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II.

Das Brünnlein an der Steige

Es war einmal ein junger Spielmann. Der hatte nichts zu eigen als seine Fidel, dafür aber ein Herz wie Gold und einen frischen, frohen Mut. Wohin er kam, da war Frohsinn und Freude. Am Sonntag, wenn er unter der Dorflinde saß und seine Mären und Schnurren erzählte, kamen die Leute aus dem Lachen nimmer heraus. Und griff er erst zum Bogen und strich die Saiten, dann kannte der Jubel keine Grenzen mehr. Um die Linde drehten sich in wirbelndem Reigen die Paare, daß die Röcke flogen und das helle Jauchzen der Burschen durchs ganze Dorf erklang.

Eines Tages wanderte er, die Geige auf dem Rücken und mit den Lerchen um die Wette singend, die Straße dahin, die von Ulm über die Alb ins Unterland führt. Schon ging's die steile Steige hinab, unter der die Stadt Geislingen an der Fils liegt, da stand unser Geiger auf einmal betroffen still. Am Wegrande lag ein Mann, stöhnend und aus mehreren Wunden blutend. Der Spielmann hatte ein weiches Gemüt und wollte dem Unglücklichen beistehen. Schnell trat er hinzu, hob ihm den Kopf in die Höhe und fragte, was ihm fehle. Aber der Verunglückte konnte nicht mehr sprechen. Nur ein dumpfes Röcheln hob noch einmal seine Brust, dann stand der Atem still, und er war tot. Dem lebensfrohen Geigerlein war das Sterben und der Tod etwas Furchtbares. Helle Tränen des Mitleids rollten ihm über die Wangen, und zum Himmel empor stieg aus seinem Herzen ein Vaterunser für das Seelenheil des Verstorbenen.

Eben schickte er sich an, den Kopf des Toten wieder sanft auf die Erde zu betten, da hörte er hinter sich den Ruf: »Wart, Halunke, ich will dir dein Geschäft versalzen!« Es war ein Mann, der mit geschwungenem Knotenstock eben im Begriff stand, sich auf ihn zu stürzen. Offenbar war er des Glaubens, der Fremde habe den Daliegenden niedergeschlagen und wolle ihn nun eben ausrauben. Im Schreck und in der Bestürzung verlor der Geiger alle Besonnenheit. Er sprang jäh auf und ergriff eiligst die Flucht. Der Mann setzte ihm aber nach, und auf sein Geschrei kamen noch andere Leute herbeigelaufen, die sich nun auch an der Verfolgung des vermeintlichen Mörders beteiligten. »Viel' Hunde sind des Hasen Tod,« sagt das Sprichwort, und so ging's auch dem Spielmann. Er wurde ergriffen und im Triumph in die Stadt und vor das Gericht geführt. Da der Tote ein vornehmer Bürger der Stadt, der Geiger aber nur ein armer fahrender Geselle war, so machte man nicht viel Federlesens mit ihm. Trotz seiner Beteuerungen und Schwüre, an dem Tod des Bürgers unschuldig zu sein, wurde er doch des Mordes für schuldig gesprochen und unter großem Gedränge des Volks zur Stadt hinaus auf den Richtplatz geführt. Als Richtstätte hatte man aber den Ort bestimmt, wo der Mord geschehen war. Der Scharfrichter im roten Wams, das breite Richtschwert in den Händen, erwartete hier schon den Delinquenten. Diesen hatte bis jetzt sein angeborener Frohsinn nicht verlassen; denn er hatte seiner Unschuld vertraut und sicher geglaubt, daß man ihm nichts anhaben könnte. Als er aber sah, daß es Ernst wurde und man ihm wirklich an das Leben wollte, warf er sich jammernd und mit gerungenen Händen vor den Richtern nieder und bat um Schonung und Erbarmen. Trocken aber sagte der Stadtvogt: »Scharfrichter, tut eure Pflicht!« Da rief der Geiger mit schriller, markdurchdringender Stimme: »Weh' euch, die ihr weniger Erbarmen habt als dieser Stein! Ihn rufe ich als Zeugen meiner Unschuld an! Er wird weinen und Wasser geben, da eure Augen trocken und eure Herzen hart bleiben!« Er wollte noch mehr reden, aber das Schwert des Scharfrichters blitzte, und das Haupt des unglücklichen Spielmanns rollte in den Sand.

Doch, was war das! Durch den Berg ging plötzlich ein dumpfes Rollen; die Erde fing an zu beben, so daß ringsum alles vor Schrecken erbleichte. Und siehe da! Im Felsengestein tat sich eine Spalte auf, und heraus sprang eine Quelle silberhell und klar und ergoß ihr Wasser in breitem Strome über den Richtplatz und wusch das unschuldig vergossene Blut von der Erde. Staunend und aufs tiefste ergriffen schaute die Menge das Wunder. Die Richter aber beugten sich vor Gott und sprachen: »Herr, vergib uns, daß wir so schwer gesündigt haben! Wir wollten Recht üben und haben unwissend großes Unrecht getan!« Sie selbst traten hinzu, nahmen den Leib des Gerichteten von der Blutstätte weg und legten ihn in das Gras und in die Blumen der Wiese. Dann schickten sie in die Stadt und ließen ein ehrenvolles Begräbnis zurichten. Unter dem Geläute der Glocken und begleitet von den Einwohnern der ganzen Stadt, wurde der Geiger zur Kirche gebracht und in geweihter Erde bestattet.

Noch heute springt der wunderbare Quell bei Geislingen an der Steige. Sein Wasser hat schon manchen durstigen Wandersmann erquickt, der müde und matt des Weges kam. In den Zweigen der Bäume, die ihn umschatten, singen die Vögelein ihre Lieder, so munter und fröhlich, wie es einst der Spielmann getan. Und wer ihre Sprache versteht, dem kann es wohl geschehen, daß er einmal vernimmt, wie sie ihren Jungen die Geschichte erzählen vom Brünnlein an der Steige und vom Geigerlein, das hier unschuldig seinen Tod gefunden hat. (Nach Hohbachs Gedicht von K. Rommel-R.)


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