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Drittes Capitel.
Die Wolke.

In den nächsten Tagen war Miß Croßly ernstlich unwohl – die Angst in ihrer früheren und gegenwärtigen Lage hatte sich zu schwer erwiesen für einen Körper, der an Prüfungen nicht gewohnt war. Und seltsam, keines aus ihrer Familie schien die Ursache ihres Unwohlseins zu vermuthen. Ihr Großvater spielte nie mehr auf den Gegenstand ihrer letzten Unterredung an; ihre Mutter und Marie sprachen zwar zuweilen mit Freundlichkeit und Bedauern von Mr. Grice, aber sie hielten seine Abwesenheit offenbar für nothwendig und versöhnten sich damit mit jenem Leidwesen, welches man beim Verluste eines angenehmen Gesellschafters zu bezeigen pflegt.

Es schien, als sollte Therese die traurigen Wirkungen einer heimlichen und unklugen Liebe in jeder Form erfahren. Obwohl sie unter ihren nächsten und liebsten Wesen weilte, fühlte sie sich doch ihnen seltsam entfremdet – ihr Herz war ein versiegeltes Buch, dessen neue Liebes- und Leidensgeschichte jenen vertrauten Augen unbekannt blieb, und wäre ihnen diese auch bekannt gewesen, so würde sie umsonst auf Billigung oder Ermuthigung gerechnet haben. Es gab Zeiten, wo sie, unter der unbewußten Gleichgiltigkeit ihrer Umgebung innerlich erbittert, nur für einen Augenblick nach der Sympathie seitens jener thörichten Liebe schmachtete, welche sie in all diesen Kummer versetzt hatte. Sie bereute es fast, daß sie Selwyn zu so raschem Vorgehen getrieben, und sich selbst durch nutzlose Hast Kummer bereitet hatte; denn was war mit jenem Schritte gewonnen worden? Keine Ruhe des Gewissens, nur eine andere Art der Verheimlichung.

Während ihrer Genesung erhielt sie insgeheim einen Brief von Selwyn, der in einem Fieber von Liebe und Kummer schrieb, ihre Prüfungen beklagte und sie inständig bat, ihn nie aufzugeben. Sie hatte zwar nicht die Absicht, einen heimlichen Briefwechsel einzugehen, aber sie bewahrte den Brief auf ihrem Herzen, und weidete sich stündlich an dessen liebeglühenden Ausdrücken.

Bald darnach verließ sie das Bett.

Kaum war Therese genesen, so wurde ihre Schwester durch einen Unfall an das Sopha gebannt, der sich auf folgende Weise zutrug.

Die jungen Damen waren in den mit Hecken besetzten Wegen in der Nähe der Grange spazieren gegangen. Eben als sie sich zur Heimkehr umwendeten, rief Miß Croßly:

»Sieh die schöne, alte Frau!«

Eine anständige Matrone in der Tracht der ärmeren Classen und mit den Spuren einer strengen, aber auffallenden Schönheit näherte sich und betrachtete Beide mit großer Aufmerksamkeit. Ruhig schritt sie an ihnen vorüber; dann kehrte sie wie aus plötzlichem Antriebe um und fragte: »Welche von Ihnen ist Miß Marie?«

Erschreckt durch die Stimme hinter ihr, drehte Marie sich hastig um, glitt aus und verstauchte sich ihren Knöchel. Die Frau stand der besorgten Schwester freundlich bei, half ihr die Leidende in die nächste Taglöhnerhütte bringen und ging ohne weitere Bemerkung fort. Der Knöchel schwoll während des Tages beträchtlich an und drohte sie für einige Zeit an jeder Bewegung zu hindern.

»Wer ist wohl die Frau, die uns wie eine schöne alte Hexe erschreckte? Sie ist nicht aus unserer Nachbarschaft, glaube ich. Therese, es ist jetzt Deine Aufgabe, unsere Schule allein zu versehen.«

Therese ging nun täglich zur Schule, nur von der kleinen Minny, der Tochter eines Taglöhners, begleitet. Eines Nachmittages schickte sie das Kind, wie gewöhnlich, in der Nähe seiner Wohnung fort, und schlug, indem sie den Fahrweg vermied, einen Pfad ein, der sich zwischen den Gesträuchen eine Strecke weit hinschlängelte, ehe er in die westliche Terrasse des Herrensitzes einmündet. Während sie nun langsam dahin ging, vernahm sie Fußtritte, und als sie sich umwandte, sah sie Selwyn Grice rasch heranschreiten. Bei diesem unerwarteten Zusammentreffen wurde ihre Aufregung so groß, daß sie für einige Augenblicke die zärtlichen, unzusammenhängenden Worte nicht zu hören schien, die er an sie richtete.

»Wieder einmal sehe ich Dich, mein Schatz. Ich glaubte, das Kind wolle gar nicht mehr gehen! Sie haben gelitten, meine Liebe,« sagte er, indem er sie zärtlich anschaute.

Man sah aber auch Spuren frischen Leides auf seinem Antlitze. Ihre Augen füllten sich mit Thränen, als sie dieß bemerkte.

»O Therese, wenn Sie wüßten, was ich in letzter Zeit gelitten habe. Dieser grausame Stand der Dinge kann nicht fortdauern.«

Sie schluchzte und erwiederte, sie glaube, die Umstände könnten für den Augenblick nicht geändert werden; er aber erklärte leidenschaftlich, sie könnten es. Er blieb jedoch nicht auf diesem Punkte stehen, sondern sprach von seiner Liebe und seinen Leiden, und dieß mit solcher Beredsamkeit, daß er ihr die Ueberzeugung einflößte – eine Ueberzeugung, welche so viele Liebende theilen – kein Herz könne zärtlicher und tiefer fühlen als das seine – niemand werde so geliebt wie sie. Sie theilte ihm hierauf ihre Unterredung mit ihrem Großvater mit; er aber hörte mit Ungeduld zu und unterbrach sie bald.

»Wäre es nicht Ihretwillen, Therese, ich könnte es nimmer ertragen, seinen Namen zu hören. Seine Kälte, seine engherzigen Vorurtheile ekeln mich über die Maßen an. Ich ließ mich mit ihm nicht in Einzelheiten ein, sagen Sie? Nein; gern hätte ich ihm diese Willfährigkeit für ein wenig Mäßigung und Freundlichkeit bezeigt, aber er war weit davon entfernt, sie zu verdienen. Ueberdieß wagte ich es Ihretwillen nicht, um ihm nicht einen Vorwand zu geben, Sie unter Aufsicht zu stellen, oder sonst Sie zu quälen. Nein! versuchen Sie es nicht, ihn zu entschuldigen. Ich weiß, wie ein Mann von einigem Geist oder mit einem Funken Edelmuth unter solchen Umständen gehandelt hätte. Ich gab ihm keine Hoffnung auf eine Aenderung in meinen religiösen Grundsätzen? Nein; weil er ein Mann ist, der meine Beweggründe falsch ausgelegt hätte – was eine Beleidigung, und zwar eine unverzeihliche gewesen wäre. Bedenken Sie, wenn ich mich als ein Mann von Ehre in diesem Punkte selbst Ihnen gegenüber nicht zu dem Schatten einer Bedingung binden wollte, wäre es da geeignet, solches ihm gegenüber zu thun?«

»Doch Sie verfolgen die Prüfung, von der Sie gesprochen haben, Selwyn?« fragte sie rasch.

Er stockte.

»Um aufrichtig zu sein, meine Liebe – denn nie will ich Sie auch nur einen Augenblick täuschen – ich habe sie noch nicht begonnen. Erinnern Sie sich, daß ich, seit ich Sie zum letzten Male sah, auf die Folter gespannt war. Jene Prüfung erfordert, soll sie redlich vor sich gehen, einen ruhigen, gesammelten Geist: doch wie wäre dieß möglich, wenn ihr Engelsantlitz jeden Augenblick vor mir aufstieg und mich halb wahnsinnig macht?«

»Vater Burns sagte, –« begann Therese, und hielt sogleich wieder inne.

»Was sagte er?«

Sie schaute ihn flehend an.

»Es war im Beichtstuhl, und so darf ich es nicht wiederholen.«

»Dort? Ich vermuthete es nur zu sehr!« rief er in plötzlichem Aerger. »Solch' eine Zwischenhand muß freilich stets mit im Spiele sein, um alles zu verderben! Sie sind durch Ihre Pfaffen beeinflußt worden, und so –«

Durch ihr entsetzliches Anstarren wieder zu sich gebracht, fiel er ihr zu Füßen und flehte sie um Vergebung an.

»Wahrhaftig, Therese, ich bin die Letzte Zeit über fast außer mir gewesen und bin nicht mehr Herr meiner Worte, Vergeben Sie mir meine einfältige Thorheit! Sie wissen nicht,« setzte er hinzu, als er ruhiger wurde, »wie ich gereizt worden bin, nicht allein durch diese Prüfung, sondern auch im Colleg. Alles ist mir seitdem quer gegangen und würde einen größeren Grad von Geduld aufreiben, als ich besitze.«

In diesem Augenblicke vernahmen sie das Geräusch einer Kutsche in der nebenan liegenden Fahrstrasse. Die Räder rollten langsam dem Herrensitze zu.

»Wie dunkel es wird!« rief Therese bestürzt, als sie dadurch wieder an die Außenwelt erinnert wurde. »Ich muß sogleich hineingehen – sie schicken sonst nach mir.«

»Wir scheiden nicht, ehe Sie mir versprechen, mich bald wieder zu treffen; verweigern Sie es, so begleite ich Sie bis in das Haus. Wir wollen sehen, wer es wagt, mir in den Weg zu treten, so lange Ihr Herz für mich ist.«

»O seien Sie doch ruhig, Selwyn,« seufzte sie, indem sie seinem ungestümen Wesen nachgab und auf seine wiederholten Fragen antwortete, sie wolle hier in zwei Tagen wieder mit ihm zusammentreffen und würde in Liebe seiner gedenken.

»Ach, Selwyn, ich habe solche Angst!« setzte sie weinend hinzu, und mit diesen Worten schieden sie; er schaute ihr nach, bis sie im Hause verschwand.

Therese fand, daß ihr spätes Erscheinen unbeachtet geblieben war in Folge eines wenige Minuten zuvor angelangten Gastes, den sie mit wirklicher Freude begrüßte, als sie an der priesterlichen Gestalt den Vater Lawrence erkannte. Diese gütigen, ruhig forschenden Augen hafteten blos einen Augenblick auf ihr, doch in diesem kurzen Blicke schienen sie zu sagen: »Mein Kind, da ist etwas nicht recht!« Sie kniete nieder um seinen Segen und sagte, wie erfreut sie sei, ihn zu sehen.

»Doch Du mußt seinen Besuch wohl nützen, denn er ist sehr kurz,« bemerkte Marie von ihrem Sopha aus. »Vater Lawrence hat erklärt, er müsse uns morgen Nachmittag wieder verlassen, und er hätte gar nicht bei uns eingesprochen, wenn er uns nicht Neuigkeiten zu überbringen hätte. Neuigkeiten aus London! Wenn werden Sie unsere Neugier befriedigen, Vater?«

»Nach dem Thee, – Zeit in Ueberfluß nach dem Thee! Sie haben, wie es scheint, mit einem Reisenden kein Erbarmen,« fügte er bei.

Obwohl er in heiterem Tone sprach, sah er im nächsten Augenblicke doch wieder ernst aus.

Erst spät am Abende nach einer vertraulichen Unterredung mit Mr. Croßly, kam der gute Priester zu dem übrigen Theile der Familie; er war bereit auf die Fragen der erwartungsvollen Zuhörer, deren Mienen ernster wurden, als sie auf sein Gesicht schauten.

»Sie wissen, daß ich geraden Weges von London gekommen bin, wo ich die letzte Zeit Geschäfte hatte. Dort traf ich einen alten Bekannten – Bernard Massinger.«

»Bernard?« wiederholte die Gruppe.

Mrs. Croßly nahm ihre Brille ab und schaute auf den Sprechenden – Therese auf ihre Schwester.

»Ja,« fuhr Mr. Lawrence fort. »Er ist vom Continent zurückgekehrt und scheint gar nicht gesonnen, London so schnell zu verlassen. Vielmehr vermuthe ich, daß er seinen Wohnsitz dort aufschlägt – wenigstens nicht nach Chase zurückkehrt. Er war indeß nicht ganz offen in Betreff seiner Absicht, auch erschien sein Benehmen gegen mich nicht sehr herzlich. Ich fühlte keine Neigung, ihn öfter als zweimal zu besuchen, da ich merkte, daß ich ihm doch nichts nützen könnte.«

»O Sir, und er liebte Sie doch von seiner Kindheit an?« rief Therese.

Mr. Lawrence schüttelte den Kopf.

»Junge Leute vergessen leicht ihren früheren Umgang, meine Liebe. Bernard ist nicht mehr der, an den Sie Sich erinnern; er hat sich rasch in allem geändert, was wir gern an ihm sahen.«

»Sie wollen sagen, in einem guten Theil, Sir,« sagte Marie: »ich bitte Sie, theilen Sie uns Ihre Eindrücke mit. Hegen Sie keine Besorgniß, theurer Vater!«

»Wohl, mein Kind, ich bedaure sagen zu müssen, daß seine Reise auf dem Continent sehr unglücklich für ihn ausgefallen ist. Er hat sich einige absonderliche Gewohnheiten angeeignet, welche ihm (wenn sie nicht alsbald wieder beseitigt werden) schrecklich weit führen werden, wenn sie nicht … Das Schlimmste von allem ist jedoch dieses: sein schwankender Glaube scheint sich beinahe ganz in rationalistischen Gesinnungen verloren zu haben, die er in der Fremde aufgelesen hat. Ich fürchte, der junge Mann befindet sich bereits auf der Hochstrasse zum Unglauben.«

Seine Zuhörer schauderten.

»Mein armer Junge – mein armer Junge!« rief Mrs. Croßly.

»O Bernard, bist Du es?« sagte Therese. »Es ist mir, als wäre es erst gestern gewesen, daß er noch als hübscher Knabe in weißem Chorhemd bei der Messe diente. Ist es möglich, Sir, daß er nach einer so frommen Erziehung wirklich so tief fallen konnte?«

»Ach, mein liebes Kind, Sie wissen kaum, wie leicht (wenn einmal der Gehorsam des Glaubens dahin ist) der Geist die Kraft verliert, an die Offenbarung zu glauben, wenn einmal … Ich habe fast ausnahmslos gefunden und die allgemeine Erfahrung stimmt mir bei, daß ein Katholik, der unglückseliger Weise die Wahrheit aufgibt, in keiner Sekte Befriedigung findet, sondern unaufhaltsam bis in die Tiefen des Skeptizismus fortschreitet. So gefährlich ist es, die Gabe des Glaubens zu verhöhnen – so kostbar muß die Gnade behütet werden, die uns in tiefem Gehorsam gegen die Kirche erhält. Doch es thut mir leid, so schlimme Nachrichten gebracht zu haben!«

Denn Thränen tropften aus aller Augen. »Wir müssen auf die unendliche Barmherzigkeit Gottes vertrauen und beten, daß der arme Junge nach seiner Abirrung wieder zurückkehren möge. Seien Sie geduldig, Marie! Sie werden früh geprüft, doch Sie wissen, wo Sie Trost finden.«

»O ja, ja,« flüsterte sie, und mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen ging sie einen Weg, der ihr vertraut geworden war – den Weg, den Derjenige gewandelt, der ein Kreuz getragen.

Die Familie zog sich bald zur Ruhe zurück. Nachdem Therese ihre Schwester zu ihrem Zimmer geleitet hatte, säumte sie länger als gewöhnlich bei ihren kleinen Liebesdiensten. Sie fühlte sich ungewöhnlich zu dem Herzen hingezogen, das einen Kummer litt, der, obwohl sanft und voll Geduld ertragen, doch so ächt war wie ihr eigener.

»Du wirst für ihn beten – das Gebet vermag so viel,« sagte Marie, als ihre Schwester ihren leidenden Fuß zurecht richtete.

»Gewiß, ja,« murmelte Therese, etwas beschämt; in letzter Zeit hatten so viele Zerstreuungen und so viele menschliche Erregungen ihr Gebet gestört.

Nach einer Pause fuhr sie fort:

»Ich denke eben, Marie – und habe es oft gedacht, würde nicht Dein Einfluß auf Bernard gute Wirkung ausüben? Glaubst Du, es war seinetwillen ganz weise, so gänzlich abzubrechen? Wenn Du ihm vorstellen würdest – wenn Du in ihn drängtest, vielleicht –«

»Liebe Schwester, welche Pflicht oder Wahrheit könnte ich ihm vorstellen, die er nicht selbst sehr gut kennt?«

»Doch wie kannst Du es ertragen, unter solchen Umständen zu schweigen, ohne wenigstens den Versuch gemacht zu haben, ihn zu rühren? Er liebt Dich, und so würde Dein Einfluß von jedem andern verschieden sein und das Mittel vielleicht werden – wer weiß es, Marie?«

Die jüngere Schwester betrachtete die ältere mit einem ernsten Blicke und entgegnete nach einer Pause:

»Therese, Du gibst mir eine Versuchung ein, die ich vor einiger Zeit zurückweisen mußte. Wenn selbst irgend ein Einfluß von mir erfolgreich wäre, so möchte er nicht andauren: ich könnte mich nicht darauf verlassen. Gott allein kann dieses Werk ausführen. Ueberdieß wäre es nicht rathsam für mich, dazwischen zu treten – weil ich ihn liebe, muß ich ihn meiden. Wenn Du je, liebe Schwester, eine übel angebrachte Neigung gehabt hättest, so würdest Du verstehen, wie leicht man in einem solchen Punkte sich selbst täuscht. Die geradeste Pflicht ist der einzige Pfad, der sicher befolgt werden kann. Doch, mögest Du nie eine so harte Erfahrung machen! Gute Nacht!«

Therese schlief jene Nacht nicht. Die Worte ihrer Schwester klangen in ihren Ohren nach, und sie mußte darüber nachdenken. Sie konnte sich nicht gegen die Thatsache verschließen, daß sie sich in einer ebenso unwürdigen als peinlichen Lage befand. War sie auch in Gefahr? Sie hatte nicht gewußt, daß sie schon so weit auf dem schlimmen Pfade gekommen war; Alles schien vernünftig, wie sie so dahin schritt. Welche Ueberredungen hatten auf sie eingewirkt? Bei dieser Frage ging sie in ihrem Geiste zurück, Schritt für Schritt, bis sie in Verwirrung gerieth und von weiterem Rückblicke abstand.

Doch wie sollte sie sich in Zukunft verhalten? War je Jemand so sehr eines gütigen Rathes bedürftig? Bald kam ihr ein Gedanke. Sie wollte alles dem Vater Lawrence offenbaren – von Anfang an, so daß er klar urtheilen könnte, und im Vertrauen, damit kein Unheil daraus entstehen würde. »Daß kein Unheil daraus entstehen würde?« Therese, was bedeutet dieß?

Doch sie gab ihre kurze Selbstprüfung auf, nachdem sie diesen Entschluß gefaßt hatte. Sie hielt ihn auch, trotz vieler Versuchungen zum Gegentheil. Am folgenden Morgen erspähte sie eine günstige Gelegenheit, und als Mr. Lawrence eben auf der Terrasse mit seinem Brevier auf und ab ging, wartete sie, bis er sein Officium beendigt hatte, und schritt dann furchtsam auf ihn zu. Er lud sie freundlich ein, näher zu treten.

»Kommen Sie hieher, Kind! Ein schöner Morgen zum Spazierengehen! Sie haben mir etwas zu sagen, denke ich?«

Sie brach plötzlich in Thränen aus – erregt, beschämt, doch dankbar gegen ihren Rathgeber.

»O Vater, ich habe so viel zu sagen, und bin so sehr – sehr unglücklich!«

»Ich sah es, meine Liebe, beim ersten Blicke, den ich gestern Nacht auf Sie richtete. Doch Sie wollen mir Ihr Herz öffnen, und es wird besser werden. Kommen Sie, kommen Sie – frisch heraus! Sehen Sie – wir wollen da hinunterschreiten, dort werden wir ungestört sein.«

Sie schritten langsam durch das Gesträuch, in dessen Schatten Therese Tags zuvor mit Selwyn gesprochen hatte.

»Ich – ich darf Ihnen nichts offenbaren, außer gegen strengste Verschwiegenheit,« sagte sie. »Ich wünschte, Sie betrachteten es als eine Gewissenserklärung, wenn Sie nichts dagegen haben, Vater.«

»Sehr wohl!«

Mit einer Art altmodischer Genauigkeit, die ihm natürlich war, knöpfte er seine Soutane eng über seiner Brust zu und beugte seine ernste Wange hernieder, um zu lauschen.

Sie begann sogleich; und von ihm ermuthigt und theilweise sondirt, gab sie ihm eine erträglich klare Darstellung der vergangenen und gegenwärtigen Dinge. Als sie zu Ende war, dachte er nach und seufzte.

»Mein armes Kind, Sie haben gelitten und sind versucht worden. Sie sind geprüft worden, armes Herz, weil Sie versuchten, es selbst zu leiten. Kommen Sie, wir wollen darüber plaudern. Erstens scheint es, daß Sie ein günstiges Ergebniß von der Prüfung hoffen, die er anzustellen versprach, und dann bauen Sie in jedem Falle auf seine Nachsicht gegen Sie bei den Uebungen Ihres Glaubens?«

»Ja, gewiß, Vater, keine Versprechungen können aufrichtiger oder bestimmter sein, als diejenigen, die er mir gemacht hat. Ich würde eher alles, als seine Aufrichtigkeit bezweifeln. O wahrhaftig, er würde mich nie täuschen! Ueberdieß wird er, ich fühle es sicher, Katholik werden, weil er so vielen Dingen in unserer Religion seine Billigung zollt.

Mr. Lawrence schüttelte nachdenklich sein Haupt.

»Ich kann Ihre Meinung nicht theilen. Wenigstens wäre ein solches Ergebniß den Eindrücken ganz entgegen, die sein Charakter auf mich gemacht hat – obwohl ich blos von Eindrücken rede, da ich nicht auf vertrautem Fuße mit ihm stehe und in letzterer Zeit nicht, wie Sie, familiäre Gespräche mit ihm gepflogen habe. Ich glaube, die Vorurtheile eines Geistes, wie der seine, und einer Erziehung, wie er sie genossen, können blos durch eine außerordentliche Gnade beseitigt werden; doch, der Geist Gottes weht, wo er will und so will ich Ihre Hoffnungen nicht zerstören. Aber gesetzt, Sie werden in dieser Erwartung getäuscht und heirathen diesen Mann auch, so ist es Ihre Pflicht, mein Kind, für jeden Fall vorzusehen und ohne alle falsche Zartheit sein bestimmtestes Versprechen darüber zu erwirken. Sie sagen mir, er habe eingewilligt, daß Sie in der Befolgung Ihrer religiösen Pflichten frei sein sollen; nun nehme ich an, Sie werden Mutter?«

»Nichts kann bestimmter sein als die Versprechungen, die er mir in diesem Punkte gemacht hat,« erwiederte Therese rasch, aber entschieden.

»Er willigt ein, daß die Kinder als Katholiken getauft und erzogen werden?

Wohl, Gott gebe, daß Sie nie in dieser Beziehung eine Prüfung zu bestehen haben!«

»Sie wissen nicht,« fuhr der gute Priester nach einer Pause fort, »wie oft ich solche Mischehen – solche Verbindungen zwischen Katholiken und Andersgläubigen und die unglücklichen Resultate, welche fast ausnahmslos daraus folgten, gesehen habe. Bedenken Sie selbst, ob bei so großer, stets vorhandener Meinungsverschiedenheit vernünftiger Weise jene für den Frieden eines Ehepaares so nothwendige Einigkeit erwartet werden kann? Ist der Gatte ein Mann von nicht streng religiösem Gefühl, so kommt es nur zu oft vor, daß die Gattin durch ihre Liebe zu ihm verleitet, unmerklich von seinem Beispiel angesteckt wird und ihre frommen Uebungen vernachlässigt; und im Laufe der Zeit führen die beiden Familienhäupter ein sorgloses Leben, welches weder ihnen, noch ihren Kindern zur Erbauung gereicht. Ist der Gatte irreligiös, so folgen noch traurigere Wirkungen, denn dann wird er die Erziehung seiner Kinder nach seinen eigenen Grundsätzen als Gewissenssache betrachten, und wehe alsdann der katholischen Mutter! Sie muß ihre eigene Lehre der seinen entgegensetzen; so lange die Kinder jung sind, mag ihr Einfluß überwiegen; aber wenn sie älter werden, sind sie geneigt, zwischen den entgegengesetzten religiösen Ansichten selbstständig zu wählen. Und wenn auch nur Eines abfiele, was kann je Ersatz dafür bieten? In jedem Falle überlegen Sie die Sache reiflich, fragen Sie, welches Glück, welche Liebe wohl bestehen könnte bei solch' getheiltem Haushalt?«

»Doch gewiß, Sir, Ihr Gemälde ist ein wenig zu trüb. Es muß auch Ausnahmen geben – Fälle, wo die gläubige Liebe und zärtliche Geduld der Gattin ihre Macht über das Herz behalten, so daß sie den Frieden zu erhalten vermag, ohne ihrem Gewissen etwas zu vergeben. Ueberdieß, wenn so unglückliche Folgen stets die Mischehen begleiteten, so würde, denke ich, die Kirche dieselben ganz und gar verboten haben, was sie nicht gethan hat.«

»Halt, meine Liebe! Ich leugne nicht, daß beide Gatten, wenn ihre Liebe sehr stark ist, in den ersten Jahren ihrer Verbindung ohne Streit leben mögen; doch am Ende nützt entweder diese Art feiner Gefälligkeit sich ab, oder eben ihre Liebe, vermöge der ein Jedes alles vermeidet, was dem Andern mißfallen könnte, zieht sie allmählig in eine Sorglosigkeit hinein, deren Wirkungen sicher ihren eigenen Seelen, wie den Seelen ihrer Kinder Unheil bringen. Dieser beklagenswerthe Zustand kommt so häufig vor, daß er auf jeden ernsten, achtsamen Geist einen mächtigen Eindruck hervorbringen muß; und ich versichere Sie, die meisten Protestanten und Personen anderer Bekenntnisse mißbilligen, wenn sie religiös gesinnt sind, solche Verbindungen ebenso wie wir. Es ist für Sie natürlich zu denken, Ihr Fall würde eine glückliche Ausnahme bilden – armes, liebes Kind, und wie ich sehe, denken Sie auch so. Doch glauben Sie, Jedes theile die nämliche vertrauungsvolle Erwartung? Was Ihre andere Bemerkung betrifft, so mag die Kirche aus guten Gründen solche Ehen nicht geradezu verbieten, doch sie mißbilligt sie und kann sie nicht segnen. Ist dieß nicht allein schon hinreichend, einen guten Katholiken von einem solchen Schritte abzuschrecken? Denken Sie hierüber nach, Therese! Sie sind bisher ein frommes Kind gewesen, und ich glaube nicht, daß dauerndes Glück Ihrer wartet in einem Stande, der weder die Billigung Ihres eigenen Gewissens, noch den Segen der Kirche erhalten hat.«

Ihr Herz stimmte unfreiwillig dieser Bemerkung zu. War sie auch nur einen Tag glücklich gewesen, seit sie in diese heimliche Liebe sich eingelassen hatte?

Er fuhr weiter:

»Es gibt in diesem Falle noch weitere Einwände, welche die Beachtung einer verständigen Person beanspruchen und nicht übersehen werden dürfen. Obwohl ich mit den Angelegenheiten des Mr. Grice nicht genau bekannt bin, weiß ich doch so viel, daß seine Stellung in der Welt keine gar glückliche ist, und –«

Sie unterbrach ihn.

»Darauf sehe ich nicht – ich lege keinen Werth auf den Reichthum. Ich könnte mit ihm auch in der Armuth glücklich sein.«

»Ich zweifle nicht, mein Kind, daß Sie bereit sind, um seinetwillen Ihre Bequemlichkeit zu opfern, und bis zu einem gewissen Grade würde Ihnen dieß nicht schwer fallen. Ich habe keinen Zweifel daran. Doch glauben Sie mir, wenn eine Haushaltung mit geringen Mitteln beginnt und die Anforderungen an dieselbe zunehmen, tritt eine Reihe von Ungemächlichkeiten und selbst Entbehrungen ein, die man ertragen muß, und wovon Sie, gemäß Ihrer Erziehung, nicht einmal eine Vorstellung haben. Ich fürchte, es möchte Ihnen eine sehr mittelmäßige Lage in Aussicht stehen, wenigstens für einige Jahre, wie erfolgreich auch seine literarischen Anstrengungen sein mögen. Da Ihr Großvater so bedeutende Einwände gegen Mr. Grice hat, in seinen – Gefühlen – fest ist, wie wir Alle wissen, so glaube ich, es wäre für keines von Ihnen räthlich, irgend welche Erwartungen auf augenblickliche Hilfe von seiner Seite zu setzen.«

»O Sir,« rief sie hastig, »Sie kennen Selwyn nicht – ich bin fest überzeugt, er hatte niemals eine solche Erwartung!«

»Wohl, es mag so sein! Doch glaube ich, er ladet Sie mit zu viel Vertrauen zu einem beschränkten Loose ein. Therese, ich sprach eben von Ihrem Großvater; es geziemt sich für Sie zu bedenken, daß Sie gegen seine Billigung und gegen die Ihrer anderen Freunde handeln, wenn Sie auf dieser Liebe beharren. Es kann Sie dieß nicht überraschen; ihre Einwendungen sind vernünftig und werden nicht so leicht zu beseitigen sein.«

»Ich weiß es – ich weiß es mit Kummer. Doch wenn meine theuren Freunde ein wenig Sympathie hätten – wenn sie Alles wüßten und billig wären, so würde ich nicht in dieser Trübsal sein. O Vater, wenn auch Alle gegen uns sich erklären, ich liebe ihn! Ich liebe ihn!«

Der freundliche Priester besänftigte den leidenschaftlichen Thränenausbruch, der folgte.

»Ich wünschte,« seufzte er, »ich wünschte, mein kostbares Kind, daß ich beim Beginn dieser unglücklichen Angelegenheit bei Ihnen gewesen wäre. Ihr Herz kannte die eignen Gefühle nicht; Sie würden es mir geöffnet haben, Sie würden es, ich weiß es; und all' dem möchte vorgebeugt worden sein, dieß Alles wäre vermieden worden. Nichts wäre damals für Sie besser gewesen, als seine gefährliche Gesellschaft zu meiden. Ja, ich glaube, auch jetzt wäre dieß für Sie das beste. Nun hören Sie, was ich Ihnen sagen will. Sie suchten auch Hilfe bei mir, nicht blos Sympathie, nicht wahr? Und Sie wollen befolgen, was ich Ihnen vorschlagen werde?«

»Alles, was möglich ist, theurer Vater!«

»Gut! Können Sie nicht für kurze Zeit einen Ihrer Verwandten besuchen? Die Thrales luden Sie, wenn ich mich recht erinnere, vor Weihnachten ein. Ich glaube, eine Zwischenzeit der Ruhe und des Nachdenkens wäre für Sie von unschätzbarem Werthe. Was könnten Sie besseres thun, da die Dinge einmal so stehen? Ihr Geist wird beständig von Neuem erregt. Sie haben Sich in heimliche Unterredungen eingelassen, und so könnten Sie nach und nach wer weiß zu welcher Gefahr verleitet werden. Ueberdieß« – sie lauschte aufmerksam – »fühlen Sie nicht, daß diese Aenderung auch für Ihre Gesundheit vortheilhaft sein wird? Sie sind verstört und aufgeregt; dieser Zustand der Unruhe wird bald eine ernste Krankheit herbeiführen; das kann ich Ihnen eben so gut wie ein Arzt sagen. Entschließen Sie Sich, meine Liebe, zu dieser Anstrengung.«

»In einigen Tagen,« fuhr er weiter, »werde ich eine oder zwei Wochen in der Nachbarschaft der Thralefarm zubringen; dort können wir die Sache mit Muße besprechen, und sehen, was für die Zukunft geschehen kann.«

Die Zustimmung kostete Therese einen Kampf, doch der Vorschlag war offenbar gemäßigt, auch wünschte sie selbst ernstlich eine Aenderung ihrer gegenwärtigen peinlichen Lage und sie war geneigt, zu diesem Zwecke auf kurze Zeit eine völlige Trennung von Mr. Grice zu ertragen. Sie hielt sich überzeugt, bei ihrem nächsten Zusammentreffen seine Zustimmung zu dem vorgehabten Schritte sicher zu erlangen. Sie mußte ihn morgen Nachmittag treffen, gemäß ihrem Versprechen, doch war sie entschlossen, keine weiteren heimlichen Zusammenkünfte zu gestatten. Was die Zukunft betraf – nun, darüber nachzudenken, hatte sie jetzt nicht den Muth, doch erfüllte sie das Vertrauen, daß Vater Lawrence in seiner Weisheit und Liebe die besten Anstalten treffen würde.

Dieß waren ihre Gedanken, und sie gab die Zustimmung, welche der Priester erwartete.

»Gut denn! Bleiben Sie nun, mein Kind, fest entschlossen und reisen Sie so bald als möglich zu Mrs. Thrale. Werden Sie die nächste Woche hingehen? Sehr gut. Ich kann jetzt nicht länger bei Ihnen bleiben, aber dort werde ich Sie sehen. Ich werde oft an Sie denken, seien Sie Dessen versichert. Gott möge Sie segnen und leiten. Bleiben Sie standhaft und beten Sie vertrauensvoll zum Himmel.«

Sie sah ihn nicht mehr insgeheim, da er die Grange früh am Nachmittag verließ.

Am folgenden Morgen, einem Freitag, ging Miß Croßly früh zur Messe, welche an diesem Tage in St. Anthony gelesen wurde. Da ihre Schwester noch nicht gehen konnte, wurde sie nur von der kleinen Minny begleitet. Als das heilige Opfer vorüber war, zerstreuten sich die wenigen Andächtigen zu ihren verschiedenen Beschäftigungen, und auch sie war im Begriff die Kirche zu verlassen, als Mr. Burns eilig aus der kleinen Sacristei kam und sie anredete:

»Miß Croßly, Sie werden ein Werk der Nächstenliebe üben, wenn Sie für dieses Kind Pathe stehen wollen. Die junge Frau kam ganz allein.«

Er zeigte auf ein anständig aussehendes junges Weib mit einem Kinde, welches Therese am Ende der Kirche bemerkt hatte.

Die junge Lady willigte ein, schritt auf die Mutter zu, und nahm das schlafende Kind in ihre Arme. Sie gingen alle in die Sacristei zu den gewöhnlichen Vorbereitungen. Therese lauschte in tief betheiligtem Gefühle aufmerksam auf die Antworten, welche Mr. Burns aus der jungen Mutter herauslockte, die erschöpft vor dem Feuer saß.

»James, Sohn des James und der Anna Morgan.«

»Sehr gut. Wo wurden Sie getraut?«

»In der D– Pfarrei, Sir.«

»Ist Ihr Gatte katholisch?« fragte rasch der Priester.

»Wahrhaftig, Sir, es thut mir leid, mit Nein antworten zu müssen.«

»Weiß er, daß Sie das Kind zum Taufen hieher getragen haben?«

Die junge Frau wischte ihr erhitztes Gesicht ab, während sie zaudernd entgegnete:

»Ach, wenn er es gewußt hätte, wäre ich jetzt nicht hier. Er hätte nicht zugegeben, daß das Kind katholisch getauft würde. Ich stahl mich fort, während er bei der Arbeit war, Miß,« fuhr sie fort, da ihr Zutrauen bei dem freundlichen Interesse, das sich auf Theresens Gesicht zeigte, neu erwachte. »Ich machte mich gestern schon auf den Weg, aber ich wurde matt und konnte das Kind nicht die ganze Strecke tragen. Dieß ängstigte mich, denn seine Großmutter – das ist die Mutter meines Mannes, Madam – o die ist eine eingefleischte Protestantin. Sie wollte das Kind am Sonntag in ihre Kirche tragen, um es dort mit großer Feierlichkeit taufen zu lassen. Aber ich faßte einen festen Entschluß und kam ihr zuvor. O wenn ich nicht wäre, mein kleiner Schatz!«

Mr. Burns betrachtete sie ernst.

»Haben Sie in letzter Zeit Ihre Pflichten erfüllt?«

»O wie schäme ich mich, Hochwürden, ich that es nicht. Die letzten zwei Jahre nicht – Gott verzeihe mir!«

»Sie müssen kommen. Wissen Sie nicht, daß Sie vor ihrem Kirchgang hätten kommen sollen? Wollen Sie jetzt versprechen, daß ich Sie bald wieder sehen werde?«

Sie versprach es mit Zögern. Mr. Burns schrieb ihre Adresse auf – es war ein Dorf ungefähr zwei Meilen entfernt und die Ceremonie begann.

Selten in letzterer Zeit hatte Therese so ernstlich gebetet, wie jetzt während des Ritus, welcher den hübschen Säugling aus der Erbschaft der Finsterniß zu jener des Lichtes überführte. Er lag da unbewußt dieses großen Wechsels, und unfähig zu begreifen, welch' dunkle Einflüsse ihn in seiner frühesten Kindheit zu überfallen drohten. Er verhielt sich so ruhig während der Ceremonien, gegen welche Kinder gewöhnlich so heftig sich sträuben, daß sie in zärtlicher Einbildung eine gute Vorbedeutung aus dieser ungewöhnlichen Unterwürfigkeit zog, und betete, die Gnade des Sakramentes möge ihn fest im Glauben erhalten unter all jenen Vorurtheilen, welche seine Wiege umgaben.

Die Taufe ist vorüber – die reine Seele ist jetzt von dem Fluche erlöst, unter dem sie geboren ward – sie ist bekleidet mit Gnade und dem Himmel unbeschreiblich theuer. Therese trug den Säugling während des Kirchenganges der Mutter in die Sacristei. Die junge Frau kam hierauf zu ihr und schien mit dem Fortgehen Eile zu haben.

»Ich brachte ihn in seinem Werktagsanzug, Miß, wie Sie sehen,« bemerkte sie, während sie einen großen Shawl über die reinlichen, aber ärmlichen Windeln des Säuglings ausbreitete. »Er wird am Sonntag alles Schöne bekommen – doch was ist dieß im Vergleich zu dem, was er heute erhalten? Küsse mich, mein kleiner Edelstein! ach, jetzt kann Deine Mutter wieder ruhig schlafen! Ich war so elend daran, seit er auf die Welt kam, Miß, aus Furcht, er möchte mir gar sterben, ehe ich ihn zur Taufe gebracht. Ich glaube, ich wäre verzweifelt, wenn er gestorben wäre.«

»Doch jetzt wird Ihnen leicht sein um das Herz, denn er ist ein kleiner Engel,« sagte Miß Croßly, gerührt durch den Ernst des armen Weibes, welches, obwohl es seine Pflichten ersichtlich vernachlässigt und einen Protestanten geheirathet hatte, doch noch mit zärtlicher Treue an seinem heiligen Glauben hing.

»Wird Ihr Gatte nicht zugeben, daß er offen als Katholik erzogen wird? Vielleicht werden Sie ihn dazu überreden.«

»O nein, Fräulein! Er kann unsere heilige Religion nicht leiden, obwohl er mich heirathete. Doch an Allem ist seine Mutter Schuld – sie ist schrecklich böse, wahrhaftig. Ich weiß, sie wird ein scharfes Auge auf das Kind haben, doch ich werde alle ihre Lehren zunichte machen. Vertrauen Sie darin auf mich!«

Die arme Frau sprach im Ernst; doch dieß waren die ersten Zeiten ihrer Ehe, und sie war noch nicht geprüft. Wird nach Jahren des Widerstandes ihre Kraft nicht ermatten?

Da beider Weg beinahe eine Meile weit derselbe war, so erlöste Minny die Mutter von ihrer Bürde, und Therese plauderte noch weiter mit ihr in wachsender Theilnahme. Sie war aus London gebürtig, war aber lange im Dienste der Thrales gestanden, den sie verlassen hatte, um sich zu verheirathen. Sie hatte in der Nähe Londons eine Schwester, doch nicht Einen Verwandten und, mit Ausnahme jener Familie, nicht Einen Bekannten katholischer Religion in der Nachbarschaft. Sie drang in Miß Croßly, sie zu besuchen.

»Gewiß, Miß, es würde mich außerordentlich freuen. Ich war so entzückt, daß Sie dem Kinde Pathe standen. Es war mir lieber, daß Sie es waren, als wer immer sonst.«

»Sie sagen dieß, und wissen doch nicht, wer ich bin,« sprach Therese lachend. »Ich lebe auf der Grange, an der Straße hier aufwärts. Ja, ich werde in einigen Tagen kommen, um zu sehen, wie Sie das Kind erziehen. Ich muß jetzt Theil nehmen an seinem Besitz – an meinem ersten kleinen Pathchen.«

Sie küßte das schlafende Kind, ehe die Mutter es in Empfang nahm, und dann trennten sie sich; die Frau dankte ihr mit ehrfurchtsvollem, freundlichem Gruße. Sie schien noch so schwach, daß Therese ihrer kleinen Begleiterin auftrug, ihr eine kurze Strecke weiter beizustehen; dann verfolgte sie ihren Heimweg allein, indem sie über den Vorfall des Morgens nachdachte.

Sie fühlte – war es ein Vorschatten der nahen Versuchung? – sich überaus niedergeschlagen. Sie war oft vor den wahrscheinlich unglücklichen Folgen einer gemischten Ehe gewarnt worden und hatte selbe in Gedanken erwogen; doch hier waren sie ihr so zu sagen in das Haus getragen worden. Sie hatte in ihren Armen das kleine rosige Leben gehalten, welches so schwere Verantwortung mit sich brachte – das so wahrscheinlich die Fackel der Zwietracht in die Familie schleudern sollte – das vielleicht die beiden einander entfremdete, die es von Natur aus enger zu vereinigen bestimmt war. Sie sah klar, welch' zweifelhafte Aussicht auf Frieden vor dem jungen Weibe lag.

»Ist es eine Warnung für mich? bin ich allein blind, und hat jedes andere Recht? O Selwyn, es mag das Beßte sein –«

Sie endete ihre Beschwörung nicht, denn in selbem Augenblick wendete sie um eine Straßenkrümmung, und dort stand eine Gestalt, die sie nie sehen konnte, ohne daß ihre Glieder zitterten, ohne daß sie ein Weh voll unbeschreiblicher Zärtlichkeit durchzuckte – dort stand Selwyn Grice, mit glühenden Wangen und von mehr als gewöhnlicher Erregung erfaßt. Hastig nahte er sich ihr, liebkoste sie einen Augenblick, was sie nicht zu verhindern im Stande war, und rief:

»Therese, es hat sich Etwas ereignet. Ich kehre sogleich nach London zurück.«

»Nach London?«

Sie wäre umgesunken, wenn er sie nicht gestützt hätte.

»Ja! Am Colleg bin ich beschimpft worden – man hat sich mir gegenüber gestellt – ich habe meine Stellung niedergelegt – es blieb mir nichts Anderes übrig. Ich werde die Nachbarschaft verlassen und nie – nie mehr einem Orte nahen, wo ich so viel leiden mußte!«

Er war in einem Zustand hoher Aufregung; doch als er sah, daß er sie zu plötzlich erschreckt hatte, wurde er sanfter und suchte sie mit eben so großer Zärtlichkeit wieder zu beruhigen.

»Nach London!«

Sie vermochte keinen andern Gedanken zu fassen. Nach jenem so fernen Orte – jener so unbekannten Wildniß. Er ging, und sie –

»Ich werde sterben,« flüsterte sie, nach Athem ringend und der Ohnmacht nahe.

Wie sicher ließ dieses lautere Herz ihn in seine Tiefen blicken – und wie liebte er sie dagegen!

»Nein, mein Alles, Du wirst nicht sterben, doch ich werde es, wenn ich Dich verliere. Höre mich – weigre Dich nicht! Werde mein Weib und gehe mit mir. Weigre Dich nicht, Therese – Therese, dieser Blick tödtet mich.«

»O ich kann nicht – ich kann nicht,« wiederholte sie.

Er wandte sich blaß ab und trat von ihr zurück.

»Dann lieben Sie mich nicht. – Es ist ein Irrthum, und ich kann gehen.« –

»Selwyn, Selwyn, komm' zurück!. Wie grausam sind Sie! O was soll ich thun?«

»Es ist zu spät zu dieser Frage, Therese. Sie hätten sie früher stellen sollen, damals als Sie es zum ersten Mal für dienlich hielten, Jene zu täuschen, die zu täuschen nie nöthig gewesen wäre – als eine offene Selbstprüfung Sie in Stand gesetzt hätte zu thun, was Sie jetzt nicht thun können – die unüberlegte Liebe ersticken, welche über Ihr Herz triumphirt.«

Es ist unnöthig zu sagen, durch welche weitere Vorstellungen und Bitten Selwyn sein Ziel erreichte. Es genüge die Bemerkung, daß sie, unfähig die einzige Alternative zu ertragen, einwilligte, sich insgeheim mit ihm ehelich zu verbinden und dann ihn nach London zu begleiten.

Sie sollte am folgenden Morgen früh mit ihm zusammentreffen, und dann wollten sie zur Kirche in D– sich begeben.

Ehe sie schieden, hatte er seinen Einfluß auf ihre Seele so wirksam benützt, daß er sie dahin gebracht hatte, Alles von der Zukunft zu hoffen. Er wiederholte Versprechungen, die er für jetzt zu halten die Absicht hatte, und woran sie fest glaubte. Er wolle nicht, sagte er, daß sie ihre theuren Freunde aufgebe, obwohl sie jetzt so plötzlich sie für einige Tage verlasse, sondern wenn er in London einige literarische Anordnungen getroffen habe, werde er mit ihr nach Norden zurückkehren und in der Nachbarschaft der Grange sich niederlassen.

»Ich kann eben so gut hier wie anderwärts meinen Arbeiten obliegen. Du wirst als mein geliebtes Weib in Ehren zurückkommen; und es wird mein Stolz und meine Pflicht sein, die Vorurtheile Deiner Familie zu zerstreuen und ihnen zu beweisen, wie glücklich Dein Leben mit mir trotz ihren Befürchtungen sein kann.«

Die nahende Gestalt der kleinen Minny beendete diese ereignißvolle Unterredung.

Er verschwand, nachdem er ihr ein Gelöbniß der Treue abgerungen hatte, und sie ging heimwärts, wie in einem Traum befangen.

In einem Traum lebte sie den ganzen Tag über. Nichts in ihrem Aeußern erregte Aufmerksamkeit. Keines bemerkte ihr häufiges Schweigen, ihre Unfähigkeit, ihnen offen in die Augen zu schauen, ihre Aufmerksamkeit in Leistung kleiner zärtlicher Dienste, die sie mit zögernder Liebkosung verrichtete. Weder ihre Mutter, noch ihre Schwester ahnten, daß ihr Gutenachtgruß auch ein Lebewohl sei.

»Aber nur für einige Tage,« murmelte sie, seufzend bei dem Gedanken, daß diese theuren Gesichter bald erfahren sollten, welche eine Verrätherin sie gewesen.

In ihr Zimmer eingeschlossen, traf sie einige Vorbereitungen für die frühe Abreise des nächsten Morgens, und dann setzte sie sich nieder, um in dem kleinen Raume, den sie während ihres ganzen unschuldigen Lebens bewohnt hatte, Umschau zu halten.

Dort stand der kleine Altar, vor welchem sie so oft gebetet hatte – dort oben zeigte sich das milde Antlitz. Ein plötzlicher Antrieb ergriff sie. Sie hatte von Seelen gehört, welche am Rande furchtbarer Gefahr sich zu der Mutter Aller gewendet hatten und gerettet wurden. Sie hatte erst kürzlich von einer gelesen, welche, eben als sie aus einem sicheren und heiligen Zufluchtsort entfloh, sich vor jener gütigen Fürbitterin niedergeworfen hatte und dann nach jahrelangem, sündigen Irren wieder zur Heimath zurückgekehrt war. Seltsam von diesen Gedanken erregt, erhob sich Therese und fiel auf ihre Kniee nieder.

»Du bist meine Mutter – beschütze mein Leben.«

Ohne ein weiteres Gebet, eilte sie zu ihrem Kissen; doch ihr Schlaf war überaus unruhig, jeden Augenblick erwachte sie wieder und brach in viele gebrochene Ausrufe aus.

»O wie falsch bin ich! O wie ganz anders ist der Vorabend meines Hochzeittages, als ich ihn mir immer vorgestellt habe! Ich dachte, meine Brautkleider würden so weiß und freudvoll ausgebreitet sein; Marie würde sich hereinstehlen, mich zu küssen; Mamma würde kommen und mich segnen. Wo bist Du, Marie? Mutter, Mutter, wo ist Dein Segen?«

Dann kam die Beschwörung, welche so oft in der Angst den Herzen abgerungen wird, die Alles verlassen haben, um sich an den einen gebrechlichen Anker menschlicher Treue zu hängen.

»Selwyn, wenn nach Allem Du mich täuschest, was werde ich dann beginnen? was werde ich thun?«

In der Dämmerung des Morgens verließ Therese ihre Heimath, und etwas später wurde sie Selwyn Grice in der D–kirche angetraut. Sie reisten sogleich nach London ab.

Am nämlichen Morgen erhielt Mr. Croßly ein Schreiben, welches einige wohl ausgedrückte Gedanken von Mr. Grice und eine Abschrift des Trauungszeugnisses enthielt. Auch folgende zitternd geschriebene Zeile fand sich darin:

»Vergebt Eurer Euch stets liebenden Therese.«


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