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30. Juni
Als Separatdruck aus der Zeitschrift »Das Ziel« ist Josef Poppers »Auseinandersetzung mit dem Sozialismus und den Sozialisten« (Verlag Verein Allgemeine Nährpflicht, Wien, XVII., Sautergasse 56) erschienen. In seiner stillen, hellen, festen Art legt da der ehrwürdige Denker den »Vorzug« dar, den er für seine »Idee der allgemeinen Nährpflicht« vor dem »Vollsozialismus« ansprechen zu dürfen meint: nämlich »daß durch sie das Hungerproblem rein und klar wie ein anatomisches Präparat aus dem Rattenkönig von sogenannten sozialen Problemen herausgespült erscheint.« Die Sozialdemokratie habe doch bisher »kaum etwas anderes erreicht als die Eroberung von Kampfpositionen«, ja man könnte sagen, »Bismarcks Arbeiterversicherung sei eine konkretere Leistung in sozialökonomischer Beziehung als alles was die Marxisten für Sicherung der Lebenshaltung bisher geleistet haben . . . Wohin man blickt, findet man bei den Sozialreformern nichts als Unklarheiten, Halbheiten, große Worte, Unfruchtbarkeit und Sackgassenvorschläge«. Er gibt auch ein Schreiben an die »Arbeiter-Zeitung« wieder, der er für ihren Aufsatz zu seinem 82. Geburtstag dankt. Darin heißt es: »Ich prätendiere nicht entfernt, Sozialist zu sein oder zu heißen, besonders wenn man unter Sozialismus eine ganze Weltanschauung versteht! So weit versteige ich mich nicht, ich will den Menschen nur zu – essen geben und will jedem, ausnahms- und bedingungslos, mit voller Sicherheit Kost und Quartier versorgen, behandle also ein ganz ordinäres, aber wirklich sehr dringendes Problem und gar kein System irgendwelcher Art . . . Ich kann und will weder Sozialist, noch Kommunist, noch Liberaler, noch Konservativer usw. heißen.« So spricht, wer wirken, die Welt an irgendeinem Punkt abändern, fördern, bessern, ihr Hilfe leisten, überhaupt irgend etwas leisten will und sich darum ans Mögliche halten muß, das freilich aber reizlos und darum ja nichts für den Politiker ist, denn der Politiker kann nur brauchen, was Emotion erregt. Aber wie Popper hier von der Sozialdemokratie mit einer Entschiedenheit abrückt, das hat eigentlich für mich etwas unsäglich Melancholisches. Ich muß jetzt so oft an Viktor Adler und Engelbert Pernerstorfer denken, die Freunde meiner Jugend; und da bin ich dann immer froh, daß sie das nicht mehr erlebt haben, daß ihnen erspart blieb, die Verwandlung der Sozialdemokratie zu sehen, ihre Verwandlung in eine herrschende Partei. Politik ist immer ein Roßhandel. Wer den nicht mitmachen wollte, wurde zu meiner Zeit Sozialdemokrat, denn das Ende der Politik gerade versprachen wir uns von der Ankunft der Arbeiter. Sie waren uns keine Partei, sie waren uns die Vorhut der Menschheit. Darum hielten damals alle menschlich Gesinnten, alle an die Menschheit Glaubenden, alle Hoffenden, alle den politischen Trug Hassenden, alle nach Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe Verlangenden, diese hielten alle damals zu den Arbeitern, sie wurden alle damals Sozialdemokraten. Lang, lang ist's her! Mit den Arbeitern, so träumten sie, zöge dereinst die Menschlichkeit ein. Denn der Arbeiter, träumten wir, kämpfe nicht für seine Klasse, sondern um aller Klassen Ende. Von wem aber sollen wir es uns hinfort jetzt erträumen? Und ganz traumlos geworden, ist die Politik doch unerträglich.