die beiden einander durchdringen, entsteht auch der Begriff der Erbsünde, ja der »Sündenfall« wird nun »der Kernpunkt der Weltanschauung«, aber mit einer merkwürdigen, sozusagen fast irgendwie jansenistischen Wendung, durch den Gedanken nämlich, Gott müsse, wenn er das Böse zuläßt, doch offenbar selber das Böse wollen. Das Gute wie das Böse gelten ihnen beide für von Gott gewollt und auf diesem Doppelspiel Gottes, dessen Symbol die aus Westafrika bekannten »Doppelkopfmasken« sind, baut sich nun ein seltsamer Geheimkult auf, eine Mondmythologie mit Zügen der altarischen Naturreligion: auch Mithra ist ja der Weißmond, der den Schwarzmond besiegt, auch in der Lehre Zarathustras steht ja, wie Jeremias in seiner »Allgemeinen Religionsgeschichte« (bei R. Piper in München), der besten Darstellung aller »Vorstufen zum Christentum«, die ich kenne, berichtet, neben dem hl. Geiste »von Uranfang der Welt« der arge Geist in gleicher Kraft, nur daß hier die Gigantomachie der beiden von vornherein optimistisch gedeutet und der Sieg des guten Prinzips gesichert scheint, während sie beim Neger überhaupt nicht durch Sieg entschieden wird, sondern der böse Mond und die gute Sonne sich schließlich immer wieder verständigen, sozusagen einen »Ausgleich« schließen, in dem Gefühl, bei aller Feindschaft einander eigentlich doch nicht entbehren zu können, sondern einander zu brauchen, ja beide recht eigentlich in der Spannung dieser Feindschaft allein nur zu bestehen, ohne die sie beide sogleich auslöschen würden. Und so fand ich, daß mein lieber polarischer Freund Oskar A. H. Schmitz also gar nicht, wie bisher meine Vermutung war, von Laotse, sondern im Grunde von Negern abstammt . . . Teßmann meint übrigens: »Die Neger werden, wenn wir nicht aufwachen, in gar nicht so ferner Zeit, wenn nicht die nominellen, so doch die tatsächlichen Herren in Afrika sein, wie es ja schon vor dem Krieg in gewissen Teilen der englischen Kolonien und auf Fernando Poo der Fall war . . . Mit der Achtung vor den Weißen als Rasse ist es seit dem Weltkrieg so ziemlich aus.« Er sieht schon einen schwarzen Zauberer kommen, mit dem Ruf: »Gott will es, Afrika den Afrikanern!« Ja selbst ein gemeinsamer Krieg aller Schwarzen und Gelben gegen die Weißen scheint ihm möglich. Und so wäre, was wir schaudernd erlebten, nur erst der Auftakt, nur erst ein leises Vorspiel zum wirklichen Weltkrieg gewesen.