Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Unfreiwillige Rundreise

Volle dreizehn Tage war ich also auf See gewesen – eine ansehnliche Zeit. Gewöhnt, immer den schwankenden nachgiebigen Bootsboden unter den Füßen zu haben, konnte ich mich für den Augenblick mit dem festen Land nicht befreunden. Eine Weile vertrat ich mir die Beine, dann sah ich mich nach einem Menschen um, der mir den Weg zur Hafenbehörde weisen konnte.

Da wurde ich auch schon angerufen. Ich fuhr herum und schaute in ein dunkles Gesicht. Ein roter Fez leuchtete darüber, und ein blau uniformierter Kerl bildete nach unten die Fortsetzung. Ohne Zweifel ein arabischer Polizist. Ich wußte nicht warum, aber ich betrachtete diese erste Begegnung als ein böses Omen. Doch der Bursche schien nichts Schlimmes gegen mich im Schilde zu führen. Er streckte mir seine flache Hand entgegen, und ich dachte nichts anderes, als daß er mich begrüßen wollte. Die Höflichkeit des braunen Mannes freute mich, und ich schüttelte ihm herzlich die Tatze. Nun aber tat er den Mund auf und sagte bloß das Wort: »Kad.«

Soviel Türkisch bzw. Arabisch verstand ich, um zu wissen, daß Kad »Papiere« hieß. Er wollte mich also nicht begrüßen, sondern meine Papiere abnehmen. Etwas enttäuscht reichte ich sie ihm, und er führte mich in eine hell erleuchtete Kanzlei. Unheimlich amtlich sah die ganze Geschichte aus. Eine Anzahl Uniformierter saß um einen großen Tisch und stempelte eben Pässe ab. Durch ein Fenster sah ich in elegante Tropenanzüge gekleidete Dampferreisende, Polizisten gingen ununterbrochen ein und aus. Mein Führer begab sich zu einem weiß gekleideten Herrn, der ebenfalls den Fez trug, obwohl er Europäer war, und unterhielt sich mit ihm arabisch. Ohne mich eines Blickes zu würdigen sah dieser daraufhin mein Patent an, mein Manifest, meinen Paß, blätterte ihn wohl ein Dutzend Male nach vorne und hinten durch, schüttelte den Kopf, blitzte mich durch seine Brille an und sagte dann auf englisch: »Sie haben kein ägyptisches Visum.« – Natürlich hatte ich kein Visum, das wußte ich sehr wohl. Ich klärte ihn auf, daß ich als Seefahrer doch das Patent und das Manifest als Legitimation neben dem Paß hätte und auch in Griechenland kein Visum verlangt worden wäre. Wo ich überhaupt hinwollte, fragte er dazwischen, ohne recht auf meine Erklärung zu achten.

Nach Indien? – Kommt gar nicht in Frage! – Über wieviel Geld ich wohl verfügte?

Zweihundertfünfzig Mark – und hundertfünfzig Mark müßten auf der Post liegen. Also rund zwanzig Pfund zusammen.

Viel zu wenig, erklärte er mir. Fünfzig Pfund müßte ich bei der Einreise ins Land Ägypten in der Tasche haben!

Teufel, das war aber eine Summe! Fünfzig Pfund! Wenn ich die gehabt hätte, sofort würde ich mir einen kleinen Motor angeschafft haben!

Da redete der andere wieder: »Sie müssen zurück nach Griechenland, mein Herr.«

Beinahe kam es mir vor, wie ich dies hörte, als hätte ich eines mit dem Hammer auf den Kopf gekriegt. Entsetzt starrte ich ihn an.

In diesem Augenblick tauchte ein Engländer auf – der mit mir verhandelnde Beamte war ein Grieche. Dieser Engländer schaute mich erst von oben bis unten an, fragte, wie lange ich schon mit dem kleinen Segelboot unterwegs sei, und sagte dann zu dem Griechen: »Let him go.«

Er war ein Gentleman, was man von dem Griechen nicht behaupten konnte, denn der wollte mich nicht durchlassen. »Konstabler«, rief er. Von dem Tisch mit den Reisepässen erhob sich einer und baute sich vor ihm auf. »Gehen Sie sofort zur Post und fragen Sie dort nach, ob für diesen deutschen Gentleman Geld dort liegt!« befahl ihm sein Vorgesetzter und überreichte ihm meinen Paß.

Das Geld mußte da sein, es war mir schon lange zugesichert, ich war also unbesorgt. Aber der Konstabler kehrte sehr bald zurück und berichtete, daß sein Gang vergeblich gewesen wäre. Es läge nichts da – nicht einmal ein Brief. Ich konnte wieder einmal wütend sein auf die Redaktionen, die mich wieder einmal längst von einem Haifisch gefressen oder im Meer ersoffen glaubten und daher ihre Honorarzahlungen für überflüssig erachtet hatten.

Nochmals legte sich der Engländer für mich ins Zeug. »Let him go – lassen Sie ihn fahren ...« – Vergeblich – der Grieche blieb dabei, mich nicht ins Land zu lassen. »Ausgeschlossen – Sie müssen wieder nach Griechenland zurück«, sagte er.

Ich ergab mich scheinbar in mein Schicksal, gedachte aber einfach nach Alexandrien zu segeln und dort die Sache schlauer anzupacken. Der Beamte rief nun einen Araber, gab ihm irgendwelche Anweisungen, die ich nicht verstand, und hieß mich ihm folgen. Es ging zu einer Barkasse, wenige Augenblicke später kam der Grieche nach. Das Boot flitzte in die Nacht hinein. An einem hell erleuchteten Dampfer wurde haltgemacht, wir stiegen an Deck und von dort auf die Brücke, wo ich warten mußte, wobei mir der eingeborene Polizist wie ein Schatten in einem Schritt Abstand Gesellschaft leistete. Ich lehnte mich an die Brüstung und fragte mich, was dies wohl alles zu bedeuten hätte. Unten arbeiteten die Matrosen und schlossen die Luken der Laderäume, das Schiff schien fahrbereit zu sein. Da wurde am vordersten Ladekran eine elektrische Lampe angeknipst, die Winde begann zu rattern, der Ladebaum schwenkte außenbords, Rufe und Kommandos, wieder ratterte die Winde, langsam schwebte eine Last hoch, etwas Wuchtiges schwenkte über die Reling, wurde ziemlich unsanft aufs Verdeck gesetzt – ich traute meinen Augen nicht – das war ja mein Boot!

Es blieben mir die Worte weg, obwohl ich am liebsten in allen mir geläufigen Sprachen geflucht hätte. Erst als der Grieche vor mir erschien, spuckte ich Gift und Galle. »Sind Sie denn des Teufels, Herr ...?« schrie ich ihn, glücklicherweise ins Deutsche verfallend, an, »was tun Sie denn da, Sie Idiot, Sie gottverlassener?«

Entweder hatte er meinen Zornausbruch erraten oder verstanden, er sagte: »You must go bak to Creta.« Und als ich ihn feindselig anstarrte, fuhr er zuvorkommend fort: »You have not understand me? Alors, je veux vous le dire en français ...«

Was sollte ich nun dagegen tun? – Nichts, denn ich war ja vollkommen hilfslos in dieser Situation. Man hatte mich mit List auf einen griechischen Dampfer gebracht, die »Bayern« war an Deck, nach einigen Minuten schon lichtete das Schiff die Anker – eine knappe Stunde nach meiner hoffnungsvollen Ankunft im Schwarzen Erdteil! – Ich mußte denselben Weg, den ich gekommen war, zurückfahren! Das war zum verrückt werden.

Der Kapitän, ein gutmütiger Koloß, lachte über mein Mißgeschick. Ingrimmig sah ich das Festland in Nacht und Meer ertrinken und verwünschte die Polizei in Port Said.

Sechsunddreißig Stunden später kamen wir bereits in Kreta an und warfen vor Heraklion Anker. Hier wollte ich von Bord gehen, um die Passage brauchte ich mich nicht zu kümmern, das wurde schon von der Behörde in Port Said geregelt. Nun aber kam die größte Überraschung! Die griechische Polizei ließ mich auch nicht mehr an Land! Warum?

Weil ich kein – griechisches Visum hatte! Wäre ich mit dem Boot angekommen, so hätte man mich als Seefahrer behandelt, als Dampferpassagier unterlag ich aber anderen Bestimmungen – so schrieb es der Amtsschimmel vor. Es wurde immer lustiger. In Rethymnos, in Canea, im Piräus versuchte ich es – umsonst. Auch die Griechen hatten ihre Grundsätze. Der Dampfer machte die Rundreise im Ägäischen Meer, ich kam nach Chalkis, nach Volo, Saloniki, Kavalla, Alexandropolis, Mytilene, Chios, Syros, Tinos, und schließlich wieder nach Piräus, Canea, Rethymnos, Heraklion. Nirgends durfte ich von Bord. Mir war es nun schon gleich. Nichts ging über die Weisheit der Behörden, und doch war ich den Griechen auch dankbar, daß sie so hartnäckig waren, denn so kam ich am ehesten wieder nach Ägypten. Sechs Wochen nach meiner unfreiwilligen Abfahrt von dort riefen wir den Lotsen von Port Said, und langsam schraubte sich die »Anna«, so hieß das Schiff, in den Kanal hinein.

Die Polizei kam an Bord, voran einer, den ich sehr gut kannte – der Grieche! Er riß die Augen auf, als er mich sah, und fragte, ob ich nun Visum und Geld mitgebracht hätte. »Keines von beiden«, sagte ich schadenfroh.

Was sollte er mit mir machen? – Der Kapitän weigerte sich, mich nochmals mitzunehmen. So mußte er mich an Land lassen, und ich war um ein Erlebnis reicher. Am folgenden Morgen brachte ich auch die »Bayern« wieder in das so lange entbehrte Wasser und ging endlich an Bord.


 << zurück weiter >>