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I. Thomas Langschneider wohlbestallter, obgleich unwürdiger Bakkalaureus der Theologie entbeut seinen Gruß dem hochansehnlichen und hochgelahrten Herrn Ortuin Gratius aus Deventer Poeten, Redner, Philosophen, auch Theologen und noch mehr, wenn ihm beliebt.

Sintemal es, wie Aristoteles sagt, nicht ohne Nutzen ist, in einzelnen Fällen dem Zweifel Raum zu geben, und da im Prediger zu lesen steht: »ich habe mir vorgesetzt in meinem Herzen, zu fragen und nachzuforschen über alles, was unter der Sonne ist: so habe denn auch ich mir vorgesetzt eine Frage, worüber ich in Zweifel bin bei Ew. Herrlichkeit in Anregung zu bringen. Zuvörderst aber nehme ich den heiligen Gott zum Zeugen, daß ich Ew. Herrlichkeit oder Hochwürden auf keine Probe stellen will, vielmehr nur den aus lauterstem Herzen kommenden Wunsch hege, Ihr möchtet mich über diesen meinen Zweifel belehren. Sintemal im Evangelio geschrieben steht: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen«, und – wie Salomo sagt – »alle Weisheit von Gott ist«, Ihr aber mir alle Kenntnis, die ich besitze, verliehen habt, und jede gute Kenntnis die Urquelle der Weisheit ist: so seid Ihr gewissermaßen mein Gott, weil Ihr – um mich poetisch auszudrücken – mir den Anfang der Weisheit verliehen habt. Veranlaßt aber ist meine Frage durch folgenden Umstand worden. Vor längerer Zeit fand hier ein Aristotelischer Schmaus statt. Doktoren, Lizentiaten und Magister waren äußerst heiter, und auch wir nahmen vorerst drei Schlücke Malvasier, dann stellten wir als ersten Gang neugebackene Semmeln auf und bereiteten eine Suppe; nach diesem hatten wir sechs Schüsseln mit Fleisch, Hühnern und Kapaunen und eine mit Fischen; und wie es so von einer Schüssel an die andere ging, tranken wir Kotzberger und Rheinwein, auch Einbecker, Torgauer und Naumbuger Bier. Die Magister waren recht vergnügt und sagten: »Die neugebackenen Herren Magister hätten sich gut herausgebissen und sehr honorisch benommen.« Hierauf begannen die angejubelten Magister kunstgerecht über wichtige Fragen zu sprechen, und einer warf die Frage auf: ob man sagen müsse »magister nostrandus« oder »noster magistrandus«, um damit eine Person zu bezeichnen, die fähig ist, Doktor in der Theologie zu werden, wie dermalen in Cöln Pater Theodorich von Ganda, der Honigmund, hochwürdigster Legat der segenspendenden Universität Cöln, wohlfürsichtiger Kenner deer freien Künste, Philosoph, Meister in der Beweisführung und höchst ausgezeichneter Gottesgelehrter. Allsogleich war mein Landsmann, Magister Warmsemmel, mit einer Antwort zur Hand – der Mann ist ein gar scharfsinniger Skotist, schon seit achtzehn Jahren Magister, wurde zwar seiner Zeit beim Magistrieren zweimal zurückgewiesen, dreimal gab's Hindernisse, dennoch hielt er auch ferner noch aus, bis er, der Ehre der Universität zu Liebe, promoviert wurde. Er versteht seine Sachen gut, hat viele Schüler, kleine und große, alte und junge; seine Rede zeugte von hoher Verstandesreife, und er hielt dafür, daß man sagen müsse »noster magistrandus«: dies sei eine einzige Bezeichnung, denn magistrare heiße so viel als einen zum Magister machen, wie baccalauriare zum Bakkalaureus machen und doctorare zum Doktor machen, und daher kämen jene Kunstausdrücke: magistrandus, baccalauriandus und doctorandus. Weil aber die Doktoren der h. Theologie nicht Doktoren genannt werden, sondern aus Demut und Heiligkeit und zur Unterscheidung den Titel »unsere Magister« führen; da sie nach dem katholischen Glauben an der Stelle unseres Herrn Jesu Christi stehen, der die Quelle des Lebens ist, Christus aber unser aller Meister war: daher werden auch sie »unsere Meister« genannt, indem sie uns zu unterrichten haben auf dem Wege zur Wahrheit, und Gott die Wahrheit ist. Derowegen heißen sie mit Recht »unsere Meister«, weil wir alle, als Christen, schuldig und gehalten sind, ihre Predigt zu hören, und niemand darf ihnen widersprechen, darum, daß sie unser aller Meister sind. Dagegen ist »nostro«, »tra«, »trare« nicht gebräuchlich, und steht weder im Wörterbuch »Ex quo«, noch im »Cailiolicon«, noch im »Breviloquium«, noch in der »Gemma Gemmarum«, die doch eine Menge Kunstausdrücke enthält: somit muß man sagen: »noster magistrandus« und nicht »magister nostrandus«. Darauf Magister Andreas Delitzsch höchst scharfsinnig, einesteils als Poet, andernteils als Kenner der schönen Künste, Arzt und Jurist, der bereits öffentliche Vorlesungen über Ovids Metamorphosen hält und alle Fabeln allegorisch und buchstäblich erklärt – dessen Schüler auch ich bin, weil seine Erklärung sehr gründlich ist – und der auch ein Privatissimum über den Quinktilian und Juvenkus liest: dieser hielt dem M. Warmsemmel Widerpart mit den Worten: man müsse sagen: »magister nostrandus«; denn, wie ein Unterschied sei zwischen magister noster und noster magister, so sei auch ein Unterschied zwischen magister nostrandus und noster magistrandus; nämlich magister noster nenne man den Doktor der Theologie, und es sei dies eine einzige Bezeichnung, dagegen noster magister seien zwei Bezeichnungen, worunter man jeden beliebigen Magister in jeder freien Kunst begreife, bestehe diese in Hand- oder Kopfarbeit. Auch das sei kein Grund dagegen, daß »nostro«, »tras«, »trare« nicht gebräuchlich sind, da wir ja neue Wörter bilden können; und zum Beleg hierfür führte er den Horaz an. Auf das zollten die Magister seinem Scharfsinn große Bewunderung, und einer brachte ihm eine Kanne Naumburger Bier zu; er aber sagte: »ich will noch warten, mit Verlaub«, griff an sein Barett, lachte vergnügt und brachte es dem M. Warmsemmel zu mit den Worten: »Hier, Herr Magister! Ihr dürft nicht glauben, daß ich Euer Feind bin«, und trank in einem Atemzuge; M. Warmsemmel aber tat ihm tapfer Bescheid, zu Ehren der Schlesier. Die Magister alle waren recht lustig, und hierauf wurde zur Vesper geläutet. Derohalb bitte ich Ew. Excellenz, Ihr wollt mir Eure Ansicht auseinandersetzen, weil Ihr so gar tief gelehrt seid. Ich sagte nämlich damals: »M. Ortuin soll mir wohl die Wahrheit schreiben, denn er war mein Lehrer in Deventer, als ich die dritte Klasser besuchte.« Auch müßt Ihr mir genau berichten, wie es mit dem Zwiste zwischen Euch und Dr. Johannes Reuchlin steht, da ich vernommen habe, daß dieser Lotterbube – obgleich er Doktor und Rechtsgelehrter ist – seine Worte noch nicht widerrufen will. Und schicket mir doch auch einmal das Buch unsers Meisters Arnold von Tongern, welches er unter dem Titel »Articuli (et Propositiones)« verfaßt hat; es ist sehr scharfsinnig geschrieben und handelt von vielen tiefliegenden Fragen in der Theologie. Lebet wohl und nehmet nicht vorübel, daß ich Euch in so vertraulichem Tone schreibe; Ihr habt mir ja längst schon gesagt, daß Ihr mich liebet wie ein Bruder und mir in allem förderlich sein wollet, selbst wenn Ihr viel Geld an mich rücken müßtet.

Gegeben zu Leipzig.


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