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Elftes Kapitel.
Feuer überall

»Wer ich bin? – Was liegt daran, wer ich bin?« rief Etienne laut, die starren Augen auf die dunkle Wand gerichtet, als wolle er dort Antwort lesen auf seine Frage. Das Licht mit seinem flimmernden und schon verkohlten langen Docht warf ungewisse Schatten auf die zerrissenen Tapeten. Sein Mantelsack lag auf dem Stuhl, der Säbel daran, die Pistolen vor ihm auf dem Tische, er selbst lehnte, wie müde vom Einpacken, sich auf dem violettsamtnen Kanapee.

Die Gedanken, vielleicht auch müde, wurden nicht mehr alle zu Worten: sie erstarben allmählich in halbartikulierte Laute. – »Nach hundert – nach fünfzig – zehn – ach, schon nach fünf Jahren, wie viel Namen leben dann noch von allen, die jetzt aus dem großen Strome auftauchen! Wie wenige notiert der Kriegsrapport, und wie wenige von den wenigen trägt die Geschichte in ihre Bücher! Nach tausend lebt von seinem ganzen Heere kaum mehr als Friedrich. Ein großer Mann ist ein Magnet, ein gefräßiges Tier, er zehrt auf die, die ihm nicht gleichkommen an Stärke, und schwillt von ihrem Rufe. Es ist der eine Herkules, der, wie sie meinen, von den Taten der zwölf anderen zum Riesen wurde. – Und was lohnt sich's da noch für sich zu arbeiten! Sich für sich hervorzutun? Um seinen Einzelnamen besorgt sein! Wir alle wirken für einen anderen, der andere für einen anderen, und wo ist das Ende und wo das Auge, das in uns mehr sieht, als Zähne eines ungeheuren Rades, das wir selbst nicht bemerken. – Und warum klopft nun doch mein Herz, zu erfahren, wer ich bin! daß ich ein anderer bin als ich glaubte, Recht auf einen anderen Namen habe! Werde ich nun ein anderer, als ich bin, wirft es ein Quentchen in die Wagschale meiner Glückseligkeit oder warf ich eines in die große Wagschale der Welt? – Und doch rede ich die Bangigkeit nicht weg, doch läßt sich die törichte gaukelnde Hoffnung nicht verscheuchen von der sonnenklaren Vernunft und dem eisernen Willen.«

Er schloß die Augen, aber der Sturm im Kamin oder die inneren Bilder ließen ihn nicht schlafen. Er sprang auf, nahm den Säbel, ließ das silberne Portepee durch die Hand gleiten und stellte ihn auflachend wieder hin. Doch das Auflachen und das Selbstgespräch sollte nichts sein als ein Wegreden der drängenden Empfindungen: »Daß ich das Silber am Griff trage, daß ich Leutnant bin, Rittmeister werde, Major, vielleicht General – und würde ich noch eines Fürsten Sohn – der erste Preuße, den der erste Schuß traf in diesem Kriege, er ist soviel wie ich. Er füllt eine Grube und die anderen marschieren drüber weg. – Dort liegen die Gebeine von fünfzig, dort von hundert Tapferen; ihr Hirn spritzte umher – es war gräßlich, erhebend zu sehen – die Bauern sprechen noch davon, bis ein neues Gefecht die Erinnerung auslöscht. – Es ist nicht Raum in der Welt, so groß sie ist, für unseren Ruhm. – Und was hat die Begeisterung voraus! Daß ich an Friedrich denke, an das Vaterland, und jener Musketier an die Branntweinflasche und das reiche Dorf, wo er sich einquartieren will! Und was das hohe Gefühl, daß, wir bluten und untergehen für einen Gedanken, an dem kommende Geschlechter zehren sollen? Der Bursche ißt und wird satt – trinkt und wird lustig. Ich –«

Die Stubenluft war ihm zu beklommen. Er riß das schräg viereckige Fenster des Turmes auf, in den seine Stube auslief. Es war lange nicht mehr der heitere Himmel von Mittag. Die Staubwirbel vom Abend waren schon die Vorboten eines Sturmes gewesen, der jetzt schwere Wolken über den Horizont jagte. Er schien im Wachsen. Die milde Luft war in Nachtkälte übergegangen; nur abwechselnd sah man die Sterne und die schwache Scheibe des abnehmenden Mondes. Die Lindenwipfel in der Dorfgasse stöhnten aneinander gepeitscht, unter ihm zitterten die zarteren Obstbäume, mehr geschützt von dem ehemaligen Schloßgraben, den man in einen Obstgarten verwandelt. Es pfiff und sauste in den Dachrinnen des winkligen Gebäudes über ihm und um ihn, und die Dachziegel flogen kollernd in das Geäst der Fruchtbäume.

Die Musik des Sturmes war ihm nicht unangenehm. Dem losen Ziegelsteine aus der Mauer, welchen eben ein stärkerer Wurf in den Graben schleuderte, ließ er einen zweiten, einen dritten, folgen, die ganze Mauer mußte umstürzen. Die Bretterhütte, worin die Spritzen aufbewahrt, gab krachend nach. Es mußte mehr zerstört werden. Eine alte Linde stürzte und quetschte das Moosdach des Büdners, die vier Pfähle wichen aus ihren Fugen. Nun hatte der Sturm Raum, die Linden gaben nach, eine drückte die andere nieder; ein Wald lag zu Boden, die festeren Gebäude krachten, ein neuer Stoß, sie sanken, ein dritter räumte die Trümmer weg. Er ging weiter in dem Werk der Verwüstung; es mußte licht vor ihm werden, und folgt die Wirklichkeit so schwer dem Spiele der Phantasie? Der Orkan sauste über die Felder, die Fichtenheide sank, er fegte sie fort wie Splitter, der blasse Mond lachte wehmütig, die aufgewühlten Quellen und Bäche murmelten über das große Bett der Zerstörung, er aber zerstörte weiter, Dörfer, Schlösser, Städte, Berge. Er glaubte alles verwüstet, aber auch die Kräfte der Phantasie erschöpften sich, denn als die Sonne in gelben Windwolken aufstieg, stand da noch ein Haus mit steinernen Stufen, das Haus lag in einer Straße, die Straße in einer Stadt mit hohen Türmen, und die Windmühlen klapperten. Das Haus aus weiter Ferne stand doch plötzlich vor ihm, wie drüben am Obstgarten. Er selbst stand auf den steinernen Stufen davor, er hielt den Eisenklopfer in der Hand und hätte jetzt alles darum gegeben, wenn er nicht angeklopft. Gern wäre er fortgelaufen, aber er stand eingewurzelt am Boden, und schon hörte er Tritte schlurren über den langen Flur. Da schlug es dreimal an – dreiviertel auf Zwölf, doch nicht von dem Marienturm, nicht von der Wanduhr in der Putzstube seiner Eltern, sondern oben von der Erkeruhr im Schloß. Rostige, langsame Schläge; er hörte oder glaubte sie zu hören, die Gewichte, die eisernen Räder.

Der Traum war fort, Berlin versunken, die Lindenallee, das Dorf, die Mauer stand da, aber vom Gange her kam etwas, langsam, ungewiß, ein Männertritt oder der Fuß eines Geistes, oder ein Lufthauch. Nein, es war wirklich, es berührte seine Tür, es pochte leise – sein Schicksal pochte, ihn dünkte sogar, es seufze. – Aber, und wenn es, ein blutrotes Gespenst, der dürrbeinige Tod mit dem Stundenglase, an der Schwelle gestanden, er mußte es sehen, wissen, wer er war? Die Entscheidung konnte nicht fürchterlicher sein als die Erwartung.

Er drückte die Tür auf und sah nichts. Er nahm das Licht, der Marquis war nicht zu entdecken, aber ein Hund drehte sich auf der Schwelle um, sein kluges Auge leuchtete ihm entgegen. Dann fuhr er mit einigen Sätzen in der Stube umher und schnupperte in den Winkeln. Stephan kannte den Hund, er bemühte sich vergebens, das unruhige Tier anzulocken; als es nicht fand, was es suchte, war es ebenso schnell zur Tür hinaus verschwunden, ehe noch der Offizier sie vor ihm schließen konnte. Er horchte, das Auge an der Tür, aber er hörte nichts. Der Sturm heulte durch das Gebäude und alle Türen zitterten in ihren Angeln. Nachgehen mochte er nicht, er sagte sich: weil er den Marquis erwarte.

Es war eine Pause in dem Sturm eingetreten. Der Marquis kam noch nicht. Die dunklen Baumwipfel draußen atmeten vom Schreck auf und doch schwankten sie noch wie Wellen der Nacht; die Krähen flatterten krächzend umher und wagten noch nicht wieder unter den Ästen ihr Bett zu suchen. Nur wenige Sterne blickten trübe vom Firmament herab, doch je länger das Auge in das Dunkel sieht, um so mehr inneres Licht strömt auf die Finsternis aus. Stephan glaubte Gestalten unter den Lindenbäumen zu erkennen; ihm dünkte, sie bewegten sich her und hin von der Schenke, wo die Bärenführer einen ungewöhnlichen Zulauf zu dem sonntäglichen Tanze am Abend verursacht. Die Musik hatte bis in die Nacht gedauert, nun aber war es längst still. Dort fiel ein matter Mondstrahl auf die Kalkwand des Hauses. Es huschte etwas Dunkles herab aus der Bodenluke, – wieder etwas – noch etwas. – Er strengte die Augen an. »Und es ist doch wieder Traum!« Er rieb die Augen, und jetzt schien es wieder verschwunden, und jetzt wieder zu leben unter den Bäumen.

Es faßte ihn etwas auf die Schulter. »Etienne!« Der Marquis stand hinter ihm.

»Siehst du's?« fragte seine bewegte Stimme leise. »Nein, von hier nicht. – Komm dort ans Flurfenster.« Er zog ihn mit.

»Ich sehe hier nichts.«

»Dort – das Licht –«

»Das ist kein Licht.« Es schoß eine Helle in die Höhe – eine rote Glut fuhr, sich kräuselnd, über die Büsche.

»Etienne, wo ist das?«

»Die Schäferei.«

In dem Augenblick riß es an der Torklingel. »Feuer!« schrie eine Stimme, und die Dunkelheit wiederholte es vielstimmig. »Feuer! Feuer!«

»Wie kommt da Feuer hin?« rief der Marquis rasch, während Stephan, ebenso rasch zurückspringend, den Säbel umgeschnallt hatte.

»Sorgen Sie dafür, daß die Sturmglocke geläutet wird!« Er flog die Treppe hinunter, stieß die Stalltür ein, riß seinen Husaren vom Lager und schrie, während er sein Pferd selbst von der Krippe losband: »In die Kleider! Zu Pferde! Was Arme hat zu den Waffen! Es brennt!«

Es mochte doch Minuten dauern, ehe das Pferd gesattelt, rücklings herausgezogen, der Torflügel geöffnet war und er mit den rüstigsten unter der Dienerschaft hinaussprengte. Das Schloß war schon in Alarm, Licht in den Damenzimmern. Er hatte keine Zeit, sich mehr als einmal umzusehen, wie der Flammenschein das Negligé der zum Fenster ängstlich Hinausblickenden rötete. Auch an den Dorffenstern zeigten sich schon Lichter, man rannte durcheinander aus der dunklen Gasse, die Sturmglocke, an einer Stange mitten in der Dorfstraße, läutete. »Nach der Schäferei!« rief es und die Ketteneimer rasselten in den Brunnen nieder. Es war der Marquis, der am Strick der Glocke zog und in seinem Eifer selbst Stephan nicht erkannte, der an ihm vorbeisprengte.

Die Schäferei lag außerhalb des Dorfes, jenseits eines Busches. Sie sahen, als sie zu diesem herausgetreten, das weitläufige Gebäude in hellen Flammen. In drei Säulen loderten sie empor. »Halt!« rief Stephan mit Feldherrnstimme zu denen, die mit Stangen, Leitern, Schaufeln, Löscheimern hinter ihm andrängten. »Halt, einen Augenblick, um zu sehen, was wir vor uns haben.«

Es war still unter den prasselnden Flammen, wenigstens nichts von dem tausendstimmigen Geräusch, welches bei Feuersbrünsten die Rettung Bringenden und Rettung Suchenden betäubt. Nur einzelne Stimmen schrien, kreischten, und die Schafe blökten. Von einer verdächtigen Nähe ließ sich nichts merken. »Schnell denn, Kinder!« rief der Anführer, »zu retten was noch zu retten ist!« und durch den gekrümmten, mit Bäumen bepflanzten Weg eilte die Menge, während einzelne querfeldein über Hecken und Gräben den nächsten suchten. Als Stephan ankam, wiewohl zu Pferde, waren ihm schon andere zuvor, die Stalltüren waren eingerannt, die Herden stürzten heraus, ihnen entgegen, ein hellrotes molliges Gewimmel in der Flammenbeleuchtung. Es kostete eine Schlacht mit den Tieren, um nur durch den stürmischen Andrang der Erschreckten sich nach dem Eingang durchzuarbeiten. Der Qualm wogte ihnen entgegen, der Wind hatte sich gedreht. »Gut, daß die Schäferei so weit vom Dorfe liegt! Wo ist der Schäfer?« Das Geschrei des Gesuchten drang durch den allgemeinen Lärm. Man fand ihn geknebelt in seinem Bette. – »Wer hat dir das getan?« – »Sucht die Kerle,« – rief es. Weib und Kinder, die sich verborgen, oder vielleicht fortgeschleppt waren, kamen wimmernd herbei und schrien, wie der noch von Schlägen Betäubte, ohne daß man wußte, was sie eigentlich wollten. »Haben sie dich bei lebendigem Leibe verbrennen wollen?« fragte man. »Sie wollen alles verbrennen,« antwortete heulend der Mann.

Stephan durchzuckte eine fürchterliche Ahnung. »Sprich, Unglücklicher! Wer war es? Was weißt du? Was drohten sie?«

»Den roten Hahn wollten Sie aufstecken aufs Schloß« – antwortete der Erschöpfte. »Sie drohten mir lebendig die Haut abzuziehen, wenn ich nur einen Laut gäbe. – Erbarmen!«

Stephan fuhr mit der Hand über die Stirn, an der mitten in den heißen Flammen ein kalter Todesschweiß perlte.

»Allmächtiger!« rief er aus, »zurück nach dem Schloß.«

»Es brennt, es brennt!« rief ein Junge draußen.

Die Schäferei war etwa zehn Minuten vom Schlosse entfernt. Doch sah man nur seine Türme vorragen. Das übrige, Dorf und Schloß, bedeckte das Buschwerk. Diese Türme glänzten hell und lustig, wie von hundert Pechfackeln erleuchtet.

»Zurück!« riefen alle Stimmen zugleich. In der Schäferei war nichts mehr zu retten. Wer wollte die Schafe, die auf den hellen Stoppelfeldern wie trunken umhertaumelten, angstgepeitscht ihren Leithammel suchend, jetzt einfangen? Man überließ sie dem Zufall und die Lehmwände und Vorräte der Schäferei den Flammen, denn auch dem stumpfsinnigsten Bauernburschen wurde es im Augenblick klar, daß man dies entfernte Haus nur in Brand gesteckt, um die Aufmerksamkeit der Rettenden von Dorf und Schloß abzulenken.

»Strengt euren Atem an!« rief Stephan. Nur die stummen Bäume hörten sein Kommando, sein gesporntes Pferd hatte ihn weit vorausgetragen. Es brauchte auch dessen nicht. Man überstürzte sich. Die Sturmglocke im Dorfe, das Kreischen von hundert Weiberstimmen, kannibalischer Jubelruf, einzelne Schüsse, die prasselnden Flammen, Angst, Grimm trieben mehr als Worte. »Jesus, es brennt auch beim Schulzen auf!« rief einer. »Horch, Trompeten!« zehn andere. »Eine ganze Armee! Es hilft nichts, wir sind alle verloren!« Ein Mutigerer meinte: »Gutwillig sollen sie's nicht haben.«

Was im Dorfe lebendig war, fand man auf den Beinen. Weiber, Greise, Kinder liefen schreiend, heulend, lärmend in bunter Verwirrung umher, die wenigen Männer, Langschläfer, vereinzelt, halb nackend, dachten an keinen Widerstand, ja die Plünderer, die schon in voller Arbeit waren, luden ihnen noch hohnlachend ihr Gepäck auf die Schultern. Die Beraubten mußten aus ihren brennenden Häusern den Raub ihrer übermütigen Räuber selbst auf die Straße tragen. Mitten unter den Effekten, die man hier zur Teilung anhäufte, stand der Marquis, wie wir ihn verlassen und zog, schweißtriefend, unermüdlich, die Sturmglocke! Es schien, als lasse man ihn zum Spaß, aus Siegesübermut dabei; den Plünderern geschah dadurch kein Schade. Denn wer noch schlief, den weckte keine Dorfglocke mehr.

Stephans Pferd war gestürzt, die anderen holten ihn ein. Ihre Augen fragten ihn, was zu tun? Es war hier nichts zu tun. In dem Schlosse, dessen graue Wände glänzend von den brennenden Scheunen illuminiert waren, wütete die Rotte. Stumm den Säbel schwingend, wies er dahin. Nur dort ließ sich wiedergewinnen, was hier verloren schien.

Das Dunkel der Nacht war einer fürchterlichen Helligkeit gewichen. Wie ein Zauberschloß im Feenmärchen glänzte die Front des alten Gebäudes, der Sturm peitschte die Wolken mit Purpurbäuchen über die alten Giebel, die verbleichende Mondsichel blickte trübe durch Wolken, Rauch und Flammenzungen; aber eine günstige Windschicht trieb diese seitwärts fort, und wo sie leckten, trafen sie auf harten Stein. Es heulte, jubelte, Weiberstimmen kreischten durch die Gänge; die Gewölbe gaben die Töne gräßlicher zurück, in den Kellern jubilierte kannibalische Wut um die zerschlagenen Fässer. Mutiger als ihr Gebieter, hatten die Domestiken beim ersten Zeichen der dringendsten Gefahr die Türen des Hintergebäudes zugeworfen, verrammelt, verteidigt. Es waren Schüsse gefallen; erst jetzt, als schon die Flammen der Wirtschaftsgebäude in Bogenschüssen über das Schloß fuhren, waren die kühnsten der Räuber eingebrochen über Gewalt und Blut. –

Ein Feuerstrom, die einstürzenden Scheunen, bildeten eine durchsichtige Mauer, die den Zurückgekehrten den Eintritt verweigerte. Stephan blickte sich um; sein Auge glühte, fand aber keine Erwiderung. Da fiel ein Schuß, ein herzzerreißender Laut, der Laut einer ihm wohlbekannten Stimme traf seine Brust; zornig den Kopf schüttelnd, wandte er den Zaudernden hinter ihm den Rücken und war mit einem kühnen Sprunge durch die Flammen. Drei oder vier folgten; die anderen suchten einen Weg um die Flammen und durch den Garten einzudringen.

Auf dem Hofe, purpurn widerscheinend von dem gewölbten Glutbogen, war es öde. Er traf noch auf keinen Widerstand, als er die Treppe hinauf durch die eingebrochene Tür drang. Zerstörung, Jammer, Wutgeschrei, Kampf um ihn. Im Souterrain schlugen sich, hinter Tischen und Schemeln verschanzt, die braven Jäger des Grafen. Er wollte zu ihrem Beistand, als das Kammermädchen mit aufgelöstem Haar, zerrissenem Nachtkleide, einem Trunkenem entfliehend, die Treppe hinabstürzte: »Retten Sie, retten Sie oben!« rief sie. Ein Stoß mit dem Säbelgriff warf den Kerl, der in seiner blinden Verfolgung eines Gegners von dieser Seite nichts gewärtig war, zu Boden. Mit wenigen Sätzen war er auf dem oberen Flur. Im Saale tobte die Wut. Vor den umgeworfenen Möbeln, dem Fluchen der Trunkenen, den klirrenden Scheiben verstand er nicht, was gesprochen wurde.

Eine zitternde Stimme rief seinen Namen von oben her. Er hatte keine Zeit zu hören; er rüttelte an der Saaltür, sie war verschlossen. Die ängstliche Stimme rief seinen, rief Eugenies Namen; er blickte auf. Am Geländer der Bodentreppe hielt sich Amelie, wie eine Hilfeflehende das Heiligenbild umklammert. Ihre Stimme zeugte von Erschöpfung.

»Was wollen Sie dort?« rief er.

Sie zeigte auf eine versteckte Tür im äußersten Flurwinkel, »dort, dort, lieber Etienne, nur dort.«

Sie war heruntergesprungen, sie riß ihn hin, sie teilte ihm im Fluge mit, was er wissen sollte. Seine Ahnung, die Umstände, der Tumult drinnen ergänzten die unzusammenhängenden Worte. Die ungebrauchte Tür führte in das Kabinett der Gräfin. Mit ihrem durch einen Schuß verwundeten Vater war Eugenie aus einem eingebrochenen Zimmer in das andere den Räubern entflohen. Doch war es ihr gelungen die eichenen Flügel zuzuschlagen, ehe ihr Fuß die Schwelle betrat; jetzt rüttelten, stießen die Marodeure, um in dies letzte Asyl zu dringen. Er hörte die Flüche der Kannibalen, er hörte das Stöhnen der Angst und Amelie preßte mit zitternden Lippen seinen Arm. Es war nur ein Mittel zur Rettung – die Nebentür zu erbrechen. Vergebens hatte das Fräulein in der Gerätekammer nach Schlüsseln gesucht, die zum verrosteten Schloß passen sollten. Er warf das unnütze Bund weg, er stemmte seine Arme, er stieß mit dem Fuß, vergebens. Die Tür war seit fünfzig Jahren nicht geöffnet, verquollen, mit Tapeten von innen überzogen. Er rief den Burschen, der bei ihm geblieben; umsonst, die Tür mußte mit einem Querbalken verlegt sein. Er sah im Geist den Grafen drinnen zwischen Tod und Leben, Eugenie auf ihren Knien, lauschend auf die Anstrengung der Freunde, entsetzt horchend auf das Krachen der Brecheisen, auf die Stöße, Hammerschläge. Er schlug sich mit der Faust gegen die Stirn, er stützte sich wie schwindelnd auf das Geländer. Ein Blick Amelies weckte ihn. Das Auge fragte: »Haben Sie den Mut verloren?« Die Lippen setzten hinzu: »Wer soll dann noch Mut haben?«

»Dort herum!« rief er nun den paar Leuten zu, die sich wieder zu ihm gefunden. Durch den Seitenflügel suchten sie sich den Weg in die Gemächer, wo die Plünderer ihr Wesen trieben mit der raffinierten Zerstörungswut, die nur ein lange dauernder Krieg entzügelten Banden eingibt. Hell schien es dazu wie aus tausend Kronleuchtern von den hohen Fenstern.

Die Marodeure mußten so von den starken Getränken oder mehr vom Glück ihres Fanges berauscht, geblendet sein, daß sie auf die Eindringenden nicht achteten. Vielleicht zählten sie sie zu den Ihrigen.

Als er auf der einen Seite zur Saaltür eintrat, krachte die gegenüber nach dem Kabinett. Der Flügel brach aus seinen Angeln, stürzend schlug er auf den Räuber, indes die anderen jauchzend den zweiten Flügel aufrissen. Eugenie trat ihnen entgegen. Wie ihre Augen blitzten, wie ihre Gestalt sich erhob, eine zürnende Göttin, Stephan meinte, der Anblick allein müsse die Verwegenen zurückscheuchen. Und doch wagte ein Frecher den Arm nach ihr auszustrecken. Ein anderer stieß ihn fort. »Schon vergessen, daß sie mein ist,« rief die gebietende Stimme. »Erbarmen, Erbarmen! Es ist mein einziges Kind,« jammerte der Vater. Das alles war das Werk eines Augenblicks. Wie ein Pfeil war der preußische Offizier durch die Räuber, ein Säbelhieb hatte zwei niedergestreckt. Sein Arm, in dem er eine Gigantenkraft fühlte, riß den Anführer, der den frechen Arm an die Gräfin gelegt, zurück, daß er auf der Schwelle strauchelte. Doch ebenso schnell hielt er sich an seinem Gegner selbst fest, aufrecht. Zum Kampf mit Waffen war nicht Raum. Sie rangen beide blind vor Wut, Grimm, Rache. Er sah nichts mehr, seit ihn ein Blick aus Eugenies dunklen Augen getroffen, ein Blick der Verzweiflung, der Hoffnung, der Liebe, des Vertrauens; die Riesenkraft, die er gefühlt, wurde wirklich, der baumstarke Mann sank unter seiner Faust. Er stürzte und Stephan schwang den Säbel, als ein neuer Feind, so unerwartet als kräftig ihn an die Brust packte und wenn er ihn auch nicht niederwarf, doch verhinderte, zum Todesstreich auszuholen. Es war ein großer, schöner Hund, der mit den Zähnen ihm Kollett und Halskrause gefaßt hielt. Er stieß, schüttelte, der Hund wich nicht, seine Augen blitzten ihn an; er hätte ihn erschlagen müssen, um seiner ledig zu werden.

Indessen hatte während dieses tollen Kampfes der Auftritt sich verändert. Seine Leute, unterstützt von mehreren der Hinzugekommenen waren in den Gemächern Meister der Marodeure geworden. Ob durch eigene Kraft, oder durch den Beistand, der ganz unerwartet von außen ankam, ließ sich nicht gleich entscheiden. Als Stephan den Hund fortschleuderte, oder der Hund losließ, schmetterten ganz in der Nähe wohlbekannte preußische Trompetensignale, Pistolenschüsse pafften schon länger im Hofe, Sporentritte klangen von der steinernen Treppe und Amelie stürzte freudeglühend mit einem Kürassieroffizier herein. »Rettung! Glück und Rettung.«

Die Purpurröte der Anstrengung und des Feuerscheins glühte auf Stephans Gesicht, als er die Haare aus der Stirn strich und sich umsah. Der Hund war nicht da, sein fürchterlicher Gegner verschwunden, die Marodeure fort.

»Salut! Meine Herren und Damen!« rief der Obrist, den wir als Major in diesem Schlosse kennen gelernt. »Aber den Mordbrennern nach, daß von dem Gezücht keiner entkommt!«

Eugenie sprang von dem verwundeten Vater auf, ihre Arme breiteten sich zitternd gegen Stephan aus, sie drückte ihr Gesicht an seine Brust: »Wie vergelte ich es Ihnen!« lispelte ihr Mund. Sein stieres Auge las in dem Glanze ihres tief bewegten. Er küßte ihre Hand, er drückte die des Vaters, der sich aufgerichtet, ihm entgegentrat, aber das Wort erstarb auf seinen Lippen.

»Sie dürfen nicht fort, Sie müssen ausruhen,« sagte Amelie, als sein Blick jetzt den draußen vorübersprengenden Kürassieren folgte. »Hier kommen alte Freunde, die bei uns bleiben, Bürgen für unsere Sicherheit.«

Der Obrist zuckte die Achseln: »Das Wort Ruhe ward nicht für den Soldaten erfunden. Bleiben darf der Preuße in diesem Kriege nur da, wo er so fest liegt, daß ihn die Fanfare nicht mehr weckt.«

Ein Unteroffizier rapportierte, daß ein Teil der Marodeure, umzingelt durch ein geschicktes Manöver der Kürassiere, welche vor dem Dorfe in zwei Partien geteilt, von beiden Seilen eingerückt waren, gefangen genommen und sich ergeben habe. Auch daß man der Flammen bald Herr zu werden hoffe, meldeten andere.

»So werden Sie ja Ruhe haben,« sagte der Obrist zum Grafen, der noch nicht Atem geschöpft, seinen Dankgefühlen Worte zu leihen.


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