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Drittes Buch.
Der Marquis


Erstes Kapitel.
Die Kaffeegesellschaft

I In der dritten Etage eines Hauses der Moritzgasse in Dresden stand ein Tisch mit schwerem Damasttuch gedeckt; darauf geblümte Porzellantassen aus Meißen, sorgfältig gereiht und Polsterstühle mit hohen Lehnen darum. Außer dem wohlgenährten Mops jedoch, der auf dem Kanapee schmollte, und zwei alten Katzen im Lehnstuhl hinterm Ofen zeigte sich noch nichts Lebendes; denn die Wirtin observierte im Nebenzimmer mit einem Perspektiv. Ob nach erwarteten Gästen oder etwas Unerwartetem ließ sich aus dem Lächeln unter der spitzen Nase und dem noch spitzeren Kinn nicht entdecken. Der Hund knurrte und die Katzen bäumten sich, daß ihre Gebieterin sie auf so ungewohnte Weise vernachlässigte; aber das Fräulein ließ sich nicht eher stören, als bis man die ersten Gäste vor der Tür scharren und über den Vortritt komplimentieren hörte.

Man hob sich auf den Schuhspitzen und küßte sich auf beide Backen, man fragte, wie man sich befinde und war erfreut, sich so wohl zu finden. Alle versicherten, das Fräulein nie so munter gesehen zu haben. » Nous sommes sauvées,« erwiderte sie komplimentierend einer jeden und führte die teuren Freundinnen mit unermüdlicher Rührigkeit an ihre Plätze. Es hatte jede etwas zu erzählen von den Schrecken der überstandenen Belagerung, jede einen abscheulichen Zug mitzuteilen von der Roheit der Preußen, von der Impertinenz der Offiziere, von der Unartigkeit des Gouverneurs und keine einzige führte, wie es wohl in den Kriegen nach dem Siebenjährigen sich zugetragen hat – das Wort für die Einquartierung.

Der dunkelbraune Kaffee floß nicht so reichlich aus den drei großen Kannen in die zwölf Tassen, als von den Lippen der ehrenwerten Matronen die Erkundigungen, Mitteilungen, Beteuerungen und Verwünschungen. Es hatte die eine aus Furcht sechs Stunden im Keller gesessen und von der Erkältung den Husten bekommen; nur flüsterte, indessen man sie bedauerte, ihre erste Nachbarin der zweiten zu: »Die Gute hustet seit dreißig Jahren just wie heute.« Der anderen wollte man es nicht glauben, daß die Offizierburschen ihren Kleiderschrank geplündert, denn – wenigstens versicherte es die, welche sie kaum ihre beste Freundin genannt – ihre Staats-Garderobe hinge seit zehn Jahren am Altmarkt, aber es waren keine Lippen, die nicht innigstes Bedauern ausdrückten.

» Et ce méchant homme!« rief die Wirtin aus, »wie konnten die Kaiserlichen diesen Schmettau, der uns das angetan, frei echappieren lassen!«

»Und er hat alles Geld mitgenommen, beste Klinkauf,« rief eine andere.

»Und hat noch die Impertinenz gehabt,« sekundierte eine zweite, »zu meinen, man hielte ihm nicht die Kapitulation.«

»Er will ein Recht haben!« schrie die Wirtin aufspringend. »Nicht die Kapitulation gehalten! Hat er denn wie ein Kavalier gehandelt, daß man mit ihm kapitulieren konnte? War ihm Vernunft beizubringen, als er den Hof outragierte, und uns in die Luft sprengen wollte? Man mochte ihn auf den Knien bitten, das war so gut, als läge man vor einem Stück Holz. Und welche Hitze das war, als er die hohen Häuser in der Pirnaschen Vorstadt abbrennen ließ! Da – wenn man links herumsieht – glühte und glimmte es, daß die Fensterscheiben zitterten und mein Mops, das arme Tier, nicht wußte vor Angst, wo es hin sollte. Ah, Monsieur le Comte, Sie wollen sich noch beschweren und das große Wort führen! O meine Damen, ich habe christliche Gesinnungen, aber wenn sie ihn gefaßt hätten, hier in der Altstadt müßte ein Exempel an ihm statuiert werden, etwas Extraordinäres, daß alle Welt ein Beispiel daran nähme. Wie ein Ketzer in Spanien wollt' ich ihn drüben auf dem Neumarkt verbrennen sehen, und es sollte ihm die Hölle heiß gemacht werden!«

»Das wäre doch nicht christlich, beste Klinkauf!« Einige hielten den Fächer vor das Gesicht.

»Es war schon ein kleines Fegefeuer,« bemerkte eine Dame, »wie sie seine Kassenwagen und Rekruten an den Toren in die Klemme nahmen. Es hat ihm alle Mühe gekostet durchzukommen!«

»Was will das dagegen sagen, wie sie uns in die Klemme genommen! Eine preußische Stadt mag man so verteidigen, aber nicht die Residenzstadt Seiner Majestät des Königs von Polen, und noch dazu, wenn unsere Freunde draußen stehen.«

»Denken Sie sich, liebe Klinkauf, der Papagei der Hofmarschallin ist erschossen worden,« rief eine hagere Dame.

»Das hübsche Tier,« jammerte man.

»O, es wird ihm nichts vergessen werden,« klatschte das Fräulein in die Hände. »Das kommt alles auf die große Rechnung. Und nun geht's ans Bezahlen. Verlassen Sie sich drauf, nun ist's aus. Mit der Kunersdorfer Bataille ist das eine andere Geschichte als damals mit der Nachtaffäre bei Hochkirch, aus der nicht viel raus kam. Nicht zehn Mann hat er mitgebracht und die russischen Kugeln sind dem Herrn König von Potsdam durch den Leib gegangen, daß es mit seinem guten Magen aus ist. Er soll nicht mehr alles verdauen, was er verschluckt. Er liegt an der Gicht, an der Gicht, sage ich Ihnen. Wenn ich sein Doktor wäre –«

»Unsere Klinkauf hat doch immer die besten Neuigkeiten.«

»Wir haben ihn zu lange respektiert, das ist es, das allein, warum der Pilz so groß wurde! Warum haben wir nicht zugegriffen mit Händen und Füßen? Da zitterten der Herr Geheime Hofkriegsrat, der Herr Feldmarschall, die Exzellenzen hüben und drüben. Wenn man überall auf uns gehört, wenn Frauen kommandiert hätten im Kabinett und im Felde, dann sähe es anders aus, anders, sage ich. Gar keinen Respekt brauchte man zu haben. Warum? – Sind das überhaupt Kavaliere bei den Preußen? Schöne Kavaliere, die keine Egards haben für Hofdamen! Apropos, waren Sie schon auf dem Wachtzimmer im Schlosse? Ich sage Ihnen, es sieht greulich aus von den schmutzigen Fußtritten, und in die Wände haben sie gekratzt, sehen Sie Figuren, daß eine sittliche Dame vor Scham in die Erde sinken möchte, in die Erde sinken, sage ich Ihnen.«

Sie war beschäftigt, ihrer Nachbarin etwas ins Ohr zu flüstern, als die Tür aufging und ein gepudertes Haupt hereinblickte. »Ist es erlaubt?« Ein Schrei freudiger Überraschung antwortete und eine Gestalt schlüpfte herein; im fein gestickten Hofkleide, mit Degen und Chapeaubas, wie mit Mienen, Armen und Beinen so geschickt sich drehend und wendend, daß alle anwesenden Damen sich zugleich und zuerst gegrüßt glauben konnten.

»Der schöne Kammerherr, von dem Sie wissen,« unterrichtete eine Nachbarin die andere.

»Baron Kurz, embrassez moi,« schrie ihm die Wirtin entgegenstürzend zu. »Wo haben Sie die letzte Zeit gesteckt?«

»Verzeihung, wenn ich unangemeldet –«

»Ein Kavalier wie Sie braucht nie Verzeihung.«

Während die glückliche Wirtin der wißbegierigen Versammlung erzählte, wie es ihr gelungen, die ganze Belagerung über den Kammerherrn zu verbergen, versicherte der nicht minder Glückliche einem anderen Kreise tausend süße Dinge.

»Das war die artigste Einquartierung, meine Damen,« sagte die Wirtin, »bis er auf einmal wie ein Dieb in der Nacht entwischte, als die Kapitulation geschlossen war, um jetzt,« wandte sie sich verbindlich zu ihm, »in der Parüre eines jungen Gottes wieder aufzuwarten.«

»Und,« setzte der Baron fort, sein Knie beugend und ihre Hand an die Lippen drückend, »den Tribut des Dankes an den Stufen des Altars meiner Schutzgöttin mit Dank gerührten Herzens derselben zu präsentieren.«

»Ihr wäre wohl lieber, wenn er ihr das Herz selbst präsentierte!« bemerkte die Wohlbeleibteste unter den Damen.

»Er war immer ein Schmetterling,« sagte die Wirtin gefällig, seinen himmelblauen Atlasrock musternd. »Wo waren Sie indessen, Unartiger?«

»Überall und nirgends. Wie ein Vogel, der aus dem Käfig flattert, um wieder zu fühlen, ob es noch Luft gibt und Zweige und Bäume. Ich durchstreifte die Gassen, ich war beim Auszug der Preußen.«

»Kammerherr, Sie haben sich exponiert?«

»Nicht in dieser Parüre. O, ich versichere Ihnen, es war eine angenehme Empfindung, den verhaßten Blauröcken ins Gesicht zu sehen, und sie konnten uns nicht wieder ebenso ins Gesicht sehen. Es war, als ob sie alle Spießruten liefen; und die Kaiserlichen heizten gut! Sie wissen doch, wie der Zufall uns günstig gewesen.«

»Der Zufall!«

»So dürfen wir's nennen. Friedrich hat Schmettau zwar einen Befehl zugeschickt, Dresden zu übergeben, aber auch ebenso schnell kontermandiert. Die Konterorder dringt nicht durch, und Schmettau war schon aus den Toren, als ihm die Nachricht kommt, daß General Wunsch auf Sturmesflügeln zum Ersatz auf Dresden marschiert. Da war es zu spät.«

Die Wangen der Damen wurden unter dem Rot und den Schönpflästerchen blaß und alle sahen sich fragend an, ob es auch wirklich zu spät?

»Keine Sorgen,« sagte Kurz, sich etwas auf den Hacken hebend. »Man hat den ungeschliffenen Mann nicht wieder zurückgelassen. Schade, daß er so gut französisch spricht.«

»Und es ist der letzte Mann heraus, lieber Kammerherr?« fragte eine Dame.

»Der letzte, und solange ein patriotisches Herz in unserer Brust schlägt, soll keiner mehr herein.«

»Was ist der guten Klinkauf?« fragte die unter den Damen, welche nach ihren Blicken auf den Ehrenplatz Anspruch machte, einen Platz, den sie vermöge ihrer Korpulenz gegen männiglich zu halten berechtigt schien. »Sie ist heute immer auf den Beinen, als wäre sie ein achtzehnjähriges Ding. Da ist sie wieder fort in das Schlafzimmer, als hätte sie sich eine Société gebeten aus den lieben Kaufmannsfrauen, mit deren Gesellschaft sie uns neulich einmal regalierte. Das gute Fräulein scheint die Egards mit den Jahren zu verlernen.«

»Sie vergißt die Jahre selbst,« nickte ihre Nachbarin.

Der Kammerherr war an das Fenster gehüpft und wieder zurückgehüpft. Er warf der Sprecherin eine Kußhand zu, streichelte den Mops und sagte mit schlauem Blick: »Sie observiert.«

»Was denn?« fuhr es wie aus einem Munde.

»Meronis drüben.«

»Die abscheulichen Leute,« seufzte die dicke Dame.

»Der Graf bleibt immer ein scharmanter Kavalier,« entgegnete ihre hagere Gegenfüßlerin. »Es ist Verleumdung, daß er es mit den Preußen gehalten hat!«

»Die ganze Familie ist mir ein Greuel,« fuhr die Korpulente fort. »Der Graf ist nichts als eine Null, die sich voller Wichtigkeit dünkt, die Gräfin, um nichts Schlimmeres zu sagen, ein altkluges Geschöpf, und die pauvere Cousine die boshafteste Person unter der Sonne. Wenn der Alte es auch nicht mit ihnen gehalten, die Komtesse hat es ja in die vier Winde geschrien, daß sie uns alles Unglück auf den Hals wünscht. Es ist ein Skandal in der Familie und ich danke alle Tage meinem Schöpfer, daß wir nicht mit ihr verwandt geworden. Meines guten Bruders Sohn, was wäre aus dem geworden, wenn er ein solches Ärgernis ins Haus gekriegt. Ich hätte mich vor keinem ehrbaren Menschen mehr sehen lassen.«

»Daß sie den alten Mann so an ihrem Schnürchen tanzen läßt,« warf eine dritte ein, ein Vorwurf, der wie Vermittlung klingen sollte.

»O, der Graf verdient es nicht besser,« fuhr die Beleibte heftiger fort. »Ich weiß nicht, wie die Kavaliere heutzutage denken, daß sie mit ihm umgehen, als wäre gar nichts vorgefallen. Kommt mit dem zerschossenen Husaren nach der Hochkirchner Bataille in die Stadt, als wäre er unser verwundeter Kurprinz. Wäre es noch ein Verwandter oder ein Kaiserlicher, ja wäre er nur von Familie. Nein, mit einem preußischen Aventurier, von der Straße aufgelesen – es weiß kein Mensch, wo er her ist. Den hätscheln sie und pflegen sie, o, ich will nichts Ärgeres sagen, aber die Stadt hätte dagegen aufstehen sollen.«

»Die Preußen waren aber in der Stadt.«

»Was, Preußen, wenn der Anstand im Spiele ist. Man hat sie an des Menschen Bette sitzen gesehen und ihm vorlesen!«

»Es ist nicht möglich!« rief alles und eine Mutter hielt ihrer Tochter den Fächer vor. Man drang in den Kammerherrn, der schlau dazu gelächelt hatte, mitzuteilen, was er wisse.

»Sie konnten von hier gerade in ihre Vorzimmer sehen,« bemerkte die Hagere.

»Wenn es Skandal ist, so verschonen Sie unsere Ohren,« rief die Korpulente. »Man kann sich ja alles denken.« Aber ihre aufmerksamen Blicke sagten, daß wenn sie sich auch alles denken könnte, sie es doch lieber mit Ohren hörte.

Der Kammerherr drückte seine Hutspitze gegen die Brust und senkte das Gesicht mit einer frommen Miene, die damals in Dresden noch nicht Mode war. »Die Komtesse selbst ist gewiß von Geburt eine äußerst vollkommene und feine Dame, und ihre Konduite schiebe ich allein darauf, daß sie die Gesellschaft von Damen ihres Standes und von solchen Verdiensten, wie unsere verehrten Freundinnen, nur zu sehr evitiert hat.«

»Das lag schon in dem Blute der Mutter,« rief die Korpulente, »sie dünkte sich immer besser als andere.«

»Der Apfel fällt nicht weit vom Stamme,« fiel eine zweite ein.

»Ach, der arme Graf trug seinerzeit sein Kreuz,« seufzte die Hagere. »Warum mußte er ins Ausland und dort suchen.«

»Was er in der Nähe haben konnte,« sagte zunickend eine teilnehmende Freundin und zischelte der Nächstsitzenden zu: »Sie kennen doch die Geschichte! Er ging unserer Freundin aus dem Garne.«

»O fahren Sie fort, lieber Baron. Was haben Sie beobachtet die lange Zeit über? Ach, das muß eine recht schöne Zeit gewesen sein, so allein und ungestört mit der lieben Klinkauf leben zu können. Womit amüsierten Sie sich?«

»Wir spielten Pikett.«

»Und da sahen Sie –«

»Wir waren froh in der bösen Zeit, daß man uns nicht sah.«

»Sie loser Schelm! Aber zuweilen stahlen Sie sich doch ein bißchen ans Fenster.«

»Doch ich beteure, ich habe nichts gesehen, was auf den Ruf der Komtesse eine Blame würfe.«

»Er will nichts gesehen haben! Der Schelm! Wir wissen wohl, daß es eine Zeit gab, Kammerherr, wo auch ein gewisser Baron um die Tritte dieser Diana schwebte. Pfui, schämen Sie sich.«

»Was haben Sie denn gehört? Auf unsere Diskretion können Sie rechnen,« sagte mit Würde die Beleibte und drückte des Kammerherrn Hand.

»Wir sind unter uns,« sagte leiser der Baron und musterte die elf hohen Frisuren, welche sich unmerkbar zum engsten Kreise geschlossen hatten.

»Ganz unter uns.«

»Was ich gesehen, lohnt wirklich nicht der Mühe, aber man brauchte sich nicht aufs Sehen und Lauschen zu legen, um zu erfahren, wie es dort herging, so wenig versteckte man sich. Wir wissen, daß der Husarenleutnant bei Meronis vorigen Sommer im Quartier gelegen, wir wissen, daß sich schon von daher ihr – Verständnis, wenn ich es so nennen darf, herschreibt. Der Graf machte große Augen, mußte aber schweigen, denn die Komtesse drohte ihm von wegen seiner kleinen Unterhandlungen, die Preußen lagen auf seinen Gütern und Sie kennen den – sonst gewiß hochverehrungswürdigen Grafen.«

»Wir kennen ihn!«

»Indessen wurde es ihm mit der Zeit doch zu arg, weil es herauskam, daß der Mensch ganz ohne Familie war –«

»O, es wäre ihm recht gewesen,« fuhr die Wortführerin auf.

»Er untersagte daher der Komtesse ernstlich allen Umgang mit dem Offizier. Das machte aber das Übel nur ärger, sie steckte ihm alles Geld zu, das sie aufbringen konnte, er kam zu ihr als kassubisches Bauernweib verkleidet und die böse Welt will wissen, auch sie hätte ihn einmal als Husar besucht. Endlich war man übereingekommen, daß es eine Entführung geben solle, und das gerade in der Nacht, als voriges Jahr die Hochkirchner Bataille losgehen sollte. Das erfährt ein preußischer Offizier von Familie, der auch ein Auge auf die Gräfin hatte, und wie man meint, vom Vater begünstigt wurde. Er tritt ihm in den Weg, sie geraten aneinander und der ignote Herr Stephan haut ihn nieder. Dazu kommt der König, dessen Liebling der Offizier gewesen, und läßt den Täter auf der Stelle arretieren und schließen. In seinem Verhaft aber bricht er in ein hitziges Fieber aus, wütet und schreit, und als der nächtliche Überfall alles in Konfusion gebracht, zerbricht er in der Raserei die Kette, springt auf ein Pferd und haut sich durch Freund und Feind bis in das brennende Gehöft der gräflichen Familie. Dort wartet die Komtesse auf ihn in Mannskleidern und will mit ihm auf und davon reiten, als ein Schuß ihn zu Boden streckt.«

»Um Vergebung,« rief eine dritte, die bisher geschwiegen, »das weiß ich besser. In Husarenkleidern ist die Komtesse auf dem Pferd gesessen gewesen und ist mit ihm in der Bataille umhergeritten, wenn sie nicht gar, wie böse Zungen meinen, ich aber nicht glauben will, mit eingehauen hat. Husar ist sie ja genug. Nachher hat sie den Vater mit der Pistole in der Hand gezwungen, den verwundeten Leutnant in seinen Staatswagen zu nehmen. So sind sie in der Neustadt einkutschiert. Die Cousine meines Stubenmädchens, die im ›wilden Mann‹ dient, hat sie mit ihren eigenen Augen gesehen.«

»Was man in Dresden erleben muß!«

»O, wenn das so fortgeht, das kann weit mit uns kommen.«

» Ottilie, daß du dich nicht unterstehst,« rief die zärtliche Mutter, die Akklamationen des Unwillens unterbrechend, ihrer Tochter zu, »die Komtesse wieder zu grüßen.«

»Sie sollte noch einmal sich bei Hof sehen lassen!« stimmte die Hagere bei.

Die bescheidene Bemerkung des Kammerherrn, daß die Nachricht etwas Unwahrscheinliches hätte, wurde überschrien.

»Er ist ein Deserteur,« ereiferte sich die Korpulente, »mit einer kaiserlichen Kasse ist er durchgegangen, es stehen große Summen auf seinem Kopfe; aber es wurde alles vertuscht. Warum hätten sie sonst so viel Aufhebens und Wesens gemacht, um den wundkranken Leutnant fortzuschaffen, wo so mancher Major und Hauptmann zurückbleiben mußte!«

»Was haben sie denn getan?«

»Ich glaube, eine halbe Kompagnie wurde gestern geschickt, um ihn auf Matratzen und Stroh zu verpacken und eine Schwadron eskortierte den Wagen – des Grafen. Wem's nicht an den Hals geht, um den macht man nicht so viel Umstände.«

»Wenn sie ihn noch erwischt hätten,« sprach die hagere Dame, »würde man doch ein ordentliches Exempel statuiert haben.«

»In des Grafen Phaethon, sagen Sie, meine Beste?« fragte eine aufmerksame Dame, welche bis dahin nur durch Exklamationen sich bemerklich gemacht. Ihre lebhaften Augen verrieten ihre Freude, nun ein besseres Scherflein zur Konversation beitragen zu können. »Wirklich, wirklich, o, das wird eine schöne Geschichte!« rief sie, als man ihr den Wagen und den Kutscher beschrieben. Aug' und Ohr waren auf sie gerichtet und sie zögerte nicht mit ihrer neuen Entdeckung.

»Diese Equipage, meine Damen, sah ich aus meinem Eckfenster, als sie zum Tor hinaus passieren wollte. Die Kroaten auf den Wällen waren schon handgemein geworden mit der Eskorte. Eins fiel den Pferden in die Zügel und eins wollte den Wagen visitieren; es war ein erschrecklicher Lärm geworden, und was sie schrien, weiß ich nicht, aber meine Wirtsleute haben gehört, daß die Eskorte von dem verwundeten Offizier sprach. Allein die Kroaten lachten und schwuren und ehe ich mich's versah, war ein solcher Heiduck hinaufgeklettert, und drei ihm nach. Auf einmal fliegt eine Matratze dem ersten gegen den Kopf, es flucht und wettert, der Kranke ist aufgesprungen und schlägt, mit was ihm in die Hände kommt, drauf los, daß der eine über den andern purzelt. Geschrien und geschimpft hat der Blessierte mit einer Kehle, wie sie nicht zehn Gesunde zusammen haben.«

»Und was wurde daraus?«

»Ein schrecklicher Tumult, daß die Oberoffiziere zukommen mußten; aber der kranke Preuße hat sich nicht wieder in den Phaethon gelegt, sondern ist auf ein Packpferd gesprungen und so in Hemdsärmeln durchs Tor galoppiert, worüber alle gewaltig lachten. Darauf kann ich einen körperlichen Eid ablegen.«

Man schwieg mit bedeutungsvollen Blicken, bis die korpulente Dame sagte: »Das muß eine eigene Blessur gewesen sein!«

Ottilies Mutter schauderte: »Das muß man sagen, in Meronis Hause wird eine saubere Moral gelehrt. Ich glaube, in Sodom und Gomorra ist es nicht so hergegangen, wie jetzt in Dresden.«

»Begreifen Sie das, Kammerherr?« fragte die dicke Dame, auf den Baron zuschreitend.

Der Baron verzog den Mund: »Den Husarenleutnant begreife ich wohl.«

»Sie haben uns gut betrogen, die Komtesse hat gut die Tugendhafte gespielt, aber hinter dem steckt etwas, sage ich Ihnen.« Die letzten Worte waren mit aller Kraft zürnender Überzeugung betont.

»Es steckt etwas dahinter,« riefen sieben zugleich, und der Kammerherr, den Finger auf dem Munde, wiederholte: »Es steckt etwas dahinter.« Da öffnete sich die Seitentür und das Fräulein rief, den Kopf vorsteckend: »Baron Kurz!«

Der Baron war verschwunden.

Ein gekrümmter Marmortisch, zum L'hombre bestimmt, stand in der Mitte des tiefen Zimmers. Auf diesen setzte die wohlbeleibte Dame, mit Gewicht vom Sofa sich erhebend, mit Gewicht hinschreitend, mit eben dem Gewicht ihren Pompadour nieder und ihre Muscheldose hervorziehend, sprach sie: »Das finde ich sonderbar.«

Die hagere Dame fragte spöttisch, ob sie ihre Partie anfangen wollten?

»Ich finde es impertinent,« fuhr die erstere fort und schlug den Dosendeckel zu, »ich finde es sehr impertinent, uns hier stehen zu lassen. Erst wegzulaufen, dann fortzubleiben und uns nun allein zu lassen wie die Narren. Ich finde es über alle Maßen impertinent!«

»An ihrer Gesellschaft wäre uns freilich wenig gelegen,« setzte die Hagere hinzu, »denn sie wird mit den Jahren immer zerstreuter, man könnte sagen, kindischer.«

»Wer ist sie denn,« fuhr die Dame fort, welche das Signal zur Empörung gegeben; »wer ist denn diese Klinkauf, daß sie sich dergleichen erlauben darf. Ihr Vater war Kammerherr bei dem höchstseligen August dem Starken, aber was für ein Kammerherr? Von ihrem Großvater weiß keine Seele, was er gewesen, und ihre Mutter –«

»War ein polnisches Fräulein,« fiel eine Dame ein.

»Aber was für ein Fräulein, meine Liebe! Ich habe den Namen niemals aussprechen hören. In Polen mochte das in jener Zeit etwas gelten, aber hier, hier! Wenn nicht der Krieg gekommen wäre, hätte ja keine Seele von ihr gesprochen. Sie hat sich hie und da angehängt, gehorcht, zwischen getragen. Daß Ihre Majestät die Königin einmal, ein einziges Mal mit ihr eine Stunde allein gesprochen, und die Kabinettür zugeschlossen war, darauf pocht sie, als ob Ihre Majestät nicht mit anderen Damen auch allein gesprochen hätten, und nicht eine Stunde, sondern zwei Stunden, und nicht einmal, sondern drei- und viermal. Gibt ihr das ein Recht, hier in der Altstadt zu tun, als ob sie die erste Gesellschaft bei sich sehen kann?«

»Nein, würdigste Freundin, weil General Schmettau ihr gedroht: er würde ihr mal das Mundwerk legen lassen, das ist ihr so in die Krone gefahren.«

»Um Vergebung, meine Beste, er hat gesagt, das unnütze Mundwerk. Ei, wenn er sie auch hätte auf die Hauptwache bringen lassen, wir wären darum doch kursächsisch.«

»Ihre vornehmste Bekanntschaft bleibt doch der Marquis.«

»Wo bleibt aber der Marquis?« fuhr die erhitzte Dame fort. »Hat er sich seit Jahr und Tag bei ihr sehen lassen? Durch wen ist er denn zu ihr gekommen? Durch Meronis. Mit Meronis ist es nun aus, wird es mit dem Marquis nicht auch aus sein? Und wer ist der Marquis am Ende?«

»Er ist sehr reich.«

Die verschämte Tochter der besorgten Mutter hatte durchs Schlüsselloch gesehen. Die Mutter fragte: »Was hast du gesehen?« und neun Stimmen fragten: »Was gibt es?«

»Sie sehen mit einem Fernrohr über die Straße,« flüsterte die Tochter.

»Das müßte man doch sehen,« meinte die beleibte Dame und machte sich auf den Weg, Dose, Pompadour und Fächer zurücklassend, und gar nicht mit dem wuchtigen Schritt von vorher, als in dem Augenblick die Tür leise aufging und das Fräulein, wie sie vorhin dem Kammerherrn, jetzt aber derselben Dame durch eine Kußhand zunickte: »Teuerste Freundin, auf ein Wort.«

Die teuerste Freundin legte nicht ihr Auge ans Schlüsselloch, sondern hüpfte mit einer Hast, ganz gegen ihre Natur, in das schnell sich wieder schließende Zimmer.

»Das muß ich gestehen,« rief die Hagere, heftig sich durch das Zimmer bewegend.

»Sie haben das Schlüsselloch zugemacht,« bemerkte verdrießlich die besorgte Mutter, welche aus Fürsorge die Tochter von ihrem Platz verdrängt hatte.

»Und drüben ist gar nichts auf der Straße zu sehen,« rief eine dritte.

»Was sie bei ihrem Tete-a-Tete noch die Kammerrätin brauchen, kann man wahrhaftig nicht begreifen,« sprach eine vierte.

»Es ist, als wenn man in einem Tollhaus wäre,« eine fünfte.

»Glauben Sie im Ernste, daß zwischen dem Kammerherrn und dem Fräulein etwas im Werke ist?« sprach die besorgte Mutter. »Ottilie, packe dein Strickzeug ein.«

»Sie haben alle Tage Pikett gespielt.«

»Es wäre schade um den Kammerherrn.«

»Sie wird ihm die Dankbarkeit zu Gemüte geführt haben.«

»Ottilie, komm.«

Die Tür öffnete sich abermals und das Fräulein rief mit holdseliger Miene: »O, teure Süßmilch, auf einen Augenblick!«

Die Dame, welche eben, im Zorn noch einmal so lang und hager als von Natur, die Fahne des Aufruhrs unter den Zurückgebliebenen aufgepflanzt, folgte, schnell wie ihre beleibte Freundin und vor ihr der Kammerherr, der Aufforderung. Die Tür ging hinter ihr zu und die neun Ausgeschlossenen blickten sich fragend an.

»Ottilie, sieh, ob unsere Portechaise da ist,« rief die Mutter, und ihre Saloppe von der Kanapeelehne reißend, stieß sie den faulen Mops, ob mit Absicht, ob aus Zufall berichtet die Dresdener Chronik nicht, auf die Erde, daß er winselnd und knurrend auf der Diele zappelte. »Die Geschichte soll doch erzählt werden.« – »Das hätte sich die Hofmarschallin nicht erlaubt.« – Hauben, Hüte, Umschlagtücher, Saloppen, Parasols riß man sich mit eilfertiger Geschäftigkeit aus den Händen, ein Fuß trat sogar die arme Bella, daß ihr gellendes Geschrei selbst die Aufbrechenden erschreckte. Die besorgte Mutter war die erste, welche die Klinke der Tür faßte, als Ottilie ausrief: »Aber Mama, nun erfahren wir ja doch nicht, was sie drin machen –« Die Stimme der Unschuld verhallte nicht ungehört. Man stutzte. Eine ältliche Dame, die sich bis dahin nur im Chor hatte vernehmen lassen – große Charaktere entwickeln sich gewöhnlich erst in großen Krisen – diese war es, welche mit einer retardierenden Bewegung ihr Parasol auf den Boden setzte und anhob:

»Meine Damen, ich weiß nicht, warum wir uns hier fortschleichen wollen wie die Katze vom Taubenschlag. Wer sind denn die drei Damen und wer sind denn wir? – Wir sind invitiert, wir haben die Invitation angenommen, wir sind hier. Zu wem sind wir invitiert? – Nicht in die leere Stube, sondern zum Fräulein. Das Fräulein ist nicht hier, sondern im Nebenzimmer. Also wo gehören wir hin? Ins Nebenzimmer. Was Sie tun wollen, meine Damen, das muß ich Ihnen überlassen. Ich wenigstens will der Süßmilch nicht die Freude lassen, daß sie sagen kann, sie hätte mich fortgebissen. Mir ist ja nichts daran gelegen zu wissen, was sie drin vorhaben, o Gott bewahre, die ganze Invitation ist mir ganz gleichgültig, aber kein Putchen will ich nicht sein und keine Närrin auch nicht und nachreden soll man mir auch nicht, daß ich mich bei der Nase herumführen ließe, o nein, von der Kammerrätin nicht und von dem Fräulein noch weniger, und wenn alle Welt ›Zeter‹ schreit, anklopfen will ich und ihnen sagen, wer ich bin und wer sie sind und fragen, was in Dresden Konduite ist?«

Es bedurfte nur eines so beherzten Auftretens, um den Zunder der Empörung zur lichten Flamme anzufachen. Es war ein einmütiges »Das wollen wir«, welches den Vorschlag der Rednerin unterstützte. Der Rückzug war aufgegeben, der Sturm schien beschlossen. Und zwar unverzüglich, denn die Volkspartei unter den vereinigten Neun mochte nicht ohne Grund fürchten, die Separatisten drinnen könnten ihren Bund durch abermalige Absonderung und Begünstigung einer unter ihnen schwächen. War zu hoffen, wenn man die beherzte Volksrednerin von der Allgemeinheit getrennt, daß eine zweite, eine dritte ihr folgte, daß immer wieder neue Kräfte unter dem Rest aufwuchsen! Mit gehaltenem Tritt, denn niemand verhehlte sich die Bedeutung des Schrittes, trat man auf die Tür zu. Die Vorposten zogen sich zurück, wenn man den Mops so nennen darf, welcher, instinktartig dahin gekrochen, um über die widerfahrene Beleidigung zu klagen, an der Türleiste kratzte, der Mops wich, aber die Tür kam ihnen entgegen, ehe die Tribunin sie aufriß.

Diesmal war es der Kammerherr. Er schien nicht verwundert über den drohenden Sturm. Zwar drückte er geschickt hinter sich die Tür zu, aber zugleich den Finger an den Mund, ein Signal für alle, er kam nicht, um mit einer einzelnen zu unterhandeln.

Aber der arme Kammerherr! Neun Gewitterwolken in einem Tal zusammenstoßend, können nicht so schreckliche Hagelschauer und Regengüsse ausströmen, als auf den Lippen der neun plantierten Damen dem erwähnten Günstling drohten. Schon brach es spitz, scharf, heftig heraus, als der Erschrockene ihnen mutig ins Wort fiel: »Aber meine teuersten Damen, ich komme, Ihnen interessante Entdeckungen –«

»Entdeckungen!« rief es einstimmig. Der Zorn verstummte, die Regenschauer blieben zurück: »Lieber Baron, was gibt es?«

»Vorsicht und Ruhe, meine Damen! Es ist oft besser, daß man nicht ausspricht, was man gesehen hat.«

»Was ist der Klinkauf?«

»Dem Fräulein ist nichts.«

»Der Kammerrätin?«

»Weder der, noch Fräulein Süßmilch, noch irgend jemand von uns. Es ist eine Staatsangelegenheit! – Teuerste Freundinnen, ich wiederhole die Bitte um äußerste Diskretion. Es sollte eigentlich nicht jeder sehen, was uns der Zufall entdecken ließ, aber wer könnte sich die Strafe auferlegen, vor Ihnen etwas zu verbergen und wer so freventlich denken, zu fürchten, daß Sie nicht reinen Mund hielten. Unsere liebenswürdige Wirtin sendet mich als Adjutanten, Sie, meine schönen erfahrenen Generalinnen, zu einer Rekognoszierung einzuladen –«

»Die Tür auf!« unterbrach die Tribunin, und ehe es ausgesprochen, war sie aufgerissen.

Von der Staatsangelegenheit sah man nichts im Zimmer, denn es war ganz leer. Aber die drei Damen standen mit dem Rücken gegen das Gesellschaftszimmer am Fenster und drängten sich um ein Perspektiv, dessen Oeffnung durch die zurückgehaltene Gardine nach der Straße gerichtet war. Im nächsten Augenblick war der Kammerherr beiseite gestoßen, und die neun angekommenen Damen um die drei Damen gedrängt, und bald sollte die Grazienzahl nichts vor der Musenzahl voraus haben.


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