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Unweit des alten Klosters Königsbronn, hoch über dem Ort, wo die Brenz in einem blauschimmernden See zutage tritt, erhebt sich der Herwartstein. Es ist dies ein senkrecht aufsteigender Felskoloß, der mit seinem Fuß im Gebirge des Aalbuchs wurzelt, mit seinem Haupt aber vom Rande desselben absteht und dazu noch absichtlich durch einen Graben von ihm getrennt ist. In altgermanischer Zeit war er wohl ein heidnischer Opferstein; im Mittelalter aber trug er eine Burg, deren Herren die Ritter vom Herwartstein hießen. Sie waren ein wildes Geschlecht, die Geißel der Bauern und der Schrecken der Wanderer, die durchs Brenztal zogen.
Am schlimmsten von allen trieb es der Ritter Adelbert. Er scheute sich nicht vor Gott und fürchtete sich vor keinem Menschen. Ritt er hinab ins Tal, so war es ihm ein Vergnügen, sein Pferd querfeldein durch die Saat und das reifende Korn zu treiben, und bat ihn der Landmann jammernd und händeringend um Gnade und Schonung, so hieb er ihm die Peitsche um die Ohren und ritt hohnlachend davon. Sein Burgverließ war stets gefüllt mit Gefangenen, die er an der Straße aufgegriffen und auf die Burg geschleppt hatte, um Lösegeld von ihnen zu erpressen. War ihm ein guter Fang gelungen, dann saß er Tag und Nacht mit seinen Gesellen bei Trunk und Spiel, und ihr rohes Lachen, Fluchen und Toben erfüllte die ganze Burg.
Diesem wüsten Treiben war Kunigunde, des Ritters liebliches Töchterlein, ganz und gar abhold. Sie hatte das fromme Gemüt ihrer verstorbenen Mutter geerbt und tat alles, um gut zu machen, was der Vater und die Brüder gesündigt hatten. Wenn sie auf Beute auszogen, so stieg sie mit einem Korb am Arme ins Tal hinab, besuchte die Armen und Kranken und erquickte sie mit Trost und reichen Gaben. Auch den Gefangenen in der Burg war sie ein milder Engel, der ihnen die Qualen der furchtbaren Kerkerhaft auf jede Weise zu erleichtern suchte.
Eines Tages, als sie wieder allein zu Hause war, führte sie einen Greis, der im dumpfen Burgverließ krank geworden war, herauf in den Burghof. Dort bei der Linde am Brunnen setzte sie ihn auf die Bank in den Sonnenschein und war voll inniger Freude, als sie sah, wie wohl die frische Luft und die warme Sonne dem Alten bekamen. Eben schenkte sie einen Becher mit stärkendem Wein ein, als sich auf der Brücke der Hufschlag eines Pferdes vernehmen ließ und gleich darauf ihr Vater zum Tore hereingesprengt kam. Sein Antlitz war rot von Wein und Zorn; denn der Anschlag, den er hatte ausführen wollen, war ihm mißlungen. Als er den Gefangenen im Hofe sah und seine Tochter bei ihm, ergriff ihn neuer Zorn. Er riß das Schwert aus der Scheide und eilte auf den Alten zu, um seine Wut an ihm zu kühlen. Kunigunde, dies bemerkend, warf sich mit gerungenen Händen dem Vater entgegen. Doch es war zu spät, der Stoß gegen den Alten war schon geführt, und nur mit ihrer eigenen Brust konnte sie ihn noch aufhalten. Blutüberströmt brach sie zusammen, um gleich darauf mit einem tiefen Seufzer ihre reine Seele auszuhauchen. Wie vom Blitz getroffen stand der Ritter vor der Leiche seiner gemordeten Tochter, das blutige Schwert in der Hand. Als nun aber der Alte seine Stimme erhob und ausrief: »Verflucht seist du mit deiner ganzen Sippe, verruchter Mörder, der du die Rose zertrittst und die Dornen hegst!« da erwachte Adelbert aus seiner Betäubung. Mit neuer Wut ergriff er sein Schwert und bohrte es dem Alten ins Herz, daß sein Blut hoch aufspritzte und er tot neben der Jungfrau niedersank.
Von nun an lastete ein schreckliches Verhängnis über den Rittern vom Herwartstein. Keiner starb mehr eines gewöhnlichen Todes. Ritter Adelbert, der zweifache Mörder, wurde bald nach seiner grauenvollen Tat unter dem Felsen der Burg zerschmettert aufgefunden. Er hatte im Wein Vergessenheit gesucht und war, als er nachts zur Burg heimkehren wollte, in der Trunkenheit in den Abgrund gestürzt. Ein anderer Herwartsteiner versank beim Baden in der Brenz, ein dritter kam auf der Jagd durch den unglücklichen Schuß eines Weidgenossen ums Leben, und ein vierter fiel in der Schlacht. Von allen ging die Sage, daß eine wunderbare Frauengestalt ihnen vorher den Tod angezeigt habe. Im weißen Kleide und am Gürtel einen Bund Schlüssel tragend, sei sie ihnen erschienen und habe sie mit erhobenen Händen und flehenden Gebärden ermahnt, ihr nahes Ende zu bedenken und Haus und Herz zu bestellen. Die Leute erkannten in ihr die ermordete Kunigunde und sagten: »Sorge und Gram um das Seelenheil ihrer Verwandten lassen sie im Grabe keine Ruhe finden.« Manche versicherten auch, das weiße Fräulein umschwebe zu gewissen Zeiten nachts die Burg. Man könne sie dann auf dem Felsen sitzen sehen, wo sie klage und weine zum Herzbrechen.
Nun geschah es, daß die Witwe eines Herwartsteiners auf dem Schlosse lebte. Sie hatte einen einzigen Sohn und war voll banger Sorge, auch er möchte dem Fluch seines Geschlechts zum Opfer fallen. Mit Beten und Fasten, mit Schenkungen an die Armen, an Kirchen und Klöster glaubte sie das Verhängnis von ihm abwenden zu können. Aber all' ihr Mühen war umsonst. Eines Tages brachte man den Junker tot vom Walde heim. Er war mit dem Pferde gestürzt und hatte den Hals gebrochen. Über seinem Grabe wurden Schild und Wappen zerschlagen: denn mit ihm war der letzte Herwartsteiner gestorben und das Geschlecht somit erloschen. Seine Mutter starb kurz nach ihm aus Gram, und auch die Burg entging nicht dem unerbittlichen Schicksal. Nachdem sie eine Zeitlang den Grafen von Helfenstein gehört hatte, wurde sie 1287 von Kaiser Rudolf belagert, erobert und zerstört. Die besseren Steine der Burg fanden Verwendung beim Bau des Klosters Königsbronn. Nur ein wenig Mauerschutt bezeichnet heute noch die Stelle, wo einst die stolze Burg gestanden.
(Nach Amos u. a. von K. Rommel-R.)