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In den ersten Märztagen des Jahres 1511 hielt zu Stuttgart der junge Herzog Ulrich von Württemberg seine Hochzeit mit Sabina, des verstorbenen Bayernherzogs Tochter. Dabei wurde eine Pracht entfaltet, wie sie bis dahin im Schwabenlande noch nie gesehen worden war. Zu Ehren der vornehmen Gäste, die aus ganz Deutschland zum Hochzeitsfeste gekommen waren, wurde allerlei Festlichkeit und Kurzweil veranstaltet. Dem gemeinen Volk aber war ein Brunnen errichtet, aus dessen 8 Röhren roter und weißer Wein floß. Jedermann durfte daraus trinken, soviel er wollte; nur sollte keiner etwas nach Hause mitnehmen, »außer, was er im Kopf mit davontrüge.«
Unter den adeligen Gästen befanden sich auch zwei oberschwäbische Grafen, Andreas von Sonnenberg und Felix von Werdenberg, jener in Scheer, dieser in Sigmaringen ansässig. Obgleich Nachbarn, waren sie doch nicht gut aufeinander zu sprechen; denn ein Erbschaftsstreit hatte ihre Familien entzweit. Graf Felix von Werdenberg stand bei Kaiser Maximilian in hoher Gunst. Er hatte dem Kaiser in Krieg und Frieden schon manchen Dienst erwiesen, daher ihm auch bei der Hochzeitsfeier die Würde des kaiserlichen Gesandten übertragen worden war. Der herzogliche Bräutigam erwies dem Vertreter des Kaisers große Aufmerksamkeit und gab ihm sogar die Ehre des Vortanzes mit seiner fürstlichen Braut.
Nun war aber der Werdenberger klein und unansehnlich von Gestalt, und die besonders groß gewachsene herzogliche Braut überragte ihn um mehr als eines Hauptes Länge. Die Zuschauer konnten sich eines Lächelns nicht erwehren, als das ungleiche Paar zum Tanze antrat. Graf Andreas von Sonnenberg aber, der seinem Nachbarn die Ehre nicht gönnte, rief ihm zu: »Streck dich, Werdenberg!« Graf Felix, über den Spott des Sonnenbergers sehr ergrimmt, erwiderte: »Das will ich dir gedenken, Sonnenberg!« Dieser, von Gestalt ein Riese, ergötzte sich an dem Zorn des Werdenbergers, und da er schon ziemlich tief in den Becher geschaut hatte, so rief er mit Lachen: »Was will mir das ärmliche Studentlein tun? Wenn ich ihm den Finger zwischen die Zähne lege, so darf er nicht wagen zuzubeißen!« »Warte nur,« schrie zornbebend Graf Felix, »ich will dich noch beißen, daß du es wohl spüren wirst!«
Dieser Streit zwischen den beiden Grafen brachte einen schrillen Mißton in die so fröhliche Festesstimmung. Denn auch die Herzogin Sabina fühlte sich gekränkt durch die ihrem Tänzer widerfahrene Beleidigung und war den ganzen Abend voll übler Laune. Graf Felix von Werdenberg aber tat den Schwur, die ihm angetane Schmach blutig zu rächen.
Als das Hochzeitsfest zu Ende war und die Gäste Stuttgart verließen, tat er, als ob er auf seine Besitzungen in der Rheingegend reise. Insgeheim aber ritt er zu seinem Schwager auf die Burg Wildenstein an der Donau und warb fahrende Kriegsknechte an, denen Weg und Steg am Donaufluß bekannt waren. Mit ihnen lag er Tag und Nacht gegen den Sonnenberger auf der Lauer. Es war am 10. Mai 1511 abends spät, als Graf Andreas, begleitet von 3 Knechten und einem Kaplan, vom Bussen herab seinem Heimwesen in Scheer zuzog. Er war auf der Jagd gewesen und dachte an nichts Arges, hatte auch keinen Harnisch noch sonstige Rüstung an, sondern war nur bekleidet als ein Weidmann. Da er nun bei Hundersingen durch das Ried ritt, sprengten ihm auf einmal 10-12 gewappnete Reiter entgegen. Sie hatten ihre Kappen tief ins Gesicht gezogen, so daß man sie nicht erkennen konnte. Als der Graf sie fragte, wer sie seien, rief der vorderste: »Schießt ab! Schießt ab!« Die Bogen schwirrten, und hart vorbei an des Grafen Kopf flogen die Bolzen, doch ohne zu treffen. Vertrauend auf sein gutes Pferd, ergriff nun Graf Andreas die Flucht. Aber er kam nicht weit. Denn in der Dunkelheit stürzte das Pferd über einen Graben, und der Graf fiel zu Boden. Ehe er sich erheben konnte, waren die Reiter schon bei ihm, und nicht achtend der Bitten des Kaplans, seinem Herrn noch die letzte Beichte zu gewähren, hieben und stachen sie mit ihren Schwertern und Lanzen so lange auf ihn ein, bis er kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Dann ritten sie hohnlachend davon. Großer Schrecken verbreitete sich über dieser Mordtat in der Gegend. Man brachte die aus mehr als 20 Wunden blutende Leiche nach Scheer. Dort wurde sie in der Kirche beigesetzt. Das Grabmal ist heute noch zu sehen.
Felix von Werdenberg, der Urheber der ruchlosen Tat, verriet sich selber durch Briefe, die er an Verwandte schrieb. Da er vorgab, er habe in der Notwehr gehandelt, so wurde er vom Gericht nur zu einer kleinen Geldbuße verurteilt, trotzdem die Familie des Ermordeten alle Anstrengungen machte, ein gerechteres Urteil herbeizuführen. Doch entging er der Strafe nicht. Die Mordtat, nicht die einzige in seinem Leben, brannte ihm auf der Seele, und um sein Gewissen zu betäuben, soll er sich oft in seinem Schlosse zu Sigmaringen »allerlei Tanz und Kurzweil haben aufführen lassen«. Im Jahre 1530 ereilte ihn ein jäher Tod auf dem bekannten Reichstag zu Augsburg. Seine Verwandten sagten, ein Schlagfluß habe ihn nachts im Bett getötet. Das Volk aber behauptete, Kaiser Karl V habe ihn seiner Mordtaten wegen im geheimen hinrichten lassen. In Trochtelfingen auf der Alb, wohin sein Leichnam zur Beisetzung gebracht wurde, ging lange Zeit noch die Sage, bei der Beerdigung des Grafen sei sein abgehauener Kopf im Sarg immer hin- und hergerollt, so daß die entsetzten Träger den Sarg hätten öffnen wollen. Doch sei es von den Verwandten des Grafen nicht gestattet worden.
Auf der Mordstelle wurde später eine Kapelle erbaut.
In ihr mußte ein Priester wöchentlich eine Seelenmesse lesen. Angefügt wurde der Kapelle eine Klause für einen Einsiedler, der zu bestimmten Zeiten das Glöcklein der Kapelle zu läuten hatte. Viele Leute strömten herbei, um in der einsamen Riedkapelle ihre Andacht zu verrichten und der Seele des Ermordeten ein Vaterunser zu weihen. Im Jahre 1818 wurde der letzte Eremit von einem Landstreicher des Nachts grausam ermordet. Dadurch entweiht, mußte die Kapelle abgebrochen werden. Lange Zeit bezeichnete nur ein einsam stehender Vogelbeerbaum die Stelle der grauenvollen Tat. Jetzt steht auf ihr ein einfaches Malzeichen, dem Toten zum Gedächtnis, den Lebenden zur Mahnung und Warnung.
(Nach der Zimmerschen Chronik u. a. von R. Rommel-N.)