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In der Hölle des Roten Meeres

Der Weg nach dem Fernen Osten war frei! Ich brauchte bloß mein winziges Fahrzeug zu besteigen, das Segel zu hissen und zu fahren. Kanalgebühren kamen für mich nicht in Frage, da die Tonnage der »Bayern« so gering war, daß mich die Kanalbeamten auslachten, als ich mich bei ihnen erkundigte. Ungeheuer gähnte die Entfernung vom Suezkanal bis Bab el Mandeb – dem Tor der Tränen – am Ende des Roten Meeres. Ich hatte die Absicht, aus dieser mir als Hölle beschriebenen Weltgegend schnellstens herauszukommen und wollte daher sowenig wie möglich an den Küsten Aufenthalt nehmen – nur wenn es unumgänglich war. Für drei Wochen besorgte ich mir frischen Mundvorrat. Etwas Neuartiges in meinem Lebensmittelkorb war nun das »Chubs« genannte arabische Brot, das die Form dünner Pfannkuchen hat von etwa dreißig bis vierzig Zentimeter Durchmesser. Sie waren so biegsam, daß man sie gleichzeitig als Einwickelpapier verwenden konnte, wenn man gerade in Verlegenheit war. Andererseits wieder waren sie so zäh, daß zu ihrer Zerteilung und Vertilgung unbedingt kräftige Arme und Kauwerkzeuge erforderlich waren.

Der arabische Händler, bei dem ich einkaufte, wollte sich die Gelegenheit, einen Fremden übers Ohr hauen zu können, nicht entgehen lassen. Er forderte ungefähr zehnmal soviel, wie der ganze Kram wert war. Das regte mich nicht im mindesten auf. Früher, ja, da wurde ich zornig und fing an zu schimpfen, aber jetzt – jetzt griff ich in die Tasche und legte seelenruhig den Betrag, den ich für angebracht hielt, in die schmutzige Hand des braunen Halunken. Der gab sich aber nicht zufrieden. Er bestand auf der geforderten Summe. Während ich mit meinem Korb abzog, sperrte er kurzerhand seine Bude zu und heftete sich eine halbe Stunde lang an meine Fersen, in heiserem Tremolo Drohungen heulend oder Bitten winselnd. Dazwischen stieß er die schrecklichsten Flüche aus. Wenn es nach ihm gegangen wäre, so würde mir einmal im Jenseits die summarische Rache aller Islamiten gewiß sein, Als er schließlich einsah, daß sein ganzes Gehaben bei mir nicht verfing, blieb er immer mehr zurück, bis er sich dann ganz aus dem Staube machte.

Die »Bayern« pflügte, vor dem leichten Nordost segelnd das Wasser des Suezkanals. Dammauern, Lokomotiven und viel Telegraphendrähte sah das Auge, und der Blick schweifte über dunkles, totes Land, über sumpfige Seen zu den Sandhügeln der Wüste, die sich in gelber und roter Färbung scharf gegen den blauen Himmel abzeichneten. Ein bißchen Strauchwerk, ganz dicht an den Ufern des Kanals, war das einzige Grün.

Selten, daß sich irgendwo eine zerzauste, schäbige Palme aufreckte. Einzelne niedere, schmucklose Bauten – Ziegelgebäude mit Wellblechveranda auf drei Seiten, oft ganz ohne Dach, denn hier regnete es niemals – begleiteten in Abständen den Kanal. Unerträglich brütete die Sonnenglut, zähneklappernd hockten kohlschwarze Afrikaner an der »Sonnenseite« der Häuser und gedachten bei fünfzig Grad Hitze wehmütig der fernen, warmen Heimat tief unten am Äquator.

Hin und wieder gab es Felder, trocken, ausgedörrt, verlassen. In der Nähe meist eine erbärmliche Lehmhütte, das Heim eines Fellachen – eines seßhaft gewordenen Beduinen. Frauen, die schwarzen Schleier halb über das Gesicht gezogen, und Männer in weißen Mänteln, mit schwarzen Bärten und stechenden Augen standen davor.

In monotonen Reihen zogen Kamelreiter durch den braungelben Sand der weiten Öde.

Es war immer wieder dasselbe Bild, das sich in endlos scheinender Reihenfolge wiederholte.

Ich dachte daran, daß durch die Wüste zu meiner linken Seite während des Weltkrieges deutsche und türkische Truppen gekommen waren, um sich den Übergang über den Kanal mit Gewalt zu erzwingen und nach Ägypten einzufallen. Ich passierte die Stellen, wo damals heftig gekämpft wurde, und ich bekam einen Begriff von der Kühnheit des Gedankens, trotz der scheinbaren Unmöglichkeit, den Engländer an seiner verwundbarsten Stelle packen und schlagen zu wollen. Strategisch hatte der Suezkanal im Weltkriege eine überragende Bedeutung. Die Engländer setzten daher alles ein zu seiner Verteidigung, und während sie jedes Geschütz und jede Granate auf ihren Kriegsschiffen unmittelbar an Ort und Stelle bringen konnten, mußte jede Granate, die von den Angreifern dort verfeuert wurde, erst einen mühevollen Weg zurücklegen. In Spandau wurde sie angefertigt, dann ging sie mit der Bahn zum Bosporus, dort setzte sie über die Meerenge auf einem Dampfer, fuhr wieder mit der Bahn bis zum Taurus, wurde auf Autos über das Hochgebirge gebracht, durchquerte ganz Syrien und Palästina auf einer Kleinbahn und wurde schließlich auf Esel- und auf Kamelrücken durch die Wüste zum Suezkanal geschleppt!

Es konnten daher auch keine dauernden Erfolge erzielt werden, wenngleich deutsche Truppen den Kanal schon überschritten hatten!

Bei Suez war die künstliche Wasserstraße, der Kanal, zu Ende, nachdem schon vorher bei Ismailye der von Kairo kommende Kanal eingemündet war. Der nördliche Teil des Roten Meeres begann so breit, daß man noch beide Ufer gut erkennen konnte. Kahle, zerrissene Gebirgshöhen stiegen im Süden, schon an der Küste beginnend, steil auf. Weltverloren erschien manchmal eine weiße, würfelförmige Kasbah oder das Minarett einer Moschee als einzige Zeichen, daß auch in diesen Öden menschliche Wesen hausten.

Die unwirtlichen Gebirgszüge der Sinaihalbinsel verschwanden in den Wolken. Die Nächte kamen fast ohne Dämmerung. Glutrot versank die Sonne.

Seltsame Unruhe erfüllte mich. Das, was mich hier umgab und was hier vor sich ging, war alles so unbegreiflich anders als bisher. Ich wußte, daß ich im Begriffe war, mich in einen Teil der Erde zu begeben, in dem die Gesetze der Zivilisation keine Geltung mehr haben, in dem die Bevölkerung dem Fremden größtenteils feindselig gegenübersteht, in dem die Wildheit und die Wildnis herrschen. Eine unheimliche Wildnis ...

 

Die Küsten wichen zurück, die Halbinsel Sinai ging zu Ende, das eigentliche Rote Meer begann. Einsam, heiß und lang – zweitausend Kilometer lang!

Klar und durchsichtig war das Wasser. Wenn ich mich über Bord neigte und in die Tiefe blickte, hatte ich den Eindruck, als wäre mein Boot in einen ungeheuren Block hellgrünen Glases eingegossen. Tief unten – waren es zehn, zwanzig oder dreißig Meter? – schimmerte ein heller, welliger Sandgrund. Stachelige schwarze Seeigel ballten sich auf ihm, Meerwalzen rollten sich an seichten Stellen im sonnenwarmen Wasser zwischen Einsiedlerkrebsen, Polypen und lebenden Schwämmen. Große und kleine Rudel von bleistiftlangen, silbergrau glänzenden Fischchen zogen in munterem Spiel dicht unter dem Kiel hinweg, machten Wendungen und Bewegungen, scharf und gleichmäßig, wie eine Schar gut gedrillter Soldaten. So viele waren ihrer, daß ich sie beinahe mit den Händen hätte fangen können. Manchmal rauschte es hart vor dem Steven, etwas Braunglänzendes hob sich für Augenblicke aus der Flut und sank spielerisch wieder unter – ein Delphin! »Abu Salama – Vater des Friedens« grüßten die arabischen Schiffer ehrfurchtsvoll und legten dabei sich verneigend die Hand an die Stirn, wenn sie ihm auf hoher See begegneten. Jeder liebt den harmlosen drolligen Burschen, der manches Schiff auf weite Strecken begleitet. Gehaßt und gefürchtet dagegen und behaftet mit allen Verwünschungen morgenländischer Phantasie ist der Hai, der das Rote Meer von Suez bis Bab el Mandeb unsicher macht.

Gelegentlich strich die dreieckige, rosafarbene Rückenflosse eines solchen Räubers unangenehm nahe um mein Boot, worauf ich rasch zum Karabiner griff und ein Schnellfeuer eröffnete. Für mein Leben gerne hätte ich ein paar Haiflossen gehabt und sie an den Bug genagelt, wie es sich für ein richtiges Segelfahrzeug gehört. Aber die Kugeln verfehlten entweder durch die Brechung im Wasser ihr Ziel oder die Raubfische empfanden die Verletzungen nicht.

Jeden Morgen, wenn ich mein gewohntes Bad nahm, hieß es scharf achtgeben. Ich stellte mich auf den Bug, warf rasch einen Blick in die Runde, ob sich kein verdächtiges Kielwasser in der Nähe zeigte, ein steiler Kopfsprung, so daß ich unmittelbar am Fahrzeug wieder hochkam, sechs – sieben kräftige Stöße, einmal rund um das Boot geschwommen – genug!

Die Hände klammerten sich um die Waschbordleiste und die Ellenbogen stützten sich aufs Verdeck, nun ein hastiger Klimmzug, ich war wieder oben, ließ mich aufatmend in die Pflicht fallen und gelobte mir hoch und heilig, nie wieder im Roten Meer zu baden und mich das nächstemal mit einer Dusche aus einem Eimer zu begnügen. Dieser Vorsatz dauerte stets nur vierundzwanzig Stunden. Am anderen Morgen sprang ich doch wieder in die Flut. Später wurde ich in der yemenitischen Stadt Hodeida Zeuge eines schlimmen Vorfalles, der mir das Baden im Meer für immer verleidete.

Fracht- und Passagierdampfer begegneten mir oder überholten mich. Die »Bayern« war für sie alle Sensation. Man rief und winkte und photographierte. Bitter kalt waren die Nächte, der Mond schien bleich und die Küstenlandschaft veränderte sich dann so, daß ich mich in einen nordischen Winter versetzt glauben konnte. Der matte Glanz des Mondlichtes floß über die Sanddünen und rief diese Täuschung hervor. Jeden Morgen vor Sonnenaufgang mußte ich die Planken des Bootes mit Wasser übergießen, damit sie von der ersten Hitze, die gleich mit Wucht einsetzte, nicht aufgerissen würden.

Dauernd war das Boot von einer feinen weißen Salzschicht überzogen. Da die Brise ständig wehte und das Wasser mit jedem Hauch verdunstete, so war auch die Luft immer mit Salz gesättigt.

An meinen Augen vorbei glitt die Küste des Hedschas, ohne Ende nichts anderes als vier, fünf Meter hohe Sanddünen, die erstarrten Wogen glichen. Manchmal waren es auch Hügel mit sanfter Kuppe oder messerscharfe, steile Grate mit wuchtigem Absturz. Alle diese Hügel aber waren von wunderbar gleichmäßig parallelen Linien gerifft, als ob die Wellen der tiefblauen See einmal über sie hinweggelaufen wären.

Ich litt schwer an Malaria. In der Türkei hatte ich eine Nacht mit dem Boot in einer fieberverseuchten Flußmündung gelegen, Millionen von Moskitos hatten mich dort überfallen, und vierzehn Tage später kam das Fieber zum Ausbruch. Ich wehrte mich dagegen – mit Chinin und mit meiner gesunden Natur. Nach einiger Zeit hatte ich die erste Offensive dieser tückischen Krankheit abgewehrt. Allerdings – ich war seit jener Zeit nicht mehr so ungebrochen gesund wie früher.

Es mußte wohl die Hitze gewesen sein, die die Fieberbazillen in meinem Blut, die ich längst vom Teufel geholt glaubte, wieder zum Leben erweckte. Und sie begannen sich nicht schlecht zu regen. Seit einer Woche, jeden zweiten Tag, mit uhrzeigermäßiger Genauigkeit um ihre Stunde. Ich war elend, schlapp und müde, im ganzen Körper hauste ein Gefühl, als wären mir sämtliche Knochen zerbrochen. Dies war ein Dauerzustand geworden. Regte sich das Fieber, dann warf mich der Frost von einer Seite auf die andere, bis er von der Hitze abgelöst wurde und von Schweißausbrüchen, die mich auf den Tod ermatteten. In solchem Zustand vermochte ich mich nicht um das Boot zu kümmern, es war mir nicht mehr möglich, die notwendigsten Handgriffe vorzunehmen, welche seine Bedienung verlangte.

Einmal lag ich auf meiner Decke auf dem harten Boden des Bootes und starrte abwesend in den tiefblauen Himmel. Es roch durchdringend nach Ölfarbe und Teer neben meinem Gesicht. Im Mund hatte ich Sand, staubfeinen Sand, der auf den Zähnen knirschte, der vom Wind durch die Luft getragen wurde und in die Behälter mit den Lebensmitteln drang, in den Trinkwassertank, seinen Weg in jede Ritze fand und sich in Augen, Ohren, Nase und Mund festsetzte.

Ich hatte Chininpillen eingenommen, und nun summte und dröhnte es in meinen Ohren wie aus einer Muschel. Die Sonne stand im Zenit und brannte und brannte ...

Es ist unglaublich, wie heiß eine Sonne über dem Roten Meer brennen kann. Kein Tropfen Wasser fand sich mehr im Tank. Er war leck geworden, ich konnte mir nicht erklären, wie – seit zwei Tagen.

Flaute – kein Wind.

Die Küste in ziemlicher Ferne. Hätte ich das Boot an sie heranbringen können, vielleicht würde ich Wasser gefunden haben. Aber ich war zu schwach. Die Sonnenpfeile stachen. Wie glühender Draht bohrte etwas in meinem Gehirn herum, mit rasenden Schlägen arbeitete das Herz, die eingeatmete Luft war wie heißes Öl, keinen Finger konnte ich mehr bewegen, als Fremdkörper lag die gequollene Zunge im Munde.

Die Zeit schlich dahin. Waren Stunden oder Minuten vergangen, ich konnte es nicht feststellen. Es war mir auch vollkommen gleichgültig. Manchmal träumte ich die wundersamsten Dinge.

Endlich kamen die Sonnenstrahlen schräg, die Sonne schien im Sinken zu sein. Bald würde die Nacht alles überziehen, es würde kühler werden – kühler ...

Ein mühsamer Blick zum Thermometer hin – es hatte ja sowieso nur noch vierzig Grad! Ich fühlte das Leben in meinen Körper zurückkehren. Da gab es mir einen Stoß – brüllte nicht eine Sirene, tief und brausend? – Sicher eine Täuschung, ich rieb mir die Ohren. Auf keinen Fall träumte ich. Noch immer brüllte es. Ich kannte doch diesen Ton ...

Narrte mich das Fieber?

Oder doch – wurde nicht gerufen ...?

Unsinn!

Nun hörte ich es rauschen, ganz anders, als wenn sich ein Delphin vorbeitummelte – viel mächtiger! Ein riesiger Schatten schob sich vor die Sonne, eine schwarze Wand mit Bullaugen drin – das war ein Schiff!

Der griechische Dampfer »Noëmi« hatte das Boot ohne Steuermann gesichtet und angelaufen. Wasser – war mein erster Gedanke – es gab Wasser!

Niemand, der nicht jemals in ähnlicher Lage war, kann sich ein derartiges Erleben auch nur annähernd vorstellen. Merkwürdig, wie ich mich plötzlich frisch fühlte, wo war das Fieber, wo war die elende Mattigkeit hingekommen? Man warf eine Strickleiter über die Reling, ich stieg hinauf an Deck. Die Leiter ins Leben zurück!

In der Kapitänskajüte war ein gepolsterter Sitz. Ich sank hinein, streckte die Beine behaglich weit von mir, jemand hielt mir Zigaretten hin, ein anderer brachte Wasser – und ich trank. Kein gutes Wasser, es kam wohl schon weit her, lau und brackig schmeckte es, aber es war Wasser, Was-ser!

Dann wurde Eis auf den Tisch gestellt, Limonade, Früchte ...

Die Menschen waren rührend freundlich zu mir, freuten sich herzlich, einen Deutschen getroffen und ihm geholfen zu haben. Eine Stunde mochte vergangen sein, der Dampfer hatte in dieser Zeit gestoppt gelegen. Er hatte Kurs nach Europa ...

»Fahren Sie mit, mein Herr«, sagte der Kapitän, »seien Sie mein Gast.«

Wasser, Eis, Limonade, Früchte, ein gepolsterter Sitz, ein Bett, ein Süßwasserbad ... Welche Verlockungen! – Die winzige »Bayern« keine sechs Meter lang, Sonnenglut, Not und Durst, viele tausend Seemeilen Reise noch, das fürchterliche Meer ...

Nur ein Entschluß ...

Ich sah dem Rauch meiner Zigarette nach, der durch das geöffnete Fenster zog. Zwei Matrosen schleppten eben meinen schnell reparierten und gefüllten Wassertank zur Reling und hoben ihn über Bord.

Nur ein Entschluß! Es war wie immer – die Ausführung einer schwierigen Sache ist weniger schwer als der Entschluß, der dazu zu fassen ist.

Umgekehrt im Roten Meer – aufgefischt von einem Dampfer ...

Umkehren ...

Pfui, wie das schon klang!

»Nun?« – fragte der Kapitän.

»Einen Augenblick, Herr Kapitän«, sagte ich und stemmte mich aus dem weichen, tiefen Sitz in die Höhe, »einen Augenblick.«

Ich ging zum Kartenhaus hinüber, dort hing eine große Weltkarte an der Wand. Ich betrachtete auf ihr die Strecke meiner bisherigen Fahrt und was noch vor mir lag. Es war entschieden zuwenig, was ich bis jetzt geleistet hatte.

Mein Entschluß – ich fuhr nach Indien. Ich hatte ja wieder Wasser. Was brauchte ich sonst?

Ich stieg die Strickleiter hinab – Sprosse für Sprosse. Man holte sie an Deck. Mit einem Stoß trieb ich die »Bayern« etwas von der »Noëmi« zurück, dann lehnte ich mich an den Mast und sah ihr nach ...

Klingelzeichen – nun sprang der Zeiger oben am Telegraphen auf: »Full steam ahead.«

Stampfen, Dröhnen, Schraubenflügel schleuderten Wasser hoch, Menschen winkten – bald war die »Noëmi« nur noch ein Dampfer für mich, irgendein Dampfer, der in der Ferne dahinzog

Wasser, Eis, Limonade, Früchte, ein weicher Sitz, Europa ...

Wie schön – ich hätte vielleicht doch zugreifen sollen. – Noëmi war der Name einer Frau, die Frau des Reeders sollte so heißen. Einer Frau ... Ob sie wohl jung und schön war, diese Frau Noëmi? Irgendwo in Griechenland mochte sie leben, vielleicht war sie mir sogar begegnet, ohne daß ich es wußte ...

Nun war der Dampfer schon ganz ferne – ein Traum löste sich auf in Erwachen. Um mich breitete sich die einsame Ebene des Meeres – die rauhe Wirklichkeit. Als ich später in der Ecke meiner harten Bank sitzend mein karges Abendbrot verzehrte, einen vollen Krug mit Wasser vor mir, da kam ich mir doch wieder restlos glücklich vor, und ich dachte mit leisem Schauder an die viele Zivilisation, der ich entronnen war, an steife Kragen und Krawatten, an Hosenfalten und an einen – Hut. Gibt es etwas Schrecklicheres als einen Hut? Ich trug ihn immer in der Hand.

Wie herrlich war doch das Leben in der Wildnis, trotz aller Unbilden. Wie herrlich war das harte Lager am Boden, die Nacht mit ihren glitzernden Sternen als Decke. Immer mußte man um sein »Morgen« kämpfen – immer; und was das Schönste war – man lebte zeitlos!


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