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Ich erinnere mich, daß ich nach einigem Überlegen von dem Gedanken einer Bootsfahrt doch wieder abgekommen war, da ich die nötigen Mittel für ein geeignetes Fahrzeug nicht aufbringen konnte. Aber reisen wollte ich nun einmal! Wie? –
Zu Fuß? – Dauernd einen Rucksack am Buckel schleppen, Blasen an den Fersen – nein, danke sehr!
Etwa mit einem Fahrrad? – Das war auch eine Sache, die gut bedacht sein wollte.
Aber man konnte doch schließlich auch reiten! Ja, reiten – das erschien mir auf einmal als die richtigste, die idealste, die romantischste Reiseart. Noch nie hatte ich zwar auf einem Pferd gesessen. Das mußte eben erst gelernt werden.
Eines Tages stand ich vor einem Schaufenster, in dem wundervolle Sättel ausgestellt waren. Was die wohl kosteten? Ich gab mir einen Ruck, drückte die Türklinke und trat in den Laden. Der Sattlermeister gab mir die Preise bekannt, die in jedem Falle ein Vielfaches meines Fünfzigmarkscheines ausmachten. Schließlich ließ ich einiges über meine Absichten durchblicken. Und als ich den Laden nach einer Weile wieder verließ, trug ich einen ehrwürdigen, steinharten bayerischen Kommißsattel am Arm, für den mir der Sattler bare zwanzig Mark abgenommen hatte. Zwar hatte ich nicht vorgehabt, mir so rasch einen anzuschaffen, aber der Meister wußte die einmalige billige Gelegenheit so verlockend anzupreisen, daß ich besinnungslos zugriff. In meiner Tasche befanden sich jetzt also nur noch dreißig Mark, und weil ein Unheil selten allein kommt, so hatte ich noch etwas anderes in der Tasche, nämlich die Empfehlung an einen Rennstall. Unverzüglich begab ich mich dorthin. Der Reitlehrer las den Zettel, den ich ihm reichte, dann erklärte er, daß er mich in Anbetracht der besonderen Umstände zu einem Vorzugspreis ausbilden würde, die Stunde koste also »nur« zwei Mark! Als erstes sollte ich das Pferdeputzen lernen – auch dafür mußte ich je Stunde zwei Mark bezahlen. Der Reitlehrer stand dabei und rauchte Zigaretten, während ich ihm die Mühe abnahm und eines nach dem anderen seiner Pferde bürstete und striegelte. Er gab mir dafür sehr viele Erklärungen. Am zweiten Tage war es dasselbe, am dritten ebenfalls. Zum Aufsitzen kam ich dagegen nicht ein einziges Mal. Wenn das ganze Reiten nur aus Pferdeputzen besteht, dachte ich mir, dann will ich es doch lieber bleiben lassen. Was aber nun mit dem Kommißsattel? Um zehn Mark schlug ich ihn wieder los.
In der Folge landete ich wieder bei meinem ursprünglichen Plan – bei einem Segelboot. Wenn es schon unmöglich war, eines zu kaufen, dann mußte ich mir eben eines bauen, selbst bauen natürlich. In der Tat – ein sehr verwegener Plan, denn noch nie hatte ich ein Segelboot aus der Nähe gesehen, noch nie war ich in einem solchen gesessen. Ganz abgesehen davon war ich vollkommen unbeschwert von allen Fachkenntnissen, die ein Bootsbau verlangt. Aber ich wollte – und es mußte!
Es war mir gelungen, einige Zeitungen für meine Sache zu interessieren, die mir finanziell etwas unter die Arme griffen – das war ein außerordentlicher Schritt nach vorwärts. Hier soll gleich eingeschaltet werden, daß ich damals Mitarbeiter verschiedener Zeitungen, also wohl Schriftsteller war – obgleich ich im allgemeinen kein geschwätziger Mensch bin. Im Gegenteil – ich höre lieber zu, wenn die anderen reden, und denke mir mein Teil dabei.
Hatte man in den verschiedenen Redaktionen, zu denen ich bisher Beziehungen hatte, meinen Weltreiseplan zu Pferd wohlwollend gebilligt, so zeigte man sehr wenig Verständnis, als ich mich endgültig für die Seefahrt erklärte. Teilweise lachte man mich aus, teilweise fragte man besorgt, ob mir der Bergunfall etwa auch im Kopf einen Schaden verursacht hätte. Was sollte ich darauf antworten?
Aber trotzdem – es gab auch Leute, die mir die Durchführung des Unternehmens zutrauten, und die halfen mir. Josef Magnus Wehner, unserem deutschen Dichter, damals noch Schriftleiter an der »Münchner Zeitung«, verdanke ich besonders viel.
Als ich mir endlich einen gewissen, wenn auch auf dünnen Beinen stehenden Rückhalt geschaffen hatte, galt es, den Bootsbau in Angriff zu nehmen. Wenn ich heute an diese Aufgabe zurückdenke, wird mir noch angst vor meinem eigenen Mut, den ich dem Problem gegenüber aufbrachte. Es galt zunächst einmal eine Anleitung aufzutreiben, wie so ein Ding überhaupt gebaut wird. In sämtlichen Münchener Buchhandlungen machte ich die Runde und durchstöberte alles Einschlägige. Da fanden sich wohl schöne dicke, reich illustrierte und mit technischen Zeichnungen versehene Bücher – aber die kosteten viel Geld. Das war bei mir nicht da. Ich brauchte etwas Bescheidenes, ganz Billiges. Und endlich fiel mir ein dünnes rotes Heftchen in die Hände: »Spiel und Arbeit« hieß es. Jawohl – »Spiel und Arbeit! – Wie baue ich mir ein Segelboot?« Etwas lächerlich – aber ich erstand es für einige Groschen.
Am selben Tage noch begann die Arbeit. In dem Heftchen war zwar nur die Anleitung zur Herstellung eines kleinen Flachsegelbootes, einer sogenannten Sharpie für Sonntagnachmittagsspazierfahrten auf den heimatlichen Weihern, gegeben – dazu in ganz primitiver Art, damit sie schulpflichtigen Knaben kein allzu großes Kopfzerbrechen verursachte. Aber trotz der Bescheidenheit seines Inhalts gab es mir doch auch wertvolle Winke. Mehr als ein Dutzend Konstruktionspläne entwarf ich auf dem Reißbrett, bis ich mich schließlich für einen entschloß.
Vier Wochen hatte ich geschätzt, aber sieben Monate dauerte es, bis das kleine Boot vollendet war – allen Widerständen zum Trotz. Sieben verdammte Monate! Einmal aber war unfaßbarerweise der letzte Hammerschlag, der letzte Pinselstrich getan – mißtrauisch umkreiste ich das Boot und prüfte alles gründlich. Es gab nichts mehr daran zu tun. Ohne Zweifel war es also fertig.
Kein zweites Paar Hände hatte an seinem Bau mitgeholfen. Ich selbst war beim Holzhändler gewesen, die Bretter auszusuchen, ich hatte sie zur Säge und zur Hobelmaschine gebracht, hatte alles durchdacht, den Kiel gestreckt, die Spanten aufgerüstet, Planke um Planke darübergenietet, den Mast eingebaut, die Segel genäht, ich hatte kalfatert, geteert, gemalt, geschreinert, geschlossert, geschmiedet und was es sonst an tausend Handgriffen zu tun gab. Es muß gesagt werden, daß es oft eine elend harte Arbeit war, denn in jeder Weise war ich wohl etwas Bastler, aber kein Fachmann – auch stand mir ein solcher nie zur Seite. Reichlich viele Fehlschläge und Fehlkonstruktionen gab es, manche mir rätselhafte Nuß war zu knacken, und mehr als einmal, wenn ich irgendwie nicht mehr weiter wußte, stand ich hilflos vor meinem Werk und hätte es am liebsten mit der großen Axt wieder in tausend Trümmer geschlagen. Oft wünschte ich das Boot und die ganze Weltreise dorthin, wo der Pfeffer wächst. Ein unbescheidener Wunsch noch dazu, denn bekanntlich wächst der Pfeffer auf den Südseeinseln, und dorthin wollte ich ja eben!
Aber wie schon gesagt – einmal war die Sache doch gediehen, und nun stand das kleine Ungeheuer, dem ich mich anvertrauen wollte, auf zwei Böcken vor mir. Nur noch der Name fehlte zu seiner Vervollkommnung. Wie sollte ich es der Welt vorstellen?
Eine Braut hatte ich nicht, sonst hätte ich das Boot vielleicht Trudi, Hilde oder Gretl geheißen.
»Galeere« – »Hadernkahn« – »Der besegelte Holzpantoffel«, schlugen bissige Stimmen vor.
»Oberland« sollte ich es taufen, sagten meine Freunde. Ihm den Namen unseres stolzen Freikorps geben, dem wir angehört hatten, das am Annaberg in Oberschlesien den ersten deutschen Sieg nach der Schmach von 1918 erfochten hatte. Für diese Ehre schien mir mein Boot und meine Sache doch zu unbedeutend.
Eine Zeitschrift bot mir einen ansehnlichen Betrag, wenn ich es nach ihr benennen wollte. Ich sagte zu, der Name war ganz hübsch. Sorgsam malte ich ihn auf den Bug: »Alpenfreund.«
Leider verzögerte sich die Abreise noch eine ganze Weile. Inzwischen machte die Zeitschrift pleite, und das Raten nach einem neuen Namen ging wieder von vorne an. Um der Sache ein Ende zu machen – einerseits, und beeinflußt von einem Schuß Lokalpatriotismus anderseits, wurde das Fahrzeug nun kurzerhand »Bayern« getauft.
Stolz hob sich neben einem weißblauen Rautenwappen das Wort vom rot leuchtenden Rumpf ab. Schwarz war das Unterwasserschiff gestrichen, weiß das Verdeck und grau der Innenraum wie auch sämtliche Spieren. Auf alle Fälle sehr schmuck. Bekannte und Freunde besichtigten die »Bayern« und gaben ihr unmaßgebliches Urteil ab.
Das größte Münchener Blatt schickte sogar einen Berichterstatter. Ein steinalter Herr suchte mich an einem schönen warmen Maitag auf – zu meinem Erstaunen trug er karierte Kamelhaarhausschuhe und stellte sich als Abgesandter der Redaktion vor. Es ergab sich, daß er in seiner Jugend – das dürfte um die Zeit der Gründung des Kaiserreiches gewesen sein – viel in der Welt herumgekommen war. Der Bericht, den er dann, restlos begeistert über meine Pläne, abfaßte, hätte beinahe eine ganze Seite in der Zeitung ausgefüllt, und der entsetzte Redakteur fragte ihn, ob er dieses verrückte Unternehmen wohl selber mitmachen wolle. Dann suchte er zehn Druckzeilen heraus, und die erschienen.
Hervorgehoben muß werden, daß das allgemeine Urteil günstig über mein Schifflein lautete, wenn man ihm auch baldigen Untergang weissagte! Welch ein Glück, daß die guten Münchener vom Segeln nicht mehr verstanden als ich, sonst hätten sie schnell erkannt, daß sich die »Bayern« über alle Anforderungen, die an ein seegehendes Boot gestellt werden, einfach hinwegsetzte. Es war auch gar nicht anders möglich, denn ich verstand ja nichts vom Bootsbau. Ich hätte mich ebensogut an die Herstellung eines Flugzeuges machen können.
Ein Schulfreund von mir, der zur See fuhr und Vollmatrose war, hatte sich bereit erklärt, die Reise mitzumachen und gewissermaßen die seemännische Leitung zu übernehmen. Dies bedeutete mir eine große Erleichterung, war ich doch auch in dieser Hinsicht ein vollkommen unbeschriebenes Blatt. Als er in München ankam, nötigte ich ihn sofort das Boot zu besichtigen. Ich war sehr stolz auf meine Arbeit und wollte sein Urteil hören. Es fiel vernichtend aus. Er bedankte sich für das in ihn gesetzte Vertrauen, legte die »seemännische Leitung« sogleich in meine Hände zurück und fuhr wieder nach Hamburg. Das war unangenehm. Doch hartnäckig beschloß ich, die Fahrt anzutreten und zu einem guten Ende zu führen.
Die Folge war, daß der erste Teil weiter nichts als eine endlose Werkstättenfahrt wurde, denn ununterbrochen mußte ich von der Mastspitze bis zum Kiel Reparaturen und Änderungen vornehmen. Aber auch diese Zeit verging.
Das Fahrzeug bestand aus Tannenholz, war sechs Meter lang, eins siebzig breit, hatte ein Stechschwert eingebaut und verfügte mit diesem über einen Tiefgang von knapp einem Meter. Die vordere Hälfte war vollkommen verschalt und mit einer Kajüte versehen, die sehr komfortabel eingerichtet war. So besaß sie nicht weniger als sechs Bullaugen. Da ich keine Fassungen für diese Art von Fenster in München aufzutreiben vermochte, verwendete ich dazu Herdringe. Eine schmale Koje war in dieser Kajüte vorhanden, weiter verfügte sie über einen Klapptisch – den ich allerdings bald über Bord fliegen ließ –, elektrische Beleuchtung und eine Menge anderer Spielereien, die mir in der Folge, wie es sich bald erwies, mehr hinderlich als nützlich waren. An vorschriftsmäßiger Stelle erhob sich der Mast, ein Ungetüm von elf Meter Höhe, mit Eisenbeschlägen von solchem Gewicht, daß sie jedem Vollschiff Ehre gemacht hätten. Die Segelfläche betrug dreißig Quadratmeter, eine ganz wahnsinnige Fläche für ein Fahrzeug, das auf eine derartige Fahrt geschickt werden sollte. Mit zunehmender Erfahrung schnitt ich auch später alle Wochen ein Stück Leinwand ab, daß schließlich nicht mehr als siebeneinhalb Quadratmeter übrigblieben, und das war noch reichlich genug. Denn für ein Hochseeboot kommt es nicht darauf an, daß es schön ist und schnell segelt, sondern daß es das höchste Maß an Sicherheit gewährleistet.
Mehrere Firmen stifteten mir Ausrüstungsstücke, so erhielt ich von den Klepperwerken wasserdichte Mäntel und Südwester, von einer anderen Firma Nesseltuch zum Segel, die Knorr Erbswurstfabrik schickte ein Paket ihrer Erzeugnisse, eine Schokoladenfabrik versah mich mit 25 Kilogramm Schokolade, ferner wurde mir eine große Kiste Glasperlen verehrt, für die – Wilden, wie man gutmeinend versicherte. Ein ganz ansehnliches Warenlager kam da mit der Zeit zusammen. Am Schluß wartete mir noch Kathreiner mit einer Kiste Malzkaffee auf. Nun war es aber Zeit zum Verschwinden!
Das viele, viele Zeug wurde in eine Menge kleiner Kisten verstaut, die kunstgerecht in den vorgesehenen Laderäumen an Bug und Heck Platz finden mußten. Es war nun wirklich so vielerlei an Bord, daß ich ohne Beschwerden ein behagliches Robinsonleben auf irgendeiner Insel hätte beginnen können. Bei einer allerletzten Musterung wurde alles, was meiner Ansicht nach noch mangelte, angeschafft. Befielen mich auch manchmal noch Zweifel, ob wohl alles so zum Klappen kommen würde, wie es mir vorschwebte, so fand ich meinen Optimismus sofort wieder, wenn ich vor meinem Schifflein stand. Einmal in seinem Element würde es mich hinaustragen in die weite Welt voll Wunder, würde mir auf lange Zeit die Heimat ersetzen müssen, und die Tatsache, daß ich jede Schraube, jeden Nagel und jeden Span selbst angebracht hatte, gab mir die Zuversicht, daß es mich niemals im Stich lassen würde. Stabiler wie die »Bayern« konnte auch kaum ein Boot gebaut sein, das stand fest. Aus armdicken Balken bestanden die Spanten! Diese Holzverschwendung sollte ich auch später bei mancher Gelegenheit nicht bereuen. Leider gab es aber unerfreuliche Mängel an Gewicht und Raumverteilung, denn ich hatte bei der Konstruktion in erster Linie an meine Bequemlichkeit auf der langen Reise gedacht und dabei selbst das Unwahrscheinlichste in Betracht gezogen, während ich die Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit sehr vernachlässigte.
Ein mühseliger Zeitabschnitt war mit dem Augenblick zu Ende, an dem die »Bayern« dem Schuppen, in dem sie das Licht der Welt erblickt hatte, Lebewohl sagte und auf einen Eisenbahnwagen übersiedelte, auf dem sie dann gegen Ingolstadt rollte. Ich hatte mich für Ingolstadt als Ausgangspunkt der Reise entschieden, denn hier fließt die Donau vorbei. Auf ihrem Rücken gedachte ich das Schwarze Meer zu erreichen, von dort lag der Weg in die Ferne offen.