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Neuntes Kapitel.
Die Verschwörung

Die Reisenden sahen, als sie weit genug gekommen, um die Turmspitze des uns wohlbekannten Dorfes zu erkennen, drohende Dampfsäulen am Horizont. Der Rauch stieg dicht auf, bis er sich, vom Winde verweht, in die grau belegte Atmosphäre verteilte. Doch schaute der Kirchturm deutlich vor, auch die verwitterten Strohdächer, und als sie um die Ecke bogen, das Schloß, wohlerhalten, wie es schien, mit seinen Ecktürmchen. Der Graf atmete freier auf, wenn er überhaupt während dieser Reise frei geatmet hatte.

Allein der Rauch wirbelte nach wie vor und mischte sich mit den kalten, grauen Herbstwolken. Er kam von mehreren auf dem Stoppelfelde angezündeten Feuern. Das Blitzen der Bajonette, der schwere, taktmäßige Auftritt von hundert Füßen, die Kommandoflüche der Unteroffiziere sagten ihnen, daß hier exerziert werde. Alles Regelrechte erfreute das Herz des Grafen, er nickte taktmäßig dem Exerzitium zu, bis ein Offizier salutierend den Gruß erwiderte. Man erkannte sich, es war der Kapitän Sternbald, der vor der Hochkircher Attacke bei der Familie im Quartier gelegen.

»Ist das Dorf ganz besetzt?« fragte der Graf.

»Mit nichten, mein Herr Graf. Außer meiner Kasse, zehn Kavalleristen und meiner eigenen Person, die ich mir die Freiheit genommen in Dero Schloß zu legen, ist keine militärische Seele darin.«

»Und weshalb kampieren Sie mit Ihren Leuten hier draußen unter schlechten Baracken? Es ist schon kalte Jahreszeit.«

»Das geschieht meiner Leute wegen, mein Herr Graf,« sagte Sternbald, indem er schmunzelnd seinen Bart strich. »Sie sind so überaus freiwillig, daß ich fürchtete, wenn ich sie nicht unter einer Schußlinie hätte, sie liefen mir alle über Nacht davon. Hier kann ich meine Rinaldos besser zusammenhalten, und wenn die Unteroffiziere beim Schlafengehen ihre Stöcke in die vier Enden stecken, läuft keiner davon.«

»Ich bitte Sie, Vater, schnell, daß wir durchkommen!« rief Eugenie aus dem hinteren Wagen dem Vater zu, denn der Stock eines Korporals betätigte eben die Bemerkung des Hauptmanns auf dem Rücken eines Rekruten, und so nahe an der Kutsche der Gräfin, daß jede zuckende Miene des armen Menschen eine ähnliche konvulsivische Bewegung bei ihr verursachte.

»Ich hoffe auf Wiedersehen, mein Herr Hauptmann,« sagte der Graf, von Stephan, der neben ihm saß, gedrängt, dem Wunsche der Komtesse nachzukommen.

Es war ein wehmütiges Gefühl, mit dem sie das wüste Schloß betraten. Die Durchzüge eines Jahres von Freunden und Feinden, welche kaum die Autorität des gräflichen Herrn, viel weniger die seiner Verwalter geachtet hatten, trugen nicht so leicht verwischbare Spuren. Zertretenes Stroh, Heu, Ziegelsteine, abgerissene Planken lagen im Hof und Erdgeschoß umher. In der Vorhalle, wo Stephan als Verwundeter sein erstes Verhör überstanden, fand man Brandstellen auf dem Fliesenboden, indem der Mutwille es bequemer gefunden, in der Mitte des Zimmers das Kaminfeuer anzulegen. Eine Schwadron hatte Lust daran gefunden, durch das Souterrain ihre Reitübungen anzustellen; daher waren die Türen ausgehoben, der parkettierte Boden zerstampft, und der Pferdemist trocknete noch in den Paradezimmern. Fensterscheiben und Spiegel waren eingestoßen, ausgeschlagen, und die Wandgemälde mit Säbelhieben von den Vorbeigaloppierenden zerhackt. Doch hatte man hier noch gnädig gewirtschaftet im Vergleich mit dem ganz verwüsteten Gartenflügel. Dort waren sogar die Fensterrahmen und Dielen ausgebrochen, das Dach abgedeckt und die Tapeten mit systematischer Zerstörungswut zerrissen. Dieser Flügel, im moderneren Stil als das alte Schloßgebäude, zu August des Starken Zeit angebaut, und bisher der Lieblingsaufenthalt der Familie, war für jetzt unbewohnbar.

»Wir müssen uns in dem alten Schloß einzurichten suchen,« sagte der Graf, verdrießlich umkehrend, und die Bauerndeputation, die sich bei ihrer Ankunft um sie versammelt, folgte mit abgezogenen Hüten und denselben niedergeschlagenen Gesichtern, mit denen man die Herrschaften empfangen hatte.

»Wie mögen sie erst bei euch gewirtschaftet haben!« wandte sich der Graf zum Schulzen. »Wann war denn die Plünderung?«

»Gnädiger Herr, geplündert sind wir eigentlich gar nicht, sie haben uns nur alles weggenommen.«

»Wer war denn der Schlimmste?«

»Das nahm sich nichts zwischen Kaiserlich und Königlich. Es nimmt schon jeder, was er findet, und wenn's nur nicht ärger wird.«

»Wenn ihr schon alles verloren habt!«

»Die Kosaken, gnädigster Herr Graf, die sollen doch immer noch was finden. Wenn uns nur der liebe Herrgott vor den Russen bewahrt.«

»Die Preußen draußen werden bald abziehen, wie mir der Kapitän sagte –«

»Das ist eben das Schlimmste –« sagte der Schulze, sich hinter den Ohren krauend.

»Wie, Schulze, wart Ihr mit denen zufrieden?«

»Ach daß Gott erbarm! es ist ein schlechtes Volk draußen, das schlechteste unter allen, die wir bis jetzund im Quartier gehabt; die paar Kartoffelfelder, die hier sind, haben sie rein ausgestochen, und seit die bei uns liegen, flattert nichts Lebendiges auf zwei Beinen im Hofe, und was liegen bleiben sollte im Hause, tut not, daß man's festnagelte. Sie sind noch nicht lange im Dienst, allerlei Volk, zusammengerafft vom Reich, aus Dänemark und Polacken, und sie müssen sie am Schopfe zusammenhalten: aber sie sind doch im Dienst und tragen Montur, und haben geschworen, wenn's auch danach ist. Aber wenn sie fort sind, steh' uns der liebe Himmel bei!«

»Sei Er kein Tor, die Russen sind noch über der Oder.«

»Ach, die Russen wären noch lange gut, wenn sie auch leibhaftige Teufel sind mit langem Bärten; es ist doch was Reguliertes bei ihnen. Aber das Gesindel, das keinem Herrn pariert und rumschweift zwischen den Armeen, hat hier so manches Dorf angesteckt. Man sieht sie nicht, man hört sie nicht, nur auf einmal ist der Himmel rot, und sie sind da. Vor denen hilft kein Beten und kein Fluchen.«

In die Besorgnisse des Schulzen stimmten die Bauern ein. Man wußte kein Ende von greulichen Geschichten, die in der Nachbarschaft vorgefallen und von entsetzlichen Drohungen der Marodeure, die sie mit Halsstarrigkeit ausgeführt hatten. Der Graf hatte Mühe, eine Furcht, die er selbst fühlte, den Bauern auszureden. Daß reguläre Korps in der Nähe ständen, daß die preußische Disziplin noch immer exemplarisch sei, daß man harte Exempel statuiert habe, war »schon gut«, meinten die Bauern, das hülfe ihnen aber alles nichts. Und Bauersfrauen waren sogar grimmig darüber, daß man ihnen ihre Furcht abdisputieren wollte, die sie nun einmal hatten, und ihr stilles Brummen ging in eine laute Rebellion über, als sie weit genug vom Schlosse entfernt waren, daß man ihr Schreien nicht hörte.

Es fand sich bei einer näheren Erkundigung, daß denn doch nicht so buchstäblich alles genommen war, und Gegenstände zur Plünderung genug, auch für andere als Kosaken geblieben waren. Dagegen war die Angst deshalb allgemein; man trug sich mit Drohungen der Marodeure und glaubte mit Bauernhartnäckigkeit daran, je mehr man andrerseits durch vernünftige Vorstellungen die Gemüter zu beschwichtigen bemüht war. Und doch herrschte dabei die träge Sorglosigkeit, jenes Ansichkommenlassen, welches die wendisch-niederdeutschen Bauern charakterisiert. Er läßt den Verständigen reden, beweisen, überzeugen, schweigt, schüttelt den Kopf und spricht – für sich: »Das ist schon richtig, aber es kommt doch so.« Und er rührt keine Hand und handelt nicht einen Finger breit anders, um dem vorzubeugen, oder für die Folgen sich einzurichten.

Auch im Schlosse sah es nicht so übel aus, als der erste Anblick gab. Der zerstörende Mutwille war nur wenig in die oberen Stockwerke gedrungen. Man hatte sich begnügt, hier eine Pistolenkugel durch die Fensterscheibe zu schießen, und dort der Diana in der gewirkten Tapete einen Schnurrbart zu machen. Weil es so häßlich und finster aussähe, meinte Amelie, welche die alten Zimmer nicht liebte, hätten die häßlichen Menschen Respekt gehabt. Die wurmstichigen Möbel wurden zusammengetragen, die Fenster verklebt und so viel Zimmer, als die vergrößerte Familie brauchte, leidlich eingerichtet.

»Wenn ich so denke, wie wir vor einem Jahre hier beisammen saßen,« sprach Hauptmann Sternbald, den man zur ersten Abendtafel gezogen und der in dem Jahre die Güte des gräflichen Weines nicht vergessen, – »wie hier die hohe Generalität präsidierte, wie Ihre hochgräfliche Gastfreiheit uns vergessen ließ, daß wir in Feindes Land waren, wie uns unser alter Landsmann und Freund, Leutnant Stephan, zum erstenmal begegnete, und die Damen weit munterer waren als heute zum Exempel –«

»Die Damen sind müde von der Reise,« unterbrach ihn der Graf, »und wir geben ihnen wohl gern Urlaub, sich in ihre Appartements zurückzuziehen.«

»Zurückziehen, Herr Graf, ist ein verdammtes Wort für einen alten Militär,« sprach der Hauptmann mit einer Miene, welche eher an einen Feldherrn als den Subalternen erinnerte. Er war hier der erste Militär.

»Und doch gebietet es oft die Klugheit,« sprach Stephan, ihm die Hand zum Abschied hinhaltend.

»Halt, Leutnant,« fiel ihm der Hauptmann aufspringend ins Wort, »erinnern Sie sich Ihrer Parole, mit Handschlag bekräftigt, daß wir die Bataille gewinnen sollten – dort vor den Hochkirchener Steinbergen. Ha, was sagen Sie nun? Ist das Soldatenehre?«

»Friedrich wollte sie verlieren,« sprach Stephan. »Wer der Klugheit spottet, fordert die Rache der verhöhnten Götter heraus. Er wollte sich nicht zurückziehen, wo Stehenbleiben Tollkühnheit war.«

»Für alles wissen die Studierten Ausreden. Meinen Sie, Leutnant, daß er wieder gewinnen wird?«

»Er muß, denn noch erwuchs kein Gegner, der größer ist als er.«

Als die Damen sich zurückzogen und der Leutnant sich beurlaubte, ergoß sich die junge Weinlaune des Hauptmanns in Sticheleien auf das Glück des letzteren, auf die Lust der Weiber zu schwarzen Augen, mutigen Blicken und klugem Geschwätz. Er gönne dem Jungen, wenn er auch etwas Apartes habe, seine Fortuna, denn die Fortuna sei einmal die Göttin des Kriegshandwerks, wenn das launische Frauenzimmer auch dem einen reiche Erbinnen zuwürfe und den anderen zwinge, Jagd zu machen auf Galgenstricke.

»Sie waren auf Werbung?« fragte der Graf, in Gedanken versunken, welche ihn wenig geneigt machten, die Bemerkung des Hauptmanns anders als mit bedenklichen Mienen und Achselzucken zu erwidern.

»Freilich, Herr Graf, das Freikorps ist auseinandergesprengt und mich, weil ich zuweilen ein freundliches Gesicht – haben soll, hielt man für besser qualifiziert, ein Vogelsteller zu sein, als eine Vogelscheuche für den Feind. Ich mußte, obgleich ich kein Filou bin, meine Zeit verbringen mit Pfeifen und Locken, oder einige Filous, die mir zugegeben, lockten und pfiffen, und ich schlage nur mit der Hand und einer ehrlichen Miene ein, wenn uns das schlechte Gesindel in die Netze fliegt.«

»Es grenzt an ein Wunder, mein Herr Hauptmann, wie Friedrichs Heere, nachdem ein Sommerfeldzug sie vernichtet, im Winter wachsen.«

»Wir haben allezeit etwas Geld und noch mehr Versprechungen im Beutel.«

»Ich weiß, man verspricht den Aventuriers jeden militärischen Grad, den sie sich wünschen; allein wie hält man sie fest, wie bringt man ihnen die Ausdauer für eine Sache bei, die nicht die ihre ist?«

Der Hauptmann hob lächelnd den Stock des Grafen in die Höhe. »Herr Graf glauben nicht, was dies einfache Instrument für Wunder tut, wenn es in den rechten Händen ist. Widerbeller macht es gehorsam, Nachlässige prompt, Dumme klug, Kranke gesund und einen Stock von Kerl macht der Stock in vier Wochen zu einem perfekten Soldaten.«

»Holz wächst aber nicht allein in Preußen.«

»Es kommt darauf an, wie man's menagiert, und meine Korporale sind danach. Wenn Seiner Majestät Armee in jeder Kampagne bis auf den letzten Mann bliebe, wenn nur die Unteroffiziere restieren, prügeln wir Ihnen bis zum Frühjahr ein neues Heer ein.«

»Mit demselben Mut, derselben Kriegserfahrung, demselben Vertrauen auf Friedrichs Glück?«

»Für die Russen, mein Herr Graf, sagt man, ist kein Festungsgraben zu tief; sie drücken soviel Kompagnien rein, bis er voll wird, und dann marschieren sie drüber weg. Ist nun der ganze Krieg nicht ein großer Festungsgraben, wo einer über die Köpfe der anderen weggeht! Womit man die Lücken füllt, das ist egal, dazu braucht man keinen Patriotismus.«

»Doch erzählt gerade die Geschichte dieses blutigen Sieges von dem Einzelmut preußischer Soldaten, den der Stock nicht gemacht haben kann. Jener Husar von den Totenköpfen, der von den Franzosen gefangen, bei ihnen nicht Offizier werden wollte, um preußischer Gemeiner zu bleiben, wurde der durch Geld und Prügel zum Preußen?«

»Das ist die Reputation, mein Herr Graf. Die Bravour erbt in den Regimentern fort, sie geht mit den Kartuschen von den Toten auf die Lebendigen über. Desertieren mag wohl einer, aber solange er den Regimentsrock auf dem Leibe trägt, ist er ein braver Kerl, wenn auch sonst ein Schuft und Schurke.«

»Und doch,« sagte der Graf aufstehend, »wollen Sie das leugnen: Ihr König verliert eine Festung nach der anderen, er wird geschlagen in großen, vernichtenden Schlachten, seine unüberwindlichen Truppen lassen sich werfen, sogar in die Flucht schlagen –«

»Ei, sie machen aber doch immer wieder kehrt, wenn es Zeit ist.« Der Hauptmann war aufgestanden und stellte die Pfeife weg.

»Friedrichs kolossales Glück ist über den Wendepunkt seiner Sonnenhöhe, – wir müssen uns darüber klarmachen –« sagte der Graf dringend.

»Bin kein Sterngucker, Herr Graf,« antwortete ärgerlich der Hauptmann und häkelte den Rock zu.

»Wir sind alte Freunde, Herr Kapitän, und werden uns verstehen. Nicht unfreundlich deshalb, Sie kennen meine Gesinnungen für den unsterblichen Helden des Jahrhunderts. Aber was hilft eine längere Täuschung. Glauben Sie, ich ersuche Sie dringend um Antwort, daß ein preußisches Armeekorps noch einmal und dauernd die Lausitz besetzen könnte?«

»Das weiß der Teufel, Herr Graf, aber nicht ich.«

»Ihnen jeden Argwohn zu nehmen, mein würdiger Kapitän, ersuche ich Sie, solange es Ihnen möglich, mit Ihrem Detachement bei uns zu bleiben. Was auch da kommen möge, wir schätzen uns glücklich, Preußen um uns zu wissen. Sicherheit und Ordnung nötigen uns den Wunsch ab, und ich glaube, nun dürfen Sie nicht länger an unserer Aufrichtigkeit zweifeln.«

Der Hauptmann blickte dem Grafen lange forschend ins Gesicht, bis er ein höfliches »Obligiert« herausbrachte.

»Ich zweifle an niemandes Aufrichtigkeit, mein Herr Graf,« setzte er hinzu nach einigem Besinnen, ob er die augenscheinlich unangenehme Wirkung seines ›Obligiert‹ wieder gutzumachen habe, »an niemandes Aufrichtigkeit, mein Herr Graf, wiewohl der alte Oberst Klippfisch so seine eigenen Meinungen darüber hatte und ein kreuzbraver Offizier war. Er hätte sich mit seinen paar Hundert ohne Furcht mitten in die Feinde eingelegt und keinen Verrat ästimiert, wenn es seinem König was nützen konnte. Was mich indessen anbetrifft, so darf ich meine Leute, die noch Erzschelme sind und kaum unterm blauen Rock warm geworden, nicht zu weit vorpoussiert lassen, und es ist meine Pflicht und Schuldigkeit, mich damit auf das Gros der Armee des ehesten zurückzuziehen. Das wollt' ich offen Euer Gnaden gesagt haben, und sollt' es mich wundern, wenn man uns hier nicht gern ziehen läßt, dieweil die Leute anderwärts doch in die Luft springen, wenn ich ausmarschiere.«

Es war dem Hauptmann weder diesen Abend bei seiner verstörten Weinlaune noch am folgenden Tage beizukommen. Auch Stephan, den der Graf um Hilfe ansprach, konnte seinen Entschluß weder beugen noch billigen. »Ihrem künftigen Schwiegerpapa ist das Herz etwas heruntergerutscht,« sagte Sternbald, und der Graf äußerte: »Man merkt ihm den geborenen Subalternen an, der die Gelegenheit zu kommandieren nicht vorüberläßt.«

Stephan sah aus dem Fenster des Eckturms, den er bewohnte, den abziehenden Preußen nach. Er konnte die Bemerkung des Grafen nicht unrichtig schelten. Der Hauptmann, ein gutmütiges, subalternes Blut, spielte auf unangenehme Weise den Befehlshaber, die Zucht und Dressierung bei seinen Leuten war Stephan in der Seele zuwider; er zog es daher vor, von fern ihnen seinen Valet zuzuwinken. Der Sturmwind jagte ihnen Staub und welke Herbstblätter nach, er rauschte im Park und rüttelte an den Eichen drüben über die Wiese. Wie ein Hohn gegen den Aufruhr der Natur klangen die Spottlieder der Soldaten, von denen nur einzelne Verse durch den Wind herüberschallten. Den trüben Auftritt zu vervollkommnen, standen die Dorfbewohner in Gruppen und einzeln; der die Arme gekreuzt, jener starr vor sich hinblickend, alle schweigsame Zeugen.

Die Hintersten der Kolonne waren ihm schon aus dem Gesicht, als der Graf zu Stephan trat: »Sie dürfen uns nicht verlassen, bis wir Gewißheit über den Marquis haben.«

»Ich hielte mich schon um deshalb verbunden, bei Ihnen zu bleiben, weil Sie meinetwegen den sicheren Aufenthalt in Dresden verließen. Doch werden Sie nicht mehr fordern, als meine Soldatenpflicht erlaubt –«

»Und nur darum,« sagte der Graf, ihn fixierend. »Doch brechen wir davon ab. Ich erwarte mit peinlichem Verlangen Nachricht von Ihrem Pflegevater.«

»Er kann nicht weit sein, ich habe meine gewissen Zeichen dafür.«

»Es ist so manches zwischen uns außer Zweifel zu setzen, was für immer zweifelhaft – bliebe, wenn er verunglückt wäre.«

»Pflegen wir nicht so trübe Ahnungen, Herr Graf. Ich liebe den Marquis, wie ein Sohn den Vater liebt, aber ich hege das feste Vertrauen, daß er lebt und wohlbehalten ist. Er gehört zu den Personen, denen Fährlichkeiten nichts anhaben.«

»– Man sah drei Feuer diese Nacht am Horizont« – sagte nach einigem Schweigen der Graf. »Es verging seit vierzehn Tagen, wie der Schulze berichtet, kaum eine, wo nicht ein solches trauriges Feuerzeichen an unseren bedenklichen Zustand mahnt, und zehn Meilen im Umkreise finden doch keine militärischen Operationen statt –«

Sie wurden hier auf einen Lärm am andern Ende des Dorfes aufmerksam. Man schleppte jemand herbei, der augenscheinlich nicht gutwillig folgte. »Wir haben ihn,« rief man, und die Protestation desjenigen, der keine Lust empfand, im Besitz der anderen zu bleiben, wurden übertäubt von dem noch lauteren Geschrei. »Der Mordbrenner, der Straßenräuber!«

Es bleibt zweifelhaft, wer von den beiden Zuschauern mehr bewegt wurde. Beide stürzten die Treppe hinunter; doch der Graf nicht eher, als nachdem er sich durch einen Blick versichert, daß keine Bande hinter dem Ergriffenen im Anzuge sei. Wie aber war ihr Erstaunen, als sie in letzterem eine vertraute Person erkannten, deren schlechter Bauernkittel freilich wenig den Marquis von Cabanis verriet.

»Retten Sie mich aus den brutalen Händen,« rief der unsanft Angegriffene, als er seine Freunde gewahrte.

»Leute, um des Himmels willen, was tut ihr? Ihr habt euch getäuscht.«

»Gnädiger Herr Graf, ich habe auch Augen« – sagte ein strammer Bursche, der den Gefangenen in der Halsbinde gefaßt hielt, nicht ohne Gefahr, ihn durch einen kräftigen Ruck zu ersticken – »ich täusche mich nicht, denn ich bin ihm seit gestern auf der Spur. Kannst du's leugnen, Kleiner, daß du, wenn es duster wird, ums Dorf schleichst, daß du gestern über den Heck sprangst, als ich dich anrief, daß du kreuzbeinig in den Wald liefst, als ich hinter dir drein war; kannst du leugnen, daß du jetzt im Heuschober stecktest und gottserbärmlich schriest, als ich dich rauszog. Tu's doch, untersteh' dich. – Sehen Sie, Herr Graf, er kann's nicht, das ist ein echter Räuberhauptmann.«

Es lag etwas in dem Ton des Burschen, oder in der Art, wie der Marquis ihn anhörte, das überall bis vor Gericht für Wahrheit gelten mußte.

»Ich bitte, erklären Sie sich, Herr Marquis?« sagte der Graf.

»Es hat seine Richtigkeit,« antwortete er, sich schüttelnd, »aber ein Räuberhauptmann bin ich nicht.«

»Weshalb kamen Sie nicht zu Ihren Freunden?«

»Ich stand ja im Begriff, es zu tun, als mich die Kerle faßten. Warum blieben die Preußen so lange im Dorfe! Konnte ich ihnen in die Arme stürzen, solange diese fatalen Gäste hier im Quartier lagen?«

»Die Räuberbande hatte Sie nicht in die Wälder geschleppt?«

»Was Räuberbande. Wo gibt es eine! Wissen Sie, was Räuber sind in einem Lande ohne Gebirge, Felsen, in einem Sandlande, wo es keine Höhlen, Schluchten gibt? Wo jeder Fußtritt ein Verräter wird? Hier wird gestohlen, geraubt, geplündert, aber Räuberbanden existieren nicht. Das ist nur in katholischen Ländern möglich, wo der Priester die Absolution erteilen kann, die Polizei mit einem Auge schielt und jede Kirche ein Asyl ist. Wo sollen sie sich hier verstecken, wo herkommen, wo hinfliehen, wo sind die Hirten, die Boten, die Unterhändler machen? Wo können sie die Geißeln hinschleppen, wo läßt man sich in den Unterhandlungen mit ihnen ein, wo stecken sie im Winter, wenn der Schnee fällt – das frage ich euch, dumme Bauern, die ihr an Räuber glauben könnt; wo bleiben sie, wenn der Schnee liegt?«

Nicht das letzte Argument überführte diese von ihrem Irrtum, – denn daß es hier Räuber gab, die Überzeugung hätte ihnen keine galiläische Folter genommen – aber die vorhergehenden Verhandlungen schwächten ihre Hoffnung, in dem Marquis einen Hauptmann derselben ergriffen zu haben und der Bursche sah sich genötigt, erst langsam seine folternde Hand loszulassen und dann noch dazu die Mütze zu ziehen. Es war nicht einer unter dem ganzen Zusammenlauf, den nicht die Auflösung verdrossen hätte.

Stephan hatte den Marquis umarmt. Dieser schien indes heute nicht zur Zärtlichkeit geneigt, weil er seine Abwesenheit als keinen Grund ansah, daß man um ihn besorgt sein könne. »Sollte ich wie eine Pagode stehen bleiben, als die braunen Husaren uns auf den Leib kamen?« fragte er die beiden Freunde, indem er sich dabei ängstlich umsah, ob kein Preuße zurückgeblieben war. Sein Auge fiel auf Stephans Kleid: »Das mußt du ausziehen,« rief er fast zornig und setzte hinzu: »Es war doch sicherer unter den Wegelagerern, als unter den preußischen Totenköpfen.« – Auch späterhin blieb er dabei, daß nichts als der unüberwindliche Widerwille gegen die brandenburgischen Uniformen ihn bewogen, sich zu entfernen, selbst auf Gefahr, von den Wegelagerern fortgeschleppt zu werden. Wie vor einigen Tagen in Dresden hatte er sich auch hier mit dem Augenblick eingefunden, wo die Preußen abgezogen waren. »Es ist nur unangenehm, daß sie mit den Leuten in solche Berührung gekommen sind,« bemerkte der Graf verdrießlich; aber der neue Gast bewies ihm aus der Geschichte von Korsika und Sardinien, daß Stöße und Mißhandlungen, die ein Edelmann in einer Verkleidung erlitten, nicht ihn, sondern sein Kleid treffen. Auch könnten die Abkömmlinge freier Dynasten an der Ehre lediglich durch Ebenbürtige gekränkt werden. Das sei ihr Vorzug vor dem Feudaladel und Militäradel, dessen Ehre zerbrechlich wie Glas, auf der Faust jedes betrunkenen Handwerksburschen schwebe; eine Erörterung, welche wenig geeignet war, das Mißbehagen des Grafen zu mindern, die er aber über seine anderen Sorgen lieber ruhig hinnahm, als zu widerlegen versuchte.

Der Marquis begrub sich in den nächsten Tagen mit seinem Wirte im Schloßarchive. Eugenie ließ sich nur bei den Mahlzeiten sehen, Amelie kaum öfter. Da unangenehmes, regnerisches Wetter eintrat, war Stephan genötigt, den größten Teil des Tages allein auf seinem Zimmer zu verbringen. Die Bücher unterhielten ihn nicht, ein strategisches Werk ohne Ausübung war ihm eine gemalte Schüssel für den Hungrigen, die Feder wollte nicht fort; seine Augen folgten stundenlang dem Zuge der trüben Wolken und die verharschten Wunden schmerzten mehr in der Einsamkeit. Allein der alte Feldscher des Grafen, der hier sein Gnadenbrot verzehrte, wurde nicht müde, ihm zu sagen, er müsse immer noch der Ruhe pflegen, ein heißer Ritt könne in einer Stunde alle Frucht seiner langsamen Kur zerstören. Er pflegte dann wehmütig lächelnd in die Wolken zu sehen, und wenn sich eine Träne in die Wimpern stahl, sprach er bei sich: »Ich werde ausruhen, bis es Nacht ist.« Der Feldscher schüttelte den Kopf dazu, denn er meinte, in der Nacht müsse ja eigentlich die Ruhe erst angehen.

Bei Tisch setzte man Stephan mit Eugenie zusammen, man richtete die Worte an beide zugleich, man erwartete von dem einen Antwort, wenn man den andern fragte. Beide waren sehr freundlich zueinander, aber still und gemessen höflich. Man schien dies als ein Zeichen eines Verständnisses anzunehmen, und man hatte recht, denn beide verstanden sich, wenn auch anders, als die Väter glaubten. Amelie verhielt sich still. Nur wenn die Unterhaltung lahmte, wurde ihr Witz lebendig; er suchte aber seine Gegenstände aus weiter Ferne. Wenn die Väter auf das Verhältnis der jungen Leute anspielten und sie allzusehr drängten, war es das Fräulein, welches ihnen durch eine scherzhafte Wendung Luft machte. Man dankte ihr für den unerwarteten Beistand durch Blicke; und auch die Alten waren nicht unzufrieden; denn Amelie wußte zu anderer Zeit ihnen den Grund ihrer Taktik begreiflich zu machen.

Eines Mittags wurde das Gespräch von beiden Vätern auf den Wert großer Familienverbindungen geleitet. Rede und Gegenrede klappten so wohl zusammen und vervollständigten sich zu einer bildnerischen und erschöpfenden Durchführung, daß es den Verdacht der Verabredeten erregte. Die Partien schienen verteilt und die Stichworte gegeben. Wie die Fürstensöhne nur immer Fürstentöchter heiraten müßten, führte der Graf mit besonderer Feierlichkeit aus. Der Marquis entgegnete mit mehr Lebendigkeit, daß, was von Fürsten auch von der ganzen Natur gelte, daß das Gleiche immer das Gleiche suche, der Rang den Rang, das Vermögen das Vermögen. Der Graf erinnerte sich von Schulpforta her aus dem Äschylos, daß schon der alte Grieche vor ungleichen Verbindungen warne, Götter sollen sich nicht mit Menschen paaren, Hochgeborene nicht mit niedrig Geborenen. Der Marquis ließ sich nun in eine Erörterung ein, was hoch und was niedrig, wobei natürlich der Vorzug der freien Dynasten, der unabhängigen Grundbesitzer, der alten echten Freiherrn, die durch keine Annahme von Benefizien den Nacken auch unter kein Feudaljoch gebeugt, in das gehörige Licht gesetzt wurde. »Doch auch die Familie Ihrer seligen Gemahlin,« sagte er, sich zum Grafen neigend, »zählte, wie ich weiß, unter den wenigen ursprünglich freien lombardischen Geschlechtern. Sie hat kein Lehn genommen weder von den fränkischen Herzögen noch den schwäbischen Kaisern, wie dies dargetan werden mußte bei den Ehepakten des Matildis Narbonetta mit dem Grimoald, Markgrafen von Caboun, denn meine Familie führte damals noch nicht den Namen Cabanis.« Der Graf sprach, wie rührend es sei, alte Familienbande wieder neu zu knüpfen. Der Marquis behauptete, sie seien eigentlich alle schon geknüpft; wenigstens wäre die Schleife da, wenn auch nicht der Knoten. Wie es gewisse Greise in den fürstlichen, so gebe es eben dergleichen in den hochadligen Familien, die bestimmt seien, durch Heiraten, wenn auch lange fremd, immer wieder zueinander zu kommen. Oft schwirrten die Kreise im Kometenlauf in Säkularbahnen; sie träfen aber stets nach ewigen Gesetzen in einem Punkt zusammen. Der Graf erinnerte sich, als er in Selekta den Plato gelesen, wie dieser gerade dasselbe, was der Marquis von Familien angeführt, von den Individuen behaupte; wie die füreinander Bestimmten ursprünglich in einem vorgeburtlichen Zustande schon eins – ein Leib und eine Seele gewesen, wie sie dann getrennt, zwei ungleiche Hälften, in die Welt geschickt worden, um sich wieder zu finden zu einer Einheit, nämlich zur Ehe. »Der dunkle Wegweiser, der doch zum Richtigen führt, ist die Sympathie, welche sich um so weniger unterdrücken läßt, je mehr die, welche sie nicht verstehen, sich Mühe geben, sie verspottend, ihren Wirkungen entgegen zu arbeiten.« Er schloß mit einem Lobe derer, welche sich ganz ihren Gefühlen, den dunklen Stimmen der Ahnung hingaben; ein Lob, welches ihm sichtlich schwer wurde, denn er verwickelte sich in der Durchführung und um ihm in einigen Widersprüchen Luft zu machen, nahm der Marquis rasch das Weinglas: »Auf eine glückliche Erneuerung unseres Familienbundes!«

Der Graf stand auf: »Von Herzen!« die Gläser klangen hell. »Eugenie!« »Etienne!« riefen die Väter.

»Ihr zaudert?« sprach der Graf.

Stephan betrachtete das Spiegelbild seines dunkelglühenden Gesichts im vollen Glase und schwieg.

»Warum sollen wir nicht anstoßen auf das Wohl unserer Väter?« rief Eugenie mit klarer Stimme. »Stoßen Sie an, Etienne!«

Das Blut stieg und sank auf der Stirn des Offiziers, Eugenie, blaß und klaren Auges, zitterte nicht, als der Rand der Gläser sich berührte. Sie nickte ihm freundlich zu: »Auch auf Ihr Wohlergehen!«

»Umarmen wir uns!« rief erfreut der Marquis.

»In die Arme, meine Kinder!« wiederholte entzückt der Graf. Aber dem Beispiel der beiden Väter war nur Amelie gefolgt, die sich Eugenie um den Hals geworfen und auf ewige Freundschaft ihr einen Kuß gegeben hatte.

Als man das Zimmer verließ – trat Eugenie zu Stephan, der in das tiefgewölbte Fenster sich zurückgezogen. Sie waren allein.

Die Gräfin reichte ihm die Hand. So hell hatte ihn nie ihr Auge angeblickt, so freundlich und heiter klang selten ihre Stimme.

»Lieber Etienne, wollen wir das Spiel dulden, das man mit uns spielt? Sie sind ein Mann und ich ein Mädchen, das man so wenig zum blinden Gehorsam als zur Verstellung erzog. Wir werden beide eine offene Sprache anhören können und ein weinerliches Gefühl soll uns nicht abhalten, das auszusprechen, was nur Wesen verschweigen, die sich keine Kraft zutrauen. Erst ließen wir uns beide hinreißen von einem Gefühl – genug davon, Sie sehen, ich erröte nicht, es zu bekennen. Ich war schwach damals, als sie glaubten, wir liebten uns, verschwor man sich gegen uns. Jetzt ist ihnen etwas anderes in den Kopf gefahren, und sie wollen, daß wir uns lieben. Ich meine, wir verstehen uns, wir sind beide stolz, und so wenig damals ihr Widerstand, so wenig soll jetzt ihre Grille unseren eigenen Willen zwingen. Nicht wahr?«

Es war im Glockentone ihrer Stimme, in dem Glanz ihres von Aufrichtigkeit strahlenden Auges, ein Etwas, das wie ein Blitz zündend ihm in die tiefste Seele drang und alle schlummernde Seligkeit ins Leben rief. Und doch klang die Stimme zugleich wie eine Totenglocke; ein Sieg lag in dem Blicke, doch nicht der Sieg der Schönheit, einer über die Neigung, der Sieg der Entsagung. Er preßte traurig die Hand an die Lippen.

»O nicht doch, Etienne,« sprach sie; »für die Zärtlichkeit ist keine Zeit; für das Spiel müßiger Galanterie sind wir beide gut. Sie liebten mich, nicht wahr, das ist nun vorüber, Sie sahen ein, wie ich, daß es anders besser ist. Damals, als die Flammen loderten in Hochkirch, nun, da war es anders, wir träumten, wir schwärmten; die Flammen sind nun aus, wir lernten uns kennen in einer langen Krankenstube, unsere Augen sprachen es längst aus, daß wir uns von nun an achten wollten, Freunde bleiben, recht gute Freunde. Sie sind ein Preuße. Friedrich ist, er soll, er muß Ihr einziger Gedanke sein. Der Held und König wartet auf Sie, und was würde er sagen, wenn es hieße, daß ein sächsisches Mädchen Sie nur um einen Augenblick zurückgehalten hätte. Geben Sie mir die Hand, daß Sie ein Mann sein wollen?«

»Edelstes Wesen!« rief er. »Nein, ich bin deiner nicht wert. Sei es auch, daß die Hochgeborene den Dürftigen, Niedrigen zu sich erheben, daß sie vergessen wollte, welcher Schatten eines Bruders an seiner Ferse klebt, wie sollte ich der Reinen, die hoch über ihrem Geschlechte steht, mutig ins Auge schauen, der ich noch nichts getan, was ihre Liebe verdienen konnte. Noch bin ich ein Verräter, ein Überläufer, noch haftet der Verdacht auf mir; noch tat ich nichts, was mich in den Augen der Welt, in Friedrichs, in Ihren, Eugenie, über den Abenteurer erhebt. Ich wäre ein Verworfener, baute ich meine Hoffnung auf das Gold, das mir ein Sonderling zuwerfen will, und wie ich nicht aus Mitleid Ihre Gunst geschenkt möchte, so will ich verdammt sein zur Verachtung, die den Galeerensklaven verfolgt, wollte ich Ihren Besitz Familienverhältnissen, ja irgend einer Macht auf Erden verdanken, als mir allein.«

»Sie haben da häßliche Dinge gesprochen,« – sagte sie nach einer stummen Pause, »über die ich mit Ihnen rechten könnte, wenn Sie es im Ernst gemeint. Doch wozu das! Es ist vorüber; fragen wir nicht warum? Über Ihrem Krankenlager legte ich das Gelübde ab, daß wir uns trennen müßten. – Verstehen Sie wohl, wir bleiben Freunde – recht herzliche Freunde, hoffe ich – und Sie – seien Sie Mann, Etienne! – O, was zittern Sie, keine Träne! Sie gönnen doch nicht den anderen den Triumph. – Fest, fest, mein Freund, wir wollen uns auch verschwören gegen sie, uns nicht umgarnen lassen. Schlagen Sie ein zu dem Bunde –«

Halb reichte er sie hin, halb nahm sie die Hand und drückte sie fest. Ein freundlicher, heller Blick zum Abschied aus dem großen Auge und sie verschwand. Sie durfte es keinen Augenblick später tun, denn vor der Tür brachen die Tränen um so ungestümer, je länger sie mit ihnen gekämpft, aus dem Auge, das kaum noch Heiterkeit erlogen. Die Heroin war ein schwaches, trostloses Mädchen.


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