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Wer den Schaden hat, braucht bekanntlich für den Spott nicht besorgt zu sein. Als ich im Straßenbild Karachis wieder auftauchte, lachte mich jeder aus, der mich kannte und von meinem Mißgeschick erfuhr.
»Versuchen Sie doch mit einem Eingeborenenschiff wegzukommen«, riet man mir. Das war wirklich der letzte Ausweg. Tagelang fragte ich alles ab, ob nicht ein Segler da wäre, der nach Aden, Somali oder Eritrea fahren würde. Von dort fand sich dann sicher Gelegenheit, weiter nach Norden zu kommen.
Für alle Fälle wollte ich diesmal aber mein Boot bei mir haben, es hätte also an Deck genommen werden müssen. Wenn es gerade notwendig werden sollte, konnte ich es wieder zu Wasser bringen und auf eigenem Kiel weiterreisen.
Und tatsächlich – in der Nähe von Karachi lag ein arabisches Motorschiff, das mit Sandelholzladung nach Alexandrien in Ägypten bestimmt war. Ein seltener Glücksfall! Wenn ich da mitkommen konnte, war ich mit einem Schlage aller Sorgen enthoben.
Mit einem Inder, der außer englisch verschiedene arabische Dialekte sprach und mir als Dragoman dienen sollte, suchte ich das Schiff auf. Es war ein großer Segler, an dessen Heck ein langer Stock mit einem roten Tuch befestigt war – der yemenitischen Flagge. Ein schmales Brett führte vom Kai zu seinem Verdeck hinüber. An einen Sack gelehnt hockte ein weißhaariger Alter in rotweiß gestreiftem Kleid, der sich höflich erhob, als er uns bemerkte. Er verneigte sich und begrüßte uns im Namen Allahs und des Propheten.
»Bist du der Kapitän?« fragte ihn mein Begleiter.
Der Alte wies schweigend mittschiffs, wo unter einem weiten Sonnensegel einige Gestalten zu erkennen waren. Auf einem Baumwollballen, alle viere von sich gestreckt, lag ein verheerend nach Knoblauch stinkender Araber und schnarchte, auf einem Kürbis hockte ein Neger und schnarchte, während sein Kopf dauernd in kreisender Bewegung sich befand, über einige Säcke hingestreckt lag ein nackter, etwa zehnjähriger Junge mit spitzem Bauch und schnarchte, und zwischen einem verstreuten Wirrwarr von Hadern, irdenen Töpfen, Holzstücken, Tauwerk, Kannen und Holzkohlen krümmten sich noch zwei Lebewesen – zwei struppige Hunde – und schnarchten.
Mein Dragoman gab dem Araber einen Tritt in die Rippen.
»He – Kapitän«, schrie er, »he – steh auf, ein Sahib hat mit dir zu reden ...«
Der Kapitän ließ einen sehr unanständigen Ton hören, drehte sich etwas auf die Seite und zog es vor weiterzuschnarchen.
»Hörst du nicht?« fragte der Inder und gab ihm neuerdings einen Stoß, »der Sahib hat ein Geschäft mit dir zu besprechen ...«
Nun fuhr mit einem Schlag alles in die Höhe, der Araber, der Junge und der Neger – und starrten uns ungläubig, die Augen verdrehend, an.
»Geschäft?« echote der Kapitän gähnend und sprang auf die Füße. »Die Zeiten sind schlecht heute, man macht so selten ein gutes Geschäft, was gibt es. Sahib? – Es ist zwar Mittag und Schlafenszeit, aber ich will deinetwegen eine Ausnahme machen, Sahib ...«
Das war echt orientalische Unverfrorenheit – eine Ausnahme wollte er machen!
Er sprach leidlich englisch. Ich hatte mir inzwischen das Schiff rasch etwas angesehen. Es war eine typische arabische Dhau, ein mit Bast und Schilfriemen aus Balken und Brettern zusammengebundenes Boot mit plumpen Segeln, das, wenn Allah es wollte, im ersten besten Sturm in seine Bestandteile auseinanderfiel. Doch dieser Gefahr begegnete man bereits beim Bau, indem man eine Geldmünze ins Gebälk nagelte, das half gegen Unheil, bösen Blick und Verwünschung.
Im allgemeinen machte diese Dhau einen günstigen Eindruck, der noch verstärkt wurde durch die Maschine, die in sie eingebaut war. Und dann gab es sogar einen Abort! Jawohl, man hatte Kultur in Yemen, wenn man sich auch in Hodeida noch zu keiner Landungsbrücke hatte entschließen können und die Lastträger lieber von den Haien fressen ließ!
Dieser Abort, ein ganz seltenes Machwerk – bestand aus einer Kiste, die hinten offen und mit Ketten außenbords befestigt war!
Der Kapitän schien keiner jener fanatischen Araber zu sein, die auf die Ungläubigen schlecht zu sprechen waren. Wir hatten uns auf die Fersen gehockt, wie es unter den Eingeborenen der Brauch war und warteten, bis der Junge den vom Kapitän befohlenen schwarzen Kaffee brachte. Dann begann der Handel. Ich fragte, ob die Dhau wirklich nach Alexandrien ginge. Wann? –
Sofort! –
Was hieß da schon sofort? –
In vier bis fünf Tagen! –
Ob man da ein Boot mitnehmen wolle bis Port Said? – Alles riß Augen und Mund auf. Ein Schwall von Fragen ergoß sich über mich, wie lang das Boot sei, wie breit, wie schwer, wie tief?
Ich beantwortete alles ordnungsgemäß.
Bedächtiges Kopfnicken und Wiegen, Überlegen – schwierige Sache, sehr schwierig ...
Ich kannte diese Manöver schon.
Als nächstes mußte der Preis besprochen werden.
Verbindliches Lächeln, erneutes Köpfewiegen.
Erst noch einen Kaffee?
Dann Aufzählung, was heutzutage das Öl kostet, der Lohn der Mannschaft, die Hafengebühren, die schlechten Frachtsätze, die schlechten Zeiten überhaupt – und eine schnellere Dhau gäbe es auf der ganzen Welt nicht mehr, und der Preis sei etwas Nebensächliches – etwas ganz Nebensächliches. Wieviel ...?
Wenig, wenig – sehr wenig – ganz wenig. Allah war Zeuge – er, der Schiffer, bezahlte darauf, aber nur, weil ich ein Deutscher wäre – oh, wie er sie liebte – tapfer waren sie, kühn, klug und freigebig – freigebig – viel freigebiger als die Inglis und überhaupt alle anderen Nationen der Welt ...
Na, endlich – wieviel willst du denn ...?
Fünfzig Pfund ...!
So etwas ungefähr hatte ich schon erwartet und regte mich daher über die wahnsinnige Forderung gar nicht auf. Ich begann zu handeln, wobei ich und mein Begleiter zwei-, dreimal Miene machten das Boot zu verlassen und auf die Gelegenheit zu verzichten. Immer wieder kam der Kapitän nachgerannt, halt – noch ein Wort – vielleicht ...
Bei Sonnenuntergang wurde endlich folgender Vertrag geschlossen: »Der Kapitän Hussein Emin Bozuk Effendi nimmt mein Boot und mich mit bis Port Said. Dafür bekommt er zwei englische Pfund Anzahlung bei der Abreise und drei Pfund bei der Ankunft am Bestimmungsort. Er hat mich während der ganzen Reise höflich und zuvorkommend zu behandeln. Verpflegen muß ich mich selbst.«
Eine billigere Gelegenheit wäre nicht mehr aufzutreiben gewesen, vorausgesetzt, daß wir überhaupt jemals Port Said erreichten. Aber das lag ja in Allahs Händen.
Der Vertrag wurde auf dem Hafenamt in Karachi vor Zeugen unterzeichnet. Dann brachte ich die »Bayern« aus ihrem Schuppen wieder zu Wasser und an die Dhau heran.
Aus den vier Tagen bis zur Abreise waren natürlich elf geworden, als es endlich losging. Ich hatte mein Boot nicht an Deck hochnehmen lassen, da wir bei der Abfahrt eine spiegelglatte See hatten. Solange es möglich war, schien es mir angenehmer zu sein, auf meinen eigenen Planken zu sitzen. Sollte eine Verschlechterung des Wetters eintreten, konnte man es immer noch rasch hochbringen. Die Dhau hatte einen guten Bolinder Motor und lief ihre sieben Meilen, mit Segel brachte sie es sogar zeitweise auf zehn Meilen. Keine schlechte Leistung!
Wenn nichts dazwischen kam, so konnten wir in fünfzig Tagen einschließlich der beabsichtigten Zwischenlandungen in Aden, Hodeida und Port Suakin, am Suezkanal sein.
Das Boot war mit einer armdicken Hanftrosse in ganz kurzem Abstand am Heck der Dhau festgemacht. Erst lag ich den ganzen Tag in der Pflicht und genoß das Vergnügen, Meile um Meile zurückzulegen, ohne mich um etwas kümmern zu müssen. Aber die Auspuffgase, der Motorenruß, die Gerüche, die vom Deck des Seglers nach hinten schwelten, und nicht zuletzt die ständige Aus- und Einsicht in den hinten offenen Abort bestimmten mich, tagsüber am Bug des Schiffes ein Lager zu beziehen. Ein einzigesmal nur hatte ich versucht, auch die Nacht an Deck zu verbringen. Aber da mußte ich grausige Kämpfe mit den Wanzen ausfechten, von denen ganze Armeen aus Ritzen und Fugen quollen.
Nach zwanzigtägiger Reise faßte uns – bereits im Roten Meer – ein wütender Sturm. Die »Bayern« hatte ich schon längst an Deck nehmen müssen – trotz der Wanzen. Es ging nicht anders, denn öfters schon hatten wir schwere See bekommen.
Die Männer klammerten sich fest, wo es nur eben möglich war und riefen Allah und seinen Propheten um Hilfe an. Woge um Woge rauschte heran und schlug über das Schiff hinweg. Plötzlich riß sich das Beiboot der Dhau los, das ebenfalls an Deck stand und dort festgezurrt war – allerdings sehr nachlässig – und sauste mit einer Welle augenblicklich davon.
»Der Sandal«, gellte ein einstimmiger Schrei.
»Wenden«, brüllte der Kapitän, »wenden, wenden – den Sandal muß ich wieder haben. – Wenden – sage ich ...!«
Wenden – bei diesem Wetter? – dachte ich, die Kerle sind doch vollends des Teufels. Und so meinte ich eben: »Laßt doch den Sandal zur Djehenna schwimmen.«
»Zur Djehenna – meinen Sandal?« tobte der Kapitän, »fahr doch selber zum Schaitan – Giaur ...«
»Beleidige mich nicht«, schrie ich ihn an.
»Wirst du meinen Sandal zahlen, dann wende ich nicht?« brüllte er zurück.
Was wird er schon kosten, dachte ich. Was ist so ein Sandal? Ein ausgehöhlter Baumstamm ohne Ruder, der mit den Händen gepaddelt wird.
»Gut, ich zahle ihn!«
Wenn nur die Kerle nicht wendeten! Das Fahrzeug lag tief, eine Brechsee konnte es zusammendreschen, wenn sie es in der Flanke erwischte. Aus diesem Grunde wollte ich für den Sandal aufkommen und nicht durch die Unvorsichtigkeit anderer mein Leben verlieren.
Wir segelten weiter.
»Weißt du aber auch«, fragte der Araber nach einer Weile, »was so ein Sandal eigentlich kostet? Zwölf bis fünfzehn Pfund kostet einer!«
»Soviel zahle ich nicht!« –
»Dann wird gewendet!« –
»Meinetwegen ...«
»Nein – ein Pfund ...«
»Acht Pfund ...«
»Ein Pfund ...«
»Dann wende ich ...«
»Du wirst zum Schaitan fahren dabei ...«
»Dann nur, weil du an Bord bist!«
»Ich verklage dich beim Hafenkapitän von Port Said, wenn du mich immer beleidigst ...?«
»Wirst du sechs Pfund zahlen ...?«
»Überhaupt nichts mehr ...«
Nun wendeten sie die Dhau, und das Manöver gelang tatsächlich. Von dem verlorenen Sandal war natürlich nichts mehr zu entdecken. Weiß Gott, wo er hingetrieben und abgesoffen sein mochte. Vergeblich suchte der Araber herum und wendete dabei noch dreimal.
Die Fahrt ging weiter.
Am anderen Tag war das Meer wieder ruhig. Der Kapitän kam zerknirscht zu mir und bat mich wegen der gestrigen Vorfälle um Verzeihung, ich solle ihn nicht anzeigen beim Hafenkapitän. Den Sandal brauche ich natürlich nicht zu zahlen.
Ich wolle mir die Sache überlegen, sagte ich.
Eines Abends fuhren wir in den Kanal ein. Wieder dehnten sich die rotbraunen Sandflächen zu beiden Seiten, wieder sah ich die kümmerlichen Fellachenhütten, die frierenden Sudanneger in der Sonnenglut, die verlorenen Palmen, sah zum letztenmal den erschütternden Sonnenuntergang hinter der Wüste, das Leuchten des Meeres und sah die Lichter von Port Said verheißungsvoll aus dem Dunkel flimmern.
In umgekehrter Richtung überschritt ich die Schwelle der Wildnis, und heißes Heimweh nach der Welt, die ich nun verließ, erfaßte mich. Da war schon der Hafen von Port Said, der Kai, die vielen Schiffe, die Boote – der griechische Polizeioffizier – auch er lebte noch. Kapitän Hussein Emin Bozuk hielt mir seine flache Hand hin und ich legte drei Pfundnoten hinein zuzüglich ein anständiges Bakschisch, ohne das es einmal im Orient nicht geht. Dann schüttelte ich allen die Hand, ihm, dem Neger, dem Jungen, dem Alten, streichelte die beiden Hunde – seltsam, auch diese Dhau war mir eine Heimat gewesen – trotz der vielen Wanzen und des gräßlichen Abortes.
Nichts schien sich in Port Said geändert zu haben seit meiner Abreise. Alles trug noch das Gesicht von gestern, und doch schien es mir, als wäre ich zehn Jahre fortgewesen ...