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Viertes Capitel.
In London.

Es war ein regnerischer Nachmittag in London – die Straßen waren schlüpfrig, Regenschirme kämpften gegen Regenschirme, und ringsum herrschte Lärm, Geräusch und Getümmel.

Eine junge Dame lenkte aus einer belebten Durchfahrt in eine ruhigere Straße ein. Sie eilte rasch dahin, mit der Aufregung einer Person, welche an das laute Getöse nicht gewohnt ist; und während sie das Trottoir betrat, stieß sie zufällig mit ihrem Schirm heftig an einen vorübergehenden Gentleman an. Die Entschuldigung, die sie eben aussprechen wollte, verlor sich in einen Ausruf.

»Bernard?«

»Therese? Bist Du es?«

Nach flüchtigem Gruße ergriff er ihre Hand und schaute in das liebe wohlbekannte Antlitz, während sie halb lachend, halb in Thränen ihm erklärte, sie lebe jetzt in London – und nicht weit von da entfernt.

»Wo ist Dein Großvater? Wo ist – Marie?« fragte er, indem er beim letzten Namen peinlich erröthete.

»O sie sind nicht hier, sie sind zu Hause. Ich bin jetzt verheirathet. Lieber Bernard, wir sind hier in einem Gewirr – bitte, komm' mit mir, zu Hause wollen wir über Alles plaudern. Ach, wie freut es mich, lieber Bernard, Dich zu sehen!«

Er bot ihr seinen Arm, und während sie dahingingen, war ihre Zunge in rascher Bewegung, um ihm mitzutheilen, sie lebe seit fast anderthalb Jahren in London, und habe oft gehofft, ihm zu begegnen, sei jedoch nicht im Stande gewesen, seine Adresse von denen in der Grange zu erhalten.

»Nein,« sagte er stotternd, »ich habe seit geraumer Zeit keine Briefe mit ihnen gewechselt. Ich – o, was sollte ich ihnen schreiben? Doch, wie kam es, daß Du sie Alle verließest, Therese? Hast Du in letzter Zeit Nachricht von ihnen erhalten?«

Jetzt war die Verwirrung auf ihrer Seite.

»Ich – schreibe an Marie und manchmal an die Mamma – doch – da muß ich Dir noch so Manches aufklären – meine Ehe mißfiel dem Großpapa. Nach und nach werde ich Dir Alles darüber mittheilen. Ja, sie waren Alle wohl, als Marie mir das letzte Mal schrieb.«

»Wohnst Du hier?« fragte er, als sie in eine stille, düstere Straße einlenkten.

»Ja, wir haben hier Zimmer, für den Augenblick. Wir beabsichtigen bald auf das Land zu gehen. Mein Gatte fand es für nöthig, anfangs in der Stadt zu wohnen. Du glaubst, es sei düster hier? Ich glaubte es auch, doch jetzt nicht mehr. Ich bin ganz glücklich, Bernard; warte einen Augenblick.«

Sie klopfte an eines der Häuser und trippelte hinein, indem sie flüsternd an das niedliche Mädchen, welches die Thüre geöffnet hatte, eine Frage stellte.

»Ja, Madam, wie Gold so rein,« lautete die Antwort.

»Komm' Bernard, gehen wir hinauf,« sagte Therese, indem sie lächelnd sich umwandte, leicht die Treppe voranschritt und in ein düsteres, aber wohl ausgestattetes Zimmer im ersten Stocke eintrat. Und indem sie zu einem Wiegenkorbe in einer Ecke ging, beugte sie sich einen Augenblick darüber.

»Sieh hier meinen Sonnenstrahl!« sagte sie, während plötzlich die Gluth der Scham in ihr Gesicht schoß; und indem sie die rosafarbene Decke zurückschlug, zeigte sie ihm ein hübsches, ruhiges Kind, das mit großen, offnen Augen, sinnend in die Leere starrte.

Bernard erblaßte.

»Es ist das Ebenbild von Marie!« rief er und streckte seine Arme aus. »Gib sie mir her!«

Sie gab ihm das weiche Bündel aus Musselin und blauen Bändern hin, indem sie ihn mit tiefem, bedeutungsvollem Ernste anblickte. Er küßte die Wange der Mutter und ging schweigend fort. Aus dem innern Gemach, wo Therese ihre Ausgangstoilette ablegte, sah sie, wie er auf- und abschritt, seinen hübschen Kopf niedergebeugt und das Kind gegen sein Antlitz haltend. Bald setzte er sich mit feuchten Augen an den Kamin, ohne das Kind in die Wiege zurückzulegen: er wollte es während seines ganzen Verweilens nicht aus seinen Armen geben.

»Therese, Du hast ihr natürlich Deinen Namen gegeben?«

Ein leichter Schatten von Betrübniß glitt über das Antlitz der jungen Frau, als sie erwiederte:

»Marie ist ihr zweiter Name – sie wurde Anna getauft. Mein Gatte hat eine Freundin dieses Namens, die er damit zu ehren wünschte. Wie sich von selbst versteht, Bernard, wirst Du da bleiben, um ihn zu sehen, obwohl ich seine Rückkehr vor Nacht nicht erwarte. Er ging heute zufällig zu seinem Verleger. Es wird ihn aufrichtig freuen, Dich zu sehen; oft suchte er auf meine Bitte hin Deine Adresse auszukundschaften, denn wir wußten, daß Du in London seiest, obwohl sonst weiter nichts. Jetzt, wo ich Dich gefunden, dürfen wir uns nie wieder fremd werden, Bernard.«

Er antwortete liebreich, und die nächste Stunde verfloß in einem Gespräche, welches ganz die Freundlichkeit und Vertraulichkeit ihrer Jugendjahre abspiegelte. Sie erzählte ihm von der Grange und deren Bewohnern; dann gab sie ihm einige Aufschlüsse über ihren Brautstand und ihr ehliches Leben. Sie war ersichtlich stolz auf ihren Gatten und sprach von der hohen Achtung, welche ihm wegen seiner Talente allgemein erwiesen wird; doch später erinnerte sie sich, daß sie in der Eile und Vertraulichkeit der Unterhaltung ihn immer nur bei seinem Taufnamen genannt hatte.

»Du wirst sehen, Bernard, er wird in kurzem eine gute Stellung erhalten, obwohl wir nicht mit glänzenden Aussichten begonnen haben. Wir wollten uns in der Nähe der Heimath niederlassen, doch bei reiflicherer Ueberlegung hielten wir es für besser, damit eine kurze Zeit zu warten, denn er hat sich in seinen literarischen Unternehmungen etwas getäuscht, und überdieß ist der Großpapa für den Augenblick erzürnt. Selwyn war in letzter Zeit mit einem Werk beschäftigt, das er sogleich zu veröffentlichen wünscht; deßhalb ist er jetzt zu seinem Verleger gegangen. Ich hoffe, er wird Glück damit machen, denn er hat sich außerordentliche Mühe gegeben.« So plauderte sie fort.

»Aber Therese – ich brauche wohl meine Frage nicht zu entschuldigen – habt ihr keine andere Quelle des Einkommens? ist es möglich, daß Du von der Thätigkeit seines Gehirnes abhängst? Gerechter Himmel!« rief der junge Besitzer von einigen tausend Pfund Jahresrenten nicht ohne Besorgniß aus.

Sie lachte.

»Du bist ein fauler Junge, Bernard, und weißt nicht, was arbeiten heißt. Ja, wir haben kein anderes Einkommen; doch wir sind ganz gut daran – für Anfänger, verstehst Du – und ich bin voll Hoffnung und so glücklich, als ich vernünftigerweise erwarten kann. Es ist wahr, ich bestand einige Prüfungen,« fuhr sie sanft fort; »es war eine Prüfung, nach der Grange hier zu leben. Ich glaubte, ich könnte mich nie mit diesem engen, düstern Orte und den vollgestopften Straßen befreunden. Ich entsetzte mich, wenn ich ohne das Mädchen nur eine Elle weit vom Hause wegging. Aber bald hatte ich etwas, was meine Gedanken beschäftigte, und mich zu einer standhaften Matrone umwandelte.«

Der junge Mann betrachtete sie mit Bewunderung und hielt sie für ein Muster jugendlicher Matronen, als sie mit bescheidnem Antlitz, hellen, sanften Augen und blühender, sauber gekleideter Gestalt dasaß. Die Mutterwürde stand ihr gut an und hatte ihr eine Entwicklung und Sicherheit verliehen, die ihr stets gefehlt hatte. Er hörte gerne ihre sanfte, ihm wohl im Gedächtniß gebliebene Stimme und lauschte mit großer Theilnahme auf alles, was sie ihm erzählte. Aber während er sie aufforderte, ihm von ihren Angelegenheiten zu berichten, war er überaus verschlossen über seine eignen und wich jedem Versuche aus, durch welchen sie einen Weg zu seinem Vertrauen gewinnen wollte. Nachdem sie in der freundschaftlichsten Weise einige Unruhe darüber bezeugt hatte, hielt sie es für's beste, den Gegenstand fallen zu lassen, und, mit Thränen in den Augen, fuhr sie fort, ihn zu beobachten. Sie glaubte, er habe sich sehr zum Schlimmen verändert. Ein hübscheres Gesicht, eine stattlichere Gestalt konnte man schwerlich finden, aber seine einst frische Schönheit hatte sich in eine verstörte Feinheit, in einen unruhigen, ängstlichen Blick verwandelt, aus denen man sah, daß Geist und Körper gleich krank waren. Er schien aber der alte zu sein, wenn er von Marie sprach, was seinerseits ohne Zurückhaltung, obwohl immer mit erglühenden Wangen und stetem Feuer in den großen blauen Augen geschah.

»Ich verdiene sie nicht, Therese, ich verdiente sie nie; doch ich liebe sie mit meinem ganzen unwürdigen Herzen. Um ihretwillen werde ich zeitlebens ledig bleiben. Sie denkt zuweilen an mich, ja, sie denkt an mich. Sollte ich je hören, sie habe einen Andern geheirathet, in derselben Stunde werde ich eine Pistole an meine Stirne setzen.«

Er beugte seinen Kopf, der reich mit schweren, glänzenden Locken besetzt war, unter Theresens ernstem Blicke; doch als sie es wagte, ihn zu ermahnen, wozu sein momentan verzweifelter Blick sie antrieb, schaute er mit knabenhaftem Gelächter auf und nannte sie eine kleine gesetzte Predigerin. Ob sie sich einbilde –

Hier trat das Mädchen mit einem Briefe ein, den sie auf den Tisch legte mit den Worten:

»Für den Herrn, Madam.«

Es war ein großes Schreiben mit deutlicher Adresse. Bernard's Augen fielen zufällig darauf; augenblicklich wich das Lächeln seines Antlitzes einem bestürzten Blick und dann einer raschen Todesblässe.

Einen Augenblick saß er wie betäubt da, dann stand er auf und schien nach Luft zu schnappen.

»Bernard – was ist das? O bitte, sprich!«

»Was – was bedeutet dieß? Wer ist Dein Gatte?« fragte er mit heiserm Tone?

»Mr. Grice ist mein Gatte – Selwyn Grice.«

Er starrte sie an, als fasse er schwer den vollen Sinn ihrer Worte, und dann sank er wie ohnmächtig auf seinen Stuhl zurück. Sie wollte in ihrer Bestürzung nach der Glocke greifen, aber er faßte ihre Hand und hielt sie zurück, bis die Blässe seines Antlitzes wich, und er zu sprechen vermochte.

»Erschrick nicht, Therese! Es ist ein plötzlicher Anfall, dem ich unterworfen bin. Was sagte ich? Vergiß es, denn es war Unsinn. Ich muß in die frische Luft hinaus. Nichts als die frische Luft erleichtert mich. Laß' Dich nicht beunruhigen.«

»O Bernard, wie kann ich helfen?« sagte sie, ihm zur Thüre folgend; »kommst Du nicht wieder zurück? Doch, ich habe ja Deine Adresse. Selwyn soll Dich morgen besuchen. Ach, ich werde Deinetwegen so besorgt sein!«

Er murmelte einige unverständliche Worte, gab ihr ein Zeichen zum Bleiben, eilte die Treppe hinunter und auf die Straße hinaus.

Während sie in trübem Nachsinnen ihr Kind einschläfert, wollen wir einen kurzen Rückblick auf ihr ehliches Leben werfen.

Lebt sie glücklich und zufrieden? Sie hatte bemerkt, sie sei so glücklich, als sie vernünftigerweise erwarten konnte; dadurch gab sie wohl zu verstehen, daß gewisse Illusionen, die sie sich während ihrer kurzen Liebeszeit gemacht hatte, inzwischen verflogen waren. Es ist dieß auch ganz natürlich: jedes verständige Mädchen wird vorbereitet sein auf die Wahrnehmung, daß die Ehe keine Brautwerbung ist; aber thörichte Liebe will noch träumen von jenen goldnen Tagen, die der Hochzeit vorhergehen; und da ein rauher Stoß sie schädigen würde, so ist es gut, sie sanft aus ihrem zögernden Schlummer zu wecken. Es ist ein Beweis besonderer Liebe und Verständigkeit, daß Therese bald gewisse Lehren begriffen hatte, auf die sie ganz unvorbereitet gewesen war, und welche sie in der That nicht ohne Thränen erfahren hatte. In den ersten Tagen ihrer Ehe hatte es Stunden gegeben, wo sie von der Gesellschaft getrennt und ihren Freunden entfremdet, äußerst einsam sich fühlte; wo es ihr vorkam, als ob die großen düstern Häuser gegenüber jeden Lufthauch absperrten; wo ihr bekümmertes Herz auch an der Sympathie ihres Gatten sich nicht erholen konnte, weil er beschäftigt oder ausgegangen war, oder was noch schlimmer, zuweilen gereizt und unfreundlich erschien, was sie gern vergeben hätte, wäre nicht die Ursache ihrer Ansicht nach zu geringfügig und verächtlich gewesen, um die Beachtung eines Geistes zu verdienen, wie der seine es war.

Bald fand sie, daß es am besten sei, sich in einer Art liebreicher Vorstellung zu üben und in dem aufrichtigen Wunsche, die Liebe ihres Gatten sich zu erhalten, so sanft als möglich jene geduldige Freundlichkeit sich anzueignen, womit das Weib lebenslänglich die kurze, glühende Werbung bezahlt, durch die es gewonnen worden. Hierin wurde sie unterstützt durch einen Entschluß, welcher in ihrem unschuldigen Herzen verborgen lag, durch den Entschluß, Selwyn Bewunderung für ihre heilige Religion dadurch abzunöthigen, daß sie ihm zeigte, wie erfolgreich und stark deren Wirkungen auch in den häuslichen Prüfungen des täglichen Lebens sich erweisen. »Wenn ich lebe wie ein Katholik leben soll, werde ich ihn am ehesten dazubringen, meinen Glauben zu lieben!« so flüsterte sie sich selbst zu, als sie fand, daß er die versprochene Prüfung noch immer verschiebe. Durch diese Hoffnung mehr, als sie selbst es wußte, gestärkt, war bisher ihr ehliches Leben religiös, sanft und pflichtgemäß gewesen; und ihr mag es auch zugeschrieben werden, daß sie manchen Widerspruch mit Sanftmuth ertragen, manche Enttäuschung bei Gelegenheiten weggelächelt hatte, wo bloß natürliche Liebe sehr wahrscheinlich zu Schanden geworden wäre. Allmählig kam noch eine weitere Quelle der Stärke hinzu – eine sanft wachsende, zart gebietende neue Sorge – eine neue Hoffnung, welche auf ihre Zukunft ein liebes, bisher ungekanntes Licht warf. Die erwartende Mutter war nie mehr allein; die Einbildung füllte ihre Arme vor der Zeit mit einem kleinen, sich anklammernden Wesen, welches – falls es ein Mädchen ist – Marie heißen und das milde Antlitz der himmlischen Königin fast eben so bald als die Züge seiner irdischen Mutter kennen lernen soll.

Von dem früheren Leben und den Familienverbindungen ihres Gatten hatte Therese bis jetzt sehr wenig erfahren. Er hatte ihr erzählt, er habe den größten Theil seiner Jugend in Amerika verbracht, wohin er als ganz junger Knabe von einem Gentleman gebracht worden sei, den er seinen »Vormund« genannt und den er nahe am Ziel ihrer Reise bei einem schrecklichen Schiffbruch verloren habe. Hierauf sei er von einem Mr. Grice, einem nahen Verwandten des eben erwähnten Gentleman's, an Kindesstatt angenommen und anständig erzogen worden und schließlich auf seinen eignen dringenden Wunsch nach England gekommen, um da den Ruhm und das Glück zu suchen, wozu ihn seine Talente zu berechtigen schienen. Er hatte wenig persönliche Freunde, und so weit er wußte, keine lebenden Verwandten – eine eigenthümliche Isolirung, die Theresens Verwunderung erregte und sie oft zu dem Argwohn verleitete, irgend eine geheime Ungerechtigkeit oder eine geheime Schande laure in dem Dunkel, welches sein früheres Leben beschattete. Diesen Verdacht schien er selbst zu theilen; doch für ihn war jetzt dieser Gegenstand ohne Interesse, und wenn er je darauf zu sprechen kam, schloß er stets mit der Mahnung, sie solle sich nicht durch weitere Muthmaßungen quälen, denn sie habe sich einen Mann erwählt, der seinen eignen Weg aufwärts schreiten werde, ohne dafür Freunden oder Verwandten danken zu müssen.

Therese hatte kaum ihr schlafendes Kind in die Wiege gelegt, als sie ihren Gatten die Stiege heraufkommen hörte; augenblicklich stand sie auf, um ihn mit bereitem, zärtlichem Willkomm zu begrüßen. Er kam müde, durchnäßt und enttäuscht heim, denn es war ihm nicht gelungen, mit dem Verleger ein genügendes Uebereinkommen in Bezug auf sein kürzlich beendetes Werk abzuschließen. Anfangs jeder Bemerkung sich enthaltend, erwies sie ihm geschäftig verschiedne kleine Aufmerksamkeiten und ließ das Abendessen heiß, wie er es liebte, auftragen; dann nahm sie Platz an seiner Seite und erzählte ihm ihr Zusammentreffen und ihre Unterhaltung mit Bernard Massinger. Er hörte mit Theilnahme zu und schien ihre Freude über die Begegnung zu theilen.

»Gewiß, ich werde ihn besuchen,« sagte er, als sie zu Ende war. »Gib mir morgen die genaue Adresse, meine Liebe, und auf meinem Wege zu Bowes will ich bei ihm einsprechen. Ich muß sehen, ob ich nicht ein Geschäft mit ihm machen kann, da dieser schäbige T– mich drücken will. Ich will Dir was sagen, Therese; ich wünschte, dieser junge Massinger unterstützte mein Buch. Er könnte es mit einem Federstrich drucken, und für ihn wäre dieß eine Kleinigkeit. Sonderbar! ein junger Bursche wie er kann mit seinen Tausenden um sich werfen, während ein armer Teufel nach harter Mühe hintangehalten ist, weil er an wenigen Pfunden sparen muß.«

»Nun, sprich mit ihm darüber. Er wird es für eine Ehre halten, Dir zu helfen, und das soll er auch,« sagte sie ernst; und als hierauf ihr Auge auf das Schreiben fiel, welches diesen Abend angekommen war, gab sie es ihrem Gatten.

Er öffnete es mit sorgloser Miene, die sich jedoch während des Lesens bald änderte. Der Schreiber war ein Gentleman, der großen Einfluß in der literarischen Welt besaß; er schrieb, er habe im Sinne, eine Reihe von Originalwerken zu veröffentlichen, wobei er auf die hochgeschätzte Mitwirkung des Mr. Grice rechne. Die ihm zugedachte Arbeit würde zwar groß sein, aber die ausgesetzte Summe wäre sehr annehmbar; ob sie nicht mit einander darüber sprechen könnten? u. s. w. Selwyn war entzückt und sah sich sogleich auf dem Wege zu Reichthum und Ruhm.

»Das ist es eben, was mir fehlte, das paßt mir! Sieh, ob von hier,« und dabei klopfte er auf seine große Stirne, »nicht etwas kommt, worüber sie alle die Augen aufreißen. Wir werden reich sein, meine Liebe, reich, wie ich es Dir versprochen habe.«

Er streckte seinen kräftigen Arm aus und zog sie an sich.

»Glaubst Du, ich will Dich für immer unter einer Wolke verbergen, mein glänzender Schatz? Die arme kleine Hand! Laß gehen – sie wird ja ganz schrumpfig und rauh durch das tägliche Waschen und Baden jenes kleinen Wichtes dort. Aber warte nur, das Kind soll ein Mädchen für sich haben und Du – Du sollst ein halbes Dutzend erhalten, wie Du es verdienst, mein geduldiger Engel.«

Therese lachte fröhlich, erfreut über die Aussicht – mehr erfreut noch über seine Zärtlichkeit. Sie waren glücklich an diesem Abend, während sie für die Zukunft prächtige Luftschlösser bauten und für die unmittelbare Gegenwart hübsche Pläne entwarfen.

»Ich werde nicht im Stande sein, hier meine Arbeiten fortzusetzen,« bemerkte Selwyn; »diese Luft drückt auf mich – sie stumpft meine Fähigkeiten ab. Wir müssen ausziehen.«

»O Selwyn, ich wünschte, wir könnten dahin ziehen, wo man grüne Felder sieht, wo Du spazieren gehen könntest, so oft Dein Kopf müde ist, und wo ich das Kind hinausschicken könnte, ohne das Gewühl der Straßen fürchten zu müssen.«

»Wir werden es, Liebe. Es gibt viele hübsche, gesunde Plätze in den Umgebungen der Stadt, und da die Häuser dort wohlfeil sind, werden wir eines miethen. Für den Augenblick aber müssen wir uns mit einer kleinen, schlicht ausgestatteten Wohnung begnügen, denn mein Vorrath an Geld ist eben jetzt ziemlich knapp. Entschuldige für jetzt eine bescheidne Wohnung, in wenigen Monaten sollst Du Dich in einer passenderen Behausung sehen.«

Auf diese Bemerkung lachte sie wieder und erwiederte nur, sie könne überall glücklich sein, überall, wo er und das Kind seien.

Ihre Erwartungen schienen sich nicht als trügerisch zu erweisen; denn als Selwyn am nächsten Morgen eine Zusammenkunft mit Mr. S– hatte, wurde alles genügend abgemacht, und er kam voll froher Hoffnungen heim mit einem Stoß kostbarer Bücher, die auf das umfangreiche Werk Bezug hatten, das er sogleich beginnen sollte. Auf seinem Wege hatte er bei Bernard eingesprochen, von dem Bedienten jedoch vernommen, Mr. Massinger habe diesen Morgen in aller Frühe die Stadt verlassen; er sei seiner Gesundheit wegen nach Malvere gereist.

»Ohne eine Nachricht oder ein Billet zu hinterlassen,« sagte Mr. Grice zu seiner Gattin. »Er dürfte diese hohe Gnade, denke ich, denn doch gehabt haben. Weißt Du, meine Liebe, mir scheint, Dein Vetter ist etwas verrückt.«


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