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IV.

Die Kirche in Urnagold.

Urnagold darf nicht, wie der Name etwa andeuten könnte, als das ältere Nagold angesehen werden. Dagegen spricht schon die große Entfernung voneinander, noch mehr aber der frühere Name Innernagold, d. h. »das tief drinnen im Waldgebirge gelegene Nagold«, da wo Nagold und Enz entspringen.

Die Sage weiß allerdings auch eine andere Erklärung des Namens. Die wenigen Hauser Urnagolds, die zur Gemeinde Besenfeld gehören, sollen einst »Irrnagold« geheißen haben, »weil man, um den wilden Ort zu erreichen, gar bald in die Irre gehen kann«. Von einer Edelfrau wird erzählt, daß sie sich einst in den weiten Waldungen gründlich verirrt habe. Ihr Rufen war umsonst. Ganz erschöpft sank sie endlich unter einer großen Tanne in das weiche Moos nieder. Da drang der Schrei eines Hahnes an ihr Ohr. Sie raffte sich noch einmal auf und erreichte in kurzer Zeit Irrnagold, wo sie eine überaus freundliche Aufnahme fand. Zum Dank dafür ließ sie dort eine Kirche erbauen, damit der Klang der Glocken den verirrten Wanderer wieder auf den rechten Weg führe. In diese Kirche wurden auch die Besenfelder und die Eisenbacher eingepfarrt. Die Besenfelder waren darüber nie besonders erbaut. Sie hätten es lieber gesehen, wenn die Kirche in den größeren Ort, also zu ihnen, gekommen wäre. Bei stürmischem Wetter und tiefem Schnee bot der Weg nach Urnagold doch zu viele Beschwerden. Daß die Urnagolder im umgekehrten Falle dieselbe Klage gehabt hätten, wurde nie erwähnt. Man dachte wohl wie in der Fabel: Ich bin groß, und du bist klein.

Nun begab es sich, daß die Kirche nach vielen Jahren baufällig wurde. Eine gründliche Ausbesserung hätte nach dem Urteil des Baumeisters fast so viel gekostet als ein Neubau, und so entschloß man sich, die alte Kirche abzubrechen. Über den Standort der neuen Kirche gab es keine langen Verhandlungen: die Mehrheit entschied sich für Besenfeld. Mit dem Bau wurde alsbald begonnen. Den Grabarbeitern folgten die Steinhauer und Maurer und legten die Fundamente. Auf einem freien Platz vor dem Dorfe draußen hantierten die Zimmerleute. Sie verarbeiteten neben dem neuen das noch brauchbare Holz der alten Kirche. Dann schafften sie die zugerichteten Balken zur Baustelle, um die neue Kirche aufzuschlagen.

Doch was mußten sie am andern Morgen sehen? Das Bauholz war aus Besenfeld verschwunden und lag drüben in Urnagold auf dem Bauschutt der alten Kirche. Erst glaubte man an einen Scherz, den sich die Urnagolder aus alter Anhänglichkeit für ihr Gotteshaus gestattet hätten, und brachte das Holz zurück. Aber am folgenden Morgen hatte sich der wunderbare Vorgang wiederholt. Die Bauleute und die Einwohner standen bestürzt umher. Mit der Arbeit wollte es den ganzen Tag nicht vorwärts gehen. Doch hatten die Arbeiter am Abend ihr Holz wieder in Besenfeld. Zwei kecke Zimmerleute ließen sich bestimmen, die Nacht über zu wachen. Aber auch diese Vorsicht half nichts. Die Gesellen lagen den nächsten Morgen schlafend auf dem Holz in Urnagold. Als man sie wecke, konnten sie keinerlei Auskunft über den nächtlichen Ortswechsel geben. Daß sich das Gespräch jetzt nur noch um diesen wunderbaren Vorgang drehte, konnte kaum mehr auffallen. Bereits hörte man viele Stimmen in Besenfeld, die der Kirche ihren alten Platz zuwiesen. Einige aber wollten das Spiel noch nicht verloren geben, zumal ein verwegener Zimmergesell die Wache noch einmal zu übernehmen versprach und sagte, er wolle doch sehen, ob das Holz nicht in Besenfeld bleibe. Am kommenden Morgen war aber die Bestürzung noch größer. Die geheimen Mächte hatten abermals zugunsten Urnagolds entschieden, und der freche Handwerker hatte den Tod gefunden.

Nach diesem erschütternden Vorfall gab es keinen Widerstand mehr. Die Kirche kam an ihren alten Platz zu stehen. Damit aber die Arbeiter in Besenfeld nicht ganz umsonst wären, erbaute man dort ein Kirchlein, in dem jetzt noch die Kinder zur Sonntagschristenlehre zusammenkommen. Zum Hauptgottesdienst aber dient die Kirche in Urnagold.

(Mündliche Überlieferung; von Bolz.)


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