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Unheimliches Erlebnis unter Wasser

An diesem mißglückten Versuch, seßhaft und Fabrikdirektor zu werden, schloß sich ein Zeitabschnitt von fünf Wochen an, in dem ich unter eigenartigen Umständen das seltsamste und bestimmt unheimlichste Erlebnis hatte, das mir auf der ganzen Reise begegnete.

Einige Bekannte in Athen hatten mich eingeladen, sie zu besuchen, ehe ich mit der »Bayern« weiter nach Süden segelte.

Da ich für die eigentliche Reise dorthin nicht viel Zeit aufwenden wollte, hatte ich das Boot im Mytilener Hafen verwahrt, während ich diesmal als Passagier des griechischen Postschiffes »Michali Togias« fuhr. Unter den vielen Fahrgästen, die sich an Bord befanden, lernte ich einen Mann kennen, der mir – um es gleich zu sagen – wieder einmal ein Geschäft vorschlug. Und da ich trotz aller Mißgriffe in »geschäftlichen« Beziehungen scheinbar unverbesserlich bin, so tat ich auch diesmal wieder mit.

Ich will jedoch dem Gang der Ereignisse nicht vorgreifen und der Reihe nach berichten. Die Unterhaltung mit meinem neuen Bekannten drehte sich um die verschiedensten Dinge, wobei ich auch auf einige Erlebnisse meiner Weltreise zu sprechen kam. Beim Abendessen machte der Mann – er hieß Mizzo Curtgis und war, wie der Name schon verrät, ein waschechter Grieche – die Bemerkung: »Sie wären eigentlich der Mann, nach dem ich schon lange suche ...«

Hatte ich richtig verstanden? Ich sollte der Mann sein, den er ...? Was sollte denn das heißen?

Mizzo Curtgis war ein Mann Ende der Dreißig, mit schlauen Zügen im runden Gesicht und nicht unbeträchtlicher Westenfüllung, seinen Angaben nach Kaufmann – Handel in Oliven und Orangen. Was konnte denn der von mir wollen? Hm – –

Reichlich mißtrauisch geworden durch meinen Fehlschlag mit dem Direktorposten, nahm ich mir vor, mich so leicht nicht mehr engagieren zu lassen.

Auf meine Frage antwortete er nicht, sondern befaßte sich eingehend mit seinem Nachtmahl, das ihm offenbar schmeckte. Erst als er damit fertig war, zündete er sich behaglich eine Zigarette an und lud mich zu einer Flasche Rezina – dem bitteren Griechenwein – in seine Kajüte. Dort kam er endlich zur Sache.

»Ich kenne die Deutschen als Ehrenmänner«, begann er, »und so darf ich bei Ihnen wohl annehmen, daß Sie keine Ausnahme machen und über das, was Sie von mir jetzt zu hören bekommen, Stillschweigen bewahren werden.« – Diese seltsame Vorrede, der wieder eine Pause folgte, steigerte meine Spannung, obwohl ich mich bemühte, ziemlich ruhig zu erscheinen. Eine merkwürdige Situation, in der ich mich da befand.

»Es kommt natürlich darauf an ...,« warf ich ein, »um was ...«

»Oh, keine Sorgen, es ist durchaus nichts Ungesetzliches«, lächelte er. Dann wollte er wissen, ob ich in der Lage wäre, ein griechisches Kaïk zu segeln, und ob mir etwas daran gelegen wäre, ein schönes Stück Geld zu verdienen. Beides konnte ich mit ruhigem Gewissen bejahen, während meine Neugierde, was das wohl alles zu bedeuten hätte, ins Ungemessene stieg.

Um es kurz zu machen, es drehte sich um folgendes: Vor zwei Jahren war der griechische Schoner »Feneret« im Sturm in der Nähe der Insel Kreta auf ein Riff gelaufen und gesunken. Mit ihm gingen in die Tiefe die ganze Ladung, die aus für Griechenland bestimmter Konterbande – nämlich Sprit – bestand und der Kapitän. Drei Mann der Besatzung wurden an die Küste geworfen und somit gerettet. Der Kapitän war, als das Schiff auf den Felsen gerannt war und sein Schicksal sich in wenigen Augenblicken zu erfüllen schien, nochmals in die Kajüte gesprungen, um irgend etwas zu bergen. Genau in dieser Minute aber glitt die »Feneret« von dem Riff herab, kenterte und verschwand kieloben in der kochenden See.

So wurde es dann von den drei Geretteten berichtet, die sich an einige Trümmer geklammert über Wasser halten konnten und dem Tode entrannen. Mehr war über die Tragödie nicht in die Öffentlichkeit gedrungen, auch über die Art der Ladung wußte niemand etwas anderes, als daß das Schiff mit Holzkohle nach dem Peleponnes unterwegs war. Die drei geretteten Matrosen vermieden es natürlich in ihrem eigenen Interesse, auch nur ein Wort darüber fallen zu lassen, daß die »Feneret« ein Schmugglerschiff war. Mizzo Curtgis aber wußte genau Bescheid, er wußte mehr als alle anderen – denn er war der Eigentümer jenes Fahrzeuges und die Fahrt geschah in seinem Auftrage und auf seine Rechnung. Er wußte auch, was nicht einmal die drei Matrosen wußten, nämlich, warum der Kapitän noch im letzten Augenblick in die Kajüte geklettert war. Dort lag eine Kassette aufbewahrt, in der sich siebenhundert englische Pfund befanden, siebenhundert Goldstücke. Und diese Kassette wollte der Kapitän noch an sich nehmen. Wie er sie wohl an Land gebracht hätte, das wußte Mizzo Curtgis nicht zu sagen und auch ich konnte mir keinen Vers daraus machen, wenn ich mir das Gewicht des Goldes vorstellte und die Situation vor Augen führte. Hier hielt Mizzo Curtgis etwas inne und wir leerten, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, ein Glas. Was ich bis jetzt gehört hatte, war sehr interessant, aber noch konnte ich mir nicht denken, in welchen Zusammenhang ich mit der Sache gebracht werden könnte.

»Das Schiff«, brach der Grieche dann das Schweigen, »ist, soviel ich feststellen konnte, nicht auf den Meeresboden gegangen, obwohl die Küstenfelsen an der Unglücksstelle senkrecht abfallen und das Wasser außerordentlich tief ist. Es hat sich anscheinend während des Untersinkens wieder auf den Kiel gedreht und blieb dann in etwa dreißig Meter Tiefe an irgendwelchen unterseeischen Klippen hängen. Es hängt heute noch dort, denn Sie werden ja wissen, daß der Wellenschlag auch beim schwersten Sturm wenige Meter unter der Oberfläche schon nicht mehr zu spüren und darunter ewige Ruhe im Wasser ist. Das Schiff ist also gewissermaßen eingesargt in einem Block von Wasser, und wenn man bei schönem Wetter in einem Boot über die Stelle fährt, sieht man es schemenhaft aus der blaugrünen Flut heraufdunkeln.«

Ich bekam allmählich eine Ahnung, worauf die Geschichte hinauslief.

»Und warum«, fragte ich den Griechen, »warum haben Sie die Kassette mit dem vielen Geld noch nicht bergen lassen, was soll ich bei der Sache tun?« – »Sie haben also erraten, um was es sich dreht«, lächelte er. »Ich werde Ihnen nun auch erklären, warum ich dies noch nicht getan habe. – Das Wrack war ein Schmugglerschiff und hat heute noch die Konterbande an Bord. Wenn ich nun aus dem Wrack etwas bergen will, so werden sich begreiflicherweise auch die Behörden dafür interessieren und dabei feststellen, daß keine Holzkohle, sondern eine Menge Sprit an Bord ist. Diese Feststellung könnte peinliche Folgen für mich haben. Verstehen Sie also, daß ich die Sache nicht an die große Glocke hängen will? –«

»Zudem besteht die Gefahr, daß, wenn einer Wind vom Sachverhalt bekommt, er hergeht, in das Wrack eindringt, und mir das Geld stiehlt. Denn die Griechen sind sehr tüchtige Geschäftsleute. Sie aber sind ein Deutscher, zu Ihnen habe ich Vertrauen. Wollen sie also mit mir die Kassette bergen? Ein Fünftel des Geldes soll Ihnen gehören.«

Was gab es da lange zu überlegen? Ich schlug ein, denn ich brauchte ja bitter nötig Geld.

Ich verschob also kurzerhand meine Besuche, derentwegen ich eigentlich nach Athen gekommen war und mietete auf Rechnung des Griechen ein großes Fischerboot, mit dem man auch einen tüchtigen Sturm abwettern konnte, wenn es not tat. Mein eigenes Fahrzeug, das in Mytilene lag, wäre für den beabsichtigten Zweck zu klein gewesen. Mizzo Curtgis kannte auch einen Schwammfischer, der gegen entsprechendes Entgelt seine Taucherausrüstung auslieh und uns eingehend im Gebrauch derselben unterwies. Ich sei ein deutscher Geographos, wurde dem Manne vorgegaukelt und wolle auf dem Meeresboden meine Studien machen, was dieser allerdings nicht begreifen konnte.

Als wir alles beisammen hatten, segelten wir sofort los. Die Fahrt ging an die Südküste der Insel Kreta, und eines Tages waren wir an Ort und Stelle. Die abweisende Felsenküste war ungeheuer einsam, und ebenso einsam lag das tiefblaue Meer da, das sich glasglatt bei völliger Windstille ausbreitete. Mit dem Wetter hatten wir Glück. Wenn nur jetzt auch das andere klappte!

Beide waren wir etwas nervös geworden, denn keiner von uns hatte je in seinem Leben in einem Taucheranzug gesteckt und war unter dem Meeresspiegel gewesen. Es fehlte uns mit einem Wort gesagt – die Erfahrung.

Trotzdem hatten wir den festen Willen, die siebenhundert Goldfüchse zu bergen. Was konnte sich auch schon ereignen? Einer stand an der Pumpe oben, an die eigentlich zwei Mann gehört hätten, der andere ließ sich dreißig Meter zum Wrack hinunter, trachtete in die Kajüte einzudringen und die Kassette zu holen. Mizzo Curtgis ließ es sich nicht nehmen, als erster in die Tiefe zu steigen.

Unser Boot lag direkt über dem Wrack, dessen verschwommene Umrisse wir gut zu erkennen vermochten. Ich half dem Griechen in den Kautschukanzug und schraubte ihm den Helm auf. Wie schon bemerkt, war er ziemlich umfangreich, und als er nun vor mir stand, in der fremdartigen Hülle mit den großen Glasscheibenaugen in der Kupferkugel, kam er mir so grotesk wie eine Kröte vor. Unbeholfen kletterte er von mir gestützt über Bord und verschwand, sich ein paarmal um seine Achse drehend, in der Tiefe. Seine Gestalt nahm bald verzerrte Formen an und in einer gewissen Tiefe verschwamm sie zu einem unförmigen Klumpen, der an den Leinen und dem Luftschlauch, die zu mir führten, zerrte. Es war sehr umständlich, die Luftpumpe zu bedienen und gleichzeitig auf die Leinen achtzugeben, an denen das Leben des Mannes hing.

Nach zehn Minuten war er schon wieder an Deck, vollkommen erschöpft – er konnte es nicht aushalten da unten. Er hatte das Wrack wohl erreicht, vermochte aber nur zu berichten, daß es ziemlich aufrecht auf einem Unterwasserriff liege, und daß es kaum sehr schwierig sein dürfte, in die Kajüte einzudringen.

Am nächsten Morgen unternahm ich einen Angriff. Wie in einem Fahrstuhl ging es rasch in die Tiefe, von den schweren Bleisohlen gezogen. Luftblasen sprudelten vor den Fenstern meines Helmes in die Höhe, an einer grünglimmernden Wand schien ich reibungslos entlangzusausen, Fische huschten vorbei, dann fühlte ich ein dumpfes Bremsen, einen Ruck – bemühte mich einen Augenblick, festzustellen, ob ich stand oder auf dem Rücken lag, und erkannte dann durch die Sehscheiben, daß ich tatsächlich auf dem Verdeck des Schoners stand. Eine blaugrüne, geheimnisvolle Dämmerung und unwirkliche Stille herrschten. Ich hatte den Eindruck, als sei ich auf einem fremden Planeten gelandet. Die beiden Masten des Schiffes waren zerbrochen, ein Gewirr der verschiedenartigsten Gegenstände lag herum, alles mit Schlamm, Muscheln und Tang bewachsen.

Eben war ich noch unter blauem Himmel und nun bauten sich so plötzlich diese düsteren Kulissen um mich auf. Es wurde mir unheimlich zumute, und ich verstand, warum Mizzo Curtgis gestern so schnell wieder an die Oberfläche begehrt hatte. In meinen Ohren brauste es, der starke Wasserdruck machte mich ganz benommen und legte sich wie ein federnder Ring um meinen Körper. Doch ich riß mich zusammen und vergegenwärtigte mir, wo das Heck sein müsse, dann stapfte ich in dieser Richtung mich durch das Wasser drängend über Deck, um den Niedergang in die Kajüte zu finden. Nach wenigen Schritten stand ich davor. Ich stolperte über etwas und fiel mit einer Drehung schwebend auf den Rücken. Hoch über mir sah ich dabei sehr deutlich den Boden unseres Kutters. Das aufgekommene Gefühl der Unsicherheit wich bei diesem Anblick, ich besann mich auf meine Aufgabe und raffte mich auf. In kurzer Zeit mußte ich ja die Kassette haben und dann ging's wieder hinauf ins Leben!

Himmelherrgott ... Pfui Teufel noch einmal – wo griff ich da hin?

Mein Taucheranzug war gerade vorsintflutlich, und ich hatte keine Handschuhe oder einen irgendwie gearbeiteten anderen Schutz über den Händen. Die Gummiärmel waren an den Knöcheln wasserdicht abgebunden.

Zwischen den Fingern fühlte ich eine weiche, schleimige Masse. Wie einen fremden Gegenstand sah ich durch die Fenster meine weiße Hand, und diese Hand lag in einem schleimigen Körper, der grünweiß schwabberte, wie hingeschmiert aufs Verdeck, so groß wie ein kleines Kind, scheußliche Greifer schwebten und füßelten wie Gummisauger auf und ab. Unsagbarer Ekel überfiel mich. Ich hätte am liebsten die Bleisohlen lösen und in die Höhe fahren können. Aber das wollte ich nicht, denn dann hätte ich ja nochmals hier herunter gemußt. Ich überwand also das würgende Gefühl, glitt den Niedergang hinab, konnte eine Türe aufstoßen, ohne von den Werkzeugen, die an meinem Gürtel baumelten, Gebrauch machen zu müssen, und stand in der Kajüte.

Hier war es dunkel. An meiner Brust trug ich ein Kästchen festgeschnallt, das eine wasserdicht eingekapselte elektrische Lampe barg. Ihr Schein sprang durch die Finsternis und schuf etwas Helle in dem Raum. Es war ziemlich eng hier. Rasch machte ich mir klar, wo sich nach den Angaben meines Gefährten die Kassette befinden mußte, ich drehte mich um und – stieß einen Schreckensruf aus. Der Schrei zersprang an der metallenen Wand vor meinem Mund und fuhr dröhnend in meine schmerzenden Ohren zurück. Meine Augen sahen etwas Grauenvolles.

Zwei Meter vor mir stand im Licht meiner Lampe ein Mensch – ein Mann, der mich mit unnatürlich großen, blasig aufgetriebenen und aus den Höhlen quellenden Augen fanatisch ansah, während die dicke, zwischen den Lippen hervorstehende Zunge das Teuflische dieser Fratze noch unterstrich. Der Mann schwebte aufrecht im Wasser, seit zwei Jahren in dieser Kajüte eingeschlossen. Er war gleichsam der Wächter der siebenhundert englischen Goldstücke, mit denen er in die Tiefe gefahren war. Es war der Kapitän der »Feneret«.

Instinktiv machte ich eine abwehrende Bewegung mit den Händen gegen die Erscheinung, wobei ich den Stand verlor und etwas vornüber kippte. Meine rechte Hand hielt sich an irgend etwas fest, und ich hatte gleich darauf das Gleichgewicht wiedergefunden. Im selben Augenblick verneigte sich der Tote vor mir, und ich bemerkte, daß ich mich an einem seiner Arme festgehalten hatte.

Wieder mußte ich mit aller Gewalt das Gefühl des Übelwerdens unterdrücken. Ich stieß den Kapitän einfach zur Seite, um mit der Suche nach der Kassette zu beginnen. Der Raum war, wie gesagt, nicht groß. Einen Tisch gab es da, einen Schrank, einige Kisten, die an die Decke gepreßt waren, also die Eisenkassette nicht enthalten konnten, sonst wären sie nicht geschwommen. In dem Kasten stand ein Fach offen, es war leer. Ich nahm an, daß darin die Kassette war und daß sie der Kapitän herausgenommen haben mußte, als sein Fahrzeug versank. Es schien also angebracht, irgendwo am Boden zu suchen, denn über Bord konnte sie nicht gefallen sein, der Raum war ja verschlossen gewesen. Ich ließ mich auf die Knie niederschweben und leuchtete und fühlte am Boden herum. In einer Ecke fand ich auch richtig den kleinen Eisenkasten. Er war sehr schwer, siebenhundert Goldstücke und das Eigengewicht machten doch eine erkleckliche Anzahl an Kilos aus. Vergessen war im Augenblick all das erlebte Grauen, ein Fünftel des Inhaltes sollte ich erhalten. Nun heraus mit der Kassette!

Ich zerrte sie an mich heran, sie war ganz warzig von Rost und schleimig mit Tang beklebt. Dann nestelte ich an der Leine, die ich zum Zwecke des Aufhissens von oben mitgebracht und an meinem Gürtel befestigt hatte. Im selben Augenblick fühlte ich eine Berührung am Rücken. Ich wälzte mich herum, und da lag der Kapitän auf mir und mit feierlicher Bewegung bogen sich eben seine lose in den Gelenken sitzenden Arme um meinen Hals.

Ich bin wirklich kein furchtsamer Mensch, aber dieses Abenteuer mit dem Toten machte mich nervös. Der wollte wohl das Gold nicht herlassen! Ich gab ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen, daß er zur Seite schwebte, konnte aber nicht vermeiden, daß meine Faust tief in den zermürbten und zerlaugten Brustkorb hineinfuhr. Später erst wurde mir klar, daß ich diese Bewegung des unheimlichen Toten selbst herbeigeführt hatte, als ich die Leine von meinem Gürtel löste und an mich heranzog, wobei sie sich wohl an dem Kapitän verhängt hatte und diesen zu mir niederbeugte.

Mit zitternden Händen und nur von dem einen Wunsche besessen, schnell wieder ins Leben zurückzukehren, schob ich eine Schlinge um den Kasten und zerrte ihn die kleine Treppe hinauf aufs Verdeck, dann löste ich die Bleisohlen und riß an der Signalleine. Mich fror durch Mark und Bein. Wie ein Korken schoß ich zur Höhe. Immer lichter wurde es, dann bemerkte ich plötzlich einen unwahrscheinlich blauen Himmel und das fragende Gesicht Mizzo Curtgis. Als er mich aus meiner Hülle löste, hörte ich nichts und vermochte auch nicht zu sprechen. Ich griff sofort zur Leine, an welcher unten die Kassette befestigt war und die nun wie eine Stange senkrecht in die Tiefe stand. Mit einem Ruck zog ich an. Es gab einen kurzen Widerstand, dann kam sie Meter um Meter herauf. Es ging sehr leicht, obwohl doch die Kassette ein ansehnliches Gewicht aufgewiesen hatte. Mit gespannter Miene stand der Grieche an meiner Seite. Endlich kam das Ende der Leine – es war leer – keine Kassette!

In meinem Grauen und meiner Hast mußte ich wohl die Schlinge zu nachlässig geknüpft haben, beim Anziehen hatte sie sich dann wahrscheinlich geöffnet und die Kassette lag nun entweder noch unten am Verdeck oder sie war überhaupt ins Bodenlose versunken. Diese Entdeckung erfüllte mich mit Schrecken, doch ließ ich mir nichts anmerken und sagte später zu meinem Begleiter, um mir seine Vorwürfe zu ersparen, daß ich die Kassette noch nicht gefunden hätte. Dagegen erzählte ich von dem toten Kapitän und den ekelerregenden Lebewesen da unten. Er meinte, ich müsse unbedingt nochmals hinab, denn die Kassette müsse vorhanden sein. Ich sagte zu, denn immerhin hatte ich die schwache Hoffnung, daß sie vielleicht doch am Verdeck liegen geblieben war. Doch war ich die nächsten beiden Tage nicht fähig, mich in den nach Gummi, Leder und Metall stinkenden Taucheranzug einschließen zu lassen.

Dann setzte stürmisches Wetter ein, das beinahe zwei Wochen anhielt. Wir fuhren über diese Zeit nach Canea. Als wir nachher zurückkehrten, sahen wir das Wrack nicht mehr. Erst vermuteten wir, uns in der Stelle geirrt zu haben, aber bald gab es keinen Zweifel mehr – das Wrack war fort – endgültig versunken. Zutiefst bestürzt machten wir diese Entdeckung.

Es hatte wohl nur ganz locker auf dem Riff gesessen und war durch meinen Besuch aus seinem Gleichgewichtszustand gebracht worden. Irgendwelche durch den letzten Sturm verursachte Strömungen mochten es nun von seinem allerletzten Halt herabgehoben und in die Tiefe gleiten haben lassen. Das Ereignis hätte auch eintreten können, als ich noch in der Kajüte stand.

Wir kreuzten wieder nach Norden – dem Festland zu.

Es muß noch nachgetragen werden, daß dieser Mizzo Curtgis gar nicht der Besitzer des Wracks war. Dieses erfuhr ich durch einen Zufall, als ich zwei Jahre später wieder nach Griechenland kam. Auf irgendeine Weise mußte er wohl von dem wirklichen Eigentümer in den Sachverhalt eingeweiht worden sein. Seine Bekanntschaft mit mir benützte er dann, sich als Biedermann aufzuspielen, der niemand etwas von seinem Plan mitteilen wollte, um nicht betrogen zu werden.

In Wirklichkeit aber war er ein Betrüger.


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