Hermann Bahr
Kritik der Gegenwart
Hermann Bahr

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31. Dez.

Das Novemberheft von »La Paix par le Droit« enthält einen sehr ernsten Aufsatz von Lammasch, worin mit einer ruhigen Entschiedenheit, der man doch das verhaltene Herzklopfen eines edlen Zornes anhört, alles Unrecht dargetan wird, das der Friede von Saint-Germain über uns gebracht hat. Ob das aber auf den Sieger großen Eindruck machen wird? Es ist vielleicht gar nicht sein Ehrgeiz, gerecht zu sein; er hat das vielleicht gar nicht vor. Wer wäre denn auch jemals im Augenblick des Sieges für Frau Gerechtigkeit zu sprechen gewesen? Es ist wirklich nicht der psychologische Moment dazu. Durch Kriege pflegen Völker nicht ermitteln zu wollen, was Recht ist, sondern wer die Macht hat, dem andern seinen Willen aufzuzwingen . . . Allerdings bringt dasselbe Heft ein sehr merkwürdiges Zitat aus einer Rede André Tardieus (Discours à la jeunesse française. – Fête des Eclaireurs Unionistes du 22. juin 1919). Da heißt es: »L'Allemange, plus qu'aucun autre pays, était propre à incarner ce système de matérialisme politique. Pendant cinquante ans, elle l'a affirmé triomphalement, grâce au génie de Bismarck. Où est-elle aujourd'hui, elle et son système? A nos pieds. – Jurons donc, pour notre salut commun de ne jamais marcher sur ses traces. Nous n'aurions pas, pour y marcher, les mêmes qualités qu'elle et plus vite qu'elle encore, nous connaitrions le juste châtiment de l'immanente équité.« Es ist sehr schwer, aus der Ferne der Stimme eines einzelnen anzuhören, wie weit sie in seinem eigenen Land trägt. Aber wenn sie dort Gehör, wenn sie gar ein Echo, wenn Frankreich die Kraft fände, den Siegesgeist niederzuringen, die Kraft zur Gerechtigkeit?! Doch dies ist unwahrscheinlich, denn mit der Gerechtigkeit nehmen es immer nur die Schwachen ernst, während sie von den Starken höchstens gelegentlich als Redeschmuck verwendet wird. – Und abends las ich noch im Buch der Könige, wie Elias in die Wüste geht, bis er zum Wacholderbaum kommt. Und unter den Wacholderbaum setzt er sich und betet zum Herrn: Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter! Und dann schläft er unterm Wacholderbaum und dann stärkt ihn der Herr und dann geht er noch vierzig Tage und vierzig Nächte bis an den Berg Gottes Horeb. Dort spricht der Herr zu ihm: Ich will lassen überbleiben siebentausend in Israel, nämlich alle Knie, die sich nicht gebeugt haben vor Baal, und allen Mund, der ihn nicht geküsset hat! . . . Und so hat noch jeder, dem verordnet ist, durch die Wüste bis an den Berg Gottes zu gehen, einmal unterm Wacholderbaum sitzen müssen. So sitzt jetzt, was einst unser Vaterland war, unterm Wacholderbaum. Aber es werden überbleiben alle Knie, die sich nicht gebeugt haben vor Baal, und aller Mund, der ihn nicht geküßt hat!

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