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Zwölftes Kapitel.
Viktoria

In der Jacke eines Handwerksmannes, – denn auch der braune Pächterrock des Eigentümers aus Wasserburg gewährte ihm nach den letzten Vorfällen nicht mehr volle Sicherheit – ging Etienne durch das Brandenburger Tor, dazumal noch nicht auf stolzen Säulen die Viktoria tragend, und sagte der Vaterstadt, die ihn nicht als Sohn anerkannt, zum zweitenmal Lebewohl. Wie anders heute die Empfindungen des davonschleichenden Mannes als die des davonlaufenden Knaben vor neunzehn Jahren! Damals griffen seine kleinen Arme nach einer Welt voll Träumen vor sich, gestaltlos, endlos; heute lag hinter ihm ein volles Maß Prüfungen, für ein Leben genug; bis auf den Boden hatte er geschöpft und es doch nicht ausgeschöpft.

Die Nacht war noch fern: statt der tausend Lichter hinter ihm klangen ihm diesmal die tausend Stimmen der beutepackenden Troßknechte nach, fluchender Kosakenoffiziere, jammernder Bauern, deren magere Pferde die übertürmten Bagagewagen ziehen sollten. Requirierte Gespanne von Charlottenburg bis Berlin. Der Wind schüttelte die Wipfel des Tiergartens und legte die gelben Blätter längs der Straße, und ein grauer Himmel blickte auf den Trauertag herab. Doch war Etienne mutig. Die Täuschungen, die er erlebt, waren überstanden; sie lagen hinter ihm wie getilgte Schulden in seinem Lebenskonto. Die Brust atmete frischer, der Gedanke schwellte sie, daß er nun auf sich allein gestellt sei. Mit dem Rückwärts war es abgeschlossen, sich sollte er verdanken, was noch unbestimmt vor ihm lag.

Und verschloß nicht die Brieftasche, welche er unter dem Hemde fest an den Arm gebunden trug, doch eine Anweisung auf etwas, das er nicht sich verdanken sollte? Noch war der Brief seiner Mutter nicht entsiegelt, noch wußte er nicht gewiß, was längst in ihm, halb Gewißheit, lebte. Er mochte, er wollte es jetzt nicht wissen. Er fühlte sich so stark: allein den Stürmen die Spitze zu bieten, wie der Held sein König. Konnten nicht diese Hoffnungen, wenn es Hoffnungen waren, auch verweht werden, wie die anderen, Abendrotwolken vom Abendwind? Der neue Stammbaum, mit prachtvollen Wappenschilden behängt, wurzelnd an den Grüften von Jahrhunderten, mochte er nicht auch zur Jährlingseiche werden, die die mutwillige Hand des Knaben knickt? Die stolzen Burgen auf stolzen Bergen, wo die Wiegen seiner neuen Väter gestanden, erhoben sie ihn höher als er schon stand im Gefühl seiner selbst? Leuchteten ihm nicht zuckende Flammen des Stolzes: auch so Eugenie zu gewinnen gegen den Willen eines Vaters, gegen die vermoderten Schriftzüge alter Pergamente, gegen die drohenden Stammhalter mit Keule und Schwert vor ihrem Wappen! Als Findling, ein namenloses Waisenkind, ohne Schild, ohne ererbte Devise, so Lanzen zu brechen und zu siegen gegen eine dunkle Reihe hochgräflicher Ahnen! – er gestand sich den stolzen Gedanken, und wer ihn jetzt beobachtet, hinschreitend durch das knisternde Laub, hätte den Tagelöhner nicht erkannt, den sein zerlumpter Rock erlog.

Was hat eine Gunst vor der anderen voraus? Die in Bleisärgen schlafen nicht fester als die zwischen sechs Kiefernbrettern, im gemauerten Gewölbe nicht kühler als über deren Brust die Erde alljährlich ein frisches Frühlingskleid anlegt. Mumien sind so taub gegen die Klagen ihrer Enkel als die modernden Gerippe, die der Spaten des Totengräbers zerschlägt, wenn er ein neues Grab schaufelt. Sind die Familienbande inniger? Stehen sich die Geschwister näher; liebt die Mutter unter dem wappenbesäten Himmelbett den Säugling mehr als die unter dem Strohdach? So innig, so ganz hinopfernd hatte seine ihn geliebt; und schlummerte sie in einer Fürstengruft, er konnte darum nicht die Todesstunde zurückrufen, wo er an ihrem Bette gefehlt! Zerfallen hohe Familien nicht in Mißhelligkeit? Ziehen die Glücklichen sich nicht zurück von den Nichtglücklichen? Wird hier nicht vergessen? – er klopfte an ein hohes Schloßportal, o es klang so dumpf und hohl wie an die Tür des Inspektors; Stein war die Schwelle hier und dort, Sandstein und Granit fühlen beide nicht den Druck der Sohle. Und hier wie dort, konnte ihn der Eigentümer nicht fragen: »Wer sind Sie?« »Was wollen Sie?« ihn fortweisen, die Tür hinter ihm zuschlagen? »Vergänglichkeit!« steht als Devise über dem Portal des Grafenschlosses und der bescheidenen Tür zum Bürgerhause. Etwas länger stehen die Türme als die Wände von Fachwerk, länger dauern die Taufscheine, ausgestellt auf Pergament, als die auf Papier, was aber ist lang in der Ewigkeit: »Und das sollen meine Wünsche sein?« schloß er seine Reflexionen, und doch stockte die Antwort. Auch die Vergänglichen, sollen sie nicht das fernste Ziel suchen in der Vergänglichkeit?

Der freundliche Flecken an der Spree, Charlottenburg, schon damals ein beliebter Vergnügungsort der Berliner, bot ein trauriges Bild der Zerstörung. Es wimmelte wie an einem sonnenhellen Festtage von Menschen, aber nicht von heiteren und glücklichen. Händeringend, in stummem Schmerz, oder in lauten Verwünschungen der Verzweiflung irrten die Einwohner unter den Linden der Hauptstraße, und blickten machtlos dem wüsten Treiben der Sieger zu. Entfernt von der unmittelbaren Aufsicht der kommandierenden Generale und nicht durch das Gold und die Klugheit eines Gotzkowski gehindert, überließen die hineingedrungenen Bataillone sich der wilden Beutelust. Es kam noch ein Gefühl hinzu, das der Rache. Sächsische Infanterie wollte hier im dunklen Triebe Vergeltung üben für das, was Friedrich ihrem schönen Vaterlande getan. Es geschah auf eine Weise, welche die gerühmte sächsische Bildung verunglimpfte und Friedrich, als er davon erfuhr, in eine Wut versetzte, kaum vereinbar mit dem Weisen, dem Feldherrn und dem König. Mit Ausnahme der Einäscherung litt Charlottenburg alle Greuel, die eine Einnahme durch Sturm nach altem Kriegsherkommen in den Städten mit sich führt.

Etienne eilte hindurchzukommen. Man war auch hier allzu beschäftigt und trunken, als daß ihm eine Gefahr gedroht hätte.

Am Schlosse war das Gedränge am stärksten. Man zerschlug, verbrannte in dem Hofe die kostbaren Möbel, welche aus den Fenstern herabgeworfen wurden. Das eiserne Staket davor war niedergerissen. Eine Schwadron Dragoner tummelten ihre Rosse auf den Blumenbeeten, ja ein Riese von Flügelmann trug einen kleinen Tambour auf dem Rücken, der mit dem Ladestock Scheibe um Scheibe der Orangeriehäuser einschlagen mußte. In dem schönen Park tanzten und taumelten Angetrunkene umher, mit Frauenputz und Möbeldecken behängt; die Hermen der römischen Kaiser büßten es mit ihren Nasen, daß sie so ruhig der bacchantischen Wut zusahen, und der Pallasch eines Junkers wurde schartig von den grimmigen Hieben gegen den Stamm einer alten Platane, welche auch der Axt eines Holzhauers Schwierigkeiten gemacht hätte. Aber der Junker beteuerte, die preußischen Grenadiere hätten die schönsten Linden vor seiner Tante Schloß letzten Winter gefällt, er wolle sich nun auch warm machen zum nächsten. Und Kalk und Kieselsteine warfen die Übermütigen den bemoosten Karpfen im Schloßteiche hin, die er an so manchem Festtage als Kind mit der aufgesparten Vespersemmel gefüttert. Und wenn die Semmel nicht reichte und die Tiere nach Luft schnappten, hatte er so lange die Mutter gebeten, bis sie noch einen Dreier suchte. Er war zur Hökerin hingestürzt und atemlos mit der erkauften Semmel wiederkehrend, hatte er an der Klingel gerissen und war in die Wolken gesprungen, wenn der große Moorkarpfe den Helling schnappte, um den, ein zu mächtiger Bissen für sie, die kleineren Tiere sich lange getummelt. Wie ängstlich hatte ihn die Mutter am Rockschoß gefaßt: »Biege dich nicht zu weit über, Etienne,« und jetzt bogen sich die Soldaten dreiviertel Leib über, nicht um die würdigen Senatoren des gehegten Teiches zu füttern, um sie zu stechen, zu schlagen mit ihren Säbeln. Die Fische waren königlich.

Noch ärger war das Getöse in den Galerien selbst. Eine Kompagnie verfuhr daselbst systematisch in ihrem Zerstörungswerke. Etienne hatte, zurückkehrend vom Garten, sich nicht enthalten können, auch hier einen Blick hineinzuwerfen, und er war in diesem Augenblick vielleicht der einzige, der den unersetzlichen Verlust in seiner Größe empfand, den blinde Erbitterung nicht dem Könige von Preußen, sondern der ganzen gebildeten Welt zufügte. Es hämmerte und schlug im Prachtsaal wie in einer Steinmetzgerwerkstatt, und dicker Staub qualmte aus den geöffneten Flügeltüren. »Was, du willst räsonieren!« schrie die Stimme eines Meißners, ein weit ausgeholter Schlag traf und stürzte den Gegenstand, welchem die Lust zum Räsonieren zugemutet worden, zu Boden; es krachte, dröhnte und ein Kopf rollte vor Etiennes Füßen, – der Kopf eines Jupiter Pluvius. Am Fenster hämmerte ein anderer an der Venus. »Soll ich dir helfen, sie runterschmeißen?« fragte ein Kamerad. – »Nein!« entgegnete der Tätige. »Da bricht die Person nur Hals und Bein und ein Gregorius kann sie noch mal flicken, es hantiert sich so besser.« – Die Arme waren schon abgebrochen; sein Sappeurbeil hieb Nase, Kinn und Ohren herunter. »Auch die Brüste!« ermunterte der andere. »Nun die Augen!« – »Die hier hat keine.« – »Es bleibt noch zu viel übrig,« bemerkte ein dritter. »Hätte man nur Mühlsteine, um sie klein zu schroten!«

Ein alter Bedienter ging mit Blicken des Unwillens an Etienne vorüber. »Sind sie alle unersetzbar?« fragte dieser ihn.

»Will Er etwa das Geld dazu hergeben!« lautete die Antwort.

»Sind es alles Antiken, frage ich, die kostbaren Galerien, oder zerstören sie nur Abgüsse?«

»Götter und Göttinnen sind es, griechische und römische, kostet das Stück mehr als zehn lebendige Rekruten dem Könige.«

»Die vom Kardinal Polignac gekauften?«

»Daß den das Wetter hole, alle Polignacs und alle Kardinäle! Schufte und Gauner, wenn ihre Steinpuppen nicht mal was aushalten, was denn sonst? Was kriegen wir nun dafür? Die Scherben nimmt er nicht zurück und das Sündengeld gibt er nicht wieder raus. Ich sagte es ja gleich dazumal und der alte Herr Professor auch; das ist ja Sündengeld und zu viel solchem heidnischen Kardinal. Das glaube ich, der Polignac wird sich ins Fäustchen lachen, wenn er das Unglück hört, das er angerichtet, aber ich wünschte ja, daß alle Polignacs, die leben und noch auf die Welt kommen sollen, so 'ne italienisch-französische Rasse, die ein x vor ein u machen wollen, daß ihnen allen – ich weiß was. Das ist im Grunde recht, daß sie das ausländische Zeugs zerschlagen. Wozu taugt das im Lande? Hätte der König im Lande arbeiten lassen, unsere Steinmetzger hätten's ihm für den viertel Preis gemacht. Immer Franzosen und Italiener mußten's sein. Da haben wir die Bescherung. Kies und Sand, das soll mir der Polignac wieder zusammenleimen. Polignac hin und Polignac her; wir werden darum doch nicht klüger! Wenn der König zurückkommt, ja er grämt sich darüber, so blind ist er für den Franzosen, und gönnt auch dann noch keinem von den Unseren den Verdienst, daß er sie bei ihnen wieder bestellte.«

»Sind keine Offiziere hier?«

»Die tafeln drüben.«

»Machtet Ihr ihnen keine Vorstellungen, taten sie dem Unfug keinen Einhalt?«

»Sie lachten und meinten, es wären doch keine lebendigen Menschen. Sie haben auch recht. Mir tat nur das Gold leid, das der Polignac für das Zeug geschluckt hat.«

Der Übermut der Bilderstürmer schaffte mit einer Anstrengung, eines besseren Zweckes würdig, Werkzeuge herbei, um noch die ungefügen Rumpfe zu zertrümmern und die abgeschlagenen Gliedmaßen nicht zu zerstückeln, sondern in Sand und Staub zu zerreiben. Die rasende Wut war in eine wahnsinnige Fertigkeit ausgeartet. Etienne wollte der Zerstörung den Rücken wenden, als er in einem Seitenkabinett zwei junge Burschen beschäftigt fand, eine bis dahin übersehene Statue von ihrem Fußgestell zu reißen. Es war eine Viktoria, eine Antike, sie war noch zu retten. Den blutjungen Burschen, der ihr eben einen Nasenstüber gab, riß er zurück. »Was tust du da?«

Die Viktoria, gerüttelt, wankte vor ihm, hinter ihm blickte ein grimmiges Gesicht und eine markige Hand faßte ihn am Kragen.

»Ach du mein lieber, gnädiger Herr,« stammelte der Bursche, »nehmen Sie es doch nicht ungütig.«

Der junge Soldat hatte ein besseres und schnelleres Gedächtnis als der Offizier, den erst die nächsten Worte erinnerten, daß er ja einen alten Bekannten vor sich habe. Es war der Bruder von Eugenies Milchschwester, ein Bedientensohn von dem Gute des Grafen, ein gutes Blut, treuergeben seiner Herrschaft und ehrerbietig gegen alles, was ihr anhing. Auch der andere Soldat war aus dem Dorfe. Beide kannten Etienne, beide waren ihm befreundet, er hatte nichts von ihnen zu besorgen.

»Aber, unsinniger Bursche, sprich, was tut dir das steinerne Bild?«

»Nichts, gnädiger Herr!«

»Sahst du nicht, wie der Graf, wie die Gräfin Wert legen auf die Bildsäulen in ihrem Schlosse? Das sind nicht die Feinde deines Landesherrn, und befohlen hat es dir doch nicht dein Offizier. Haben die Preußen das bei euch getan?«

Der Bursche stammelte etwas davon, daß sich die Sachsen das Wort gegeben, nichts, was dem Könige lieb wäre, ganz zu lassen, und für die vielen Schlösser in Sachsen, die von den Preußen gelitten, auch einmal an einem ihres Königs Vergeltung zu üben.

»Bist du ein so schlechter Kerl, eine Frau zu prügeln, wenn du von ihrem Manne einen Schlag bekommst? – Tu dein Auge auf. Das Steinbild ist eine Frau, es ist eine Frau des Königs von Preußen, und schäme dich, daß du sie mit der Hand angerührt hast. Sie kann sich nicht wehren und rächen; aber der König mag es tun. Schütze sie nur vor deinen Kameraden, und wenn du wieder nach Hause kommst, sage es deiner Gräfin, sie wird es dir so wenig verargen wie dein Major, und der König Friedrich, der noch Macht hat, für jeden Stein, den sie hier zerschlagen, ein Schloß bei euch niederzureißen, erfährt es vielleicht und du kriegst noch einen Lohn für.«

Etienne mußte über seine Verheißung lächeln. Doch war die Viktoria für diesmal gerettet, denn die beiden Burschen rückten schweigend und ehrerbietig die Statue wieder auf ihren Platz, und die Appelltrommel, welche eben die Soldaten auf die Straße rief, hielt auch die anderen wenigstens für den Augenblick ab, an diese übersehene Reliquie Hand zu legen. Etienne nickte lächelnd der Statue einen Abschiedsgruß zu und ging, von den verwunderten Blicken des Aufsehers verfolgt, zum Schlosse hinaus. »Ihre Majestät die Königin soll die unanständige Weibsperson vorstellen, oder was will der Mensch mit der Frau des Königs!« brummte der Bediente. »Wenns ein Spion war, hier gibt's nichts mehr zu spionieren, und stellt das die Frau des Königs vor, warum haben denn die Sächsischen solche Reverenz davor?« Er notierte sich den Fall, um dem Kastellan darüber zu rapportieren, und verschloß das Kabinett.

Ein Sprung von der Westterrasse des Schloßgartens brachte Etienne auf den Weg nach Spandau. Querfeldein stieg er an dem Mühlenberg hinan. Ein Husarenposten rief ihn umsonst an. Ein Pistolenschuß paffte hinter ihm in die Luft. Er hatte die erste Höhe gewonnen, er eilte unverfolgt durch den unfruchtbaren Kies und Sand dem Walde zu. Nun senkte sich der festere Boden, die Wiesen der Spree und Havel lagen zu seinen Füßen, die roten Mauern von Spandaus Zitadelle, der Juliusturm, die braunen Dächer tauchten aus dem feuchten Grunde auf. Der Rauch von hundert Wachtfeuern wirbelte in die Luft, Zelte erhoben sich auf den Wiesen, man exerzierte. Nur einen Atemlauf, und das erste preußische Wer da! rief ihn an; er war wieder bei den Seinen.

Doch schon hier am Bergrande überkam ihn dies wohltätige Gefühl der Sicherheit, welches Friedrichs Kriegern so oft die Überlegenheit des Sieges verschafft und nur einmal – bei Hochkirch – verderblich wurde. Er wollte noch einmal ausruhen, allein sein, denn dem Lagerkameraden war das nicht vergönnt, er wollte – mit sich sprechen, überschlagen seine Erlebnisse. Und was hatte er erlebt, seit er aus dem letzten preußischen Lager in Schlesien ausritt, um hier zu Fuß in das nächste einzutreten. Er kam nicht als Siegesbote, als ein verspäteter; die Träume auf Ehrenlohn waren dahin und er wußte nicht, wie man ihn empfangen werde.

Unter drei einsamen Fichtenbäumen, deren hochaufgeschossene Wipfel über den Hügelrand nach der Festung nickten, saß er, und die Brieftasche war geöffnet und das Siegel des Briefes erbrochen, der ihm die letzten Grüße der sterbenden Mutter, der ihm sagen sollte, ob er ein anderes Wesen mit vollem Herzen lieben, ob er ihm zürnen mußte? Es war der feierlichste Moment seines Lebens. Der Brief seiner Mutter war kurz – es lag noch ein anderer darin – er war mit der zitternden Hand einer Kranken geschrieben, abgebrochen, verlöscht durch Tränen. Ach, wie viel stand zwischen den wenigen Zeilen!

 

»Armer, armer Etienne! Wie lange ist's her, daß wir uns nicht sahen! – Und nun soll ich Dir schreiben, Dich ermahnen, Dich beschwören, bei meiner Mutterliebe Dich bitten, beim Fluch einer Mutter es dir zur Pflicht machen. – Nein, gutes Kind, alles, nur das nicht – ich kann Dir nicht drohen. Du sollst den Abschied nehmen, dem König nicht mehr dienen. Ich weiß, es wird Dein Herz brechen. – Wohlan, ich bitte Dich, ich beschwöre Dich – mehr kann ich nicht, ich habe Dich nun gebeten und beschworen – er will es so. Der Schmerz ist schon überwunden, glaube es mir, lieber Sohn, ich weiß ja doch, Du wirst nichts tun, was nicht der Himmel beschlossen hat, das Du tun sollst. Liebe, achte Deinen Vater! Des Vaters Segen baut den Kindern Häuser! Wie sollte je mein Fluch sie wieder einreißen! – Nein, mein Kind, ich habe viel dulden müssen. Ach, daß ich Dich nicht sehen sollte, Du nicht aufwuchst unter meinen Augen, zum Manne wurdest, das war am schwersten zu tragen. Ich habe ihm auch das vergeben. Es war gewiß zu etwas gut. Die Haare auf Deinem Haupte sind gezählt und es fällt kein Tropfen vom Himmel, ohne daß der himmlische Vater es weiß. – Sei Deinem Vater gehorsam, er ist besser, als er scheinen will. – O, sähst Du ihn, wie er an meinem Bette wacht, nachts kein Auge zudrückt – wenn ein bitteres Gefühl gegen ihn in mir war, seine Liebe hat es weggetilgt. Ich liebe ihn wieder, soviel es mir erlaubt ist, ihn zu lieben. – Er sagt mir: Du kommst – ach, ich sehe Dich nicht wieder, ich fühle es. Werde nur nicht stolz. Der Hochmut ist der tiefste Fall. Ich hätte Dich so gern für bescheidene Wünsche erzogen; das sollte anders werden. Wer weiß, wozu auch das gut ist. Er hat mir alles erzählt, was Du verschwiegen. Des Himmels Segen über Dich, mein geliebter Sohn, er hat meine heißen Bitten erhört. Nein, Du konntest nicht verdorben werden. – Auch Deine Verwandten sind alle gut, achte sie. Wie gern hätte ich Dich gesehen einmal am Altar mit der kleinen Stephanie. Es wird auch so gut sein. Ich segne die Gräfin Eugenie. Ach, mein Kind, der Gedanke stärkt mich mehr als ich hoffte. Es wird immer besser, immer freundlicher. Tu, was Dein Herz Dir sagt. Wir sehen uns wieder – in einer besseren Welt. Mein einzig geliebter Sohn. Gott mit Dir.

Deine treue Mutter.«

 

Die untergehende Sonne schwebte schon jenseits der Spandauer Wiesen und das Papier war blutrot, auf das er noch immer hinstarrte, doch sein Auge war längst trocken.

Ein anderes Auge leuchtete ihn klug an. Der Hund, der neben ihm im Grase lag. Er war ihm gefolgt. »Ein Tier und du weißt doch schon, was du zu tun hast! Du gehorchst noch den Befehlen deines toten Herrn.« Der Hund lag still.

Er wog auf dem Finger die Einlage von der Hand des Marquis, sie wog so leicht. »Und in den wenigen Zeilen, flüchtig geschrieben, soll es stehen – eine Welt für mich.«

Er erbrach das Siegel:

 

»Etienne, tu, was Deine sterbende Mutter von Dir wünscht. Hättest Du nur einen Zug ihres Charakters! Es gab kein folgsameres Wesen auf der Welt. O, sie war ein Engel. Wir waren beide ihrer nicht wert. – Denke, wer Du bist, und handle. Aber Du mußt für Dich handeln. Ich kann Dir kein Geld schicken! Rechne überhaupt nicht so viel auf mich. Mit den Korsen ist nichts anzufangen. Dummköpfe in den Kabinetten von Madrid bis Peking, auch der Graf Meroni. Verlaß Dich nicht auf ihn. Wenn Berlin genommen ist, weht vielleicht wieder das Banner der Stuarts auf dem Tower von London. Da muß er angegriffen werden, da braucht es Geld. O, wenn ich ein Nabob wäre! Für Geld macht der Engländer die Themse rückwärts fließen. Im Hause der Welfen wird das Haus der Hohenzollern gestürzt. Lord Bute ist ein Mann, Pitt ein Stier, man muß ihm ausweichen. Wenn Du nach Madrid kommst, versäume nicht das Stiergefecht, sonst ist da nichts zu holen. Intrigen, Pfaffen, Straßenräuber, kein Verstand. In London muß Friedrich in die Luft gesprengt werden, nur da, mit dem Unterhaus oder dem königlichen. Bei Culloden kann man verlieren und gewinnen. Wärst Du bei der Kaiserin geblieben, Du kommandiertest jetzt ein Regiment. Allein das tut nichts, hier kauft man die Stellen bis zum Obersten, und wenn Du ein Mann geworden, so verbrenne Deine Uniform; laß mich keinen Fetzen davon wiedersehen.

Verschwiegenheit, Dein –«

 

Mit einer Gleichgültigkeit, als sollten die Kiefernwipfel sie ihm ansehen, steckte er den Brief ein. Er hatte auch noch die schmutzige Brieftasche des Advokaten: »Das in Spandau; die Luft hier ist dafür zu rein.« Er stand auf. »Ja, ich will tun, was meine sterbende Mutter von mir gewünscht und was mein Herz mir sagt. Es stimmt beides. Friedrich für immer!« rief er, und als die erste preußische Schildwache ihr »Wer da!« dem Herbeieilenden entgegendonnerte, wiederholte er aus voller Brust: »Friedrich für immer!«

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