Hermann Bahr
Kritik der Gegenwart
Hermann Bahr

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6. März

Im Februarheft von Cassirers »Kunst und Künstler« ein vortrefflicher Aufsatz Karl Schefflers über den »Ausverkauf« in Deutschland, der deutsche Kunstbesitz wandert ja jetzt ins Ausland ab: »In letzter Stunde ist nun eine heimlich vorbereitete und plötzlich erlassene Verordnung herausgekommen, die es den Besitzern bestimmter, in Listen eingetragener Kunstwerke verbietet, diese Objekte ins Ausland zu verkaufen. Die Liste umfaßt in Preußen, wie man hört, etwa einhundertfünfzig Werke, doch gilt sie nicht als geschlossen. Es soll verhindert werden, daß die allerberühmtesten Werke, vor allem die in fürstlichem Privatbesitz befindlichen, in das Ausland gehen. Paradox könnte man sagen, daß man jetzt wenigstens weiß – oder daß die Kenner der geheimen Listen es wissen – welche Kunstwerke nach einigen Jahren noch in Deutschland vorhanden sein werden . . . Unerträglich aber ist die Gesinnung, ist der sich in diesem Ausverkauf offenbarende sittliche Tiefstand der Nation, ist die Beobachtung, daß der Schmerz und die Verzweiflung über den Zusammenbruch die Menschen durchweg nicht besser, sondern schlechter gemacht. Unerträglich ist die Beobachtung, der man sich nicht verschließen kann, daß sich unendlich viele händlerisch entartete Deutsche auf eine Art von Kolonialdasein einstellen. Sie, die Imperialisten von gestern, sehen in den Engländern und Amerikanern, auch innerlich, die Herren . . . Deutschland ist nicht nur materiell im Zustand des Ausverkaufs; wir stehen auch mitten in einem schrecklichen Ausverkauf des deutschen Idealismus. Dem Oberflächlichen sieht es aus, als rege sich überall neues Leben, als ständen wir an einem Anfang. Die Kunst will wie ein Neues aussehen, und die Politik will es auch. Es ist aber alles Ende, alles ist Auslauf des vorkriegerischen Materalismus. Die dunklen Mächte, die uns ins Verderben getrieben haben, sind immer noch am Werk; alles ist noch Renommierkunst und Renommierpolitik, die Instinkte sind noch aufs Laute und Sensationelle gerichtet, und niemals war der Kapitalismus mächtiger und frecher als heute. Denn jetzt denkt jeder Proletarier mammonistisch. Der deutsche Idealismus bricht endgültig zusammen, er tritt uns in Fratzen und Verzerrungen entgegen, und wird ebenfalls zum Objekt des Ausverkaufs. Vom Anfang des lebendig Neuen wissen nur wenige. Denn dieses Neue ist sehr bescheiden und still und unscheinbar, es verspricht Früchte erst in Jahrzehnten. Wo ein Offizier oder Arbeiter ein Stück Land kauft und es als Bauer mit seinen Händen zu bearbeiten beginnt, wo Abiturienten und Studenten entschlossen als Lehrlinge in die Werkstatt des Handwerkers gehen, wo sich die gebildete Jugend anschickt, endlich wieder von unten herauf gesellschaftbildend vorzugehen und dabei der Großstadt mit ihrer Kulturverlogenheit, ihrem Talmiluxus und ihren Bildungsvorurteilen voller Verachtung flieht: da wird ein neues Deutschland«.


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